Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 6. Der Deutsche Zollverein. erleichterter Verkehr mit deutschen Produkten und gemeinsame Maßregelngegen den Schmuggel gefordert. Die Absicht dieser mit den üblichen wohllautenden Freiheitsphrasen ausgestatteten Vorschläge sprang in die Augen: die Handelspolitik des mitteldeutschen Vereins, der Kampf gegen Preußens Transitzölle, sollte, nachdem der Sonderbund selbst zerfallen, durch den Deutschen Bund wieder aufgenommen, den englischen Waaren die freie Einfuhr nach dem Stapelplatze Frankfurt durch einen Bundes- beschluß gesichert werden. Darum die sophistische Behauptung, daß mit der Freiheit der Flüsse auch die Freiheit der Landstraßen gegeben sei -- eine in Hannovers Munde schlechthin schamlose Erklärung. Denn wer hinderte doch die Freiheit der Elbschifffahrt? Die Welfenkrone durch ihre "Seezölle" bei Stade! Darum die von gröbster Unwissenheit zeugende Versicherung, daß der Bund einzelne Stücke aus dem deutschen Zollsystem herausreißen, die Durchfuhrzölle und die Besteuerung deutscher Produkte neu ordnen könne, ohne das übrige Zollwesen zu berühren. Münch-Bellinghausen bemächtigte sich sofort mit Eifer des Antrags. Preußen stand anfangs fast allein, wie einst auf den Wiener Minister- *) Blittersdorff's Bericht 18. Decbr. 1832.
IV. 6. Der Deutſche Zollverein. erleichterter Verkehr mit deutſchen Produkten und gemeinſame Maßregelngegen den Schmuggel gefordert. Die Abſicht dieſer mit den üblichen wohllautenden Freiheitsphraſen ausgeſtatteten Vorſchläge ſprang in die Augen: die Handelspolitik des mitteldeutſchen Vereins, der Kampf gegen Preußens Tranſitzölle, ſollte, nachdem der Sonderbund ſelbſt zerfallen, durch den Deutſchen Bund wieder aufgenommen, den engliſchen Waaren die freie Einfuhr nach dem Stapelplatze Frankfurt durch einen Bundes- beſchluß geſichert werden. Darum die ſophiſtiſche Behauptung, daß mit der Freiheit der Flüſſe auch die Freiheit der Landſtraßen gegeben ſei — eine in Hannovers Munde ſchlechthin ſchamloſe Erklärung. Denn wer hinderte doch die Freiheit der Elbſchifffahrt? Die Welfenkrone durch ihre „Seezölle“ bei Stade! Darum die von gröbſter Unwiſſenheit zeugende Verſicherung, daß der Bund einzelne Stücke aus dem deutſchen Zollſyſtem herausreißen, die Durchfuhrzölle und die Beſteuerung deutſcher Produkte neu ordnen könne, ohne das übrige Zollweſen zu berühren. Münch-Bellinghauſen bemächtigte ſich ſofort mit Eifer des Antrags. Preußen ſtand anfangs faſt allein, wie einſt auf den Wiener Miniſter- *) Blittersdorff’s Bericht 18. Decbr. 1832.
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IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
erleichterter Verkehr mit deutſchen Produkten und gemeinſame Maßregeln
gegen den Schmuggel gefordert. Die Abſicht dieſer mit den üblichen
wohllautenden Freiheitsphraſen ausgeſtatteten Vorſchläge ſprang in die
Augen: die Handelspolitik des mitteldeutſchen Vereins, der Kampf gegen
Preußens Tranſitzölle, ſollte, nachdem der Sonderbund ſelbſt zerfallen,
durch den Deutſchen Bund wieder aufgenommen, den engliſchen Waaren
die freie Einfuhr nach dem Stapelplatze Frankfurt durch einen Bundes-
beſchluß geſichert werden. Darum die ſophiſtiſche Behauptung, daß mit
der Freiheit der Flüſſe auch die Freiheit der Landſtraßen gegeben ſei —
eine in Hannovers Munde ſchlechthin ſchamloſe Erklärung. Denn wer
hinderte doch die Freiheit der Elbſchifffahrt? Die Welfenkrone durch ihre
„Seezölle“ bei Stade! Darum die von gröbſter Unwiſſenheit zeugende
Verſicherung, daß der Bund einzelne Stücke aus dem deutſchen Zollſyſtem
herausreißen, die Durchfuhrzölle und die Beſteuerung deutſcher Produkte
neu ordnen könne, ohne das übrige Zollweſen zu berühren.
Münch-Bellinghauſen bemächtigte ſich ſofort mit Eifer des Antrags.
Unter vier Augen geſtand er unverhohlen, daß der Vorſchlag Hannovers
lediglich ein Schachzug ſei gegen den Deutſchen Zollverein. „Wir dürfen,
ſagte er zu Blittersdorff, nicht ruhig zuſehen, daß einzelne Bundesſtaaten
ſolche Einrichtungen treffen, daß den übrigen Bundesſtaaten nichts übrig
bleibt, als ſich nach und nach zu Grunde richten zu laſſen oder aber ſich
auf Koſten ihrer Unabhängigkeit und Selbſtſtändigkeit dem Geſetze des
Stärkeren zu unterwerfen.“ *)
Preußen ſtand anfangs faſt allein, wie einſt auf den Wiener Miniſter-
conferenzen. Die Hoffnung auf den Untergang der läſtigen preußiſchen
Durchfuhrzölle trieb ſelbſt den ſächſiſchen Hof in das öſterreichiſche Lager.
Um die oberdeutſchen Könige zu gewinnen, hatte Hannover vorgeſchlagen,
der Bund ſolle die Durchfuhrzölle nach den Grundſätzen des bairiſch-
württembergiſchen Tarifs ordnen. Dieſe Lockung und das Zureden des
raſtloſen hannöverſchen Geſandten Stralenheim ſtimmte auch die Höfe
von Stuttgart und München günſtig für den welfiſchen Antrag. Der
Hamburger Senat, der bisher gegen die Umtriebe des mitteldeutſchen
Vereins eine verſtändige Zurückhaltung gezeigt, fiel jetzt ganz aus der
Rolle, erwies in langer Denkſchrift, daß der deutſche Verkehr den Inter-
eſſen des hanſeatiſchen Durchfuhrhandels von Rechtswegen ſich fügen
müſſe. Ganz umſonſt hatte der gelehrte Böhmer ſein flammendes Buch
gegen den Reichsfriedensbrecher Preußen doch nicht geſchrieben. Offenbar
belehrt durch Böhmer’s hiſtoriſche Forſchungen, beriefen ſich die Ham-
burger Kaufherren auf die Goldene Bulle: ſo lange zwei Bundesſtaaten
durch die Zolllinien eines dazwiſchenliegenden Bundesſtaats getrennt ſind,
haben ſie das Recht auf völlig ungehinderte Handelsverbindung; dies
*) Blittersdorff’s Bericht 18. Decbr. 1832.
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