verrieth sich überall der stille Wunsch nach Durchlöcherung der Landes- verfassungen, aber auch die Angst vor offenbarem Eidbruch. Es war ein häßliches Spiel mit Treu und Glauben, und zugleich ein schwerer poli- tischer Fehler in einer Zeit radicaler Leidenschaften, wenn Deutschlands Fürsten hinter dem Rücken ihrer Landtage sich über Auslegung und Hand- habung ihrer beschworenen Landesverfassungen zu vereinbaren suchten. Mit reinem Gewissen und ohne stillen Vorbehalt konnte keiner der constitutio- nellen Minister diese Artikel unterschreiben; am wenigsten der kurhessische, denn seine Landesverfassung war die einzige in Deutschland, die der neuen französischen Charte nahe stand, und keine Kunst der Auslegung vermochte sie mit den Wiener Beschlüssen in Einklang zu bringen.
Ein zweiter Abschnitt von zehn Artikeln gab Vorschriften über die Censur, forderte für die Herausgabe neuer Zeitungen eine besondere Er- laubniß -- was den Vorschriften der sächsischen und der kurhessischen Ver- fassung gradeswegs zuwiderlief -- und erlaubte jedem Staate, die von anderen Bundesgliedern bereits censirten Schriften noch einmal zu cen- siren oder auch zu verbieten. So ward dafür gesorgt, daß kein gefährlicher Schriftsteller jemals durchschlüpfen konnte. Die deutschen Buchhändler aber, die jetzt nochmals um Schutz gegen den Nachdruck baten, speiste die Conferenz mit einem leeren, auf die Zukunft vertröstenden Artikel ab. Vorläufig blieb es dabei, daß die Reutlinger Nachdrucker unter dem Schutze der Krone Württemberg die Leipziger großen Verleger bestahlen, ihre Raub- waare durch die armen Hausirer von der Rauhen Alp auf dem flachen Lande verbreiten ließen und mit diesen ahnungslosen Helfershelfern auf der Nachdrucker-Messe, dem berüchtigten "Ehninger Krämercongreß" regel- mäßige Abrechnung hielten.
Dem dritten Abschnitt -- über die Universitäten -- lag jener hanno- versche Antrag zu Grunde, der vor drei Jahren am Bundestage so viel Verwunderung erregt hatte.*) Einige der Vorschläge Hannovers wurden als allzuhart beseitigt; was übrig blieb war immerhin noch arg genug. Mit philisterhafter Kleinmeisterei versuchte die Conferenz durch siebzehn Artikel das Leben der Studenten bis in's Einzelne zu regeln; namentlich das Reisen ward ihnen auf's Aeußerste erschwert, der Württemberger Berol- dingen dachte selbst die üblichen akademischen Spritzfahrten in die Um- gegend der Universitätsstädte nur nach eingeholtem Segen der Obrigkeit zu erlauben. Es war, als ob man die jungen Leute zur Selbstüber- hebung zwingen wollte; wie wichtig mußten sie sich selber vorkommen, wenn ihnen jetzt nach dem Frankfurter Attentate einige Zeit lang sogar das Uebernachten in der Bundesstadt verboten wurde.
Als Anhang folgte noch ein Artikel, der die Aktenversendungen in Criminalfällen untersagte -- weil die Tübinger Facultät kürzlich ein sehr
*) s. o. IV. 267.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
verrieth ſich überall der ſtille Wunſch nach Durchlöcherung der Landes- verfaſſungen, aber auch die Angſt vor offenbarem Eidbruch. Es war ein häßliches Spiel mit Treu und Glauben, und zugleich ein ſchwerer poli- tiſcher Fehler in einer Zeit radicaler Leidenſchaften, wenn Deutſchlands Fürſten hinter dem Rücken ihrer Landtage ſich über Auslegung und Hand- habung ihrer beſchworenen Landesverfaſſungen zu vereinbaren ſuchten. Mit reinem Gewiſſen und ohne ſtillen Vorbehalt konnte keiner der conſtitutio- nellen Miniſter dieſe Artikel unterſchreiben; am wenigſten der kurheſſiſche, denn ſeine Landesverfaſſung war die einzige in Deutſchland, die der neuen franzöſiſchen Charte nahe ſtand, und keine Kunſt der Auslegung vermochte ſie mit den Wiener Beſchlüſſen in Einklang zu bringen.
Ein zweiter Abſchnitt von zehn Artikeln gab Vorſchriften über die Cenſur, forderte für die Herausgabe neuer Zeitungen eine beſondere Er- laubniß — was den Vorſchriften der ſächſiſchen und der kurheſſiſchen Ver- faſſung gradeswegs zuwiderlief — und erlaubte jedem Staate, die von anderen Bundesgliedern bereits cenſirten Schriften noch einmal zu cen- ſiren oder auch zu verbieten. So ward dafür geſorgt, daß kein gefährlicher Schriftſteller jemals durchſchlüpfen konnte. Die deutſchen Buchhändler aber, die jetzt nochmals um Schutz gegen den Nachdruck baten, ſpeiſte die Conferenz mit einem leeren, auf die Zukunft vertröſtenden Artikel ab. Vorläufig blieb es dabei, daß die Reutlinger Nachdrucker unter dem Schutze der Krone Württemberg die Leipziger großen Verleger beſtahlen, ihre Raub- waare durch die armen Hauſirer von der Rauhen Alp auf dem flachen Lande verbreiten ließen und mit dieſen ahnungsloſen Helfershelfern auf der Nachdrucker-Meſſe, dem berüchtigten „Ehninger Krämercongreß“ regel- mäßige Abrechnung hielten.
Dem dritten Abſchnitt — über die Univerſitäten — lag jener hanno- verſche Antrag zu Grunde, der vor drei Jahren am Bundestage ſo viel Verwunderung erregt hatte.*) Einige der Vorſchläge Hannovers wurden als allzuhart beſeitigt; was übrig blieb war immerhin noch arg genug. Mit philiſterhafter Kleinmeiſterei verſuchte die Conferenz durch ſiebzehn Artikel das Leben der Studenten bis in’s Einzelne zu regeln; namentlich das Reiſen ward ihnen auf’s Aeußerſte erſchwert, der Württemberger Berol- dingen dachte ſelbſt die üblichen akademiſchen Spritzfahrten in die Um- gegend der Univerſitätsſtädte nur nach eingeholtem Segen der Obrigkeit zu erlauben. Es war, als ob man die jungen Leute zur Selbſtüber- hebung zwingen wollte; wie wichtig mußten ſie ſich ſelber vorkommen, wenn ihnen jetzt nach dem Frankfurter Attentate einige Zeit lang ſogar das Uebernachten in der Bundesſtadt verboten wurde.
Als Anhang folgte noch ein Artikel, der die Aktenverſendungen in Criminalfällen unterſagte — weil die Tübinger Facultät kürzlich ein ſehr
*) ſ. o. IV. 267.
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IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
verrieth ſich überall der ſtille Wunſch nach Durchlöcherung der Landes-
verfaſſungen, aber auch die Angſt vor offenbarem Eidbruch. Es war ein
häßliches Spiel mit Treu und Glauben, und zugleich ein ſchwerer poli-
tiſcher Fehler in einer Zeit radicaler Leidenſchaften, wenn Deutſchlands
Fürſten hinter dem Rücken ihrer Landtage ſich über Auslegung und Hand-
habung ihrer beſchworenen Landesverfaſſungen zu vereinbaren ſuchten. Mit
reinem Gewiſſen und ohne ſtillen Vorbehalt konnte keiner der conſtitutio-
nellen Miniſter dieſe Artikel unterſchreiben; am wenigſten der kurheſſiſche,
denn ſeine Landesverfaſſung war die einzige in Deutſchland, die der neuen
franzöſiſchen Charte nahe ſtand, und keine Kunſt der Auslegung vermochte
ſie mit den Wiener Beſchlüſſen in Einklang zu bringen.
Ein zweiter Abſchnitt von zehn Artikeln gab Vorſchriften über die
Cenſur, forderte für die Herausgabe neuer Zeitungen eine beſondere Er-
laubniß — was den Vorſchriften der ſächſiſchen und der kurheſſiſchen Ver-
faſſung gradeswegs zuwiderlief — und erlaubte jedem Staate, die von
anderen Bundesgliedern bereits cenſirten Schriften noch einmal zu cen-
ſiren oder auch zu verbieten. So ward dafür geſorgt, daß kein gefährlicher
Schriftſteller jemals durchſchlüpfen konnte. Die deutſchen Buchhändler
aber, die jetzt nochmals um Schutz gegen den Nachdruck baten, ſpeiſte die
Conferenz mit einem leeren, auf die Zukunft vertröſtenden Artikel ab.
Vorläufig blieb es dabei, daß die Reutlinger Nachdrucker unter dem Schutze
der Krone Württemberg die Leipziger großen Verleger beſtahlen, ihre Raub-
waare durch die armen Hauſirer von der Rauhen Alp auf dem flachen
Lande verbreiten ließen und mit dieſen ahnungsloſen Helfershelfern auf
der Nachdrucker-Meſſe, dem berüchtigten „Ehninger Krämercongreß“ regel-
mäßige Abrechnung hielten.
Dem dritten Abſchnitt — über die Univerſitäten — lag jener hanno-
verſche Antrag zu Grunde, der vor drei Jahren am Bundestage ſo viel
Verwunderung erregt hatte. *) Einige der Vorſchläge Hannovers wurden
als allzuhart beſeitigt; was übrig blieb war immerhin noch arg genug.
Mit philiſterhafter Kleinmeiſterei verſuchte die Conferenz durch ſiebzehn
Artikel das Leben der Studenten bis in’s Einzelne zu regeln; namentlich
das Reiſen ward ihnen auf’s Aeußerſte erſchwert, der Württemberger Berol-
dingen dachte ſelbſt die üblichen akademiſchen Spritzfahrten in die Um-
gegend der Univerſitätsſtädte nur nach eingeholtem Segen der Obrigkeit
zu erlauben. Es war, als ob man die jungen Leute zur Selbſtüber-
hebung zwingen wollte; wie wichtig mußten ſie ſich ſelber vorkommen,
wenn ihnen jetzt nach dem Frankfurter Attentate einige Zeit lang ſogar
das Uebernachten in der Bundesſtadt verboten wurde.
Als Anhang folgte noch ein Artikel, der die Aktenverſendungen in
Criminalfällen unterſagte — weil die Tübinger Facultät kürzlich ein ſehr
*) ſ. o. IV. 267.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/358>, abgerufen am 24.11.2024.
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