Im März 1831 kam der sächsische Finanzminister v. Zeschau nach Berlin -- neben dem Baiern Mieg, dem Hessen Hofmann und dem Badener Boeckh sicherlich der fähigste unter allen den Finanzmännern, mit denen Preußen zu verhandeln hatte -- thätig und kenntnißreich, ein ritter- licher Charakter, schweigsam und bedächtig, noch von seiner preußischen Dienstzeit her mit L. Kühne wohl bekannt. Die in Dresden gewünschte Aenderung des gesammten Tarifs gab er bald auf, gleichwohl ward er mit Maassen nicht handelseinig. Erschreckt durch die Warnungen seiner Fabri- kanten wollte Preußen provisorische Schutzzölle zu Gunsten einiger Fabrik- waaren einführen, damit die Industrie Zeit behielte sich auf die Con- currenz des Erzgebirges zu rüsten. Zugleich verlangte man Entschädigung für den drohenden starken Verlust an Durchfuhrzöllen. Kühne selbst fand diese Forderungen zu hart; aus dem Magdeburgischen gebürtig betrachtete er die Kursachsen halb als seine Landsleute und hielt dem Minister vor: nach der Theilung Sachsens sei Preußen schon ehrenhalber verpflichtet dem Nachbarlande Wohlwollen zu zeigen. Als Maassen in diesen Fragen endlich nachgegeben hatte, erhob sich sofort ein neues Hemmniß: die Meß- frage. Frankfurt an der Oder hatte bisher für seine Messen einen Zoll- rabatt genossen, der erst vor Kurzem auf 20% herabgesetzt war; nun der Eintritt Leipzigs bevorstand, wollte Preußen seinen schwer bedrohten kleinen Meßplatz nicht ungünstiger stellen als bisher. Die Leipziger Kaufmann- schaft dagegen sagte den unfehlbaren Verfall ihrer Messen voraus, falls Frankfurt irgend ein Vorrecht behalte; und "keine Regierung, am wenigsten eine constitutionelle -- schrieb der sächsische Bevollmächtigte Wietersheim -- kann einer so ausdrücklichen Erklärung der Repräsentanten des gefähr- deten National-Interesses entgegenhandeln". Auch das Altenburgische Geheime Ministerium sendete ein dringendes Mahnungsschreiben nach Berlin -- "ohne alle äußere Aufforderung", wie man unschuldig be- theuerte -- und schilderte in herzbrechenden Worten das furchtbare Schick- sal, das dem unglücklichen Leipzig drohe.*)
Da die Verhandlungen sich so ungünstig anließen, so wünschte der sächsische Hof, geängstigt durch die fortdauernde Gährung im Lande, min- destens einige Handelserleichterungen sofort zu erlangen, falls die voll- ständige Vereinigung nicht möglich sei. Der Prinz-Mitregent selber stellte diese Bitte in einem Handschreiben an den König von Preußen (11. April 1831). Er gab zu bedenken, daß mit dem gänzlichen Miß- lingen dieser Verhandlungen "die Ausführung des großen und für die Sicherheit und Ruhe Deutschlands begründeten, von Ew. K. Maj. ver- folgten Planes, die Interessen des Handels und Verkehrs in verschiedenen deutschen Staaten zu vereinigen und dadurch zugleich das politische Band
*) Wietersheim an Eichhorn, 16. Aug.; Schreiben des Altenb. Geh. Ministeriums an das Ausw. Amt, 30. Sept. 1831.
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Im März 1831 kam der ſächſiſche Finanzminiſter v. Zeſchau nach Berlin — neben dem Baiern Mieg, dem Heſſen Hofmann und dem Badener Boeckh ſicherlich der fähigſte unter allen den Finanzmännern, mit denen Preußen zu verhandeln hatte — thätig und kenntnißreich, ein ritter- licher Charakter, ſchweigſam und bedächtig, noch von ſeiner preußiſchen Dienſtzeit her mit L. Kühne wohl bekannt. Die in Dresden gewünſchte Aenderung des geſammten Tarifs gab er bald auf, gleichwohl ward er mit Maaſſen nicht handelseinig. Erſchreckt durch die Warnungen ſeiner Fabri- kanten wollte Preußen proviſoriſche Schutzzölle zu Gunſten einiger Fabrik- waaren einführen, damit die Induſtrie Zeit behielte ſich auf die Con- currenz des Erzgebirges zu rüſten. Zugleich verlangte man Entſchädigung für den drohenden ſtarken Verluſt an Durchfuhrzöllen. Kühne ſelbſt fand dieſe Forderungen zu hart; aus dem Magdeburgiſchen gebürtig betrachtete er die Kurſachſen halb als ſeine Landsleute und hielt dem Miniſter vor: nach der Theilung Sachſens ſei Preußen ſchon ehrenhalber verpflichtet dem Nachbarlande Wohlwollen zu zeigen. Als Maaſſen in dieſen Fragen endlich nachgegeben hatte, erhob ſich ſofort ein neues Hemmniß: die Meß- frage. Frankfurt an der Oder hatte bisher für ſeine Meſſen einen Zoll- rabatt genoſſen, der erſt vor Kurzem auf 20% herabgeſetzt war; nun der Eintritt Leipzigs bevorſtand, wollte Preußen ſeinen ſchwer bedrohten kleinen Meßplatz nicht ungünſtiger ſtellen als bisher. Die Leipziger Kaufmann- ſchaft dagegen ſagte den unfehlbaren Verfall ihrer Meſſen voraus, falls Frankfurt irgend ein Vorrecht behalte; und „keine Regierung, am wenigſten eine conſtitutionelle — ſchrieb der ſächſiſche Bevollmächtigte Wietersheim — kann einer ſo ausdrücklichen Erklärung der Repräſentanten des gefähr- deten National-Intereſſes entgegenhandeln“. Auch das Altenburgiſche Geheime Miniſterium ſendete ein dringendes Mahnungsſchreiben nach Berlin — „ohne alle äußere Aufforderung“, wie man unſchuldig be- theuerte — und ſchilderte in herzbrechenden Worten das furchtbare Schick- ſal, das dem unglücklichen Leipzig drohe.*)
Da die Verhandlungen ſich ſo ungünſtig anließen, ſo wünſchte der ſächſiſche Hof, geängſtigt durch die fortdauernde Gährung im Lande, min- deſtens einige Handelserleichterungen ſofort zu erlangen, falls die voll- ſtändige Vereinigung nicht möglich ſei. Der Prinz-Mitregent ſelber ſtellte dieſe Bitte in einem Handſchreiben an den König von Preußen (11. April 1831). Er gab zu bedenken, daß mit dem gänzlichen Miß- lingen dieſer Verhandlungen „die Ausführung des großen und für die Sicherheit und Ruhe Deutſchlands begründeten, von Ew. K. Maj. ver- folgten Planes, die Intereſſen des Handels und Verkehrs in verſchiedenen deutſchen Staaten zu vereinigen und dadurch zugleich das politiſche Band
*) Wietersheim an Eichhorn, 16. Aug.; Schreiben des Altenb. Geh. Miniſteriums an das Ausw. Amt, 30. Sept. 1831.
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Im März 1831 kam der ſächſiſche Finanzminiſter v. Zeſchau nach
Berlin — neben dem Baiern Mieg, dem Heſſen Hofmann und dem
Badener Boeckh ſicherlich der fähigſte unter allen den Finanzmännern, mit
denen Preußen zu verhandeln hatte — thätig und kenntnißreich, ein ritter-
licher Charakter, ſchweigſam und bedächtig, noch von ſeiner preußiſchen
Dienſtzeit her mit L. Kühne wohl bekannt. Die in Dresden gewünſchte
Aenderung des geſammten Tarifs gab er bald auf, gleichwohl ward er mit
Maaſſen nicht handelseinig. Erſchreckt durch die Warnungen ſeiner Fabri-
kanten wollte Preußen proviſoriſche Schutzzölle zu Gunſten einiger Fabrik-
waaren einführen, damit die Induſtrie Zeit behielte ſich auf die Con-
currenz des Erzgebirges zu rüſten. Zugleich verlangte man Entſchädigung
für den drohenden ſtarken Verluſt an Durchfuhrzöllen. Kühne ſelbſt fand
dieſe Forderungen zu hart; aus dem Magdeburgiſchen gebürtig betrachtete
er die Kurſachſen halb als ſeine Landsleute und hielt dem Miniſter vor:
nach der Theilung Sachſens ſei Preußen ſchon ehrenhalber verpflichtet
dem Nachbarlande Wohlwollen zu zeigen. Als Maaſſen in dieſen Fragen
endlich nachgegeben hatte, erhob ſich ſofort ein neues Hemmniß: die Meß-
frage. Frankfurt an der Oder hatte bisher für ſeine Meſſen einen Zoll-
rabatt genoſſen, der erſt vor Kurzem auf 20% herabgeſetzt war; nun der
Eintritt Leipzigs bevorſtand, wollte Preußen ſeinen ſchwer bedrohten kleinen
Meßplatz nicht ungünſtiger ſtellen als bisher. Die Leipziger Kaufmann-
ſchaft dagegen ſagte den unfehlbaren Verfall ihrer Meſſen voraus, falls
Frankfurt irgend ein Vorrecht behalte; und „keine Regierung, am wenigſten
eine conſtitutionelle — ſchrieb der ſächſiſche Bevollmächtigte Wietersheim
— kann einer ſo ausdrücklichen Erklärung der Repräſentanten des gefähr-
deten National-Intereſſes entgegenhandeln“. Auch das Altenburgiſche
Geheime Miniſterium ſendete ein dringendes Mahnungsſchreiben nach
Berlin — „ohne alle äußere Aufforderung“, wie man unſchuldig be-
theuerte — und ſchilderte in herzbrechenden Worten das furchtbare Schick-
ſal, das dem unglücklichen Leipzig drohe. *)
Da die Verhandlungen ſich ſo ungünſtig anließen, ſo wünſchte der
ſächſiſche Hof, geängſtigt durch die fortdauernde Gährung im Lande, min-
deſtens einige Handelserleichterungen ſofort zu erlangen, falls die voll-
ſtändige Vereinigung nicht möglich ſei. Der Prinz-Mitregent ſelber
ſtellte dieſe Bitte in einem Handſchreiben an den König von Preußen
(11. April 1831). Er gab zu bedenken, daß mit dem gänzlichen Miß-
lingen dieſer Verhandlungen „die Ausführung des großen und für die
Sicherheit und Ruhe Deutſchlands begründeten, von Ew. K. Maj. ver-
folgten Planes, die Intereſſen des Handels und Verkehrs in verſchiedenen
deutſchen Staaten zu vereinigen und dadurch zugleich das politiſche Band
*) Wietersheim an Eichhorn, 16. Aug.; Schreiben des Altenb. Geh. Miniſteriums
an das Ausw. Amt, 30. Sept. 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/388>, abgerufen am 24.11.2024.
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