schaft. Erstaunlich, wie dem Niedersachsen hier aus dem heimathlichen Boden frische Kraft zuströmte. Wie viel lebendiger war hier Alles als in seinen romantischen Mantel- und Degenstücken, wie viel zuversichtlicher als in den Epigonen sprach er jetzt über seine "große, der Wunder volle Zeit".
Brentano's Erzählung vom schönen Annerl war einst fast unbemerkt vorübergegangen; der Münchhausen kam zur rechten Stunde (1838), grade als die Nation, müde der romantischen Experimente und der jungdeutschen Tendenzen, nach Gestalten von Fleisch und Blut verlangte. Er wurde das Vorbild für die neue Literatur der Dorfgeschichten, die leider, ganz wider des Meisters Absicht, bald den Anspruch erhob für eine selbständige Kunst- gattung zu gelten. Die literarischen Ausfälle des lügenseligen Barons verstand man nach wenigen Jahren schon nicht mehr vollständig, und da die ungeheuere Mehrzahl der Leser immer nur die Theile, niemals das Ganze eines Kunstwerks sieht, so durfte die Betriebsamkeit des Buchhandels ungescheut, sogar unter dem Beifall banausischer Kritiker, sich an der Dich- tung versündigen. Der satirische Theil des Romans, der dem Ganzen Sinn und Namen gab, wurde einfach herausgeworfen, und die Idylle vom Ober- hofe, wohl ausgeflickt durch einzelne Lappen des anderen Theiles, allein dem Büchermarkte dargeboten. In dieser verstümmelten Gestalt ward der Münchhausen ein dauerndes Besitzthum der Nation. Die Geschichte aber, die auch im Künstler den Helden ehrt, hält das Bild des ganzen Mannes fest, so wie er war, nicht verschwenderisch begabt, oftmals irrend, doch rastlos wuchernd mit seinem Pfunde und immer den höchsten Zielen zu- gewendet. Ihm bleibt der Ruhm, daß er in seinen beiden Romanen seinem Zeitalter den Spiegel vorhielt, wie vordem Goethe im Wilhelm Meister und nachher Freytag im Soll und Haben. Nur wer diese Zeitromane kennt, versteht den inneren Zusammenhang der drei Epochen unserer neuesten Geschichte.
Durch die Liebesgeschichte des Oberhofs klang ein zarter, inniger Ton, der Immermann's früheren Werken abging; denn während seine Künstler- kraft sich läuterte, ward er auch im Leben freier und glücklicher. Jahre- lang hatte er mit einer älteren Frau, der Gräfin Ahlefeldt, oft beglückt, öfter gepeinigt, eines jener unklaren Liebesverhältnisse unterhalten, welche in den Kreisen der romantischen Dichter als Kennzeichen des Genies galten. Da ergriff ihn übermächtig die Neigung für ein einfaches Mädchen.
Gestorben war das Herz und lag im Grabe, Dein Zauber weckt es wieder auf der holde --
so rief er der Geliebten zu, und schrieb in der Glückseligkeit seiner jungen Ehe Tristan und Isolde, ein Gedicht voll starker Leidenschaft und schöner sinnlicher Wärme, dem nur der süße Wohllaut fehlte. Aber er so wenig wie einst Meister Gottfried von Straßburg sollte dies hohe Lied der Liebe vollenden. In der Blüthe der Jahre, mitten im fröhlichen Schaffen ward
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
ſchaft. Erſtaunlich, wie dem Niederſachſen hier aus dem heimathlichen Boden friſche Kraft zuſtrömte. Wie viel lebendiger war hier Alles als in ſeinen romantiſchen Mantel- und Degenſtücken, wie viel zuverſichtlicher als in den Epigonen ſprach er jetzt über ſeine „große, der Wunder volle Zeit“.
Brentano’s Erzählung vom ſchönen Annerl war einſt faſt unbemerkt vorübergegangen; der Münchhauſen kam zur rechten Stunde (1838), grade als die Nation, müde der romantiſchen Experimente und der jungdeutſchen Tendenzen, nach Geſtalten von Fleiſch und Blut verlangte. Er wurde das Vorbild für die neue Literatur der Dorfgeſchichten, die leider, ganz wider des Meiſters Abſicht, bald den Anſpruch erhob für eine ſelbſtändige Kunſt- gattung zu gelten. Die literariſchen Ausfälle des lügenſeligen Barons verſtand man nach wenigen Jahren ſchon nicht mehr vollſtändig, und da die ungeheuere Mehrzahl der Leſer immer nur die Theile, niemals das Ganze eines Kunſtwerks ſieht, ſo durfte die Betriebſamkeit des Buchhandels ungeſcheut, ſogar unter dem Beifall banauſiſcher Kritiker, ſich an der Dich- tung verſündigen. Der ſatiriſche Theil des Romans, der dem Ganzen Sinn und Namen gab, wurde einfach herausgeworfen, und die Idylle vom Ober- hofe, wohl ausgeflickt durch einzelne Lappen des anderen Theiles, allein dem Büchermarkte dargeboten. In dieſer verſtümmelten Geſtalt ward der Münchhauſen ein dauerndes Beſitzthum der Nation. Die Geſchichte aber, die auch im Künſtler den Helden ehrt, hält das Bild des ganzen Mannes feſt, ſo wie er war, nicht verſchwenderiſch begabt, oftmals irrend, doch raſtlos wuchernd mit ſeinem Pfunde und immer den höchſten Zielen zu- gewendet. Ihm bleibt der Ruhm, daß er in ſeinen beiden Romanen ſeinem Zeitalter den Spiegel vorhielt, wie vordem Goethe im Wilhelm Meiſter und nachher Freytag im Soll und Haben. Nur wer dieſe Zeitromane kennt, verſteht den inneren Zuſammenhang der drei Epochen unſerer neueſten Geſchichte.
Durch die Liebesgeſchichte des Oberhofs klang ein zarter, inniger Ton, der Immermann’s früheren Werken abging; denn während ſeine Künſtler- kraft ſich läuterte, ward er auch im Leben freier und glücklicher. Jahre- lang hatte er mit einer älteren Frau, der Gräfin Ahlefeldt, oft beglückt, öfter gepeinigt, eines jener unklaren Liebesverhältniſſe unterhalten, welche in den Kreiſen der romantiſchen Dichter als Kennzeichen des Genies galten. Da ergriff ihn übermächtig die Neigung für ein einfaches Mädchen.
Geſtorben war das Herz und lag im Grabe, Dein Zauber weckt es wieder auf der holde —
ſo rief er der Geliebten zu, und ſchrieb in der Glückſeligkeit ſeiner jungen Ehe Triſtan und Iſolde, ein Gedicht voll ſtarker Leidenſchaft und ſchöner ſinnlicher Wärme, dem nur der ſüße Wohllaut fehlte. Aber er ſo wenig wie einſt Meiſter Gottfried von Straßburg ſollte dies hohe Lied der Liebe vollenden. In der Blüthe der Jahre, mitten im fröhlichen Schaffen ward
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ſchaft. Erſtaunlich, wie dem Niederſachſen hier aus dem heimathlichen
Boden friſche Kraft zuſtrömte. Wie viel lebendiger war hier Alles als in
ſeinen romantiſchen Mantel- und Degenſtücken, wie viel zuverſichtlicher als
in den Epigonen ſprach er jetzt über ſeine „große, der Wunder volle Zeit“.
Brentano’s Erzählung vom ſchönen Annerl war einſt faſt unbemerkt
vorübergegangen; der Münchhauſen kam zur rechten Stunde (1838), grade
als die Nation, müde der romantiſchen Experimente und der jungdeutſchen
Tendenzen, nach Geſtalten von Fleiſch und Blut verlangte. Er wurde das
Vorbild für die neue Literatur der Dorfgeſchichten, die leider, ganz wider
des Meiſters Abſicht, bald den Anſpruch erhob für eine ſelbſtändige Kunſt-
gattung zu gelten. Die literariſchen Ausfälle des lügenſeligen Barons
verſtand man nach wenigen Jahren ſchon nicht mehr vollſtändig, und da
die ungeheuere Mehrzahl der Leſer immer nur die Theile, niemals das
Ganze eines Kunſtwerks ſieht, ſo durfte die Betriebſamkeit des Buchhandels
ungeſcheut, ſogar unter dem Beifall banauſiſcher Kritiker, ſich an der Dich-
tung verſündigen. Der ſatiriſche Theil des Romans, der dem Ganzen Sinn
und Namen gab, wurde einfach herausgeworfen, und die Idylle vom Ober-
hofe, wohl ausgeflickt durch einzelne Lappen des anderen Theiles, allein
dem Büchermarkte dargeboten. In dieſer verſtümmelten Geſtalt ward der
Münchhauſen ein dauerndes Beſitzthum der Nation. Die Geſchichte aber,
die auch im Künſtler den Helden ehrt, hält das Bild des ganzen Mannes
feſt, ſo wie er war, nicht verſchwenderiſch begabt, oftmals irrend, doch
raſtlos wuchernd mit ſeinem Pfunde und immer den höchſten Zielen zu-
gewendet. Ihm bleibt der Ruhm, daß er in ſeinen beiden Romanen ſeinem
Zeitalter den Spiegel vorhielt, wie vordem Goethe im Wilhelm Meiſter
und nachher Freytag im Soll und Haben. Nur wer dieſe Zeitromane kennt,
verſteht den inneren Zuſammenhang der drei Epochen unſerer neueſten
Geſchichte.
Durch die Liebesgeſchichte des Oberhofs klang ein zarter, inniger Ton,
der Immermann’s früheren Werken abging; denn während ſeine Künſtler-
kraft ſich läuterte, ward er auch im Leben freier und glücklicher. Jahre-
lang hatte er mit einer älteren Frau, der Gräfin Ahlefeldt, oft beglückt,
öfter gepeinigt, eines jener unklaren Liebesverhältniſſe unterhalten, welche
in den Kreiſen der romantiſchen Dichter als Kennzeichen des Genies galten.
Da ergriff ihn übermächtig die Neigung für ein einfaches Mädchen.
Geſtorben war das Herz und lag im Grabe,
Dein Zauber weckt es wieder auf der holde —
ſo rief er der Geliebten zu, und ſchrieb in der Glückſeligkeit ſeiner jungen
Ehe Triſtan und Iſolde, ein Gedicht voll ſtarker Leidenſchaft und ſchöner
ſinnlicher Wärme, dem nur der ſüße Wohllaut fehlte. Aber er ſo wenig
wie einſt Meiſter Gottfried von Straßburg ſollte dies hohe Lied der Liebe
vollenden. In der Blüthe der Jahre, mitten im fröhlichen Schaffen ward
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/464>, abgerufen am 24.11.2024.
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