Zollvereinsverträge wurden abgeschlossen, und da sie allesammt die bundes- treue Clausel enthielten, daß der Zollverein sich auflösen würde, sobald der Art. 19 ins Leben träte, so konnte der Bundestag der vollendeten Thatsache nicht einmal mit den Künsten rabulistischer Silbenstecherei zu Leibe gehen. Preußen war fortan der Mehrheit sicher; Münch wagte nicht mehr die hannöverschen Anträge zur Abstimmung zu bringen. Der Streit schlief ein; der Bundestag hatte abermals seine unheilbare Ohn- macht bekundet.
Gleichwohl versuchte der unversöhnliche Welfenhof während der Wiener Conferenzen von 1834 noch einmal, auf dem traurigen Art. 19 herauszu- sprengen gegen den Zollverein. Und wieder hielten die Hansestädte zu den Welfen. Kein schlechterer Mann als der Bremer Smidt war der Verfasser einer Denkschrift, welche der hannöversche Minister Ompteda den Conferenzen überreichte. Die alten, soeben am Bundestage glücklich beseitigten Thor- heiten in neuer Fassung! Ein "dem Bunde fremder Organismus" hat sich der Handelsfrage bemächtigt und erregt im Volke schon mehr Theilnahme als der Bund selber! Darum muß schleunigst ein permanenter Ausschuß am Bundestage errichtet werden zur Herstellung des Rechtszustandes und zur Beförderung des Verkehrs, insbesondere des Durchfuhrhandels. Doch jetzt, da der große Zollverein bereits ins Leben getreten war, wollten die alten Locktöne nicht mehr verfangen. Die Versammlung blieb kalt, nur Oester- reich und Mecklenburg unterstützten die welfisch-hanseatischen Träumereien. Selbst der glatte Ancillon faßte sich ein Herz und erklärte jede handels- politische Thätigkeit des Bundestages für hoffnungslos. Noch schärfer und kräftiger widersprach der Vertreter Baierns, der geistreiche Mieg, der inzwischen die Gnade seines launischen königlichen Herrn wiedergefunden hatte. Um die Welfen nicht durch ein rundes Nein zu kränken, beschloß man endlich: die Bundesgesandten sollen mit Instruktionen versehen werden, damit der Bundestag einen Ausschuß bilden und sich mit der Handelssache beschäftigen könne. Fast genau derselbe Beschluß war vier- zehn Jahre zuvor auf den ersten Wiener Conferenzen, unter dem schallen- den Gelächter der Versammlung, gefaßt worden.*) So irrte die deutsche Diplomatie unter Metternich's umsichtiger Führung im Kreise umher. Der gequälte Geist des Art. 19 fand nunmehr endlich den Frieden des Grabes.
Die Welfenkrone blieb unbelehrt. Sie schloß noch im selben Jahre (1. Mai 1834) mit Braunschweig den Steuerverein, dem nachher auch Oldenburg und Bückeburg beitraten. Es war das letzte Trümmerstück des gesprengten Mitteldeutschen Sonderbundes, aber an Feindseligkeiten ließ sich jetzt nicht mehr denken. Vielmehr bildete sich bald ein freund- nachbarliches Verhältniß zwischen den beiden Vereinen. Sie unterstützten
*) s. o. III. 37.
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Zollvereinsverträge wurden abgeſchloſſen, und da ſie alleſammt die bundes- treue Clauſel enthielten, daß der Zollverein ſich auflöſen würde, ſobald der Art. 19 ins Leben träte, ſo konnte der Bundestag der vollendeten Thatſache nicht einmal mit den Künſten rabuliſtiſcher Silbenſtecherei zu Leibe gehen. Preußen war fortan der Mehrheit ſicher; Münch wagte nicht mehr die hannöverſchen Anträge zur Abſtimmung zu bringen. Der Streit ſchlief ein; der Bundestag hatte abermals ſeine unheilbare Ohn- macht bekundet.
Gleichwohl verſuchte der unverſöhnliche Welfenhof während der Wiener Conferenzen von 1834 noch einmal, auf dem traurigen Art. 19 herauszu- ſprengen gegen den Zollverein. Und wieder hielten die Hanſeſtädte zu den Welfen. Kein ſchlechterer Mann als der Bremer Smidt war der Verfaſſer einer Denkſchrift, welche der hannöverſche Miniſter Ompteda den Conferenzen überreichte. Die alten, ſoeben am Bundestage glücklich beſeitigten Thor- heiten in neuer Faſſung! Ein „dem Bunde fremder Organismus“ hat ſich der Handelsfrage bemächtigt und erregt im Volke ſchon mehr Theilnahme als der Bund ſelber! Darum muß ſchleunigſt ein permanenter Ausſchuß am Bundestage errichtet werden zur Herſtellung des Rechtszuſtandes und zur Beförderung des Verkehrs, insbeſondere des Durchfuhrhandels. Doch jetzt, da der große Zollverein bereits ins Leben getreten war, wollten die alten Locktöne nicht mehr verfangen. Die Verſammlung blieb kalt, nur Oeſter- reich und Mecklenburg unterſtützten die welfiſch-hanſeatiſchen Träumereien. Selbſt der glatte Ancillon faßte ſich ein Herz und erklärte jede handels- politiſche Thätigkeit des Bundestages für hoffnungslos. Noch ſchärfer und kräftiger widerſprach der Vertreter Baierns, der geiſtreiche Mieg, der inzwiſchen die Gnade ſeines launiſchen königlichen Herrn wiedergefunden hatte. Um die Welfen nicht durch ein rundes Nein zu kränken, beſchloß man endlich: die Bundesgeſandten ſollen mit Inſtruktionen verſehen werden, damit der Bundestag einen Ausſchuß bilden und ſich mit der Handelsſache beſchäftigen könne. Faſt genau derſelbe Beſchluß war vier- zehn Jahre zuvor auf den erſten Wiener Conferenzen, unter dem ſchallen- den Gelächter der Verſammlung, gefaßt worden.*) So irrte die deutſche Diplomatie unter Metternich’s umſichtiger Führung im Kreiſe umher. Der gequälte Geiſt des Art. 19 fand nunmehr endlich den Frieden des Grabes.
Die Welfenkrone blieb unbelehrt. Sie ſchloß noch im ſelben Jahre (1. Mai 1834) mit Braunſchweig den Steuerverein, dem nachher auch Oldenburg und Bückeburg beitraten. Es war das letzte Trümmerſtück des geſprengten Mitteldeutſchen Sonderbundes, aber an Feindſeligkeiten ließ ſich jetzt nicht mehr denken. Vielmehr bildete ſich bald ein freund- nachbarliches Verhältniß zwiſchen den beiden Vereinen. Sie unterſtützten
*) ſ. o. III. 37.
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IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Zollvereinsverträge wurden abgeſchloſſen, und da ſie alleſammt die bundes-
treue Clauſel enthielten, daß der Zollverein ſich auflöſen würde, ſobald
der Art. 19 ins Leben träte, ſo konnte der Bundestag der vollendeten
Thatſache nicht einmal mit den Künſten rabuliſtiſcher Silbenſtecherei zu
Leibe gehen. Preußen war fortan der Mehrheit ſicher; Münch wagte
nicht mehr die hannöverſchen Anträge zur Abſtimmung zu bringen. Der
Streit ſchlief ein; der Bundestag hatte abermals ſeine unheilbare Ohn-
macht bekundet.
Gleichwohl verſuchte der unverſöhnliche Welfenhof während der Wiener
Conferenzen von 1834 noch einmal, auf dem traurigen Art. 19 herauszu-
ſprengen gegen den Zollverein. Und wieder hielten die Hanſeſtädte zu den
Welfen. Kein ſchlechterer Mann als der Bremer Smidt war der Verfaſſer
einer Denkſchrift, welche der hannöverſche Miniſter Ompteda den Conferenzen
überreichte. Die alten, ſoeben am Bundestage glücklich beſeitigten Thor-
heiten in neuer Faſſung! Ein „dem Bunde fremder Organismus“ hat ſich
der Handelsfrage bemächtigt und erregt im Volke ſchon mehr Theilnahme
als der Bund ſelber! Darum muß ſchleunigſt ein permanenter Ausſchuß
am Bundestage errichtet werden zur Herſtellung des Rechtszuſtandes und
zur Beförderung des Verkehrs, insbeſondere des Durchfuhrhandels. Doch
jetzt, da der große Zollverein bereits ins Leben getreten war, wollten die alten
Locktöne nicht mehr verfangen. Die Verſammlung blieb kalt, nur Oeſter-
reich und Mecklenburg unterſtützten die welfiſch-hanſeatiſchen Träumereien.
Selbſt der glatte Ancillon faßte ſich ein Herz und erklärte jede handels-
politiſche Thätigkeit des Bundestages für hoffnungslos. Noch ſchärfer
und kräftiger widerſprach der Vertreter Baierns, der geiſtreiche Mieg, der
inzwiſchen die Gnade ſeines launiſchen königlichen Herrn wiedergefunden
hatte. Um die Welfen nicht durch ein rundes Nein zu kränken, beſchloß
man endlich: die Bundesgeſandten ſollen mit Inſtruktionen verſehen
werden, damit der Bundestag einen Ausſchuß bilden und ſich mit der
Handelsſache beſchäftigen könne. Faſt genau derſelbe Beſchluß war vier-
zehn Jahre zuvor auf den erſten Wiener Conferenzen, unter dem ſchallen-
den Gelächter der Verſammlung, gefaßt worden. *) So irrte die deutſche
Diplomatie unter Metternich’s umſichtiger Führung im Kreiſe umher.
Der gequälte Geiſt des Art. 19 fand nunmehr endlich den Frieden des
Grabes.
Die Welfenkrone blieb unbelehrt. Sie ſchloß noch im ſelben Jahre
(1. Mai 1834) mit Braunſchweig den Steuerverein, dem nachher auch
Oldenburg und Bückeburg beitraten. Es war das letzte Trümmerſtück
des geſprengten Mitteldeutſchen Sonderbundes, aber an Feindſeligkeiten
ließ ſich jetzt nicht mehr denken. Vielmehr bildete ſich bald ein freund-
nachbarliches Verhältniß zwiſchen den beiden Vereinen. Sie unterſtützten
*) ſ. o. III. 37.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/406>, abgerufen am 24.11.2024.
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