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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
Jahre zuvor so lange getummelt hatten bis es zerbrach? -- Hannover,
fährt Metternich fort, diese "von einem vorzüglichen föderativen Geiste
beseelte" Regierung, hat bereits dem Bunde Anträge in diesem Sinne
gestellt. Der Bundestag muß die Freiheit des Durchfuhrhandels be-
schließen. Dies wird für Oesterreich geringe Schwierigkeiten bieten, da
mir der Hofkammerpräsident Klebelsberg versichert hat, daß unsere Gesetze
über den Transit sehr liberal sind. Ein durchschlagender Erfolg gegen
Preußen steht von einem solchen Beschlusse freilich nicht zu erwarten.
"Eine desto eindringlichere Waffe zur Bekämpfung des preußischen Zoll-
systems" bietet der zweite hannöversche Antrag auf Befreiung des Verkehrs
zwischen den Bundesstaaten. Wenn der Bundestag beschlösse, daß in allen
deutschen Staaten die Einfuhr aus anderen Bundesstaaten vor der Einfuhr
des Auslandes begünstigt würde, so wäre "dem preußischen Zollsystem der
empfindlichste Stoß versetzt." Dazu aber ist nothwendig eine Ermäßigung
des k. k. Mauthsystems "bis zu dem Punkte, der uns in den Stand setze,
mit den übrigen deutschen Bundesstaaten unter Anerbietung der Reciprocität
über den Vollzug des Art. 19 in Verhandlung zu treten."

So wenig begriff man in Wien, worauf es ankam in unsern handels-
politischen Kämpfen! Daß der ganze Werth des Zollvereins in der Auf-
hebung der Binnenmauthen lag; daß der mitteldeutsche Verein eben darum
untergegangen war, weil er diese Befreiung des deutschen Marktes nicht
wagte; daß der preußische Handelsbund nur überboten werden konnte
durch den Plan eines noch größeren Zollvereins -- alle diese Wahrheiten,
die bereits von dem kleinsten thüringischen Cabinette durchschaut wurden,
waren der österreichischen Staatsweisheit noch nicht aufgegangen. Die
deutschen Staaten, so hoffte Metternich, sollten die unermeßlichen Vor-
theile des freien vaterländischen Marktes dahingeben für die kümmerliche
Aussicht, daß ihre Landesprodukte an den Schlagbäumen von dreißig
deutschen Staaten milder behandelt würden als die Waaren des Auslands!
Und selbst dieser schwächliche Gedanke des Staatskanzlers drang in Wien
nicht durch, nicht weil man die Halbheit verworfen hätte, sondern weil
der Plan dem Stumpfsinne des Hofes noch allzu kühn erschien. Präsident
Krieg hatte eine Herabsetzung der Zölle nach Preußens Muster vorge-
schlagen, und seit dem Mai 1833 verweilte bereits der österreichische Geh.
Rath Binder in Berlin, um wegen eines Handelsvertrages anzufragen.
Kaiser Franz aber hörte auf die Klagen seiner Fabrikanten, er fürchtete
jeden lebhaften Verkehr mit dem verderbten Auslande und verabscheute
alle Neuerungen. Im Sommer 1834 entschied er: Ermäßigungen des
österreichischen Tarifs dürfen nur erfolgen als Gegenleistungen für Zu-
geständnisse des Zollvereins -- und dies in einer Zeit, da Oesterreich mit
seinem starren Prohibitivsysteme sogar noch weniger als Frankreich im
Stande war, mit Preußen Zug um Zug zu verhandeln. Der öster-
reichische Unterhändler verließ Berlin unverrichteter Dinge.

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Jahre zuvor ſo lange getummelt hatten bis es zerbrach? — Hannover,
fährt Metternich fort, dieſe „von einem vorzüglichen föderativen Geiſte
beſeelte“ Regierung, hat bereits dem Bunde Anträge in dieſem Sinne
geſtellt. Der Bundestag muß die Freiheit des Durchfuhrhandels be-
ſchließen. Dies wird für Oeſterreich geringe Schwierigkeiten bieten, da
mir der Hofkammerpräſident Klebelsberg verſichert hat, daß unſere Geſetze
über den Tranſit ſehr liberal ſind. Ein durchſchlagender Erfolg gegen
Preußen ſteht von einem ſolchen Beſchluſſe freilich nicht zu erwarten.
„Eine deſto eindringlichere Waffe zur Bekämpfung des preußiſchen Zoll-
ſyſtems“ bietet der zweite hannöverſche Antrag auf Befreiung des Verkehrs
zwiſchen den Bundesſtaaten. Wenn der Bundestag beſchlöſſe, daß in allen
deutſchen Staaten die Einfuhr aus anderen Bundesſtaaten vor der Einfuhr
des Auslandes begünſtigt würde, ſo wäre „dem preußiſchen Zollſyſtem der
empfindlichſte Stoß verſetzt.“ Dazu aber iſt nothwendig eine Ermäßigung
des k. k. Mauthſyſtems „bis zu dem Punkte, der uns in den Stand ſetze,
mit den übrigen deutſchen Bundesſtaaten unter Anerbietung der Reciprocität
über den Vollzug des Art. 19 in Verhandlung zu treten.“

So wenig begriff man in Wien, worauf es ankam in unſern handels-
politiſchen Kämpfen! Daß der ganze Werth des Zollvereins in der Auf-
hebung der Binnenmauthen lag; daß der mitteldeutſche Verein eben darum
untergegangen war, weil er dieſe Befreiung des deutſchen Marktes nicht
wagte; daß der preußiſche Handelsbund nur überboten werden konnte
durch den Plan eines noch größeren Zollvereins — alle dieſe Wahrheiten,
die bereits von dem kleinſten thüringiſchen Cabinette durchſchaut wurden,
waren der öſterreichiſchen Staatsweisheit noch nicht aufgegangen. Die
deutſchen Staaten, ſo hoffte Metternich, ſollten die unermeßlichen Vor-
theile des freien vaterländiſchen Marktes dahingeben für die kümmerliche
Ausſicht, daß ihre Landesprodukte an den Schlagbäumen von dreißig
deutſchen Staaten milder behandelt würden als die Waaren des Auslands!
Und ſelbſt dieſer ſchwächliche Gedanke des Staatskanzlers drang in Wien
nicht durch, nicht weil man die Halbheit verworfen hätte, ſondern weil
der Plan dem Stumpfſinne des Hofes noch allzu kühn erſchien. Präſident
Krieg hatte eine Herabſetzung der Zölle nach Preußens Muſter vorge-
ſchlagen, und ſeit dem Mai 1833 verweilte bereits der öſterreichiſche Geh.
Rath Binder in Berlin, um wegen eines Handelsvertrages anzufragen.
Kaiſer Franz aber hörte auf die Klagen ſeiner Fabrikanten, er fürchtete
jeden lebhaften Verkehr mit dem verderbten Auslande und verabſcheute
alle Neuerungen. Im Sommer 1834 entſchied er: Ermäßigungen des
öſterreichiſchen Tarifs dürfen nur erfolgen als Gegenleiſtungen für Zu-
geſtändniſſe des Zollvereins — und dies in einer Zeit, da Oeſterreich mit
ſeinem ſtarren Prohibitivſyſteme ſogar noch weniger als Frankreich im
Stande war, mit Preußen Zug um Zug zu verhandeln. Der öſter-
reichiſche Unterhändler verließ Berlin unverrichteter Dinge.

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[386/0400] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. Jahre zuvor ſo lange getummelt hatten bis es zerbrach? — Hannover, fährt Metternich fort, dieſe „von einem vorzüglichen föderativen Geiſte beſeelte“ Regierung, hat bereits dem Bunde Anträge in dieſem Sinne geſtellt. Der Bundestag muß die Freiheit des Durchfuhrhandels be- ſchließen. Dies wird für Oeſterreich geringe Schwierigkeiten bieten, da mir der Hofkammerpräſident Klebelsberg verſichert hat, daß unſere Geſetze über den Tranſit ſehr liberal ſind. Ein durchſchlagender Erfolg gegen Preußen ſteht von einem ſolchen Beſchluſſe freilich nicht zu erwarten. „Eine deſto eindringlichere Waffe zur Bekämpfung des preußiſchen Zoll- ſyſtems“ bietet der zweite hannöverſche Antrag auf Befreiung des Verkehrs zwiſchen den Bundesſtaaten. Wenn der Bundestag beſchlöſſe, daß in allen deutſchen Staaten die Einfuhr aus anderen Bundesſtaaten vor der Einfuhr des Auslandes begünſtigt würde, ſo wäre „dem preußiſchen Zollſyſtem der empfindlichſte Stoß verſetzt.“ Dazu aber iſt nothwendig eine Ermäßigung des k. k. Mauthſyſtems „bis zu dem Punkte, der uns in den Stand ſetze, mit den übrigen deutſchen Bundesſtaaten unter Anerbietung der Reciprocität über den Vollzug des Art. 19 in Verhandlung zu treten.“ So wenig begriff man in Wien, worauf es ankam in unſern handels- politiſchen Kämpfen! Daß der ganze Werth des Zollvereins in der Auf- hebung der Binnenmauthen lag; daß der mitteldeutſche Verein eben darum untergegangen war, weil er dieſe Befreiung des deutſchen Marktes nicht wagte; daß der preußiſche Handelsbund nur überboten werden konnte durch den Plan eines noch größeren Zollvereins — alle dieſe Wahrheiten, die bereits von dem kleinſten thüringiſchen Cabinette durchſchaut wurden, waren der öſterreichiſchen Staatsweisheit noch nicht aufgegangen. Die deutſchen Staaten, ſo hoffte Metternich, ſollten die unermeßlichen Vor- theile des freien vaterländiſchen Marktes dahingeben für die kümmerliche Ausſicht, daß ihre Landesprodukte an den Schlagbäumen von dreißig deutſchen Staaten milder behandelt würden als die Waaren des Auslands! Und ſelbſt dieſer ſchwächliche Gedanke des Staatskanzlers drang in Wien nicht durch, nicht weil man die Halbheit verworfen hätte, ſondern weil der Plan dem Stumpfſinne des Hofes noch allzu kühn erſchien. Präſident Krieg hatte eine Herabſetzung der Zölle nach Preußens Muſter vorge- ſchlagen, und ſeit dem Mai 1833 verweilte bereits der öſterreichiſche Geh. Rath Binder in Berlin, um wegen eines Handelsvertrages anzufragen. Kaiſer Franz aber hörte auf die Klagen ſeiner Fabrikanten, er fürchtete jeden lebhaften Verkehr mit dem verderbten Auslande und verabſcheute alle Neuerungen. Im Sommer 1834 entſchied er: Ermäßigungen des öſterreichiſchen Tarifs dürfen nur erfolgen als Gegenleiſtungen für Zu- geſtändniſſe des Zollvereins — und dies in einer Zeit, da Oeſterreich mit ſeinem ſtarren Prohibitivſyſteme ſogar noch weniger als Frankreich im Stande war, mit Preußen Zug um Zug zu verhandeln. Der öſter- reichiſche Unterhändler verließ Berlin unverrichteter Dinge.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/400>, abgerufen am 24.11.2024.