Die Hofburg zeigte sich kaum weniger friedfertig als das preußische Cabinet; ihre Nachgiebigkeit entsprang dem Bewußtsein der Schwäche. Welche schweren Enttäuschungen brachte dies wilde Jahr dem alternden Staatskanzler! Am 4. Februar hatten die drei Schutzmächte auf der Londoner Conferenz beschlossen, das meuterische Griechenland solle ein unabhängiges, tributfreies Königreich werden. Und nun die Nachricht von dem Sturze der bourbonischen Regierung, deren "guten und äußerst kräftig erwiesenen Willen" Metternich noch zwei Tage zuvor warm belobt hatte! Der in dem Pariser Bundesvertrage und dem geheimen Aachener Protokoll*) vorhergesehene Kriegsfall war nunmehr unzweifelhaft gegeben, wenn anders man die Verträge streng auslegte. Wollte Metternich nicht Alles verleugnen, was er seit fünfzehn Jahren unablässig der Welt gepre- digt hatte, so mußte er jetzt die legitimen Mächte auffordern zum Kampfe gegen die Revolution, die sich in Frankreich drohender, gefährlicher erhob als weiland in Neapel, in Piemont, in Spanien. Und doch wagte er nicht einmal sich auf jene Verträge zu berufen. Die Geschichte war dar- über hinweggeschritten; der Hochmuth, der sich erdreistet hatte dem ewigen Werden der Menschheit ein Halt zuzurufen, zeigte sich in seiner ganzen Blöße. Unter allen großen Mächten war Oesterreich am wenigsten auf einen Krieg vorbereitet. Selbst die beschämenden Erfahrungen des orien- talischen Krieges hatten diesen Hof nicht aus seiner Trägheit aufgerüttelt. Das Heer befand sich noch immer in ebenso elendem Zustande wie der Staatshaushalt. Die Zahl der Mannschaften unter der Fahne blieb weit hinter dem Friedensfuße zurück; die Artillerie brauchte zwei Monate um auszurücken, denn von den Geschützen waren kaum fünfzig bespannt; nur die Reiterei, etwa 40000 Pferde stark, behauptete noch ihren alten Ruf. Dazu viele überalte Generale und Stabsoffiziere; sogar siebzigjährige Hauptleute waren nicht selten, da der sparsame Kaiser Franz Abschieds- gesuche fast ebenso ungern bewilligte wie sein bairischer Schwager. Die Offiziere fühlten sich gedrückt durch den geistlos pedantischen Dienst und auch in der Gesellschaft zurückgesetzt, denn bei Hofe wie in den Kreisen des hohen Adels galten sie nichts; der einzige Feldherr, dem sie vertrauten, Erzherzog Karl blieb Dank der Eifersucht seines kaiserlichen Bruders allen Geschäften fern.**)
Mit einer solchen Kriegsmacht ließ sich ein europäischer Kreuzzug für das legitime Recht nicht führen; genug schon, wenn sie nur in Oesterreichs nächstem Machtgebiete, in Italien, die täglich wachsende revolutionäre Er- regung niederzuhalten vermochte. Rückhaltlos äußerte sich Gentz zu dem badischen Gesandten, dem kriegslustigen alten Kosakenführer General Tetten-
*) s. o. II. 471.
**) Nach General Tettenborn's Berichten (durch Otterstedt an Bernstorff mitgetheilt 1. März 1830).
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Die Hofburg zeigte ſich kaum weniger friedfertig als das preußiſche Cabinet; ihre Nachgiebigkeit entſprang dem Bewußtſein der Schwäche. Welche ſchweren Enttäuſchungen brachte dies wilde Jahr dem alternden Staatskanzler! Am 4. Februar hatten die drei Schutzmächte auf der Londoner Conferenz beſchloſſen, das meuteriſche Griechenland ſolle ein unabhängiges, tributfreies Königreich werden. Und nun die Nachricht von dem Sturze der bourboniſchen Regierung, deren „guten und äußerſt kräftig erwieſenen Willen“ Metternich noch zwei Tage zuvor warm belobt hatte! Der in dem Pariſer Bundesvertrage und dem geheimen Aachener Protokoll*) vorhergeſehene Kriegsfall war nunmehr unzweifelhaft gegeben, wenn anders man die Verträge ſtreng auslegte. Wollte Metternich nicht Alles verleugnen, was er ſeit fünfzehn Jahren unabläſſig der Welt gepre- digt hatte, ſo mußte er jetzt die legitimen Mächte auffordern zum Kampfe gegen die Revolution, die ſich in Frankreich drohender, gefährlicher erhob als weiland in Neapel, in Piemont, in Spanien. Und doch wagte er nicht einmal ſich auf jene Verträge zu berufen. Die Geſchichte war dar- über hinweggeſchritten; der Hochmuth, der ſich erdreiſtet hatte dem ewigen Werden der Menſchheit ein Halt zuzurufen, zeigte ſich in ſeiner ganzen Blöße. Unter allen großen Mächten war Oeſterreich am wenigſten auf einen Krieg vorbereitet. Selbſt die beſchämenden Erfahrungen des orien- taliſchen Krieges hatten dieſen Hof nicht aus ſeiner Trägheit aufgerüttelt. Das Heer befand ſich noch immer in ebenſo elendem Zuſtande wie der Staatshaushalt. Die Zahl der Mannſchaften unter der Fahne blieb weit hinter dem Friedensfuße zurück; die Artillerie brauchte zwei Monate um auszurücken, denn von den Geſchützen waren kaum fünfzig beſpannt; nur die Reiterei, etwa 40000 Pferde ſtark, behauptete noch ihren alten Ruf. Dazu viele überalte Generale und Stabsoffiziere; ſogar ſiebzigjährige Hauptleute waren nicht ſelten, da der ſparſame Kaiſer Franz Abſchieds- geſuche faſt ebenſo ungern bewilligte wie ſein bairiſcher Schwager. Die Offiziere fühlten ſich gedrückt durch den geiſtlos pedantiſchen Dienſt und auch in der Geſellſchaft zurückgeſetzt, denn bei Hofe wie in den Kreiſen des hohen Adels galten ſie nichts; der einzige Feldherr, dem ſie vertrauten, Erzherzog Karl blieb Dank der Eiferſucht ſeines kaiſerlichen Bruders allen Geſchäften fern.**)
Mit einer ſolchen Kriegsmacht ließ ſich ein europäiſcher Kreuzzug für das legitime Recht nicht führen; genug ſchon, wenn ſie nur in Oeſterreichs nächſtem Machtgebiete, in Italien, die täglich wachſende revolutionäre Er- regung niederzuhalten vermochte. Rückhaltlos äußerte ſich Gentz zu dem badiſchen Geſandten, dem kriegsluſtigen alten Koſakenführer General Tetten-
*) ſ. o. II. 471.
**) Nach General Tettenborn’s Berichten (durch Otterſtedt an Bernſtorff mitgetheilt 1. März 1830).
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0052"n="38"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.</fw><lb/><p>Die Hofburg zeigte ſich kaum weniger friedfertig als das preußiſche<lb/>
Cabinet; ihre Nachgiebigkeit entſprang dem Bewußtſein der Schwäche.<lb/>
Welche ſchweren Enttäuſchungen brachte dies wilde Jahr dem alternden<lb/>
Staatskanzler! Am 4. Februar hatten die drei Schutzmächte auf der<lb/>
Londoner Conferenz beſchloſſen, das meuteriſche Griechenland ſolle ein<lb/>
unabhängiges, tributfreies Königreich werden. Und nun die Nachricht<lb/>
von dem Sturze der bourboniſchen Regierung, deren „guten und äußerſt<lb/>
kräftig erwieſenen Willen“ Metternich noch zwei Tage zuvor warm belobt<lb/>
hatte! Der in dem Pariſer Bundesvertrage und dem geheimen Aachener<lb/>
Protokoll<noteplace="foot"n="*)">ſ. o. <hirendition="#aq">II.</hi> 471.</note> vorhergeſehene Kriegsfall war nunmehr unzweifelhaft gegeben,<lb/>
wenn anders man die Verträge ſtreng auslegte. Wollte Metternich nicht<lb/>
Alles verleugnen, was er ſeit fünfzehn Jahren unabläſſig der Welt gepre-<lb/>
digt hatte, ſo mußte er jetzt die legitimen Mächte auffordern zum Kampfe<lb/>
gegen die Revolution, die ſich in Frankreich drohender, gefährlicher erhob<lb/>
als weiland in Neapel, in Piemont, in Spanien. Und doch wagte er<lb/>
nicht einmal ſich auf jene Verträge zu berufen. Die Geſchichte war dar-<lb/>
über hinweggeſchritten; der Hochmuth, der ſich erdreiſtet hatte dem ewigen<lb/>
Werden der Menſchheit ein Halt zuzurufen, zeigte ſich in ſeiner ganzen<lb/>
Blöße. Unter allen großen Mächten war Oeſterreich am wenigſten auf<lb/>
einen Krieg vorbereitet. Selbſt die beſchämenden Erfahrungen des orien-<lb/>
taliſchen Krieges hatten dieſen Hof nicht aus ſeiner Trägheit aufgerüttelt.<lb/>
Das Heer befand ſich noch immer in ebenſo elendem Zuſtande wie der<lb/>
Staatshaushalt. Die Zahl der Mannſchaften unter der Fahne blieb<lb/>
weit hinter dem Friedensfuße zurück; die Artillerie brauchte zwei Monate<lb/>
um auszurücken, denn von den Geſchützen waren kaum fünfzig beſpannt;<lb/>
nur die Reiterei, etwa 40000 Pferde ſtark, behauptete noch ihren alten<lb/>
Ruf. Dazu viele überalte Generale und Stabsoffiziere; ſogar ſiebzigjährige<lb/>
Hauptleute waren nicht ſelten, da der ſparſame Kaiſer Franz Abſchieds-<lb/>
geſuche faſt ebenſo ungern bewilligte wie ſein bairiſcher Schwager. Die<lb/>
Offiziere fühlten ſich gedrückt durch den geiſtlos pedantiſchen Dienſt und<lb/>
auch in der Geſellſchaft zurückgeſetzt, denn bei Hofe wie in den Kreiſen<lb/>
des hohen Adels galten ſie nichts; der einzige Feldherr, dem ſie vertrauten,<lb/>
Erzherzog Karl blieb Dank der Eiferſucht ſeines kaiſerlichen Bruders allen<lb/>
Geſchäften fern.<noteplace="foot"n="**)">Nach General Tettenborn’s Berichten (durch Otterſtedt an Bernſtorff mitgetheilt<lb/>
1. März 1830).</note></p><lb/><p>Mit einer ſolchen Kriegsmacht ließ ſich ein europäiſcher Kreuzzug für<lb/>
das legitime Recht nicht führen; genug ſchon, wenn ſie nur in Oeſterreichs<lb/>
nächſtem Machtgebiete, in Italien, die täglich wachſende revolutionäre Er-<lb/>
regung niederzuhalten vermochte. Rückhaltlos äußerte ſich Gentz zu dem<lb/>
badiſchen Geſandten, dem kriegsluſtigen alten Koſakenführer General Tetten-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[38/0052]
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Die Hofburg zeigte ſich kaum weniger friedfertig als das preußiſche
Cabinet; ihre Nachgiebigkeit entſprang dem Bewußtſein der Schwäche.
Welche ſchweren Enttäuſchungen brachte dies wilde Jahr dem alternden
Staatskanzler! Am 4. Februar hatten die drei Schutzmächte auf der
Londoner Conferenz beſchloſſen, das meuteriſche Griechenland ſolle ein
unabhängiges, tributfreies Königreich werden. Und nun die Nachricht
von dem Sturze der bourboniſchen Regierung, deren „guten und äußerſt
kräftig erwieſenen Willen“ Metternich noch zwei Tage zuvor warm belobt
hatte! Der in dem Pariſer Bundesvertrage und dem geheimen Aachener
Protokoll *) vorhergeſehene Kriegsfall war nunmehr unzweifelhaft gegeben,
wenn anders man die Verträge ſtreng auslegte. Wollte Metternich nicht
Alles verleugnen, was er ſeit fünfzehn Jahren unabläſſig der Welt gepre-
digt hatte, ſo mußte er jetzt die legitimen Mächte auffordern zum Kampfe
gegen die Revolution, die ſich in Frankreich drohender, gefährlicher erhob
als weiland in Neapel, in Piemont, in Spanien. Und doch wagte er
nicht einmal ſich auf jene Verträge zu berufen. Die Geſchichte war dar-
über hinweggeſchritten; der Hochmuth, der ſich erdreiſtet hatte dem ewigen
Werden der Menſchheit ein Halt zuzurufen, zeigte ſich in ſeiner ganzen
Blöße. Unter allen großen Mächten war Oeſterreich am wenigſten auf
einen Krieg vorbereitet. Selbſt die beſchämenden Erfahrungen des orien-
taliſchen Krieges hatten dieſen Hof nicht aus ſeiner Trägheit aufgerüttelt.
Das Heer befand ſich noch immer in ebenſo elendem Zuſtande wie der
Staatshaushalt. Die Zahl der Mannſchaften unter der Fahne blieb
weit hinter dem Friedensfuße zurück; die Artillerie brauchte zwei Monate
um auszurücken, denn von den Geſchützen waren kaum fünfzig beſpannt;
nur die Reiterei, etwa 40000 Pferde ſtark, behauptete noch ihren alten
Ruf. Dazu viele überalte Generale und Stabsoffiziere; ſogar ſiebzigjährige
Hauptleute waren nicht ſelten, da der ſparſame Kaiſer Franz Abſchieds-
geſuche faſt ebenſo ungern bewilligte wie ſein bairiſcher Schwager. Die
Offiziere fühlten ſich gedrückt durch den geiſtlos pedantiſchen Dienſt und
auch in der Geſellſchaft zurückgeſetzt, denn bei Hofe wie in den Kreiſen
des hohen Adels galten ſie nichts; der einzige Feldherr, dem ſie vertrauten,
Erzherzog Karl blieb Dank der Eiferſucht ſeines kaiſerlichen Bruders allen
Geſchäften fern. **)
Mit einer ſolchen Kriegsmacht ließ ſich ein europäiſcher Kreuzzug für
das legitime Recht nicht führen; genug ſchon, wenn ſie nur in Oeſterreichs
nächſtem Machtgebiete, in Italien, die täglich wachſende revolutionäre Er-
regung niederzuhalten vermochte. Rückhaltlos äußerte ſich Gentz zu dem
badiſchen Geſandten, dem kriegsluſtigen alten Koſakenführer General Tetten-
*) ſ. o. II. 471.
**) Nach General Tettenborn’s Berichten (durch Otterſtedt an Bernſtorff mitgetheilt
1. März 1830).
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/52>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.