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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
wohl war der unmittelbare Vortheil fast ausschließlich auf Sachsens Seite;
in Preußen erhoben sich ernste staatswirthschaftliche und finanzielle Be-
denken. Preußen gewann in Sachsen nur einen kleinen Markt, der
überdies durch seinen eigenen Gewerbfleiß schon reichlich versorgt war.
Da die Lebenshaltung und demnach der Arbeitslohn im Erzgebirge niedriger
stand als in irgend einem anderen Industriebezirke, so fürchteten die preu-
ßischen Fabriken, vornehmlich die Webereien und Druckereien in Schlesien
und in der Provinz Sachsen, der sächsischen Concurrenz zu erliegen. Von
allen Seiten her wurde das Finanzministerium mit Warnungen bestürmt;
am Niederrhein rief die erste Nachricht von dem Beginn der preußisch-
sächsischen Verhandlungen weithin im Lande eine starke Aufregung her-
vor.*) Die Frage, wie ein großer Meßplatz einem Zollsysteme sich einfügen
lasse, galt noch allgemein als ein fast unlösbares Problem; sie war bei
den Verhandlungen mit Baiern-Württemberg oft erörtert und endlich
zur Seite geschoben worden, da man an der Verständigung verzweifelte.

An der sächsisch-böhmischen Grenze hatte sich ein ungeheurer Schmuggel
festgenistet; das Volk nahm den elenden Zustand hin wie eine Nothwen-
digkeit, ja wie einen Segen. Selbst Lindenau wagte nach dem Abschluß
des Zollvereins im Gespräche mit Blittersdorff nur die schüchtern zweifelnde
Bemerkung: daß der Schmuggel im Erzgebirge jetzt aufhören wird, "ist
wohl schwerlich ein Unglück".**) Die hochherzige Gesinnung des neuen
Mitregenten, des Prinzen Friedrich August, wurde in Berlin ebenso bereit-
willig anerkannt, wie die Einsicht der trefflichen Männer, die er in sein
Cabinet berufen. Doch ein volles Jahr verfloß, bis die Ordnung in dem
aufgeregten Ländchen sich wieder befestigte; Maassen fragte besorgt, ob
eine Regierung, die den schwächlichen Aufläufen in Leipzig und Dresden
so wenig nachhaltigen Widerstand entgegengestellt, auch den festen Muth
besitzen werden, die Schmuggelnester im Gebirge auszuheben. Und lehrte
denn nicht der Gang der Verhandlungen, daß die neue Regierung das
alte kleinliche Mißtrauen gegen Preußen nicht gänzlich über Bord geworfen
hatte? Man kam in Berlin nicht los von dem Argwohn, Sachsen würde
einen Zollverein mit Oesterreich vorziehen, wenn nur die Hofburg mehr
böte als leere Redensarten. Wenn König Friedrich Wilhelm keinen deut-
schen Staat locken und einladen wollte, so doch am allerwenigsten diesen
sächsischen Hof, der als Stifter des mitteldeutschen Vereins eine so bösartige
Gehässigkeit zur Schau getragen hatte. Der preußische Consul Baumgärtner
empfing einen herben Verweis, als er zu Anfang 1830 eine Flugschrift
über die Nothwendigkeit eines sächsisch-preußischen Zollbundes schrieb und
in Sachsen verbreitete.

*) Bericht des Reg.-Präsidenten von Düsseldorf an das Finanzministerium, 6. Fe-
bruar 1831.
**) Blittersdorff's Bericht, 23. Aug. 1833.

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
wohl war der unmittelbare Vortheil faſt ausſchließlich auf Sachſens Seite;
in Preußen erhoben ſich ernſte ſtaatswirthſchaftliche und finanzielle Be-
denken. Preußen gewann in Sachſen nur einen kleinen Markt, der
überdies durch ſeinen eigenen Gewerbfleiß ſchon reichlich verſorgt war.
Da die Lebenshaltung und demnach der Arbeitslohn im Erzgebirge niedriger
ſtand als in irgend einem anderen Induſtriebezirke, ſo fürchteten die preu-
ßiſchen Fabriken, vornehmlich die Webereien und Druckereien in Schleſien
und in der Provinz Sachſen, der ſächſiſchen Concurrenz zu erliegen. Von
allen Seiten her wurde das Finanzminiſterium mit Warnungen beſtürmt;
am Niederrhein rief die erſte Nachricht von dem Beginn der preußiſch-
ſächſiſchen Verhandlungen weithin im Lande eine ſtarke Aufregung her-
vor.*) Die Frage, wie ein großer Meßplatz einem Zollſyſteme ſich einfügen
laſſe, galt noch allgemein als ein faſt unlösbares Problem; ſie war bei
den Verhandlungen mit Baiern-Württemberg oft erörtert und endlich
zur Seite geſchoben worden, da man an der Verſtändigung verzweifelte.

An der ſächſiſch-böhmiſchen Grenze hatte ſich ein ungeheurer Schmuggel
feſtgeniſtet; das Volk nahm den elenden Zuſtand hin wie eine Nothwen-
digkeit, ja wie einen Segen. Selbſt Lindenau wagte nach dem Abſchluß
des Zollvereins im Geſpräche mit Blittersdorff nur die ſchüchtern zweifelnde
Bemerkung: daß der Schmuggel im Erzgebirge jetzt aufhören wird, „iſt
wohl ſchwerlich ein Unglück“.**) Die hochherzige Geſinnung des neuen
Mitregenten, des Prinzen Friedrich Auguſt, wurde in Berlin ebenſo bereit-
willig anerkannt, wie die Einſicht der trefflichen Männer, die er in ſein
Cabinet berufen. Doch ein volles Jahr verfloß, bis die Ordnung in dem
aufgeregten Ländchen ſich wieder befeſtigte; Maaſſen fragte beſorgt, ob
eine Regierung, die den ſchwächlichen Aufläufen in Leipzig und Dresden
ſo wenig nachhaltigen Widerſtand entgegengeſtellt, auch den feſten Muth
beſitzen werden, die Schmuggelneſter im Gebirge auszuheben. Und lehrte
denn nicht der Gang der Verhandlungen, daß die neue Regierung das
alte kleinliche Mißtrauen gegen Preußen nicht gänzlich über Bord geworfen
hatte? Man kam in Berlin nicht los von dem Argwohn, Sachſen würde
einen Zollverein mit Oeſterreich vorziehen, wenn nur die Hofburg mehr
böte als leere Redensarten. Wenn König Friedrich Wilhelm keinen deut-
ſchen Staat locken und einladen wollte, ſo doch am allerwenigſten dieſen
ſächſiſchen Hof, der als Stifter des mitteldeutſchen Vereins eine ſo bösartige
Gehäſſigkeit zur Schau getragen hatte. Der preußiſche Conſul Baumgärtner
empfing einen herben Verweis, als er zu Anfang 1830 eine Flugſchrift
über die Nothwendigkeit eines ſächſiſch-preußiſchen Zollbundes ſchrieb und
in Sachſen verbreitete.

*) Bericht des Reg.-Präſidenten von Düſſeldorf an das Finanzminiſterium, 6. Fe-
bruar 1831.
**) Blittersdorff’s Bericht, 23. Aug. 1833.
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[372/0386] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. wohl war der unmittelbare Vortheil faſt ausſchließlich auf Sachſens Seite; in Preußen erhoben ſich ernſte ſtaatswirthſchaftliche und finanzielle Be- denken. Preußen gewann in Sachſen nur einen kleinen Markt, der überdies durch ſeinen eigenen Gewerbfleiß ſchon reichlich verſorgt war. Da die Lebenshaltung und demnach der Arbeitslohn im Erzgebirge niedriger ſtand als in irgend einem anderen Induſtriebezirke, ſo fürchteten die preu- ßiſchen Fabriken, vornehmlich die Webereien und Druckereien in Schleſien und in der Provinz Sachſen, der ſächſiſchen Concurrenz zu erliegen. Von allen Seiten her wurde das Finanzminiſterium mit Warnungen beſtürmt; am Niederrhein rief die erſte Nachricht von dem Beginn der preußiſch- ſächſiſchen Verhandlungen weithin im Lande eine ſtarke Aufregung her- vor. *) Die Frage, wie ein großer Meßplatz einem Zollſyſteme ſich einfügen laſſe, galt noch allgemein als ein faſt unlösbares Problem; ſie war bei den Verhandlungen mit Baiern-Württemberg oft erörtert und endlich zur Seite geſchoben worden, da man an der Verſtändigung verzweifelte. An der ſächſiſch-böhmiſchen Grenze hatte ſich ein ungeheurer Schmuggel feſtgeniſtet; das Volk nahm den elenden Zuſtand hin wie eine Nothwen- digkeit, ja wie einen Segen. Selbſt Lindenau wagte nach dem Abſchluß des Zollvereins im Geſpräche mit Blittersdorff nur die ſchüchtern zweifelnde Bemerkung: daß der Schmuggel im Erzgebirge jetzt aufhören wird, „iſt wohl ſchwerlich ein Unglück“. **) Die hochherzige Geſinnung des neuen Mitregenten, des Prinzen Friedrich Auguſt, wurde in Berlin ebenſo bereit- willig anerkannt, wie die Einſicht der trefflichen Männer, die er in ſein Cabinet berufen. Doch ein volles Jahr verfloß, bis die Ordnung in dem aufgeregten Ländchen ſich wieder befeſtigte; Maaſſen fragte beſorgt, ob eine Regierung, die den ſchwächlichen Aufläufen in Leipzig und Dresden ſo wenig nachhaltigen Widerſtand entgegengeſtellt, auch den feſten Muth beſitzen werden, die Schmuggelneſter im Gebirge auszuheben. Und lehrte denn nicht der Gang der Verhandlungen, daß die neue Regierung das alte kleinliche Mißtrauen gegen Preußen nicht gänzlich über Bord geworfen hatte? Man kam in Berlin nicht los von dem Argwohn, Sachſen würde einen Zollverein mit Oeſterreich vorziehen, wenn nur die Hofburg mehr böte als leere Redensarten. Wenn König Friedrich Wilhelm keinen deut- ſchen Staat locken und einladen wollte, ſo doch am allerwenigſten dieſen ſächſiſchen Hof, der als Stifter des mitteldeutſchen Vereins eine ſo bösartige Gehäſſigkeit zur Schau getragen hatte. Der preußiſche Conſul Baumgärtner empfing einen herben Verweis, als er zu Anfang 1830 eine Flugſchrift über die Nothwendigkeit eines ſächſiſch-preußiſchen Zollbundes ſchrieb und in Sachſen verbreitete. *) Bericht des Reg.-Präſidenten von Düſſeldorf an das Finanzminiſterium, 6. Fe- bruar 1831. **) Blittersdorff’s Bericht, 23. Aug. 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/386>, abgerufen am 24.11.2024.