schen Soldaten errichtet wurde. Es war ein Meisterstück der Erzgießerei; am Fußgestell prangten die Widderköpfe altrömischer Mauerbrecher und die Inschrift: Auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung. Die Mün- chener Bürger aber, die von der römischen Aries nichts wußten, fragten mit verzeihlichem Erstaunen, warum ihr Monarch seine tapferen Krieger durch vier große Schafköpfe ehren wolle, und als Czar Nikolaus sich den Obelisken besah, mußte König Ludwig seine ganze Beredsamkeit aufbieten, um dem Russen zu beweisen, daß die Inschrift wirklich einen Sinn hätte. Indeß bewiesen Ziebland's Bonifacius-Basilica und Ohlmüller's gothische Kirche in der Au, daß die Münchener Bauhütte auch gesunde Talente zu erziehen wußte. Manche Unternehmungen des kunstsinnigen Königs, die den Zeitgenossen noch sonderbar erschienen, fanden erst nachträglich ihre Rechtfertigung, seit der Verkehr wuchs und freundliche Bürgerhäuser die Prachtbauten rings umschlossen. --
Die redenden wie die bildenden Künste konnten sich den krankhaften Stimmungen des Zeitalters nicht entziehen; die Wissenschaft hingegen be- wahrte das Mark des deutschen Genius fast unversehrt. Sie übernahm jetzt die Erbschaft der großen Ueberlieferungen der classischen und der romantischen Epoche zugleich, und es bezeichnet den verschlungenen Ent- wicklungsgang dieses vom Himmel auf die Erde niedersteigenden Volkes, daß die Deutschen auch in der politischen Geschichtschreibung anderen Na- tionen vorausschritten zu einer Zeit, da die schlichte Tüchtigkeit der preu- ßischen Staatskunst, arm wie sie war an glänzenden Erfolgen, weder daheim noch auswärts irgend gewürdigt wurde. Leopold Ranke hatte mitt- lerweile seine Wanderjahre angetreten. In Wien lernte er Gentz kennen und befestigte sich auf's Neue in der Einsicht, daß der Staat zuerst Macht ist, die Herrschaft über Europa durch das Einverständniß der großen Mächte ausgeübt wird. Dort entstand auch, unter dem frischen Eindrucke der Aufzeichnungen und Gespräche des serbischen Patrioten Wuk die "Ge- schichte der serbischen Revolution", ein Muster lebendiger, das Ferne und Fremde vergegenwärtigender Erzählungskunst, ganz frei von der Schwer- fälligkeit deutscher Zunftgelehrsamkeit und doch kritisch gesichtet und gesichert.
Dann ging er nach Rom, und hier, wo die Kunst und die Alterthums- kunde der Deutschen neues Leben geschöpft hatten, sollte auch die Forschung der neueren Geschichte ihren Jungbrunnen finden. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, die noch lange Ranke's bevorzugtes Arbeitsfeld blieben, umspannte die Politik der Päpste noch die Welt; von Rom und Venedig aus konnte er den Wandel der internationalen Machtverhältnisse nicht vollständig, aber mit annähernder Sicherheit übersehen, die in Italien gesammelten archivalischen Schätze bildeten den Grundstock seiner unver- gleichlichen diplomatischen Gelehrsamkeit. Also ausgerüstet schuf er das
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
ſchen Soldaten errichtet wurde. Es war ein Meiſterſtück der Erzgießerei; am Fußgeſtell prangten die Widderköpfe altrömiſcher Mauerbrecher und die Inſchrift: Auch ſie ſtarben für des Vaterlandes Befreiung. Die Mün- chener Bürger aber, die von der römiſchen Aries nichts wußten, fragten mit verzeihlichem Erſtaunen, warum ihr Monarch ſeine tapferen Krieger durch vier große Schafköpfe ehren wolle, und als Czar Nikolaus ſich den Obelisken beſah, mußte König Ludwig ſeine ganze Beredſamkeit aufbieten, um dem Ruſſen zu beweiſen, daß die Inſchrift wirklich einen Sinn hätte. Indeß bewieſen Ziebland’s Bonifacius-Baſilica und Ohlmüller’s gothiſche Kirche in der Au, daß die Münchener Bauhütte auch geſunde Talente zu erziehen wußte. Manche Unternehmungen des kunſtſinnigen Königs, die den Zeitgenoſſen noch ſonderbar erſchienen, fanden erſt nachträglich ihre Rechtfertigung, ſeit der Verkehr wuchs und freundliche Bürgerhäuſer die Prachtbauten rings umſchloſſen. —
Die redenden wie die bildenden Künſte konnten ſich den krankhaften Stimmungen des Zeitalters nicht entziehen; die Wiſſenſchaft hingegen be- wahrte das Mark des deutſchen Genius faſt unverſehrt. Sie übernahm jetzt die Erbſchaft der großen Ueberlieferungen der claſſiſchen und der romantiſchen Epoche zugleich, und es bezeichnet den verſchlungenen Ent- wicklungsgang dieſes vom Himmel auf die Erde niederſteigenden Volkes, daß die Deutſchen auch in der politiſchen Geſchichtſchreibung anderen Na- tionen vorausſchritten zu einer Zeit, da die ſchlichte Tüchtigkeit der preu- ßiſchen Staatskunſt, arm wie ſie war an glänzenden Erfolgen, weder daheim noch auswärts irgend gewürdigt wurde. Leopold Ranke hatte mitt- lerweile ſeine Wanderjahre angetreten. In Wien lernte er Gentz kennen und befeſtigte ſich auf’s Neue in der Einſicht, daß der Staat zuerſt Macht iſt, die Herrſchaft über Europa durch das Einverſtändniß der großen Mächte ausgeübt wird. Dort entſtand auch, unter dem friſchen Eindrucke der Aufzeichnungen und Geſpräche des ſerbiſchen Patrioten Wuk die „Ge- ſchichte der ſerbiſchen Revolution“, ein Muſter lebendiger, das Ferne und Fremde vergegenwärtigender Erzählungskunſt, ganz frei von der Schwer- fälligkeit deutſcher Zunftgelehrſamkeit und doch kritiſch geſichtet und geſichert.
Dann ging er nach Rom, und hier, wo die Kunſt und die Alterthums- kunde der Deutſchen neues Leben geſchöpft hatten, ſollte auch die Forſchung der neueren Geſchichte ihren Jungbrunnen finden. Im ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhundert, die noch lange Ranke’s bevorzugtes Arbeitsfeld blieben, umſpannte die Politik der Päpſte noch die Welt; von Rom und Venedig aus konnte er den Wandel der internationalen Machtverhältniſſe nicht vollſtändig, aber mit annähernder Sicherheit überſehen, die in Italien geſammelten archivaliſchen Schätze bildeten den Grundſtock ſeiner unver- gleichlichen diplomatiſchen Gelehrſamkeit. Alſo ausgerüſtet ſchuf er das
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
ſchen Soldaten errichtet wurde. Es war ein Meiſterſtück der Erzgießerei;
am Fußgeſtell prangten die Widderköpfe altrömiſcher Mauerbrecher und die
Inſchrift: Auch ſie ſtarben für des Vaterlandes Befreiung. Die Mün-
chener Bürger aber, die von der römiſchen Aries nichts wußten, fragten
mit verzeihlichem Erſtaunen, warum ihr Monarch ſeine tapferen Krieger
durch vier große Schafköpfe ehren wolle, und als Czar Nikolaus ſich den
Obelisken beſah, mußte König Ludwig ſeine ganze Beredſamkeit aufbieten,
um dem Ruſſen zu beweiſen, daß die Inſchrift wirklich einen Sinn hätte.
Indeß bewieſen Ziebland’s Bonifacius-Baſilica und Ohlmüller’s gothiſche
Kirche in der Au, daß die Münchener Bauhütte auch geſunde Talente zu
erziehen wußte. Manche Unternehmungen des kunſtſinnigen Königs, die
den Zeitgenoſſen noch ſonderbar erſchienen, fanden erſt nachträglich ihre
Rechtfertigung, ſeit der Verkehr wuchs und freundliche Bürgerhäuſer die
Prachtbauten rings umſchloſſen. —
Die redenden wie die bildenden Künſte konnten ſich den krankhaften
Stimmungen des Zeitalters nicht entziehen; die Wiſſenſchaft hingegen be-
wahrte das Mark des deutſchen Genius faſt unverſehrt. Sie übernahm
jetzt die Erbſchaft der großen Ueberlieferungen der claſſiſchen und der
romantiſchen Epoche zugleich, und es bezeichnet den verſchlungenen Ent-
wicklungsgang dieſes vom Himmel auf die Erde niederſteigenden Volkes,
daß die Deutſchen auch in der politiſchen Geſchichtſchreibung anderen Na-
tionen vorausſchritten zu einer Zeit, da die ſchlichte Tüchtigkeit der preu-
ßiſchen Staatskunſt, arm wie ſie war an glänzenden Erfolgen, weder
daheim noch auswärts irgend gewürdigt wurde. Leopold Ranke hatte mitt-
lerweile ſeine Wanderjahre angetreten. In Wien lernte er Gentz kennen
und befeſtigte ſich auf’s Neue in der Einſicht, daß der Staat zuerſt Macht
iſt, die Herrſchaft über Europa durch das Einverſtändniß der großen Mächte
ausgeübt wird. Dort entſtand auch, unter dem friſchen Eindrucke der
Aufzeichnungen und Geſpräche des ſerbiſchen Patrioten Wuk die „Ge-
ſchichte der ſerbiſchen Revolution“, ein Muſter lebendiger, das Ferne und
Fremde vergegenwärtigender Erzählungskunſt, ganz frei von der Schwer-
fälligkeit deutſcher Zunftgelehrſamkeit und doch kritiſch geſichtet und geſichert.
Dann ging er nach Rom, und hier, wo die Kunſt und die Alterthums-
kunde der Deutſchen neues Leben geſchöpft hatten, ſollte auch die Forſchung
der neueren Geſchichte ihren Jungbrunnen finden. Im ſechzehnten und
ſiebzehnten Jahrhundert, die noch lange Ranke’s bevorzugtes Arbeitsfeld
blieben, umſpannte die Politik der Päpſte noch die Welt; von Rom und
Venedig aus konnte er den Wandel der internationalen Machtverhältniſſe
nicht vollſtändig, aber mit annähernder Sicherheit überſehen, die in Italien
geſammelten archivaliſchen Schätze bildeten den Grundſtock ſeiner unver-
gleichlichen diplomatiſchen Gelehrſamkeit. Alſo ausgerüſtet ſchuf er das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/478>, abgerufen am 24.11.2024.
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