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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Badens Beitritt.
reichen Gewinn, er sicherte auch die Genehmigung des Vertrags. Nur
die Macht vollendeter Thatsachen konnte den Widerstand der Liberalen
entwaffnen. Rotteck donnerte wider diese "Bewirthschaftung der Nation;
der Strudel des Zollvereins wird uns Alle in den Abgrund des Abso-
lutismus reißen!" Ein anderer Redner der Opposition warnte vor-
sorglich: die preußischen Thaler würden das Ländle überschwemmen, worauf
die Ministerbank entgegnete: man könne nur wünschen, daß diese Ueber-
schwemmung recht reichlich ausfalle. Die Regierung war in beschämen-
der Verlegenheit; sie mußte jetzt selbst den so oft vertheidigten badischen
Freihandel öffentlich verdammen als eine systematische Begünstigung des
Schmuggels. Freieren Blick als der Liberalismus zeigte die Aristokratie
der ersten Kammer; Fürst Löwenstein-Wertheim pries "die edle Selbst-
verleugnung Preußens und das große nationale Werk, das der preußischen
Regierung zum unverwelklichen Ruhm gereicht." Außer Nebenius traten
noch zwei andere geschulte Volkswirthe für den Anschluß auf: der be-
rühmte Heidelberger Professor Rau und dessen Schüler Karl Mathy, ein
bekehrter Gegner der preußischen Handelspolitik, der hier wieder die Tiefe
und Selbständigkeit seines Urtheils bewährte und sich sogar unterstand,
die Gewerbefreiheit Preußens dem badischen Liberalismus als ein Muster
vorzuhalten. Der vorsichtige Ton der Flugschrift Mathy's beweist genug-
sam, wie schwer es noch hielt, den Vorurtheilen der liberalen Welt zu
widersprechen. Mit schwacher Mehrheit genehmigten die Kammern den
Vertrag; und nun stimmten auch die anderen Zollverbündeten zu, nach-
dem Preußen erst noch durch eine scharfe Note den widersprechenden kur-
hessischen Landtags-Ausschuß zum Schweigen gebracht hatte. Darauf
abermals reichliche Ordensspenden und zuletzt noch ein gereizter Schrift-
wechsel zwischen Cassel und Karlsruhe. Die kurhessischen Beamten fühlten
sich beleidigt, weil die ihnen zugesendeten Zähringer Löwenorden kein
Eichenlaub trugen. Auch dieses Gewölk verzog sich; es stellte sich heraus,
daß jener Löwe damals noch in den Jahren unreifer Jugend stand und
noch kein Eichenlaub in seinem Vermögen hatte. --

Bald nach dem Beitritt dieses befreundeten Staates mußte einer
der boshaftesten Gegner, der Nassauer Hof, seinen Frieden mit Preußen
schließen, doch erst nachdem er zuvor ein unvergeßliches Probestück ehrloser
Gesinnung abgelegt hatte. Selbst in Wien erregte die Kunde von Preu-
ßens Erfolgen kaum eine so wilde Entrüstung, wie in Biebrich. Marschall
tobte und polterte. Niemals wird Nassau einem fremden Zollsystem sich
anschließen, schrieb er dem Gesandten Fabricius. Wir sind für die Cen-
tralisation, wo es sich handelt um die Erhaltung der Ruhe; doch in Zoll-
und Handelssachen verwerfen wir die Centralisation, weil sie hier sich
nicht verträgt mit der Souveränität. Darum haben wir alle hierauf ge-
richteten Anträge zurückgewiesen; andere Regierungen, die im Sinne der
revolutionären Partei ihre Souveränität gegen den Bundestag streng be-

Badens Beitritt.
reichen Gewinn, er ſicherte auch die Genehmigung des Vertrags. Nur
die Macht vollendeter Thatſachen konnte den Widerſtand der Liberalen
entwaffnen. Rotteck donnerte wider dieſe „Bewirthſchaftung der Nation;
der Strudel des Zollvereins wird uns Alle in den Abgrund des Abſo-
lutismus reißen!“ Ein anderer Redner der Oppoſition warnte vor-
ſorglich: die preußiſchen Thaler würden das Ländle überſchwemmen, worauf
die Miniſterbank entgegnete: man könne nur wünſchen, daß dieſe Ueber-
ſchwemmung recht reichlich ausfalle. Die Regierung war in beſchämen-
der Verlegenheit; ſie mußte jetzt ſelbſt den ſo oft vertheidigten badiſchen
Freihandel öffentlich verdammen als eine ſyſtematiſche Begünſtigung des
Schmuggels. Freieren Blick als der Liberalismus zeigte die Ariſtokratie
der erſten Kammer; Fürſt Löwenſtein-Wertheim pries „die edle Selbſt-
verleugnung Preußens und das große nationale Werk, das der preußiſchen
Regierung zum unverwelklichen Ruhm gereicht.“ Außer Nebenius traten
noch zwei andere geſchulte Volkswirthe für den Anſchluß auf: der be-
rühmte Heidelberger Profeſſor Rau und deſſen Schüler Karl Mathy, ein
bekehrter Gegner der preußiſchen Handelspolitik, der hier wieder die Tiefe
und Selbſtändigkeit ſeines Urtheils bewährte und ſich ſogar unterſtand,
die Gewerbefreiheit Preußens dem badiſchen Liberalismus als ein Muſter
vorzuhalten. Der vorſichtige Ton der Flugſchrift Mathy’s beweiſt genug-
ſam, wie ſchwer es noch hielt, den Vorurtheilen der liberalen Welt zu
widerſprechen. Mit ſchwacher Mehrheit genehmigten die Kammern den
Vertrag; und nun ſtimmten auch die anderen Zollverbündeten zu, nach-
dem Preußen erſt noch durch eine ſcharfe Note den widerſprechenden kur-
heſſiſchen Landtags-Ausſchuß zum Schweigen gebracht hatte. Darauf
abermals reichliche Ordensſpenden und zuletzt noch ein gereizter Schrift-
wechſel zwiſchen Caſſel und Karlsruhe. Die kurheſſiſchen Beamten fühlten
ſich beleidigt, weil die ihnen zugeſendeten Zähringer Löwenorden kein
Eichenlaub trugen. Auch dieſes Gewölk verzog ſich; es ſtellte ſich heraus,
daß jener Löwe damals noch in den Jahren unreifer Jugend ſtand und
noch kein Eichenlaub in ſeinem Vermögen hatte. —

Bald nach dem Beitritt dieſes befreundeten Staates mußte einer
der boshafteſten Gegner, der Naſſauer Hof, ſeinen Frieden mit Preußen
ſchließen, doch erſt nachdem er zuvor ein unvergeßliches Probeſtück ehrloſer
Geſinnung abgelegt hatte. Selbſt in Wien erregte die Kunde von Preu-
ßens Erfolgen kaum eine ſo wilde Entrüſtung, wie in Biebrich. Marſchall
tobte und polterte. Niemals wird Naſſau einem fremden Zollſyſtem ſich
anſchließen, ſchrieb er dem Geſandten Fabricius. Wir ſind für die Cen-
traliſation, wo es ſich handelt um die Erhaltung der Ruhe; doch in Zoll-
und Handelsſachen verwerfen wir die Centraliſation, weil ſie hier ſich
nicht verträgt mit der Souveränität. Darum haben wir alle hierauf ge-
richteten Anträge zurückgewieſen; andere Regierungen, die im Sinne der
revolutionären Partei ihre Souveränität gegen den Bundestag ſtreng be-

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[397/0411] Badens Beitritt. reichen Gewinn, er ſicherte auch die Genehmigung des Vertrags. Nur die Macht vollendeter Thatſachen konnte den Widerſtand der Liberalen entwaffnen. Rotteck donnerte wider dieſe „Bewirthſchaftung der Nation; der Strudel des Zollvereins wird uns Alle in den Abgrund des Abſo- lutismus reißen!“ Ein anderer Redner der Oppoſition warnte vor- ſorglich: die preußiſchen Thaler würden das Ländle überſchwemmen, worauf die Miniſterbank entgegnete: man könne nur wünſchen, daß dieſe Ueber- ſchwemmung recht reichlich ausfalle. Die Regierung war in beſchämen- der Verlegenheit; ſie mußte jetzt ſelbſt den ſo oft vertheidigten badiſchen Freihandel öffentlich verdammen als eine ſyſtematiſche Begünſtigung des Schmuggels. Freieren Blick als der Liberalismus zeigte die Ariſtokratie der erſten Kammer; Fürſt Löwenſtein-Wertheim pries „die edle Selbſt- verleugnung Preußens und das große nationale Werk, das der preußiſchen Regierung zum unverwelklichen Ruhm gereicht.“ Außer Nebenius traten noch zwei andere geſchulte Volkswirthe für den Anſchluß auf: der be- rühmte Heidelberger Profeſſor Rau und deſſen Schüler Karl Mathy, ein bekehrter Gegner der preußiſchen Handelspolitik, der hier wieder die Tiefe und Selbſtändigkeit ſeines Urtheils bewährte und ſich ſogar unterſtand, die Gewerbefreiheit Preußens dem badiſchen Liberalismus als ein Muſter vorzuhalten. Der vorſichtige Ton der Flugſchrift Mathy’s beweiſt genug- ſam, wie ſchwer es noch hielt, den Vorurtheilen der liberalen Welt zu widerſprechen. Mit ſchwacher Mehrheit genehmigten die Kammern den Vertrag; und nun ſtimmten auch die anderen Zollverbündeten zu, nach- dem Preußen erſt noch durch eine ſcharfe Note den widerſprechenden kur- heſſiſchen Landtags-Ausſchuß zum Schweigen gebracht hatte. Darauf abermals reichliche Ordensſpenden und zuletzt noch ein gereizter Schrift- wechſel zwiſchen Caſſel und Karlsruhe. Die kurheſſiſchen Beamten fühlten ſich beleidigt, weil die ihnen zugeſendeten Zähringer Löwenorden kein Eichenlaub trugen. Auch dieſes Gewölk verzog ſich; es ſtellte ſich heraus, daß jener Löwe damals noch in den Jahren unreifer Jugend ſtand und noch kein Eichenlaub in ſeinem Vermögen hatte. — Bald nach dem Beitritt dieſes befreundeten Staates mußte einer der boshafteſten Gegner, der Naſſauer Hof, ſeinen Frieden mit Preußen ſchließen, doch erſt nachdem er zuvor ein unvergeßliches Probeſtück ehrloſer Geſinnung abgelegt hatte. Selbſt in Wien erregte die Kunde von Preu- ßens Erfolgen kaum eine ſo wilde Entrüſtung, wie in Biebrich. Marſchall tobte und polterte. Niemals wird Naſſau einem fremden Zollſyſtem ſich anſchließen, ſchrieb er dem Geſandten Fabricius. Wir ſind für die Cen- traliſation, wo es ſich handelt um die Erhaltung der Ruhe; doch in Zoll- und Handelsſachen verwerfen wir die Centraliſation, weil ſie hier ſich nicht verträgt mit der Souveränität. Darum haben wir alle hierauf ge- richteten Anträge zurückgewieſen; andere Regierungen, die im Sinne der revolutionären Partei ihre Souveränität gegen den Bundestag ſtreng be-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/411>, abgerufen am 24.11.2024.