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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Flottwell und Grolman in Posen.
preußische Langmuth zu Ende. Dahin waren jene hoffnungsvollen Tage,
da die deutschen Beamten mit den polnischen Edelleuten sich in dem gast-
freundlichen Hause des Fürsten-Staatthalters harmlos zusammengefunden
hatten. Fürst Radziwill fühlte selbst, wie gänzlich er sich über die Gesin-
nungen seiner Landsleute getäuscht; er legte seine Statthalterwürde nieder
und starb bald darauf. Fortan war der Oberpräsident der alleinige höchste
Vertreter der Staatsgewalt, und auf dies wichtige Amt berief der König
den tapferen Mann, der dem preußischen Namen in den Landen des
weißen Adlers zuerst ein festes Ansehen verschaffen sollte. Oberpräsident
Flottwell war in Ostpreußen geboren, zu Königsberg in der Schule von
Kant und Kraus erzogen und hatte dann unter Schön's Leitung in der
altpreußischen Verwaltung die Polen gründlich kennen gelernt. Aufrichtig
sprach er aus, das alte System der Nachsicht und der Zugeständnisse
habe sich überlebt, der Adel und der Clerus seien Preußens geschworene
Feinde; nicht die Liebe, nur die Achtung der Polen könne sich eine deutsche
Regierung erwerben; dies werde ihr gelingen, wenn sie ohne Ungerechtig-
keit die deutsche Cultur fördere und damit die menschliche Gesittung der
Provinz hebe. Nicht frei von der Leidenschaftlichkeit seines edlen Stam-
mes, urtheilte er doch milder, billiger als sein Lehrer Schön. Er wollte
strenge Gesetze für die meuterische Provinz, aber mit "sorgfältiger Rück-
sicht" auf die bestehenden Verhältnisse; denn "der Mangel an einer solchen
Rücksicht bringt die Regierung in die Lage, von den gegebenen Vorschriften
abzuweichen und sich dadurch den gerade in dieser Provinz sehr gefähr-
lichen Vorwurf der Inconsequenz und Schlaffheit in der Verwaltung zu-
zuziehen".*) Durch seinen furchtlosen Freimuth hatte er sich das persön-
liche Vertrauen des Königs und des jungen Prinzen Wilhelm erworben.
Da alle Slaven jene beiden Tugenden, welche ihnen selbst die Natur
versagt hat, Gradsinn und Festigkeit, mit stiller Ehrfurcht betrachten, so
kam er im persönlichen Verkehre selbst mit den polnischen Edelleuten leid-
lich aus, obgleich sie in ihm ihren politischen Todfeind sahen.

Die Deutschen und die polnischen Bauern verehrten ihn als ihren
Beschützer, und mit ihm seinen Freund, den commandirenden General
Grolman, der von den Polen fast noch grimmiger gehaßt wurde. Grol-
man's freiem Heldensinne waren die Untreue und die Undankbarkeit dieser
"unwürdigen" Provinz ein Greuel; er konnte nicht, wie Gneisenau, mit
vornehmer Verachtung über die krummen Wege der Sarmaten hinweg-
blicken, er verabscheute "diese Bande der Gesetzlosigkeit, der Liederlichkeit
und des Schmutzes" und wollte mit dazu helfen, daß "ihre polnische
Natur sich zu einer menschlichen ausbildete". Was kümmerte es ihn, daß
die Liberalen, die ihn zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse auf den Schild
gehoben hatten, ihm jetzt reaktionäre Gesinnung vorwarfen? Die Armee

*) Flottwell an Lottum, 24. Juli 1832.

Flottwell und Grolman in Poſen.
preußiſche Langmuth zu Ende. Dahin waren jene hoffnungsvollen Tage,
da die deutſchen Beamten mit den polniſchen Edelleuten ſich in dem gaſt-
freundlichen Hauſe des Fürſten-Staatthalters harmlos zuſammengefunden
hatten. Fürſt Radziwill fühlte ſelbſt, wie gänzlich er ſich über die Geſin-
nungen ſeiner Landsleute getäuſcht; er legte ſeine Statthalterwürde nieder
und ſtarb bald darauf. Fortan war der Oberpräſident der alleinige höchſte
Vertreter der Staatsgewalt, und auf dies wichtige Amt berief der König
den tapferen Mann, der dem preußiſchen Namen in den Landen des
weißen Adlers zuerſt ein feſtes Anſehen verſchaffen ſollte. Oberpräſident
Flottwell war in Oſtpreußen geboren, zu Königsberg in der Schule von
Kant und Kraus erzogen und hatte dann unter Schön’s Leitung in der
altpreußiſchen Verwaltung die Polen gründlich kennen gelernt. Aufrichtig
ſprach er aus, das alte Syſtem der Nachſicht und der Zugeſtändniſſe
habe ſich überlebt, der Adel und der Clerus ſeien Preußens geſchworene
Feinde; nicht die Liebe, nur die Achtung der Polen könne ſich eine deutſche
Regierung erwerben; dies werde ihr gelingen, wenn ſie ohne Ungerechtig-
keit die deutſche Cultur fördere und damit die menſchliche Geſittung der
Provinz hebe. Nicht frei von der Leidenſchaftlichkeit ſeines edlen Stam-
mes, urtheilte er doch milder, billiger als ſein Lehrer Schön. Er wollte
ſtrenge Geſetze für die meuteriſche Provinz, aber mit „ſorgfältiger Rück-
ſicht“ auf die beſtehenden Verhältniſſe; denn „der Mangel an einer ſolchen
Rückſicht bringt die Regierung in die Lage, von den gegebenen Vorſchriften
abzuweichen und ſich dadurch den gerade in dieſer Provinz ſehr gefähr-
lichen Vorwurf der Inconſequenz und Schlaffheit in der Verwaltung zu-
zuziehen“.*) Durch ſeinen furchtloſen Freimuth hatte er ſich das perſön-
liche Vertrauen des Königs und des jungen Prinzen Wilhelm erworben.
Da alle Slaven jene beiden Tugenden, welche ihnen ſelbſt die Natur
verſagt hat, Gradſinn und Feſtigkeit, mit ſtiller Ehrfurcht betrachten, ſo
kam er im perſönlichen Verkehre ſelbſt mit den polniſchen Edelleuten leid-
lich aus, obgleich ſie in ihm ihren politiſchen Todfeind ſahen.

Die Deutſchen und die polniſchen Bauern verehrten ihn als ihren
Beſchützer, und mit ihm ſeinen Freund, den commandirenden General
Grolman, der von den Polen faſt noch grimmiger gehaßt wurde. Grol-
man’s freiem Heldenſinne waren die Untreue und die Undankbarkeit dieſer
„unwürdigen“ Provinz ein Greuel; er konnte nicht, wie Gneiſenau, mit
vornehmer Verachtung über die krummen Wege der Sarmaten hinweg-
blicken, er verabſcheute „dieſe Bande der Geſetzloſigkeit, der Liederlichkeit
und des Schmutzes“ und wollte mit dazu helfen, daß „ihre polniſche
Natur ſich zu einer menſchlichen ausbildete“. Was kümmerte es ihn, daß
die Liberalen, die ihn zur Zeit der Karlsbader Beſchlüſſe auf den Schild
gehoben hatten, ihm jetzt reaktionäre Geſinnung vorwarfen? Die Armee

*) Flottwell an Lottum, 24. Juli 1832.
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[557/0571] Flottwell und Grolman in Poſen. preußiſche Langmuth zu Ende. Dahin waren jene hoffnungsvollen Tage, da die deutſchen Beamten mit den polniſchen Edelleuten ſich in dem gaſt- freundlichen Hauſe des Fürſten-Staatthalters harmlos zuſammengefunden hatten. Fürſt Radziwill fühlte ſelbſt, wie gänzlich er ſich über die Geſin- nungen ſeiner Landsleute getäuſcht; er legte ſeine Statthalterwürde nieder und ſtarb bald darauf. Fortan war der Oberpräſident der alleinige höchſte Vertreter der Staatsgewalt, und auf dies wichtige Amt berief der König den tapferen Mann, der dem preußiſchen Namen in den Landen des weißen Adlers zuerſt ein feſtes Anſehen verſchaffen ſollte. Oberpräſident Flottwell war in Oſtpreußen geboren, zu Königsberg in der Schule von Kant und Kraus erzogen und hatte dann unter Schön’s Leitung in der altpreußiſchen Verwaltung die Polen gründlich kennen gelernt. Aufrichtig ſprach er aus, das alte Syſtem der Nachſicht und der Zugeſtändniſſe habe ſich überlebt, der Adel und der Clerus ſeien Preußens geſchworene Feinde; nicht die Liebe, nur die Achtung der Polen könne ſich eine deutſche Regierung erwerben; dies werde ihr gelingen, wenn ſie ohne Ungerechtig- keit die deutſche Cultur fördere und damit die menſchliche Geſittung der Provinz hebe. Nicht frei von der Leidenſchaftlichkeit ſeines edlen Stam- mes, urtheilte er doch milder, billiger als ſein Lehrer Schön. Er wollte ſtrenge Geſetze für die meuteriſche Provinz, aber mit „ſorgfältiger Rück- ſicht“ auf die beſtehenden Verhältniſſe; denn „der Mangel an einer ſolchen Rückſicht bringt die Regierung in die Lage, von den gegebenen Vorſchriften abzuweichen und ſich dadurch den gerade in dieſer Provinz ſehr gefähr- lichen Vorwurf der Inconſequenz und Schlaffheit in der Verwaltung zu- zuziehen“. *) Durch ſeinen furchtloſen Freimuth hatte er ſich das perſön- liche Vertrauen des Königs und des jungen Prinzen Wilhelm erworben. Da alle Slaven jene beiden Tugenden, welche ihnen ſelbſt die Natur verſagt hat, Gradſinn und Feſtigkeit, mit ſtiller Ehrfurcht betrachten, ſo kam er im perſönlichen Verkehre ſelbſt mit den polniſchen Edelleuten leid- lich aus, obgleich ſie in ihm ihren politiſchen Todfeind ſahen. Die Deutſchen und die polniſchen Bauern verehrten ihn als ihren Beſchützer, und mit ihm ſeinen Freund, den commandirenden General Grolman, der von den Polen faſt noch grimmiger gehaßt wurde. Grol- man’s freiem Heldenſinne waren die Untreue und die Undankbarkeit dieſer „unwürdigen“ Provinz ein Greuel; er konnte nicht, wie Gneiſenau, mit vornehmer Verachtung über die krummen Wege der Sarmaten hinweg- blicken, er verabſcheute „dieſe Bande der Geſetzloſigkeit, der Liederlichkeit und des Schmutzes“ und wollte mit dazu helfen, daß „ihre polniſche Natur ſich zu einer menſchlichen ausbildete“. Was kümmerte es ihn, daß die Liberalen, die ihn zur Zeit der Karlsbader Beſchlüſſe auf den Schild gehoben hatten, ihm jetzt reaktionäre Geſinnung vorwarfen? Die Armee *) Flottwell an Lottum, 24. Juli 1832.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/571>, abgerufen am 24.11.2024.