Grenzen der Bundesgewalt allzuweit auseinander gingen, und beruhigte sich stillschweigend bei der angenehmen Erwartung, daß im Deutschen Bunde niemals ein wirksamer Beschluß zu Stande kommen könne. Diese Hoffnung sprach der hannoversche Bundesgesandte Stralenheim im Namen seiner wohlmeinenden Regierung sehr aufrichtig aus: wenn man nur die Großmächte nicht reize, sondern "dilatorisch" verfahre, so würden die Landes- verfassungen wohl unerschüttert und die neue Wiener Ministerversammlung ebenso ergebnißlos bleiben wie einst die alte vom Jahre 1820.*)
Inzwischen hielt Metternich doch für nöthig, sich mindestens der Zu- stimmung des Münchener Hofes zu versichern, der so oft schon durch seine Vorbehalte die Bundespolitik der Hofburg erschwert hatte; und wieder, wie vor neun Jahren bei der Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse, glückte es ihm den König von Baiern zu einer persönlichen Zusammen- kunft zu bewegen. Als er im October zu Linz mit König Ludwig zu- sammentraf, fand er freundliches Entgegenkommen. Der König war noch immer erbittert über seinen unbotmäßigen Landtag und erklärte sich gern bereit "das monarchische Princip" in den Landesverfassungen zu verstärken; nur wollte er -- und dies war auch Preußens Wunsch -- die Conferenz lieber in Prag oder Linz als in Wien zusammentreten sehen.**) Der Staatskanzler aber konnte sich nicht auf so lange Zeit von seinem Amte entfernen, und so erlebte denn Kaiser Franz im Januar 1834 die Genug- thuung, daß sich die leitenden Staatsmänner Deutschlands als Vertreter der siebzehn Stimmen des engeren Rathes, wie wenn er ihr Kaiser wäre, in seiner Hofburg einfanden. Zu einem fröhlichen reaktionären Staats- streiche Karlsbader Stiles war die Zeit freilich nicht angethan; denn mehr als eine Verständigung über conservative Gemeinplätze hatte Metternich in Linz nicht erreicht, und da er selber keinen bestimmten Plan verfolgte, sondern lediglich, ohne die Mittel und Wege zu übersehen, die unheimliche Macht der kleinen Landtage eindämmen wollte, so konnte es nicht fehlen, daß die Kraft der Trägheit, der Particularismus und die Verfassungstreue der constitutionellen Höfe seinem Unternehmen bald den Stachel nahmen.
Die Parteistellung gestaltete sich diesmal anders als auf der ersten Wiener Conferenz vor vierzehn Jahren. Metternich selbst war durch die Niederlagen der letzten Jahre, nach überstandenem erstem Schrecken, nicht gebeugt, sondern nur in seiner Selbstgerechtigkeit bestärkt worden. Alles hatte er vorher gewußt, Alles vorausgesagt. Erfroren in Dünkel blickte er auf die kleinen Sterblichen nieder und sagte zu Varnhagen, als dieser ihm seine unterthänige Aufwartung machte: ich bin der Mann der Wahr- heit, seit fünfundzwanzig Jahren habe ich nichts zu bereuen. Mit seinem Amte war er jetzt so fest verwachsen, daß er den Fall seines Rücktrittes
Grenzen der Bundesgewalt allzuweit auseinander gingen, und beruhigte ſich ſtillſchweigend bei der angenehmen Erwartung, daß im Deutſchen Bunde niemals ein wirkſamer Beſchluß zu Stande kommen könne. Dieſe Hoffnung ſprach der hannoverſche Bundesgeſandte Stralenheim im Namen ſeiner wohlmeinenden Regierung ſehr aufrichtig aus: wenn man nur die Großmächte nicht reize, ſondern „dilatoriſch“ verfahre, ſo würden die Landes- verfaſſungen wohl unerſchüttert und die neue Wiener Miniſterverſammlung ebenſo ergebnißlos bleiben wie einſt die alte vom Jahre 1820.*)
Inzwiſchen hielt Metternich doch für nöthig, ſich mindeſtens der Zu- ſtimmung des Münchener Hofes zu verſichern, der ſo oft ſchon durch ſeine Vorbehalte die Bundespolitik der Hofburg erſchwert hatte; und wieder, wie vor neun Jahren bei der Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe, glückte es ihm den König von Baiern zu einer perſönlichen Zuſammen- kunft zu bewegen. Als er im October zu Linz mit König Ludwig zu- ſammentraf, fand er freundliches Entgegenkommen. Der König war noch immer erbittert über ſeinen unbotmäßigen Landtag und erklärte ſich gern bereit „das monarchiſche Princip“ in den Landesverfaſſungen zu verſtärken; nur wollte er — und dies war auch Preußens Wunſch — die Conferenz lieber in Prag oder Linz als in Wien zuſammentreten ſehen.**) Der Staatskanzler aber konnte ſich nicht auf ſo lange Zeit von ſeinem Amte entfernen, und ſo erlebte denn Kaiſer Franz im Januar 1834 die Genug- thuung, daß ſich die leitenden Staatsmänner Deutſchlands als Vertreter der ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes, wie wenn er ihr Kaiſer wäre, in ſeiner Hofburg einfanden. Zu einem fröhlichen reaktionären Staats- ſtreiche Karlsbader Stiles war die Zeit freilich nicht angethan; denn mehr als eine Verſtändigung über conſervative Gemeinplätze hatte Metternich in Linz nicht erreicht, und da er ſelber keinen beſtimmten Plan verfolgte, ſondern lediglich, ohne die Mittel und Wege zu überſehen, die unheimliche Macht der kleinen Landtage eindämmen wollte, ſo konnte es nicht fehlen, daß die Kraft der Trägheit, der Particularismus und die Verfaſſungstreue der conſtitutionellen Höfe ſeinem Unternehmen bald den Stachel nahmen.
Die Parteiſtellung geſtaltete ſich diesmal anders als auf der erſten Wiener Conferenz vor vierzehn Jahren. Metternich ſelbſt war durch die Niederlagen der letzten Jahre, nach überſtandenem erſtem Schrecken, nicht gebeugt, ſondern nur in ſeiner Selbſtgerechtigkeit beſtärkt worden. Alles hatte er vorher gewußt, Alles vorausgeſagt. Erfroren in Dünkel blickte er auf die kleinen Sterblichen nieder und ſagte zu Varnhagen, als dieſer ihm ſeine unterthänige Aufwartung machte: ich bin der Mann der Wahr- heit, ſeit fünfundzwanzig Jahren habe ich nichts zu bereuen. Mit ſeinem Amte war er jetzt ſo feſt verwachſen, daß er den Fall ſeines Rücktrittes
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IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Grenzen der Bundesgewalt allzuweit auseinander gingen, und beruhigte
ſich ſtillſchweigend bei der angenehmen Erwartung, daß im Deutſchen
Bunde niemals ein wirkſamer Beſchluß zu Stande kommen könne. Dieſe
Hoffnung ſprach der hannoverſche Bundesgeſandte Stralenheim im Namen
ſeiner wohlmeinenden Regierung ſehr aufrichtig aus: wenn man nur die
Großmächte nicht reize, ſondern „dilatoriſch“ verfahre, ſo würden die Landes-
verfaſſungen wohl unerſchüttert und die neue Wiener Miniſterverſammlung
ebenſo ergebnißlos bleiben wie einſt die alte vom Jahre 1820. *)
Inzwiſchen hielt Metternich doch für nöthig, ſich mindeſtens der Zu-
ſtimmung des Münchener Hofes zu verſichern, der ſo oft ſchon durch ſeine
Vorbehalte die Bundespolitik der Hofburg erſchwert hatte; und wieder,
wie vor neun Jahren bei der Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe,
glückte es ihm den König von Baiern zu einer perſönlichen Zuſammen-
kunft zu bewegen. Als er im October zu Linz mit König Ludwig zu-
ſammentraf, fand er freundliches Entgegenkommen. Der König war noch
immer erbittert über ſeinen unbotmäßigen Landtag und erklärte ſich gern
bereit „das monarchiſche Princip“ in den Landesverfaſſungen zu verſtärken;
nur wollte er — und dies war auch Preußens Wunſch — die Conferenz
lieber in Prag oder Linz als in Wien zuſammentreten ſehen. **) Der
Staatskanzler aber konnte ſich nicht auf ſo lange Zeit von ſeinem Amte
entfernen, und ſo erlebte denn Kaiſer Franz im Januar 1834 die Genug-
thuung, daß ſich die leitenden Staatsmänner Deutſchlands als Vertreter
der ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes, wie wenn er ihr Kaiſer wäre,
in ſeiner Hofburg einfanden. Zu einem fröhlichen reaktionären Staats-
ſtreiche Karlsbader Stiles war die Zeit freilich nicht angethan; denn mehr
als eine Verſtändigung über conſervative Gemeinplätze hatte Metternich
in Linz nicht erreicht, und da er ſelber keinen beſtimmten Plan verfolgte,
ſondern lediglich, ohne die Mittel und Wege zu überſehen, die unheimliche
Macht der kleinen Landtage eindämmen wollte, ſo konnte es nicht fehlen,
daß die Kraft der Trägheit, der Particularismus und die Verfaſſungstreue
der conſtitutionellen Höfe ſeinem Unternehmen bald den Stachel nahmen.
Die Parteiſtellung geſtaltete ſich diesmal anders als auf der erſten
Wiener Conferenz vor vierzehn Jahren. Metternich ſelbſt war durch die
Niederlagen der letzten Jahre, nach überſtandenem erſtem Schrecken, nicht
gebeugt, ſondern nur in ſeiner Selbſtgerechtigkeit beſtärkt worden. Alles
hatte er vorher gewußt, Alles vorausgeſagt. Erfroren in Dünkel blickte
er auf die kleinen Sterblichen nieder und ſagte zu Varnhagen, als dieſer
ihm ſeine unterthänige Aufwartung machte: ich bin der Mann der Wahr-
heit, ſeit fünfundzwanzig Jahren habe ich nichts zu bereuen. Mit ſeinem
Amte war er jetzt ſo feſt verwachſen, daß er den Fall ſeines Rücktrittes
*) Türckheim an Blittersdorff 21. Nov. Blittersdorff’s Bericht, 21. Nov. 1833.
**) Dönhoff’s Bericht, München 2. Dec. 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/352>, abgerufen am 24.11.2024.
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