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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
dieser war vor der Hand noch ein Entwurf, änderte nichts an den Leiden
des Landes. Man schwankte lange; noch im Herbst 1830 widmete Geh.
Rath Meisterlin, einer der Urheber des Eimbecker Vertrags, den Land-
ständen eine Flugschrift, die den Eintritt in das preußische Zollsystem
verwarf, weil Hessens Gewerbfleiß die Mitwerbung der überlegenen rhei-
nischen Industrie nicht ertragen könne. Die alte Abneigung des Kur-
fürsten gegen Preußen war nicht verflogen, auch schien ihm doch bedenk-
lich eine zwiefache Verpflichtung ohne Weiteres zu brechen. Er wünschte
-- und mit ihm wohl die Mehrzahl im Lande -- einen Mauthverband
des gesammten Deutschlands, der die Sonderbünde von selbst aufgehoben
hätte. In diesem Sinne mußte Meyerfeld bei dem bairischen Bundes-
tagsgesandten Lerchenfeld vertraulich anfragen. Das Münchener Cabinet
aber kannte jetzt die handelspolitischen Pläne wie die Verhandlungsweise des
Berliner Hofes; daher gab Graf Armansperg an Lerchenfeld die verständige
Weisung: diese Sache sei vorsichtig dahin zu lenken, daß sie in Berlin
unter Preußens Leitung erledigt werde.*) Gleichwohl konnte der Kurfürst
sich noch immer nicht entschließen mit dem verhaßten Preußen und dem
so gröblich beleidigten Darmstädter Vetter allein zu verhandeln. Noch im
folgenden Frühjahr erhielt Meyerfeld den Auftrag, die Vereinigung sämmt-
licher deutscher Mauthverbände beim Bundestage zu beantragen; da warnte
ihn Nagler: niemals werde Preußen einer solchen Utopie zustimmen.**)

Unterdessen hatte Motz, ein Verwandter des preußischen Ministers,
das hessische Finanzministerium übernommen. Die Anarchie im Zollwesen
ward unhaltbar; die Commissäre des Eimbecker Vereins, die in Hannover
tagten, konnten sich nicht einigen. Motz und sein wackerer Amtsgenosse
Schenk zu Schweinsberg bewogen endlich den Kurfürsten, daß er die Ge-
heimräthe Ries und Meisterlin im Juni nach Berlin schickte um mit
Preußen-Darmstadt und Baiern-Württemberg zugleich einen Zollverein
zu schließen. Doch unerbittlich hielt Eichhorn den beiden Bevollmächtigten
den alten preußischen Grundsatz entgegen: Verhandlungen mit mehreren
Staaten zugleich sind aussichtslos. Vergeblich sträubte sich der Kurfürst;
man mußte sich der Forderung des Berliner Hofes fügen, mit Preußen-
Darmstadt allein verhandeln. In Maassen's Auftrag führte L. Kühne
die Unterhandlung. Der schlicht bürgerliche kleine Mann erwies sich jetzt
schon, wie späterhin in allen Geschäften des Zollvereins, als meisterhafter
Diplomat. Klar und bestimmt, mit überlegener Sachkenntniß und ehr-
lichem Wohlwollen entwickelte er seine Vorschläge; wenn ihm aber das
thörichte Mißtrauen der Kleinen entgegentrat, dann funkelten seine kleinen
scharfen Augen, und er fertigte alle Winkelzüge mit schneidenden Sarkas-
men ab. Auf die Frage des Preußen, ob Kurhessen nicht noch durch die

*) Armansperg, Weisung an Lerchenfeld, 29. Oct. 1830.
**) Nagler's Bericht, 24. April 1831.

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
dieſer war vor der Hand noch ein Entwurf, änderte nichts an den Leiden
des Landes. Man ſchwankte lange; noch im Herbſt 1830 widmete Geh.
Rath Meiſterlin, einer der Urheber des Eimbecker Vertrags, den Land-
ſtänden eine Flugſchrift, die den Eintritt in das preußiſche Zollſyſtem
verwarf, weil Heſſens Gewerbfleiß die Mitwerbung der überlegenen rhei-
niſchen Induſtrie nicht ertragen könne. Die alte Abneigung des Kur-
fürſten gegen Preußen war nicht verflogen, auch ſchien ihm doch bedenk-
lich eine zwiefache Verpflichtung ohne Weiteres zu brechen. Er wünſchte
— und mit ihm wohl die Mehrzahl im Lande — einen Mauthverband
des geſammten Deutſchlands, der die Sonderbünde von ſelbſt aufgehoben
hätte. In dieſem Sinne mußte Meyerfeld bei dem bairiſchen Bundes-
tagsgeſandten Lerchenfeld vertraulich anfragen. Das Münchener Cabinet
aber kannte jetzt die handelspolitiſchen Pläne wie die Verhandlungsweiſe des
Berliner Hofes; daher gab Graf Armansperg an Lerchenfeld die verſtändige
Weiſung: dieſe Sache ſei vorſichtig dahin zu lenken, daß ſie in Berlin
unter Preußens Leitung erledigt werde.*) Gleichwohl konnte der Kurfürſt
ſich noch immer nicht entſchließen mit dem verhaßten Preußen und dem
ſo gröblich beleidigten Darmſtädter Vetter allein zu verhandeln. Noch im
folgenden Frühjahr erhielt Meyerfeld den Auftrag, die Vereinigung ſämmt-
licher deutſcher Mauthverbände beim Bundestage zu beantragen; da warnte
ihn Nagler: niemals werde Preußen einer ſolchen Utopie zuſtimmen.**)

Unterdeſſen hatte Motz, ein Verwandter des preußiſchen Miniſters,
das heſſiſche Finanzminiſterium übernommen. Die Anarchie im Zollweſen
ward unhaltbar; die Commiſſäre des Eimbecker Vereins, die in Hannover
tagten, konnten ſich nicht einigen. Motz und ſein wackerer Amtsgenoſſe
Schenk zu Schweinsberg bewogen endlich den Kurfürſten, daß er die Ge-
heimräthe Ries und Meiſterlin im Juni nach Berlin ſchickte um mit
Preußen-Darmſtadt und Baiern-Württemberg zugleich einen Zollverein
zu ſchließen. Doch unerbittlich hielt Eichhorn den beiden Bevollmächtigten
den alten preußiſchen Grundſatz entgegen: Verhandlungen mit mehreren
Staaten zugleich ſind ausſichtslos. Vergeblich ſträubte ſich der Kurfürſt;
man mußte ſich der Forderung des Berliner Hofes fügen, mit Preußen-
Darmſtadt allein verhandeln. In Maaſſen’s Auftrag führte L. Kühne
die Unterhandlung. Der ſchlicht bürgerliche kleine Mann erwies ſich jetzt
ſchon, wie ſpäterhin in allen Geſchäften des Zollvereins, als meiſterhafter
Diplomat. Klar und beſtimmt, mit überlegener Sachkenntniß und ehr-
lichem Wohlwollen entwickelte er ſeine Vorſchläge; wenn ihm aber das
thörichte Mißtrauen der Kleinen entgegentrat, dann funkelten ſeine kleinen
ſcharfen Augen, und er fertigte alle Winkelzüge mit ſchneidenden Sarkas-
men ab. Auf die Frage des Preußen, ob Kurheſſen nicht noch durch die

*) Armansperg, Weiſung an Lerchenfeld, 29. Oct. 1830.
**) Nagler’s Bericht, 24. April 1831.
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[352/0366] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. dieſer war vor der Hand noch ein Entwurf, änderte nichts an den Leiden des Landes. Man ſchwankte lange; noch im Herbſt 1830 widmete Geh. Rath Meiſterlin, einer der Urheber des Eimbecker Vertrags, den Land- ſtänden eine Flugſchrift, die den Eintritt in das preußiſche Zollſyſtem verwarf, weil Heſſens Gewerbfleiß die Mitwerbung der überlegenen rhei- niſchen Induſtrie nicht ertragen könne. Die alte Abneigung des Kur- fürſten gegen Preußen war nicht verflogen, auch ſchien ihm doch bedenk- lich eine zwiefache Verpflichtung ohne Weiteres zu brechen. Er wünſchte — und mit ihm wohl die Mehrzahl im Lande — einen Mauthverband des geſammten Deutſchlands, der die Sonderbünde von ſelbſt aufgehoben hätte. In dieſem Sinne mußte Meyerfeld bei dem bairiſchen Bundes- tagsgeſandten Lerchenfeld vertraulich anfragen. Das Münchener Cabinet aber kannte jetzt die handelspolitiſchen Pläne wie die Verhandlungsweiſe des Berliner Hofes; daher gab Graf Armansperg an Lerchenfeld die verſtändige Weiſung: dieſe Sache ſei vorſichtig dahin zu lenken, daß ſie in Berlin unter Preußens Leitung erledigt werde. *) Gleichwohl konnte der Kurfürſt ſich noch immer nicht entſchließen mit dem verhaßten Preußen und dem ſo gröblich beleidigten Darmſtädter Vetter allein zu verhandeln. Noch im folgenden Frühjahr erhielt Meyerfeld den Auftrag, die Vereinigung ſämmt- licher deutſcher Mauthverbände beim Bundestage zu beantragen; da warnte ihn Nagler: niemals werde Preußen einer ſolchen Utopie zuſtimmen. **) Unterdeſſen hatte Motz, ein Verwandter des preußiſchen Miniſters, das heſſiſche Finanzminiſterium übernommen. Die Anarchie im Zollweſen ward unhaltbar; die Commiſſäre des Eimbecker Vereins, die in Hannover tagten, konnten ſich nicht einigen. Motz und ſein wackerer Amtsgenoſſe Schenk zu Schweinsberg bewogen endlich den Kurfürſten, daß er die Ge- heimräthe Ries und Meiſterlin im Juni nach Berlin ſchickte um mit Preußen-Darmſtadt und Baiern-Württemberg zugleich einen Zollverein zu ſchließen. Doch unerbittlich hielt Eichhorn den beiden Bevollmächtigten den alten preußiſchen Grundſatz entgegen: Verhandlungen mit mehreren Staaten zugleich ſind ausſichtslos. Vergeblich ſträubte ſich der Kurfürſt; man mußte ſich der Forderung des Berliner Hofes fügen, mit Preußen- Darmſtadt allein verhandeln. In Maaſſen’s Auftrag führte L. Kühne die Unterhandlung. Der ſchlicht bürgerliche kleine Mann erwies ſich jetzt ſchon, wie ſpäterhin in allen Geſchäften des Zollvereins, als meiſterhafter Diplomat. Klar und beſtimmt, mit überlegener Sachkenntniß und ehr- lichem Wohlwollen entwickelte er ſeine Vorſchläge; wenn ihm aber das thörichte Mißtrauen der Kleinen entgegentrat, dann funkelten ſeine kleinen ſcharfen Augen, und er fertigte alle Winkelzüge mit ſchneidenden Sarkas- men ab. Auf die Frage des Preußen, ob Kurheſſen nicht noch durch die *) Armansperg, Weiſung an Lerchenfeld, 29. Oct. 1830. **) Nagler’s Bericht, 24. April 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/366>, abgerufen am 24.11.2024.