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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Liberalen auf der Conferenz.
Hofburg noch zu zersprengen hoffte. Aus ähnlichen Gründen, um sich
die Gunst der Großmächte für die belgischen Händel zu sichern, folgte der
Vertreter Luxemburgs, Verstolk van Soelen dem Banner Oesterreichs;
was kümmerten auch den Holländer die deutschen Verfassungsfragen?*)

Diesen acht conservativen Stimmen trat eine Mehrheit von neun
Constitutionellen entgegen, eine buntgemischte Partei, einig nur in dem
Entschlusse, Alles zu vermeiden was daheim zu einer Ministeranklage
führen konnte. Voran stand Baiern, das anfangs durch Gise, nachher
sehr geschickt durch den Minister v. Mieg vertreten wurde. Beide Staats-
männer mußten ihrem Könige in tiefem Geheimniß, hinter dem Rücken
des Ministerrathes, Bericht erstatten und empfingen von ihm die gemessene
Weisung, die Selbständigkeit seines "Reiches" vor jedem Eingriff zu be-
wahren.**) Etwas behutsamer trat der Badener Reizenstein für den Be-
stand der Landesverfassungen ein und gerieth deßhalb mit seinem alten
Gegner du Thil oft in Streit; die alte freundnachbarliche Gesinnung der
Badener und der Hessen machte sich in diesen Händeln Luft.***) Der
Führung Reizenstein's fügten sich in der Regel der Sachse Minckwitz und
der Württemberger Beroldingen, obgleich beide persönlich den Ansichten
Metternich's nahe standen; desgleichen Ompteda aus Hannover, Trott aus
Kurhessen und der Vertreter der Allerkleinsten, v. Strauch. Daß der geist-
reiche Thüringer Fritsch, Metternich's Widersacher von Karlsbad her, in
diesem Kreise nicht fehlte, verstand sich von selbst. Sogar auf das allzeit
getreue Nassau konnte die Hofburg sich nicht mehr verlassen, da Marschall
vor Kurzem gestorben war und Ompteda vorläufig die nassau-braunschwei-
gische Curiatstimme führte. Im Vertrauen ward schon der Plan eines
Sonderbundes der constitutionellen Staaten besprochen: natürlich ohne
Erfolg, weil man doch nur im ängstlichen Verneinen übereinstimmte.

Bei solchem Gleichgewicht der Parteien mußte die Conferenz von Haus
aus unfruchtbar bleiben. Am 13. Januar eröffnete Metternich die Be-
rathungen und erklärte in pathetischer Ansprache: vor vierzehn Jahren sei
der Bund ausgebildet worden, jetzt gelte es ihn zu erhalten. Darauf
folgte das wohlbekannte Schauergemälde der deutschen Zustände: "Aus den
Stürmen der Zeit ist eine Partei entsprossen, deren Kühnheit wenn nicht
durch Entgegenkommen so doch durch Nachgiebigkeit bis zum Uebermuth
gesteigert ist. Wenn nicht bald dem überfluthenden Strome ein rettender
Damm entgegengesetzt wird, so könnte in Kurzem selbst das Schattenbild
einer monarchischen Gewalt in den Händen mancher Regenten zerfließen."
Zwischen dem monarchischen Princip der Bundesverfassung und der mo-
dernen, unter den Formen des Repräsentativsystems verhüllten Idee der

*) du Thil an Prinz Emil von Hessen, 18. Jan., 7. Febr. 1834.
**) Dönhoff's Bericht, 6. Febr. 1834.
***) Alvensleben's Bericht, 11. Febr. 1834.

Die Liberalen auf der Conferenz.
Hofburg noch zu zerſprengen hoffte. Aus ähnlichen Gründen, um ſich
die Gunſt der Großmächte für die belgiſchen Händel zu ſichern, folgte der
Vertreter Luxemburgs, Verſtolk van Soelen dem Banner Oeſterreichs;
was kümmerten auch den Holländer die deutſchen Verfaſſungsfragen?*)

Dieſen acht conſervativen Stimmen trat eine Mehrheit von neun
Conſtitutionellen entgegen, eine buntgemiſchte Partei, einig nur in dem
Entſchluſſe, Alles zu vermeiden was daheim zu einer Miniſteranklage
führen konnte. Voran ſtand Baiern, das anfangs durch Giſe, nachher
ſehr geſchickt durch den Miniſter v. Mieg vertreten wurde. Beide Staats-
männer mußten ihrem Könige in tiefem Geheimniß, hinter dem Rücken
des Miniſterrathes, Bericht erſtatten und empfingen von ihm die gemeſſene
Weiſung, die Selbſtändigkeit ſeines „Reiches“ vor jedem Eingriff zu be-
wahren.**) Etwas behutſamer trat der Badener Reizenſtein für den Be-
ſtand der Landesverfaſſungen ein und gerieth deßhalb mit ſeinem alten
Gegner du Thil oft in Streit; die alte freundnachbarliche Geſinnung der
Badener und der Heſſen machte ſich in dieſen Händeln Luft.***) Der
Führung Reizenſtein’s fügten ſich in der Regel der Sachſe Minckwitz und
der Württemberger Beroldingen, obgleich beide perſönlich den Anſichten
Metternich’s nahe ſtanden; desgleichen Ompteda aus Hannover, Trott aus
Kurheſſen und der Vertreter der Allerkleinſten, v. Strauch. Daß der geiſt-
reiche Thüringer Fritſch, Metternich’s Widerſacher von Karlsbad her, in
dieſem Kreiſe nicht fehlte, verſtand ſich von ſelbſt. Sogar auf das allzeit
getreue Naſſau konnte die Hofburg ſich nicht mehr verlaſſen, da Marſchall
vor Kurzem geſtorben war und Ompteda vorläufig die naſſau-braunſchwei-
giſche Curiatſtimme führte. Im Vertrauen ward ſchon der Plan eines
Sonderbundes der conſtitutionellen Staaten beſprochen: natürlich ohne
Erfolg, weil man doch nur im ängſtlichen Verneinen übereinſtimmte.

Bei ſolchem Gleichgewicht der Parteien mußte die Conferenz von Haus
aus unfruchtbar bleiben. Am 13. Januar eröffnete Metternich die Be-
rathungen und erklärte in pathetiſcher Anſprache: vor vierzehn Jahren ſei
der Bund ausgebildet worden, jetzt gelte es ihn zu erhalten. Darauf
folgte das wohlbekannte Schauergemälde der deutſchen Zuſtände: „Aus den
Stürmen der Zeit iſt eine Partei entſproſſen, deren Kühnheit wenn nicht
durch Entgegenkommen ſo doch durch Nachgiebigkeit bis zum Uebermuth
geſteigert iſt. Wenn nicht bald dem überfluthenden Strome ein rettender
Damm entgegengeſetzt wird, ſo könnte in Kurzem ſelbſt das Schattenbild
einer monarchiſchen Gewalt in den Händen mancher Regenten zerfließen.“
Zwiſchen dem monarchiſchen Princip der Bundesverfaſſung und der mo-
dernen, unter den Formen des Repräſentativſyſtems verhüllten Idee der

*) du Thil an Prinz Emil von Heſſen, 18. Jan., 7. Febr. 1834.
**) Dönhoff’s Bericht, 6. Febr. 1834.
***) Alvensleben’s Bericht, 11. Febr. 1834.
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[341/0355] Die Liberalen auf der Conferenz. Hofburg noch zu zerſprengen hoffte. Aus ähnlichen Gründen, um ſich die Gunſt der Großmächte für die belgiſchen Händel zu ſichern, folgte der Vertreter Luxemburgs, Verſtolk van Soelen dem Banner Oeſterreichs; was kümmerten auch den Holländer die deutſchen Verfaſſungsfragen? *) Dieſen acht conſervativen Stimmen trat eine Mehrheit von neun Conſtitutionellen entgegen, eine buntgemiſchte Partei, einig nur in dem Entſchluſſe, Alles zu vermeiden was daheim zu einer Miniſteranklage führen konnte. Voran ſtand Baiern, das anfangs durch Giſe, nachher ſehr geſchickt durch den Miniſter v. Mieg vertreten wurde. Beide Staats- männer mußten ihrem Könige in tiefem Geheimniß, hinter dem Rücken des Miniſterrathes, Bericht erſtatten und empfingen von ihm die gemeſſene Weiſung, die Selbſtändigkeit ſeines „Reiches“ vor jedem Eingriff zu be- wahren. **) Etwas behutſamer trat der Badener Reizenſtein für den Be- ſtand der Landesverfaſſungen ein und gerieth deßhalb mit ſeinem alten Gegner du Thil oft in Streit; die alte freundnachbarliche Geſinnung der Badener und der Heſſen machte ſich in dieſen Händeln Luft. ***) Der Führung Reizenſtein’s fügten ſich in der Regel der Sachſe Minckwitz und der Württemberger Beroldingen, obgleich beide perſönlich den Anſichten Metternich’s nahe ſtanden; desgleichen Ompteda aus Hannover, Trott aus Kurheſſen und der Vertreter der Allerkleinſten, v. Strauch. Daß der geiſt- reiche Thüringer Fritſch, Metternich’s Widerſacher von Karlsbad her, in dieſem Kreiſe nicht fehlte, verſtand ſich von ſelbſt. Sogar auf das allzeit getreue Naſſau konnte die Hofburg ſich nicht mehr verlaſſen, da Marſchall vor Kurzem geſtorben war und Ompteda vorläufig die naſſau-braunſchwei- giſche Curiatſtimme führte. Im Vertrauen ward ſchon der Plan eines Sonderbundes der conſtitutionellen Staaten beſprochen: natürlich ohne Erfolg, weil man doch nur im ängſtlichen Verneinen übereinſtimmte. Bei ſolchem Gleichgewicht der Parteien mußte die Conferenz von Haus aus unfruchtbar bleiben. Am 13. Januar eröffnete Metternich die Be- rathungen und erklärte in pathetiſcher Anſprache: vor vierzehn Jahren ſei der Bund ausgebildet worden, jetzt gelte es ihn zu erhalten. Darauf folgte das wohlbekannte Schauergemälde der deutſchen Zuſtände: „Aus den Stürmen der Zeit iſt eine Partei entſproſſen, deren Kühnheit wenn nicht durch Entgegenkommen ſo doch durch Nachgiebigkeit bis zum Uebermuth geſteigert iſt. Wenn nicht bald dem überfluthenden Strome ein rettender Damm entgegengeſetzt wird, ſo könnte in Kurzem ſelbſt das Schattenbild einer monarchiſchen Gewalt in den Händen mancher Regenten zerfließen.“ Zwiſchen dem monarchiſchen Princip der Bundesverfaſſung und der mo- dernen, unter den Formen des Repräſentativſyſtems verhüllten Idee der *) du Thil an Prinz Emil von Heſſen, 18. Jan., 7. Febr. 1834. **) Dönhoff’s Bericht, 6. Febr. 1834. ***) Alvensleben’s Bericht, 11. Febr. 1834.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/355>, abgerufen am 24.11.2024.