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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
stellte der Senat im Herbst 1834 bei der Krone Preußen die Bitte um
Eröffnung der förmlichen Verhandlungen. Im Januar 1835 kam Senator
Guaita nach Berlin, derselbe, der in dem mitteldeutschen Vereine eine so
gehässige Rolle gespielt hatte. Ein Jahr verging bis man einig wurde.
Frankfurt erwartete anfangs große Privilegien für seinen Handelsstand,
bis Guaita endlich einsah, daß alle Vorrechte dem Wesen des Vereins
widersprachen. "Die Rechtsgleichheit, meinte der Bekehrte jetzt, ist der beste
Schutz für die kleinen Staaten. Fordern wir Privilegien, so wird Preußen
dieselben Vorrechte seinen Städten gewähren, und die Begünstigung Kölns
wäre Frankfurts Untergang."*) Preußen wünschte mit dem Zollwesen
zugleich seine Gewerbefreiheit in die Republik einzuführen; denn die Nach-
barn klagten laut, der Darmstädter Landtag sprach in bitteren Worten
über das verrottete Frankfurter Zunftwesen. Doch die freie Stadt wollte
dies Heiligthum ihrer Bürgerschaft nicht antasten; nach langem Streite
blieb die alte Unordnung aufrecht. Daß der reiche Handelsplatz unver-
hältnißmäßig viel verzehrte, wurde von allen Seiten zugegeben; man
verabredete eine Bauschsumme von 4 2/5 fl. auf den Kopf der städtischen
Bevölkerung, fast viermal so viel als der Stadt nach Verhältniß der
Einwohnerzahl gebührte. Der Meßverkehr erhielt dieselben Begünstigungen
wie in Leipzig. Dagegen konnte Preußen die vollständige politische Gleich-
berechtigung des Kleinstaats nicht zugeben. Nach höchst verwickelten Ver-
handlungen beschloß man eine gemeinsame Zolldirektion in Frankfurt
einzusetzen; ein Mitglied ernannte der Senat, die andern wurden ihm
durch die beiden Hessen vorgeschlagen, Preußen aber führte die Ober-
aufsicht über die Zollverwaltung. Im Uebrigen erhielt die Stadt durch
die Nachsicht des Königs alle Rechte der Zollvereinsmitglieder zugestanden,
nur daß sie den Handelsverträgen nicht widersprechen durfte und auf den
Zollconferenzen in der Regel dem nassauischen Bevollmächtigten ihre
Stimme übertragen sollte.

Diese Verabredungen konnten nicht ins Leben treten, so lange der
Vertrag mit England bestand. Ehrenhafter als der Herzog von Nassau
sendete der Senat einen Bevollmächtigten nach London und ließ, wie hart
das auch ankam, um die Aufhebung des Vertrages bitten. Erst nachdem
England eingewilligt, trat Frankfurt, am 2. Januar 1836, dem Zoll-
vereine bei. Noch waren einige böse Tage zu überstehen. Die ungeheuren
in der Stadt aufgestapelten Vorräthe mußten einer Nachversteuerung
unterworfen werden, die einen Ertrag von 1,68 Millionen fl. abwarf.
Während mehrerer Tage war jede Waarenbewegung verboten, eine wilde
Aufregung herrschte unter den Kaufleuten, die Bürgerschaft begann schon
ihren Entschluß zu verwünschen. Doch bald kehrte die Ordnung zurück;
schon die nächste Messe brachte ein reiches Ergebniß; für Frankfurt wie

*) Blittersdorff's Bericht, 4. Febr. 1835.

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
ſtellte der Senat im Herbſt 1834 bei der Krone Preußen die Bitte um
Eröffnung der förmlichen Verhandlungen. Im Januar 1835 kam Senator
Guaita nach Berlin, derſelbe, der in dem mitteldeutſchen Vereine eine ſo
gehäſſige Rolle geſpielt hatte. Ein Jahr verging bis man einig wurde.
Frankfurt erwartete anfangs große Privilegien für ſeinen Handelsſtand,
bis Guaita endlich einſah, daß alle Vorrechte dem Weſen des Vereins
widerſprachen. „Die Rechtsgleichheit, meinte der Bekehrte jetzt, iſt der beſte
Schutz für die kleinen Staaten. Fordern wir Privilegien, ſo wird Preußen
dieſelben Vorrechte ſeinen Städten gewähren, und die Begünſtigung Kölns
wäre Frankfurts Untergang.“*) Preußen wünſchte mit dem Zollweſen
zugleich ſeine Gewerbefreiheit in die Republik einzuführen; denn die Nach-
barn klagten laut, der Darmſtädter Landtag ſprach in bitteren Worten
über das verrottete Frankfurter Zunftweſen. Doch die freie Stadt wollte
dies Heiligthum ihrer Bürgerſchaft nicht antaſten; nach langem Streite
blieb die alte Unordnung aufrecht. Daß der reiche Handelsplatz unver-
hältnißmäßig viel verzehrte, wurde von allen Seiten zugegeben; man
verabredete eine Bauſchſumme von 4⅖ fl. auf den Kopf der ſtädtiſchen
Bevölkerung, faſt viermal ſo viel als der Stadt nach Verhältniß der
Einwohnerzahl gebührte. Der Meßverkehr erhielt dieſelben Begünſtigungen
wie in Leipzig. Dagegen konnte Preußen die vollſtändige politiſche Gleich-
berechtigung des Kleinſtaats nicht zugeben. Nach höchſt verwickelten Ver-
handlungen beſchloß man eine gemeinſame Zolldirektion in Frankfurt
einzuſetzen; ein Mitglied ernannte der Senat, die andern wurden ihm
durch die beiden Heſſen vorgeſchlagen, Preußen aber führte die Ober-
aufſicht über die Zollverwaltung. Im Uebrigen erhielt die Stadt durch
die Nachſicht des Königs alle Rechte der Zollvereinsmitglieder zugeſtanden,
nur daß ſie den Handelsverträgen nicht widerſprechen durfte und auf den
Zollconferenzen in der Regel dem naſſauiſchen Bevollmächtigten ihre
Stimme übertragen ſollte.

Dieſe Verabredungen konnten nicht ins Leben treten, ſo lange der
Vertrag mit England beſtand. Ehrenhafter als der Herzog von Naſſau
ſendete der Senat einen Bevollmächtigten nach London und ließ, wie hart
das auch ankam, um die Aufhebung des Vertrages bitten. Erſt nachdem
England eingewilligt, trat Frankfurt, am 2. Januar 1836, dem Zoll-
vereine bei. Noch waren einige böſe Tage zu überſtehen. Die ungeheuren
in der Stadt aufgeſtapelten Vorräthe mußten einer Nachverſteuerung
unterworfen werden, die einen Ertrag von 1,68 Millionen fl. abwarf.
Während mehrerer Tage war jede Waarenbewegung verboten, eine wilde
Aufregung herrſchte unter den Kaufleuten, die Bürgerſchaft begann ſchon
ihren Entſchluß zu verwünſchen. Doch bald kehrte die Ordnung zurück;
ſchon die nächſte Meſſe brachte ein reiches Ergebniß; für Frankfurt wie

*) Blittersdorff’s Bericht, 4. Febr. 1835.
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[402/0416] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. ſtellte der Senat im Herbſt 1834 bei der Krone Preußen die Bitte um Eröffnung der förmlichen Verhandlungen. Im Januar 1835 kam Senator Guaita nach Berlin, derſelbe, der in dem mitteldeutſchen Vereine eine ſo gehäſſige Rolle geſpielt hatte. Ein Jahr verging bis man einig wurde. Frankfurt erwartete anfangs große Privilegien für ſeinen Handelsſtand, bis Guaita endlich einſah, daß alle Vorrechte dem Weſen des Vereins widerſprachen. „Die Rechtsgleichheit, meinte der Bekehrte jetzt, iſt der beſte Schutz für die kleinen Staaten. Fordern wir Privilegien, ſo wird Preußen dieſelben Vorrechte ſeinen Städten gewähren, und die Begünſtigung Kölns wäre Frankfurts Untergang.“ *) Preußen wünſchte mit dem Zollweſen zugleich ſeine Gewerbefreiheit in die Republik einzuführen; denn die Nach- barn klagten laut, der Darmſtädter Landtag ſprach in bitteren Worten über das verrottete Frankfurter Zunftweſen. Doch die freie Stadt wollte dies Heiligthum ihrer Bürgerſchaft nicht antaſten; nach langem Streite blieb die alte Unordnung aufrecht. Daß der reiche Handelsplatz unver- hältnißmäßig viel verzehrte, wurde von allen Seiten zugegeben; man verabredete eine Bauſchſumme von 4⅖ fl. auf den Kopf der ſtädtiſchen Bevölkerung, faſt viermal ſo viel als der Stadt nach Verhältniß der Einwohnerzahl gebührte. Der Meßverkehr erhielt dieſelben Begünſtigungen wie in Leipzig. Dagegen konnte Preußen die vollſtändige politiſche Gleich- berechtigung des Kleinſtaats nicht zugeben. Nach höchſt verwickelten Ver- handlungen beſchloß man eine gemeinſame Zolldirektion in Frankfurt einzuſetzen; ein Mitglied ernannte der Senat, die andern wurden ihm durch die beiden Heſſen vorgeſchlagen, Preußen aber führte die Ober- aufſicht über die Zollverwaltung. Im Uebrigen erhielt die Stadt durch die Nachſicht des Königs alle Rechte der Zollvereinsmitglieder zugeſtanden, nur daß ſie den Handelsverträgen nicht widerſprechen durfte und auf den Zollconferenzen in der Regel dem naſſauiſchen Bevollmächtigten ihre Stimme übertragen ſollte. Dieſe Verabredungen konnten nicht ins Leben treten, ſo lange der Vertrag mit England beſtand. Ehrenhafter als der Herzog von Naſſau ſendete der Senat einen Bevollmächtigten nach London und ließ, wie hart das auch ankam, um die Aufhebung des Vertrages bitten. Erſt nachdem England eingewilligt, trat Frankfurt, am 2. Januar 1836, dem Zoll- vereine bei. Noch waren einige böſe Tage zu überſtehen. Die ungeheuren in der Stadt aufgeſtapelten Vorräthe mußten einer Nachverſteuerung unterworfen werden, die einen Ertrag von 1,68 Millionen fl. abwarf. Während mehrerer Tage war jede Waarenbewegung verboten, eine wilde Aufregung herrſchte unter den Kaufleuten, die Bürgerſchaft begann ſchon ihren Entſchluß zu verwünſchen. Doch bald kehrte die Ordnung zurück; ſchon die nächſte Meſſe brachte ein reiches Ergebniß; für Frankfurt wie *) Blittersdorff’s Bericht, 4. Febr. 1835.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/416>, abgerufen am 24.11.2024.