er gab nach und erbot sich, einen preußischen Commissär in einen russi- schen Grenzplatz einzulassen. Auch dies wurde rundweg abgelehnt. Fürst Galitzin und Graf Benckendorff, die der Czar nach Berlin schickte, mußten unverrichteter Sache heimkehren. Auf Nikolaus' dringende Bitten sendete der König einen seiner Flügeladjutanten, um gemeinsam mit einem Adju- tanten des Czaren die Grenze zu bereisen. Da ergab sich denn, daß die preußischen Beamten überall ihre Amtspflicht erfüllt hatten; der russische Flügeladjutant hingegen benutzte diese Dienstreise um selber für einige tausend Thaler französische und englische Waaren in sein Vaterland hin- überzupaschen.
Nach dieser Probe moskowitischer Zuverlässigkeit wagte der Gesandte Ribeaupierre noch zu verlangen, daß jeder preußische Kaufmann, der im Grenzbezirke an russische Unterthanen zollpflichtige Waaren verkaufe, als Schmuggler bestraft würde. Der Finanzminister aber erwiderte, dann würde Preußen ein Vasallenstaat Rußlands, und gab nur die trockene Ver- sicherung, man werde jeden auf handhafter That ergriffenen Schmuggler ohne Unterschied bestrafen.*) Das sagte gar nichts; denn da Preußen keine Ausfuhrzölle erhob, so ließ man auch den Ausfuhrverkehr nicht über- wachen. Also wurde, zu Nikolaus' Entrüstung, jeder russische Antrag von der Hand gewiesen. Die preußische Regierung wollte ihren Unterthanen die Nothwehr gegen den barbarischen Nachbarstaat nicht untersagen, ob- gleich sie sehr wohl wußte, daß dieser Schleichhandel auch die ostpreußische Grenzbevölkerung entsittlichte. Als Nesselrode dem Berliner Hofe vorhielt, Preußen sorge doch für die Verhinderung des Schmuggels in den Staaten des Zollvereins, da erfolgte die ironische Antwort: mit Rußland habe der König keinen Zollverein geschlossen, auch fühle er sich durchaus nicht ver- pflichtet, für die Durchführung eines ausländischen Zollgesetzes zu sorgen.
Nun versuchte Nikolaus (1840) durch eine Eisenbahn von der Memel nach Liebau das preußische Gebiet zu umgehen; sein Schwiegervater aber befahl alsbald, diese Eisenbahnpapiere dürften an der Berliner Börse nicht gehandelt werden, und dadurch empfing das Unternehmen den Todesstoß. Oberpräsident Schön meinte verächtlich: warum wolle man sich so sehr er- eifern? diese Moskowiter brächten ja doch nichts zu Stande; seit den Zeiten Katharina's planten sie schon einen Kanal von der Memel nach Liebau; die Chaussee von Tauroggen nach Mitau hätten sie in elf Jahren noch nicht vollendet, obgleich die preußische Strecke bis zur Grenze längst gebaut sei und Nikolaus persönlich die Sache betreibe.**) Der gewiegte Kenner der russischen Verwaltung sollte Recht behalten; die anarchischen Zustände an der Grenze blieben durch viele Jahre unverändert. Die Russen benutzten den Vortheil, welchen die Barbarei vor der Civilisation
*) Stockhausen's Bericht, 10. Aug. 1838.
**) Schön an Lottum, 27. März 1840.
IV. 8. Stille Jahre.
er gab nach und erbot ſich, einen preußiſchen Commiſſär in einen ruſſi- ſchen Grenzplatz einzulaſſen. Auch dies wurde rundweg abgelehnt. Fürſt Galitzin und Graf Benckendorff, die der Czar nach Berlin ſchickte, mußten unverrichteter Sache heimkehren. Auf Nikolaus’ dringende Bitten ſendete der König einen ſeiner Flügeladjutanten, um gemeinſam mit einem Adju- tanten des Czaren die Grenze zu bereiſen. Da ergab ſich denn, daß die preußiſchen Beamten überall ihre Amtspflicht erfüllt hatten; der ruſſiſche Flügeladjutant hingegen benutzte dieſe Dienſtreiſe um ſelber für einige tauſend Thaler franzöſiſche und engliſche Waaren in ſein Vaterland hin- überzupaſchen.
Nach dieſer Probe moskowitiſcher Zuverläſſigkeit wagte der Geſandte Ribeaupierre noch zu verlangen, daß jeder preußiſche Kaufmann, der im Grenzbezirke an ruſſiſche Unterthanen zollpflichtige Waaren verkaufe, als Schmuggler beſtraft würde. Der Finanzminiſter aber erwiderte, dann würde Preußen ein Vaſallenſtaat Rußlands, und gab nur die trockene Ver- ſicherung, man werde jeden auf handhafter That ergriffenen Schmuggler ohne Unterſchied beſtrafen.*) Das ſagte gar nichts; denn da Preußen keine Ausfuhrzölle erhob, ſo ließ man auch den Ausfuhrverkehr nicht über- wachen. Alſo wurde, zu Nikolaus’ Entrüſtung, jeder ruſſiſche Antrag von der Hand gewieſen. Die preußiſche Regierung wollte ihren Unterthanen die Nothwehr gegen den barbariſchen Nachbarſtaat nicht unterſagen, ob- gleich ſie ſehr wohl wußte, daß dieſer Schleichhandel auch die oſtpreußiſche Grenzbevölkerung entſittlichte. Als Neſſelrode dem Berliner Hofe vorhielt, Preußen ſorge doch für die Verhinderung des Schmuggels in den Staaten des Zollvereins, da erfolgte die ironiſche Antwort: mit Rußland habe der König keinen Zollverein geſchloſſen, auch fühle er ſich durchaus nicht ver- pflichtet, für die Durchführung eines ausländiſchen Zollgeſetzes zu ſorgen.
Nun verſuchte Nikolaus (1840) durch eine Eiſenbahn von der Memel nach Liebau das preußiſche Gebiet zu umgehen; ſein Schwiegervater aber befahl alsbald, dieſe Eiſenbahnpapiere dürften an der Berliner Börſe nicht gehandelt werden, und dadurch empfing das Unternehmen den Todesſtoß. Oberpräſident Schön meinte verächtlich: warum wolle man ſich ſo ſehr er- eifern? dieſe Moskowiter brächten ja doch nichts zu Stande; ſeit den Zeiten Katharina’s planten ſie ſchon einen Kanal von der Memel nach Liebau; die Chauſſee von Tauroggen nach Mitau hätten ſie in elf Jahren noch nicht vollendet, obgleich die preußiſche Strecke bis zur Grenze längſt gebaut ſei und Nikolaus perſönlich die Sache betreibe.**) Der gewiegte Kenner der ruſſiſchen Verwaltung ſollte Recht behalten; die anarchiſchen Zuſtände an der Grenze blieben durch viele Jahre unverändert. Die Ruſſen benutzten den Vortheil, welchen die Barbarei vor der Civiliſation
*) Stockhauſen’s Bericht, 10. Aug. 1838.
**) Schön an Lottum, 27. März 1840.
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ſchen Grenzplatz einzulaſſen. Auch dies wurde rundweg abgelehnt. Fürſt
Galitzin und Graf Benckendorff, die der Czar nach Berlin ſchickte, mußten
unverrichteter Sache heimkehren. Auf Nikolaus’ dringende Bitten ſendete
der König einen ſeiner Flügeladjutanten, um gemeinſam mit einem Adju-
tanten des Czaren die Grenze zu bereiſen. Da ergab ſich denn, daß die
preußiſchen Beamten überall ihre Amtspflicht erfüllt hatten; der ruſſiſche
Flügeladjutant hingegen benutzte dieſe Dienſtreiſe um ſelber für einige
tauſend Thaler franzöſiſche und engliſche Waaren in ſein Vaterland hin-
überzupaſchen.
Nach dieſer Probe moskowitiſcher Zuverläſſigkeit wagte der Geſandte
Ribeaupierre noch zu verlangen, daß jeder preußiſche Kaufmann, der im
Grenzbezirke an ruſſiſche Unterthanen zollpflichtige Waaren verkaufe, als
Schmuggler beſtraft würde. Der Finanzminiſter aber erwiderte, dann
würde Preußen ein Vaſallenſtaat Rußlands, und gab nur die trockene Ver-
ſicherung, man werde jeden auf handhafter That ergriffenen Schmuggler
ohne Unterſchied beſtrafen. *) Das ſagte gar nichts; denn da Preußen
keine Ausfuhrzölle erhob, ſo ließ man auch den Ausfuhrverkehr nicht über-
wachen. Alſo wurde, zu Nikolaus’ Entrüſtung, jeder ruſſiſche Antrag von
der Hand gewieſen. Die preußiſche Regierung wollte ihren Unterthanen
die Nothwehr gegen den barbariſchen Nachbarſtaat nicht unterſagen, ob-
gleich ſie ſehr wohl wußte, daß dieſer Schleichhandel auch die oſtpreußiſche
Grenzbevölkerung entſittlichte. Als Neſſelrode dem Berliner Hofe vorhielt,
Preußen ſorge doch für die Verhinderung des Schmuggels in den Staaten
des Zollvereins, da erfolgte die ironiſche Antwort: mit Rußland habe der
König keinen Zollverein geſchloſſen, auch fühle er ſich durchaus nicht ver-
pflichtet, für die Durchführung eines ausländiſchen Zollgeſetzes zu ſorgen.
Nun verſuchte Nikolaus (1840) durch eine Eiſenbahn von der Memel
nach Liebau das preußiſche Gebiet zu umgehen; ſein Schwiegervater aber
befahl alsbald, dieſe Eiſenbahnpapiere dürften an der Berliner Börſe nicht
gehandelt werden, und dadurch empfing das Unternehmen den Todesſtoß.
Oberpräſident Schön meinte verächtlich: warum wolle man ſich ſo ſehr er-
eifern? dieſe Moskowiter brächten ja doch nichts zu Stande; ſeit den
Zeiten Katharina’s planten ſie ſchon einen Kanal von der Memel nach
Liebau; die Chauſſee von Tauroggen nach Mitau hätten ſie in elf Jahren
noch nicht vollendet, obgleich die preußiſche Strecke bis zur Grenze längſt
gebaut ſei und Nikolaus perſönlich die Sache betreibe. **) Der gewiegte
Kenner der ruſſiſchen Verwaltung ſollte Recht behalten; die anarchiſchen
Zuſtände an der Grenze blieben durch viele Jahre unverändert. Die
Ruſſen benutzten den Vortheil, welchen die Barbarei vor der Civiliſation
*) Stockhauſen’s Bericht, 10. Aug. 1838.
**) Schön an Lottum, 27. März 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/548>, abgerufen am 24.11.2024.
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