Staaten gewannen. Allerdings geben jene großen Zahlen kein ganz zu- treffendes Bild, da ein Theil der für das Binnenland bestimmten Ein- fuhr in den Häfen und Speditionsplätzen des Nordens verzollt wurde. Deutlicher erhellt der unverhältnißmäßige Gewinn des Südens aus der Thatsache, daß die Verwaltungskosten in Baiern schon während des ersten Jahres von 44 auf 16, später auf nahezu 10% sanken, Baierns Antheil an dem Kaffezolle sofort auf das Dreifache, bis zum Jahre 1845 auf das Fünffache stieg.
Um auch den leisesten Anschein preußischer Hegemonie zu vermeiden, wurde verabredet, daß die alljährlichen Conferenzen der Zollvereinsbevoll- mächtigten nicht mehr, wie im preußisch-hessischen Verein, regelmäßig zu Berlin sich versammeln sollten; sie wanderten fortan, nach dem Belieben der Verbündeten, von Ort zu Ort, der erste Zusammentritt fand in München statt. Streitigkeiten wollte man der Entscheidung eines Schieds- richters unterwerfen, der durch einstimmigen Beschluß für jeden einzelnen Fall zu ernennen war. Doch ist ein solcher Schiedsspruch niemals an- gerufen worden -- nicht weil die Eintracht ungetrübt bestanden hätte, sondern weil der Dünkel der Kleinstaaten den freiwilligen Ausgleich der schimpflichen Unterwerfung unter eine fremde Gewalt regelmäßig vorzog. Daß Baiern seine Biersteuer behielt, war unvermeidlich. Man begnügte sich daher ein Maximum für die Consumtionssteuern festzusetzen und die allmähliche Annäherung der Steuersysteme in Aussicht zu stellen. In einem so lockern Bunde blieb das liberum veto und das Kündigungsrecht für Preußen ebenso unentbehrlich wie für die Kleinstaaten, als ein letztes verzweifeltes Mittel, um dem schwerfälligen Körper einen Entschluß zu ent- reißen. Nur die Hoffnung auf einen hohen politischen Gewinn konnte den preußischen Hof zu so schweren Opfern, zu einer so weitgehenden Nachsicht für die Grillen und Eitelkeiten der Mittelstaaten bestimmen. Mit über- legener Geduld erwartete Eichhorn, daß aus den fast lächerlichen Formen dieses lockeren Vereines doch eine unlösbare Gemeinschaft der Interessen emporwachsen müsse.
Mieg kehrte heim in der festen Erwartung, daß der so überaus vor- theilhafte Vertrag ihm die Verzeihung für sein eigenmächtiges Vorgehen verbürge. Er täuschte sich schwer. König Ludwig konnte selbständigen Willen nicht ertragen, empfing den Freund mit bitteren Vorwürfen; daß die preußische Zollordnung sofort provisorisch eingeführt werden sollte, schien ihm eine Entwürdigung der bairischen Krone. Der Minister wollte, tief verletzt, sein gegebenes Wort nicht zurücknehmen; er forderte und er- hielt seine Entlassung. Die österreichische Partei jubelte; "so gewinnt das eigentlich wahre Bundessystem wieder das Uebergewicht", schrieb Blittersdorff befriedigt.*) Nunmehr nahm der König die Acten an sich,
*) Blittersdorff's Bericht, 5. Mai 1833.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 24
Baierns Zögerung.
Staaten gewannen. Allerdings geben jene großen Zahlen kein ganz zu- treffendes Bild, da ein Theil der für das Binnenland beſtimmten Ein- fuhr in den Häfen und Speditionsplätzen des Nordens verzollt wurde. Deutlicher erhellt der unverhältnißmäßige Gewinn des Südens aus der Thatſache, daß die Verwaltungskoſten in Baiern ſchon während des erſten Jahres von 44 auf 16, ſpäter auf nahezu 10% ſanken, Baierns Antheil an dem Kaffezolle ſofort auf das Dreifache, bis zum Jahre 1845 auf das Fünffache ſtieg.
Um auch den leiſeſten Anſchein preußiſcher Hegemonie zu vermeiden, wurde verabredet, daß die alljährlichen Conferenzen der Zollvereinsbevoll- mächtigten nicht mehr, wie im preußiſch-heſſiſchen Verein, regelmäßig zu Berlin ſich verſammeln ſollten; ſie wanderten fortan, nach dem Belieben der Verbündeten, von Ort zu Ort, der erſte Zuſammentritt fand in München ſtatt. Streitigkeiten wollte man der Entſcheidung eines Schieds- richters unterwerfen, der durch einſtimmigen Beſchluß für jeden einzelnen Fall zu ernennen war. Doch iſt ein ſolcher Schiedsſpruch niemals an- gerufen worden — nicht weil die Eintracht ungetrübt beſtanden hätte, ſondern weil der Dünkel der Kleinſtaaten den freiwilligen Ausgleich der ſchimpflichen Unterwerfung unter eine fremde Gewalt regelmäßig vorzog. Daß Baiern ſeine Bierſteuer behielt, war unvermeidlich. Man begnügte ſich daher ein Maximum für die Conſumtionsſteuern feſtzuſetzen und die allmähliche Annäherung der Steuerſyſteme in Ausſicht zu ſtellen. In einem ſo lockern Bunde blieb das liberum veto und das Kündigungsrecht für Preußen ebenſo unentbehrlich wie für die Kleinſtaaten, als ein letztes verzweifeltes Mittel, um dem ſchwerfälligen Körper einen Entſchluß zu ent- reißen. Nur die Hoffnung auf einen hohen politiſchen Gewinn konnte den preußiſchen Hof zu ſo ſchweren Opfern, zu einer ſo weitgehenden Nachſicht für die Grillen und Eitelkeiten der Mittelſtaaten beſtimmen. Mit über- legener Geduld erwartete Eichhorn, daß aus den faſt lächerlichen Formen dieſes lockeren Vereines doch eine unlösbare Gemeinſchaft der Intereſſen emporwachſen müſſe.
Mieg kehrte heim in der feſten Erwartung, daß der ſo überaus vor- theilhafte Vertrag ihm die Verzeihung für ſein eigenmächtiges Vorgehen verbürge. Er täuſchte ſich ſchwer. König Ludwig konnte ſelbſtändigen Willen nicht ertragen, empfing den Freund mit bitteren Vorwürfen; daß die preußiſche Zollordnung ſofort proviſoriſch eingeführt werden ſollte, ſchien ihm eine Entwürdigung der bairiſchen Krone. Der Miniſter wollte, tief verletzt, ſein gegebenes Wort nicht zurücknehmen; er forderte und er- hielt ſeine Entlaſſung. Die öſterreichiſche Partei jubelte; „ſo gewinnt das eigentlich wahre Bundesſyſtem wieder das Uebergewicht“, ſchrieb Blittersdorff befriedigt.*) Nunmehr nahm der König die Acten an ſich,
*) Blittersdorff’s Bericht, 5. Mai 1833.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 24
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Baierns Zögerung.
Staaten gewannen. Allerdings geben jene großen Zahlen kein ganz zu-
treffendes Bild, da ein Theil der für das Binnenland beſtimmten Ein-
fuhr in den Häfen und Speditionsplätzen des Nordens verzollt wurde.
Deutlicher erhellt der unverhältnißmäßige Gewinn des Südens aus der
Thatſache, daß die Verwaltungskoſten in Baiern ſchon während des erſten
Jahres von 44 auf 16, ſpäter auf nahezu 10% ſanken, Baierns Antheil
an dem Kaffezolle ſofort auf das Dreifache, bis zum Jahre 1845 auf das
Fünffache ſtieg.
Um auch den leiſeſten Anſchein preußiſcher Hegemonie zu vermeiden,
wurde verabredet, daß die alljährlichen Conferenzen der Zollvereinsbevoll-
mächtigten nicht mehr, wie im preußiſch-heſſiſchen Verein, regelmäßig zu
Berlin ſich verſammeln ſollten; ſie wanderten fortan, nach dem Belieben
der Verbündeten, von Ort zu Ort, der erſte Zuſammentritt fand in
München ſtatt. Streitigkeiten wollte man der Entſcheidung eines Schieds-
richters unterwerfen, der durch einſtimmigen Beſchluß für jeden einzelnen
Fall zu ernennen war. Doch iſt ein ſolcher Schiedsſpruch niemals an-
gerufen worden — nicht weil die Eintracht ungetrübt beſtanden hätte,
ſondern weil der Dünkel der Kleinſtaaten den freiwilligen Ausgleich der
ſchimpflichen Unterwerfung unter eine fremde Gewalt regelmäßig vorzog.
Daß Baiern ſeine Bierſteuer behielt, war unvermeidlich. Man begnügte
ſich daher ein Maximum für die Conſumtionsſteuern feſtzuſetzen und die
allmähliche Annäherung der Steuerſyſteme in Ausſicht zu ſtellen. In
einem ſo lockern Bunde blieb das liberum veto und das Kündigungsrecht
für Preußen ebenſo unentbehrlich wie für die Kleinſtaaten, als ein letztes
verzweifeltes Mittel, um dem ſchwerfälligen Körper einen Entſchluß zu ent-
reißen. Nur die Hoffnung auf einen hohen politiſchen Gewinn konnte den
preußiſchen Hof zu ſo ſchweren Opfern, zu einer ſo weitgehenden Nachſicht
für die Grillen und Eitelkeiten der Mittelſtaaten beſtimmen. Mit über-
legener Geduld erwartete Eichhorn, daß aus den faſt lächerlichen Formen
dieſes lockeren Vereines doch eine unlösbare Gemeinſchaft der Intereſſen
emporwachſen müſſe.
Mieg kehrte heim in der feſten Erwartung, daß der ſo überaus vor-
theilhafte Vertrag ihm die Verzeihung für ſein eigenmächtiges Vorgehen
verbürge. Er täuſchte ſich ſchwer. König Ludwig konnte ſelbſtändigen
Willen nicht ertragen, empfing den Freund mit bitteren Vorwürfen;
daß die preußiſche Zollordnung ſofort proviſoriſch eingeführt werden ſollte,
ſchien ihm eine Entwürdigung der bairiſchen Krone. Der Miniſter wollte,
tief verletzt, ſein gegebenes Wort nicht zurücknehmen; er forderte und er-
hielt ſeine Entlaſſung. Die öſterreichiſche Partei jubelte; „ſo gewinnt
das eigentlich wahre Bundesſyſtem wieder das Uebergewicht“, ſchrieb
Blittersdorff befriedigt. *) Nunmehr nahm der König die Acten an ſich,
*) Blittersdorff’s Bericht, 5. Mai 1833.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 24
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/383>, abgerufen am 24.11.2024.
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