Regierung glaubte ihre Wünsche in Berlin sicherer durchsetzen zu können, wenn sie an dem Gespenste des mitteldeutschen Vereins noch einen Rück- halt hätte; sie begann mit Preußen zu verhandeln noch bevor sie ihrer älteren Verpflichtung entbunden war.
Nachdem das Dresdner Cabinet schon im August 1830 bei den süd- deutschen Kronen leise angefragt, mußte sich der alte König Anton endlich entschließen, an den König von Preußen selber zu schreiben. Er betheuerte, daß er längst die Absicht gehabt mit Preußen in commercielle Verbindung zu treten "und somit im Sinne des hochwichtigen und wohlthätigen Zwecks zu handeln, dessen Erreichung von Ew. Majestät bereits seit längerer Zeit beabsichtigt wird. Daß diese Verhandlung von Preußen begonnen und eingeleitet werde, scheint die nothwendige Bedingung des Erfolges zu sein." Lindenau, der im Januar 1831 dies Handschreiben nach Berlin brachte, überreichte zugleich eine Denkschrift, worin Sachsen den Entschluß aus- sprach, die Auflösung des mitteldeutschen Vereins durchzusetzen "da Ver- anlassung, Zweck und Grund des Vereins nicht mehr vorhanden sind. Das Bedürfniß einer bewegten Zeit, die Zuversicht, durch den Antritt einer solchen Verhandlung die aufgeregten Gemüther am sichersten zu beruhigen, endlich die Hoffnung, daß ein solcher die Mehrzahl der deutschen Bundes- staaten umfassender Verband auch auf die größeren Weltereignisse einen friedlich besänftigenden Einfluß äußern könne" ermuthigten den sächsischen Hof die Verhandlungen in Berlin zu beginnen.*)
Noch kläglicher war die Demüthigung Weimars. Derselbe Minister Schweitzer, der seit Jahren das preußische Zollsystem als den Todfeind deutscher Handelsfreiheit bekämpft hatte, versicherte im Juli 1830 dem Aus- wärtigen Amte: "daß zur Förderung des von dem König von Preußen begonnenen, in seinen Zwecken und seinen Gründen immer klarer hervor- tretenden deutschen Werkes, also zur Förderung eines freien Handels und Verkehrs im deutschen Vaterlande von Preußen aus, der Großherzog von Weimar im Einverständniß mit dem Königreich Sachsen mit Vergnügen die Hand bieten wird." Dann sang der weimarische Minister Fritsch die Todtenklage des Sonderbundes: "Auf hinreichende Zeit zur Ausbildung des Vereines ist nicht mehr zu rechnen, nachdem die großen welthistorischen Ereignisse seit dem 25. Juli 1830 und deren Folgen auf deutschem Boden eine weit schleunigere Hilfe nothwendig gemacht, man kann sagen, die Uebel, welche als chronische behandelt werden sollten, in acute verwandelt haben. Nur Schaden, nur Verderben könnte es bringen, wenn man sich unter solchen Umständen noch gegenseitig beschränken, sich zum Nichtsthun verpflichtet halten wollte in einer Zeit, welche in allen öffentlichen Dingen ganz andere Forderungen stellt. Was uns die Jahre 1829 und 1830 genommen und gebracht haben, ließ sich im Jahre 1828 nicht voraussehen,
*) König Anton v. Sachsen an König Friedrich Wilhelm, 29. Dec. 1830. Lin- denau's Denkschrift über die Handelseinheit, 4. Jan. 1831.
23*
Bekehrung der ſächſiſchen Höfe.
Regierung glaubte ihre Wünſche in Berlin ſicherer durchſetzen zu können, wenn ſie an dem Geſpenſte des mitteldeutſchen Vereins noch einen Rück- halt hätte; ſie begann mit Preußen zu verhandeln noch bevor ſie ihrer älteren Verpflichtung entbunden war.
Nachdem das Dresdner Cabinet ſchon im Auguſt 1830 bei den ſüd- deutſchen Kronen leiſe angefragt, mußte ſich der alte König Anton endlich entſchließen, an den König von Preußen ſelber zu ſchreiben. Er betheuerte, daß er längſt die Abſicht gehabt mit Preußen in commercielle Verbindung zu treten „und ſomit im Sinne des hochwichtigen und wohlthätigen Zwecks zu handeln, deſſen Erreichung von Ew. Majeſtät bereits ſeit längerer Zeit beabſichtigt wird. Daß dieſe Verhandlung von Preußen begonnen und eingeleitet werde, ſcheint die nothwendige Bedingung des Erfolges zu ſein.“ Lindenau, der im Januar 1831 dies Handſchreiben nach Berlin brachte, überreichte zugleich eine Denkſchrift, worin Sachſen den Entſchluß aus- ſprach, die Auflöſung des mitteldeutſchen Vereins durchzuſetzen „da Ver- anlaſſung, Zweck und Grund des Vereins nicht mehr vorhanden ſind. Das Bedürfniß einer bewegten Zeit, die Zuverſicht, durch den Antritt einer ſolchen Verhandlung die aufgeregten Gemüther am ſicherſten zu beruhigen, endlich die Hoffnung, daß ein ſolcher die Mehrzahl der deutſchen Bundes- ſtaaten umfaſſender Verband auch auf die größeren Weltereigniſſe einen friedlich beſänftigenden Einfluß äußern könne“ ermuthigten den ſächſiſchen Hof die Verhandlungen in Berlin zu beginnen.*)
Noch kläglicher war die Demüthigung Weimars. Derſelbe Miniſter Schweitzer, der ſeit Jahren das preußiſche Zollſyſtem als den Todfeind deutſcher Handelsfreiheit bekämpft hatte, verſicherte im Juli 1830 dem Aus- wärtigen Amte: „daß zur Förderung des von dem König von Preußen begonnenen, in ſeinen Zwecken und ſeinen Gründen immer klarer hervor- tretenden deutſchen Werkes, alſo zur Förderung eines freien Handels und Verkehrs im deutſchen Vaterlande von Preußen aus, der Großherzog von Weimar im Einverſtändniß mit dem Königreich Sachſen mit Vergnügen die Hand bieten wird.“ Dann ſang der weimariſche Miniſter Fritſch die Todtenklage des Sonderbundes: „Auf hinreichende Zeit zur Ausbildung des Vereines iſt nicht mehr zu rechnen, nachdem die großen welthiſtoriſchen Ereigniſſe ſeit dem 25. Juli 1830 und deren Folgen auf deutſchem Boden eine weit ſchleunigere Hilfe nothwendig gemacht, man kann ſagen, die Uebel, welche als chroniſche behandelt werden ſollten, in acute verwandelt haben. Nur Schaden, nur Verderben könnte es bringen, wenn man ſich unter ſolchen Umſtänden noch gegenſeitig beſchränken, ſich zum Nichtsthun verpflichtet halten wollte in einer Zeit, welche in allen öffentlichen Dingen ganz andere Forderungen ſtellt. Was uns die Jahre 1829 und 1830 genommen und gebracht haben, ließ ſich im Jahre 1828 nicht vorausſehen,
*) König Anton v. Sachſen an König Friedrich Wilhelm, 29. Dec. 1830. Lin- denau’s Denkſchrift über die Handelseinheit, 4. Jan. 1831.
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Bekehrung der ſächſiſchen Höfe.
Regierung glaubte ihre Wünſche in Berlin ſicherer durchſetzen zu können,
wenn ſie an dem Geſpenſte des mitteldeutſchen Vereins noch einen Rück-
halt hätte; ſie begann mit Preußen zu verhandeln noch bevor ſie ihrer
älteren Verpflichtung entbunden war.
Nachdem das Dresdner Cabinet ſchon im Auguſt 1830 bei den ſüd-
deutſchen Kronen leiſe angefragt, mußte ſich der alte König Anton endlich
entſchließen, an den König von Preußen ſelber zu ſchreiben. Er betheuerte,
daß er längſt die Abſicht gehabt mit Preußen in commercielle Verbindung
zu treten „und ſomit im Sinne des hochwichtigen und wohlthätigen Zwecks
zu handeln, deſſen Erreichung von Ew. Majeſtät bereits ſeit längerer Zeit
beabſichtigt wird. Daß dieſe Verhandlung von Preußen begonnen und
eingeleitet werde, ſcheint die nothwendige Bedingung des Erfolges zu ſein.“
Lindenau, der im Januar 1831 dies Handſchreiben nach Berlin brachte,
überreichte zugleich eine Denkſchrift, worin Sachſen den Entſchluß aus-
ſprach, die Auflöſung des mitteldeutſchen Vereins durchzuſetzen „da Ver-
anlaſſung, Zweck und Grund des Vereins nicht mehr vorhanden ſind. Das
Bedürfniß einer bewegten Zeit, die Zuverſicht, durch den Antritt einer
ſolchen Verhandlung die aufgeregten Gemüther am ſicherſten zu beruhigen,
endlich die Hoffnung, daß ein ſolcher die Mehrzahl der deutſchen Bundes-
ſtaaten umfaſſender Verband auch auf die größeren Weltereigniſſe einen
friedlich beſänftigenden Einfluß äußern könne“ ermuthigten den ſächſiſchen
Hof die Verhandlungen in Berlin zu beginnen. *)
Noch kläglicher war die Demüthigung Weimars. Derſelbe Miniſter
Schweitzer, der ſeit Jahren das preußiſche Zollſyſtem als den Todfeind
deutſcher Handelsfreiheit bekämpft hatte, verſicherte im Juli 1830 dem Aus-
wärtigen Amte: „daß zur Förderung des von dem König von Preußen
begonnenen, in ſeinen Zwecken und ſeinen Gründen immer klarer hervor-
tretenden deutſchen Werkes, alſo zur Förderung eines freien Handels und
Verkehrs im deutſchen Vaterlande von Preußen aus, der Großherzog von
Weimar im Einverſtändniß mit dem Königreich Sachſen mit Vergnügen
die Hand bieten wird.“ Dann ſang der weimariſche Miniſter Fritſch die
Todtenklage des Sonderbundes: „Auf hinreichende Zeit zur Ausbildung
des Vereines iſt nicht mehr zu rechnen, nachdem die großen welthiſtoriſchen
Ereigniſſe ſeit dem 25. Juli 1830 und deren Folgen auf deutſchem Boden
eine weit ſchleunigere Hilfe nothwendig gemacht, man kann ſagen, die
Uebel, welche als chroniſche behandelt werden ſollten, in acute verwandelt
haben. Nur Schaden, nur Verderben könnte es bringen, wenn man ſich
unter ſolchen Umſtänden noch gegenſeitig beſchränken, ſich zum Nichtsthun
verpflichtet halten wollte in einer Zeit, welche in allen öffentlichen Dingen
ganz andere Forderungen ſtellt. Was uns die Jahre 1829 und 1830
genommen und gebracht haben, ließ ſich im Jahre 1828 nicht vorausſehen,
*) König Anton v. Sachſen an König Friedrich Wilhelm, 29. Dec. 1830. Lin-
denau’s Denkſchrift über die Handelseinheit, 4. Jan. 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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