Westen folge und die französische Gesetzgebung bei sich einführe. Cleri- cale und liberale Bestrebungen fanden sich in diesen Kreisen zusammen; man begeisterte sich für "die vier Freiheiten" des belgischen Musterlandes, die Freiheit der Kirche, der Schule, der Presse, der Vereine. Die alt- ländischen Beamten traten solchen zuversichtlichen Wünschen nur kleinlaut entgegen, weil sie alle fühlten, daß die öffentliche Meinung des gesammten Südens und Westens hinter den Rheinländern stand, und die Krone diese wichtigste ihrer neuen Provinzen um jeden Preis schonen wollte.
Bei seinen Gebietserweiterungen hat Preußen bis zum heutigen Tage oftmals erfahren, daß die jüngere Generation, die immer nur Klagen über die neue Ordnung gehört hat, sich feindseliger zu dem deutschen Staate stellt, als die ältere unter dem Drucke der alten Zustände aufgewachsene. So hatte sich auch im Rheinland die Stimmung mit den Jahren unver- kennbar verschlechtert. An einen Abfall dachte freilich Niemand, da der Wohlstand der Provinz unter den Schwingen des Adlers so fröhlich ge- dieh. Selbst ein Gefühl dynastischer Anhänglichkeit begann sich in den alten Krummstabsgebieten zu regen, als der Kronprinz im Herbst 1833, sehr zur rechten Zeit, dies sein Lieblingsland wieder besuchte. Da eilte alle Welt nach Coblenz, Viele wohl um sich an den Strahlen der auf- gehenden Sonne zu wärmen, aber Manche auch voll ehrlicher Treue. Im Ahrthal war den Fluß entlang eine neue Landstraße erbaut und bei Alten- ahr durch die Grauwackenfelsen der Breitlei ein 192 Fuß langer "Durch- bruch" getrieben worden; die Arbeit hatte ein volles Jahr gewährt und fast 14,000 Thlr. gekostet. Nun kam der Kronprinz um den Durchschlag des Tunnels mit anzusehen; die ganze Provinz feierte den großen Tag, die Zeitungen priesen "dies prachtvolle, durch Kunst gefertigte Natur- gewölbe", das der königlichen Regierung zu so hoher Ehre gereiche -- wenige Jahre bevor die Eisenbahnen alle die Herrlichkeit der guten alten Zeit in Schatten stellten. Zum Abschied sendeten die Provinzialstände dem Thronfolger einen herzlichen Gruß, der ebenso warm erwidert wurde. Gleichwohl war der Sondergeist im Wachsen. Wenn die Rheinländer beim Schoppen saßen, dann sprachen sie gern von einem rheinisch-west- phälischen Vicekönigreich, das nach dem Code Napoleon regiert und mit dem junkerhaften Osten nur locker verbunden werden sollte. Die Strei- tigkeiten zwischen den Eingeborenen und den "Prüß" nahmen kein Ende; sie drangen selbst in die friedlichen Räume der Düsseldorfer Akademie. Dort ward sorgsam nachgerechnet, wie viele Bilder der Kunstverein "den Ostländern" abgekauft habe, wie viele den rheinisch-westphälischen Malern; und an diesem kindischen Zanke betheiligte sich mit zwei Druckschriften sogar der Richter Fahne, der verdiente Geschichtsforscher, der auf seiner Fahnenburg am Abhang der bergischen Waldhügel das Künstlervolk zu fröhlichen Festen zu versammeln pflegte.
Im Ministerium fühlte man längst, daß die Verwaltung am Rhein
Sondergeiſt der Rheinländer.
Weſten folge und die franzöſiſche Geſetzgebung bei ſich einführe. Cleri- cale und liberale Beſtrebungen fanden ſich in dieſen Kreiſen zuſammen; man begeiſterte ſich für „die vier Freiheiten“ des belgiſchen Muſterlandes, die Freiheit der Kirche, der Schule, der Preſſe, der Vereine. Die alt- ländiſchen Beamten traten ſolchen zuverſichtlichen Wünſchen nur kleinlaut entgegen, weil ſie alle fühlten, daß die öffentliche Meinung des geſammten Südens und Weſtens hinter den Rheinländern ſtand, und die Krone dieſe wichtigſte ihrer neuen Provinzen um jeden Preis ſchonen wollte.
Bei ſeinen Gebietserweiterungen hat Preußen bis zum heutigen Tage oftmals erfahren, daß die jüngere Generation, die immer nur Klagen über die neue Ordnung gehört hat, ſich feindſeliger zu dem deutſchen Staate ſtellt, als die ältere unter dem Drucke der alten Zuſtände aufgewachſene. So hatte ſich auch im Rheinland die Stimmung mit den Jahren unver- kennbar verſchlechtert. An einen Abfall dachte freilich Niemand, da der Wohlſtand der Provinz unter den Schwingen des Adlers ſo fröhlich ge- dieh. Selbſt ein Gefühl dynaſtiſcher Anhänglichkeit begann ſich in den alten Krummſtabsgebieten zu regen, als der Kronprinz im Herbſt 1833, ſehr zur rechten Zeit, dies ſein Lieblingsland wieder beſuchte. Da eilte alle Welt nach Coblenz, Viele wohl um ſich an den Strahlen der auf- gehenden Sonne zu wärmen, aber Manche auch voll ehrlicher Treue. Im Ahrthal war den Fluß entlang eine neue Landſtraße erbaut und bei Alten- ahr durch die Grauwackenfelſen der Breitlei ein 192 Fuß langer „Durch- bruch“ getrieben worden; die Arbeit hatte ein volles Jahr gewährt und faſt 14,000 Thlr. gekoſtet. Nun kam der Kronprinz um den Durchſchlag des Tunnels mit anzuſehen; die ganze Provinz feierte den großen Tag, die Zeitungen prieſen „dies prachtvolle, durch Kunſt gefertigte Natur- gewölbe“, das der königlichen Regierung zu ſo hoher Ehre gereiche — wenige Jahre bevor die Eiſenbahnen alle die Herrlichkeit der guten alten Zeit in Schatten ſtellten. Zum Abſchied ſendeten die Provinzialſtände dem Thronfolger einen herzlichen Gruß, der ebenſo warm erwidert wurde. Gleichwohl war der Sondergeiſt im Wachſen. Wenn die Rheinländer beim Schoppen ſaßen, dann ſprachen ſie gern von einem rheiniſch-weſt- phäliſchen Vicekönigreich, das nach dem Code Napoleon regiert und mit dem junkerhaften Oſten nur locker verbunden werden ſollte. Die Strei- tigkeiten zwiſchen den Eingeborenen und den „Prüß“ nahmen kein Ende; ſie drangen ſelbſt in die friedlichen Räume der Düſſeldorfer Akademie. Dort ward ſorgſam nachgerechnet, wie viele Bilder der Kunſtverein „den Oſtländern“ abgekauft habe, wie viele den rheiniſch-weſtphäliſchen Malern; und an dieſem kindiſchen Zanke betheiligte ſich mit zwei Druckſchriften ſogar der Richter Fahne, der verdiente Geſchichtsforſcher, der auf ſeiner Fahnenburg am Abhang der bergiſchen Waldhügel das Künſtlervolk zu fröhlichen Feſten zu verſammeln pflegte.
Im Miniſterium fühlte man längſt, daß die Verwaltung am Rhein
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Weſten folge und die franzöſiſche Geſetzgebung bei ſich einführe. Cleri-
cale und liberale Beſtrebungen fanden ſich in dieſen Kreiſen zuſammen;
man begeiſterte ſich für „die vier Freiheiten“ des belgiſchen Muſterlandes,
die Freiheit der Kirche, der Schule, der Preſſe, der Vereine. Die alt-
ländiſchen Beamten traten ſolchen zuverſichtlichen Wünſchen nur kleinlaut
entgegen, weil ſie alle fühlten, daß die öffentliche Meinung des geſammten
Südens und Weſtens hinter den Rheinländern ſtand, und die Krone dieſe
wichtigſte ihrer neuen Provinzen um jeden Preis ſchonen wollte.
Bei ſeinen Gebietserweiterungen hat Preußen bis zum heutigen Tage
oftmals erfahren, daß die jüngere Generation, die immer nur Klagen über
die neue Ordnung gehört hat, ſich feindſeliger zu dem deutſchen Staate
ſtellt, als die ältere unter dem Drucke der alten Zuſtände aufgewachſene.
So hatte ſich auch im Rheinland die Stimmung mit den Jahren unver-
kennbar verſchlechtert. An einen Abfall dachte freilich Niemand, da der
Wohlſtand der Provinz unter den Schwingen des Adlers ſo fröhlich ge-
dieh. Selbſt ein Gefühl dynaſtiſcher Anhänglichkeit begann ſich in den
alten Krummſtabsgebieten zu regen, als der Kronprinz im Herbſt 1833,
ſehr zur rechten Zeit, dies ſein Lieblingsland wieder beſuchte. Da eilte
alle Welt nach Coblenz, Viele wohl um ſich an den Strahlen der auf-
gehenden Sonne zu wärmen, aber Manche auch voll ehrlicher Treue. Im
Ahrthal war den Fluß entlang eine neue Landſtraße erbaut und bei Alten-
ahr durch die Grauwackenfelſen der Breitlei ein 192 Fuß langer „Durch-
bruch“ getrieben worden; die Arbeit hatte ein volles Jahr gewährt und
faſt 14,000 Thlr. gekoſtet. Nun kam der Kronprinz um den Durchſchlag
des Tunnels mit anzuſehen; die ganze Provinz feierte den großen Tag,
die Zeitungen prieſen „dies prachtvolle, durch Kunſt gefertigte Natur-
gewölbe“, das der königlichen Regierung zu ſo hoher Ehre gereiche —
wenige Jahre bevor die Eiſenbahnen alle die Herrlichkeit der guten alten
Zeit in Schatten ſtellten. Zum Abſchied ſendeten die Provinzialſtände dem
Thronfolger einen herzlichen Gruß, der ebenſo warm erwidert wurde.
Gleichwohl war der Sondergeiſt im Wachſen. Wenn die Rheinländer
beim Schoppen ſaßen, dann ſprachen ſie gern von einem rheiniſch-weſt-
phäliſchen Vicekönigreich, das nach dem Code Napoleon regiert und mit
dem junkerhaften Oſten nur locker verbunden werden ſollte. Die Strei-
tigkeiten zwiſchen den Eingeborenen und den „Prüß“ nahmen kein Ende;
ſie drangen ſelbſt in die friedlichen Räume der Düſſeldorfer Akademie.
Dort ward ſorgſam nachgerechnet, wie viele Bilder der Kunſtverein „den
Oſtländern“ abgekauft habe, wie viele den rheiniſch-weſtphäliſchen Malern;
und an dieſem kindiſchen Zanke betheiligte ſich mit zwei Druckſchriften
ſogar der Richter Fahne, der verdiente Geſchichtsforſcher, der auf ſeiner
Fahnenburg am Abhang der bergiſchen Waldhügel das Künſtlervolk zu
fröhlichen Feſten zu verſammeln pflegte.
Im Miniſterium fühlte man längſt, daß die Verwaltung am Rhein
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/567>, abgerufen am 24.11.2024.
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