Artikel wider Preußens Handelspolitik. Die klugen Londoner Kaufleute hörten mit Herzenslust auf die abstrakten Freihandelslehren des gelehrten Schwaben; er aber hatte sich in das hanseatische Weltbürgerthum schon ganz eingelebt, er fühlte kaum, wie schwer er sich an Deutschland ver- sündigte, wenn er in einem englischen Organe die wirthschaftliche Einheit seiner Nation bekämpfte und das Ausland vor Preußens friedlichen Erobe- rungen warnte.
Von deutschen Dingen verstand Urquhart, wie alle Briten, sehr wenig; sein gutes Glück spielte ihm aber zwei Schriften von Gustav Kombst in die Hände: "Der Deutsche Bundestag gegen Ende des Jahres 1832" und "Authentische Aktenstücke aus den Archiven des Deutschen Bundes". Kombst war Beamter bei der preußischen Bundesgesandtschaft, ein gemeiner, eitler, wüster Mensch; die Lebenserinnerungen, die er nachher als Flüchtling schrieb, gewährten einen lehrreichen Einblick in die sittliche Verwilderung der jungdeutschen Radicalen. Er wurde wegen Ungehorsams seines Amtes entlassen und stahl zum Abschied aus Nagler's Papieren eine Reihe ge- heimer Aktenstücke, die er sofort in Straßburg mit gesinnungstüchtigen Zusätzen drucken ließ. Die Schriftstücke waren sämmtlich echt, nur die Namen der Verfasser hatte der unwissende Herausgeber oft falsch ange- geben. Daher beschlossen die peinlich überraschten Regierungen zu schweigen; die beiden Schriften wurden streng verboten und verschwanden bald ganz vom Büchermarkte.*) Erst Urquhart brachte sie wieder in Umlauf, indem er sie im Portfolio großentheils übersetzen ließ. Der Lärm war gewaltig; denn der Brite hatte nur ausgewählt was die deutschen Großmächte vor den Liberalen verdächtigen mußte. Also ward ihm und dem englischen Volke die Freude, daß die Deutschen sich wieder einmal wegen abgethaner Dinge untereinander verklagten und verleumdeten.
Urquhart's Werk rief eine lange Reihe russischer Gegenschriften her- vor: so die Causeries sur le Portfolio, die mit kindlicher Treuherzigkeit die harmlose Friedensliebe des Petersburger Hofes rühmten, und das viel- besprochene anonyme Buch "Die europäische Pentarchie" (1839), von Gold- mann, einem jener gewandten polnischen Juden, welche Rußland gern als geheime Agenten gebrauchte. Der Pentarchist versicherte inbrünstig, daß er "in keiner Verbindung zu irgend einer Regierung stehe", und in der That scheint das an plumpen Erfindungen sehr reiche Buch wohl auf Geheiß des russischen Hofes geschrieben, doch nicht vorher in Petersburg geprüft worden zu sein; manche seiner Behauptungen verriethen nur die vorlaute Zudringlichkeit eines betriebsamen Strebers. In einer Denk- schrift "über Deutschlands Zustand und Zukunft", die dem Portfolio ver- rathen und allgemein für ein Werk Nesselrode's gehalten wurde, hatte Goldmann schon vor fünf Jahren den Gedanken ausgeführt, daß Ruß-
*) Berichte von Blittersdorff, 29. Juli, von Maltzan, 7. Aug. 1835.
IV. 8. Stille Jahre.
Artikel wider Preußens Handelspolitik. Die klugen Londoner Kaufleute hörten mit Herzensluſt auf die abſtrakten Freihandelslehren des gelehrten Schwaben; er aber hatte ſich in das hanſeatiſche Weltbürgerthum ſchon ganz eingelebt, er fühlte kaum, wie ſchwer er ſich an Deutſchland ver- ſündigte, wenn er in einem engliſchen Organe die wirthſchaftliche Einheit ſeiner Nation bekämpfte und das Ausland vor Preußens friedlichen Erobe- rungen warnte.
Von deutſchen Dingen verſtand Urquhart, wie alle Briten, ſehr wenig; ſein gutes Glück ſpielte ihm aber zwei Schriften von Guſtav Kombſt in die Hände: „Der Deutſche Bundestag gegen Ende des Jahres 1832“ und „Authentiſche Aktenſtücke aus den Archiven des Deutſchen Bundes“. Kombſt war Beamter bei der preußiſchen Bundesgeſandtſchaft, ein gemeiner, eitler, wüſter Menſch; die Lebenserinnerungen, die er nachher als Flüchtling ſchrieb, gewährten einen lehrreichen Einblick in die ſittliche Verwilderung der jungdeutſchen Radicalen. Er wurde wegen Ungehorſams ſeines Amtes entlaſſen und ſtahl zum Abſchied aus Nagler’s Papieren eine Reihe ge- heimer Aktenſtücke, die er ſofort in Straßburg mit geſinnungstüchtigen Zuſätzen drucken ließ. Die Schriftſtücke waren ſämmtlich echt, nur die Namen der Verfaſſer hatte der unwiſſende Herausgeber oft falſch ange- geben. Daher beſchloſſen die peinlich überraſchten Regierungen zu ſchweigen; die beiden Schriften wurden ſtreng verboten und verſchwanden bald ganz vom Büchermarkte.*) Erſt Urquhart brachte ſie wieder in Umlauf, indem er ſie im Portfolio großentheils überſetzen ließ. Der Lärm war gewaltig; denn der Brite hatte nur ausgewählt was die deutſchen Großmächte vor den Liberalen verdächtigen mußte. Alſo ward ihm und dem engliſchen Volke die Freude, daß die Deutſchen ſich wieder einmal wegen abgethaner Dinge untereinander verklagten und verleumdeten.
Urquhart’s Werk rief eine lange Reihe ruſſiſcher Gegenſchriften her- vor: ſo die Causeries sur le Portfolio, die mit kindlicher Treuherzigkeit die harmloſe Friedensliebe des Petersburger Hofes rühmten, und das viel- beſprochene anonyme Buch „Die europäiſche Pentarchie“ (1839), von Gold- mann, einem jener gewandten polniſchen Juden, welche Rußland gern als geheime Agenten gebrauchte. Der Pentarchiſt verſicherte inbrünſtig, daß er „in keiner Verbindung zu irgend einer Regierung ſtehe“, und in der That ſcheint das an plumpen Erfindungen ſehr reiche Buch wohl auf Geheiß des ruſſiſchen Hofes geſchrieben, doch nicht vorher in Petersburg geprüft worden zu ſein; manche ſeiner Behauptungen verriethen nur die vorlaute Zudringlichkeit eines betriebſamen Strebers. In einer Denk- ſchrift „über Deutſchlands Zuſtand und Zukunft“, die dem Portfolio ver- rathen und allgemein für ein Werk Neſſelrode’s gehalten wurde, hatte Goldmann ſchon vor fünf Jahren den Gedanken ausgeführt, daß Ruß-
*) Berichte von Blittersdorff, 29. Juli, von Maltzan, 7. Aug. 1835.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0554"n="540"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 8. Stille Jahre.</fw><lb/>
Artikel wider Preußens Handelspolitik. Die klugen Londoner Kaufleute<lb/>
hörten mit Herzensluſt auf die abſtrakten Freihandelslehren des gelehrten<lb/>
Schwaben; er aber hatte ſich in das hanſeatiſche Weltbürgerthum ſchon<lb/>
ganz eingelebt, er fühlte kaum, wie ſchwer er ſich an Deutſchland ver-<lb/>ſündigte, wenn er in einem engliſchen Organe die wirthſchaftliche Einheit<lb/>ſeiner Nation bekämpfte und das Ausland vor Preußens friedlichen Erobe-<lb/>
rungen warnte.</p><lb/><p>Von deutſchen Dingen verſtand Urquhart, wie alle Briten, ſehr wenig;<lb/>ſein gutes Glück ſpielte ihm aber zwei Schriften von Guſtav Kombſt in<lb/>
die Hände: „Der Deutſche Bundestag gegen Ende des Jahres 1832“ und<lb/>„Authentiſche Aktenſtücke aus den Archiven des Deutſchen Bundes“. Kombſt<lb/>
war Beamter bei der preußiſchen Bundesgeſandtſchaft, ein gemeiner, eitler,<lb/>
wüſter Menſch; die Lebenserinnerungen, die er nachher als Flüchtling<lb/>ſchrieb, gewährten einen lehrreichen Einblick in die ſittliche Verwilderung<lb/>
der jungdeutſchen Radicalen. Er wurde wegen Ungehorſams ſeines Amtes<lb/>
entlaſſen und ſtahl zum Abſchied aus Nagler’s Papieren eine Reihe ge-<lb/>
heimer Aktenſtücke, die er ſofort in Straßburg mit geſinnungstüchtigen<lb/>
Zuſätzen drucken ließ. Die Schriftſtücke waren ſämmtlich echt, nur die<lb/>
Namen der Verfaſſer hatte der unwiſſende Herausgeber oft falſch ange-<lb/>
geben. Daher beſchloſſen die peinlich überraſchten Regierungen zu ſchweigen;<lb/>
die beiden Schriften wurden ſtreng verboten und verſchwanden bald ganz<lb/>
vom Büchermarkte.<noteplace="foot"n="*)">Berichte von Blittersdorff, 29. Juli, von Maltzan, 7. Aug. 1835.</note> Erſt Urquhart brachte ſie wieder in Umlauf, indem<lb/>
er ſie im Portfolio großentheils überſetzen ließ. Der Lärm war gewaltig;<lb/>
denn der Brite hatte nur ausgewählt was die deutſchen Großmächte vor<lb/>
den Liberalen verdächtigen mußte. Alſo ward ihm und dem engliſchen<lb/>
Volke die Freude, daß die Deutſchen ſich wieder einmal wegen abgethaner<lb/>
Dinge untereinander verklagten und verleumdeten.</p><lb/><p>Urquhart’s Werk rief eine lange Reihe ruſſiſcher Gegenſchriften her-<lb/>
vor: ſo die <hirendition="#aq">Causeries sur le Portfolio,</hi> die mit kindlicher Treuherzigkeit<lb/>
die harmloſe Friedensliebe des Petersburger Hofes rühmten, und das viel-<lb/>
beſprochene anonyme Buch „Die europäiſche Pentarchie“ (1839), von Gold-<lb/>
mann, einem jener gewandten polniſchen Juden, welche Rußland gern als<lb/>
geheime Agenten gebrauchte. Der Pentarchiſt verſicherte inbrünſtig, daß<lb/>
er „in keiner Verbindung zu irgend einer Regierung ſtehe“, und in der<lb/>
That ſcheint das an plumpen Erfindungen ſehr reiche Buch wohl auf<lb/>
Geheiß des ruſſiſchen Hofes geſchrieben, doch nicht vorher in Petersburg<lb/>
geprüft worden zu ſein; manche ſeiner Behauptungen verriethen nur die<lb/>
vorlaute Zudringlichkeit eines betriebſamen Strebers. In einer Denk-<lb/>ſchrift „über Deutſchlands Zuſtand und Zukunft“, die dem Portfolio ver-<lb/>
rathen und allgemein für ein Werk Neſſelrode’s gehalten wurde, hatte<lb/>
Goldmann ſchon vor fünf Jahren den Gedanken ausgeführt, daß Ruß-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[540/0554]
IV. 8. Stille Jahre.
Artikel wider Preußens Handelspolitik. Die klugen Londoner Kaufleute
hörten mit Herzensluſt auf die abſtrakten Freihandelslehren des gelehrten
Schwaben; er aber hatte ſich in das hanſeatiſche Weltbürgerthum ſchon
ganz eingelebt, er fühlte kaum, wie ſchwer er ſich an Deutſchland ver-
ſündigte, wenn er in einem engliſchen Organe die wirthſchaftliche Einheit
ſeiner Nation bekämpfte und das Ausland vor Preußens friedlichen Erobe-
rungen warnte.
Von deutſchen Dingen verſtand Urquhart, wie alle Briten, ſehr wenig;
ſein gutes Glück ſpielte ihm aber zwei Schriften von Guſtav Kombſt in
die Hände: „Der Deutſche Bundestag gegen Ende des Jahres 1832“ und
„Authentiſche Aktenſtücke aus den Archiven des Deutſchen Bundes“. Kombſt
war Beamter bei der preußiſchen Bundesgeſandtſchaft, ein gemeiner, eitler,
wüſter Menſch; die Lebenserinnerungen, die er nachher als Flüchtling
ſchrieb, gewährten einen lehrreichen Einblick in die ſittliche Verwilderung
der jungdeutſchen Radicalen. Er wurde wegen Ungehorſams ſeines Amtes
entlaſſen und ſtahl zum Abſchied aus Nagler’s Papieren eine Reihe ge-
heimer Aktenſtücke, die er ſofort in Straßburg mit geſinnungstüchtigen
Zuſätzen drucken ließ. Die Schriftſtücke waren ſämmtlich echt, nur die
Namen der Verfaſſer hatte der unwiſſende Herausgeber oft falſch ange-
geben. Daher beſchloſſen die peinlich überraſchten Regierungen zu ſchweigen;
die beiden Schriften wurden ſtreng verboten und verſchwanden bald ganz
vom Büchermarkte. *) Erſt Urquhart brachte ſie wieder in Umlauf, indem
er ſie im Portfolio großentheils überſetzen ließ. Der Lärm war gewaltig;
denn der Brite hatte nur ausgewählt was die deutſchen Großmächte vor
den Liberalen verdächtigen mußte. Alſo ward ihm und dem engliſchen
Volke die Freude, daß die Deutſchen ſich wieder einmal wegen abgethaner
Dinge untereinander verklagten und verleumdeten.
Urquhart’s Werk rief eine lange Reihe ruſſiſcher Gegenſchriften her-
vor: ſo die Causeries sur le Portfolio, die mit kindlicher Treuherzigkeit
die harmloſe Friedensliebe des Petersburger Hofes rühmten, und das viel-
beſprochene anonyme Buch „Die europäiſche Pentarchie“ (1839), von Gold-
mann, einem jener gewandten polniſchen Juden, welche Rußland gern als
geheime Agenten gebrauchte. Der Pentarchiſt verſicherte inbrünſtig, daß
er „in keiner Verbindung zu irgend einer Regierung ſtehe“, und in der
That ſcheint das an plumpen Erfindungen ſehr reiche Buch wohl auf
Geheiß des ruſſiſchen Hofes geſchrieben, doch nicht vorher in Petersburg
geprüft worden zu ſein; manche ſeiner Behauptungen verriethen nur die
vorlaute Zudringlichkeit eines betriebſamen Strebers. In einer Denk-
ſchrift „über Deutſchlands Zuſtand und Zukunft“, die dem Portfolio ver-
rathen und allgemein für ein Werk Neſſelrode’s gehalten wurde, hatte
Goldmann ſchon vor fünf Jahren den Gedanken ausgeführt, daß Ruß-
*) Berichte von Blittersdorff, 29. Juli, von Maltzan, 7. Aug. 1835.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/554>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.