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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 8. Stille Jahre.
bergs, die bereits ihre Macht zu fühlen begann und an dem Dr. Jacoby
einen schlagfertigen Wortführer besaß, hatte ihrer Schadenfreude kein Hehl.
Schön aber war nicht der Mann die Parteien zu beschwichtigen. Mit
dem orthodoxen neuen General-Superintendenten Sartorius lebte er in
offener Fehde, und selbst der milde, bürgerfreundliche commandirende
General v. Natzmer mußte über den liberalen Oberpräsidenten Beschwerde
führen, als dieser einem Landstande, der in seiner Landwehruniform er-
schienen war, in Gegenwart eines Generals gesagt hatte: "Sie können
den Rock eines freien Mannes tragen, und tragen den Rock eines
Dieners!" Der König gab dem beleidigten Offizierscorps Genugthuung
durch eine Cabinetsordre und ertheilte dem Oberpräsidenten einen sehr
milden Verweis wegen seines beständig herausfordernden Betragens,
"indem Sie sich tadelnde und verunglimpfende Urtheile über die An-
ordnungen der oberen Behörden und Aeußerungen gestatten, wodurch
der Autorität der Regierung Abbruch geschieht und gegen Ihre Absicht
Mißvergnügen in der Provinz verbreitet wird". Schön dankte gerührt
für die Gnade des Monarchen und betheuerte, die Unzufriedenheit sei in
Preußen geringer als in den anderen Provinzen.*) Nichtsdestoweniger
fuhr er fort, auf Alles was in Berlin zu Stande kam, öffentlich zu
schelten, insbesondere auf den Zollverein, der allerdings dieser abgelegenen
Provinz wenig Vortheil brachte. Er wußte, daß der König seiner bewährten
Treue sehr viel nachsah, und ließ es sich wohl gefallen, wenn die Liberalen
Ostpreußens ihn als ihr Parteihaupt verherrlichten. Der altpreußische
Freiheitsstolz, der Zorn über die Mucker und die Grenzsperre, die Unge-
duld thatenloser Tage und die allezeit rege Königsberger Kritik wirkten
zusammen; die alte Krönungsstadt wurde der Heerd einer unmuthigen,
geistreichen, unersättlich tadelsüchtigen Opposition, die um so weiter um sich
griff, da sie sich noch nicht im Handeln bewähren konnte.

Die Mark erlebte einige kirchliche Wirren, als das neue Berliner
Gesangbuch eingeführt wurde, das Werk einer theologischen Commission,
der auch Schleiermacher und Bischof Neander angehörten. Die Auswahl
aus dem reichen Liederschatze der evangelischen Kirche war wohl gelungen,
der Wortlaut der alten Gesänge nur an wenigen Stellen, welche dem
modernen Geschmack Anstoß zu geben schienen, mit schonender Hand ge-
ändert, und der König hoffte, die Gemeinden würden das Buch freiwillig
annehmen. Altenstein aber versuchte wieder durch Befehle einzugreifen.
Da nahm sich der Kronprinz des Rechtes der Gemeinden nachdrücklich an;
er verlangte, daß den Gemeinden "ihr Schatz von Liedern, der recht eigent-
lich ihr Eigenthum sei", erhalten bleibe: "es giebt meiner Ueberzeugung
zu Folge Dinge, die sich ganz von selbst verstehen und die gar keines Ge-

*) Schön's Eingaben an den König, 11. Febr., 11. März. Cabinetsordre an Schön,
25. Febr. 1834. Schön's spätere Erzählung (Aus den Papieren III. 125) verdunkelt den
wirklichen Hergang.

IV. 8. Stille Jahre.
bergs, die bereits ihre Macht zu fühlen begann und an dem Dr. Jacoby
einen ſchlagfertigen Wortführer beſaß, hatte ihrer Schadenfreude kein Hehl.
Schön aber war nicht der Mann die Parteien zu beſchwichtigen. Mit
dem orthodoxen neuen General-Superintendenten Sartorius lebte er in
offener Fehde, und ſelbſt der milde, bürgerfreundliche commandirende
General v. Natzmer mußte über den liberalen Oberpräſidenten Beſchwerde
führen, als dieſer einem Landſtande, der in ſeiner Landwehruniform er-
ſchienen war, in Gegenwart eines Generals geſagt hatte: „Sie können
den Rock eines freien Mannes tragen, und tragen den Rock eines
Dieners!“ Der König gab dem beleidigten Offizierscorps Genugthuung
durch eine Cabinetsordre und ertheilte dem Oberpräſidenten einen ſehr
milden Verweis wegen ſeines beſtändig herausfordernden Betragens,
„indem Sie ſich tadelnde und verunglimpfende Urtheile über die An-
ordnungen der oberen Behörden und Aeußerungen geſtatten, wodurch
der Autorität der Regierung Abbruch geſchieht und gegen Ihre Abſicht
Mißvergnügen in der Provinz verbreitet wird“. Schön dankte gerührt
für die Gnade des Monarchen und betheuerte, die Unzufriedenheit ſei in
Preußen geringer als in den anderen Provinzen.*) Nichtsdeſtoweniger
fuhr er fort, auf Alles was in Berlin zu Stande kam, öffentlich zu
ſchelten, insbeſondere auf den Zollverein, der allerdings dieſer abgelegenen
Provinz wenig Vortheil brachte. Er wußte, daß der König ſeiner bewährten
Treue ſehr viel nachſah, und ließ es ſich wohl gefallen, wenn die Liberalen
Oſtpreußens ihn als ihr Parteihaupt verherrlichten. Der altpreußiſche
Freiheitsſtolz, der Zorn über die Mucker und die Grenzſperre, die Unge-
duld thatenloſer Tage und die allezeit rege Königsberger Kritik wirkten
zuſammen; die alte Krönungsſtadt wurde der Heerd einer unmuthigen,
geiſtreichen, unerſättlich tadelſüchtigen Oppoſition, die um ſo weiter um ſich
griff, da ſie ſich noch nicht im Handeln bewähren konnte.

Die Mark erlebte einige kirchliche Wirren, als das neue Berliner
Geſangbuch eingeführt wurde, das Werk einer theologiſchen Commiſſion,
der auch Schleiermacher und Biſchof Neander angehörten. Die Auswahl
aus dem reichen Liederſchatze der evangeliſchen Kirche war wohl gelungen,
der Wortlaut der alten Geſänge nur an wenigen Stellen, welche dem
modernen Geſchmack Anſtoß zu geben ſchienen, mit ſchonender Hand ge-
ändert, und der König hoffte, die Gemeinden würden das Buch freiwillig
annehmen. Altenſtein aber verſuchte wieder durch Befehle einzugreifen.
Da nahm ſich der Kronprinz des Rechtes der Gemeinden nachdrücklich an;
er verlangte, daß den Gemeinden „ihr Schatz von Liedern, der recht eigent-
lich ihr Eigenthum ſei“, erhalten bleibe: „es giebt meiner Ueberzeugung
zu Folge Dinge, die ſich ganz von ſelbſt verſtehen und die gar keines Ge-

*) Schön’s Eingaben an den König, 11. Febr., 11. März. Cabinetsordre an Schön,
25. Febr. 1834. Schön’s ſpätere Erzählung (Aus den Papieren III. 125) verdunkelt den
wirklichen Hergang.
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[564/0578] IV. 8. Stille Jahre. bergs, die bereits ihre Macht zu fühlen begann und an dem Dr. Jacoby einen ſchlagfertigen Wortführer beſaß, hatte ihrer Schadenfreude kein Hehl. Schön aber war nicht der Mann die Parteien zu beſchwichtigen. Mit dem orthodoxen neuen General-Superintendenten Sartorius lebte er in offener Fehde, und ſelbſt der milde, bürgerfreundliche commandirende General v. Natzmer mußte über den liberalen Oberpräſidenten Beſchwerde führen, als dieſer einem Landſtande, der in ſeiner Landwehruniform er- ſchienen war, in Gegenwart eines Generals geſagt hatte: „Sie können den Rock eines freien Mannes tragen, und tragen den Rock eines Dieners!“ Der König gab dem beleidigten Offizierscorps Genugthuung durch eine Cabinetsordre und ertheilte dem Oberpräſidenten einen ſehr milden Verweis wegen ſeines beſtändig herausfordernden Betragens, „indem Sie ſich tadelnde und verunglimpfende Urtheile über die An- ordnungen der oberen Behörden und Aeußerungen geſtatten, wodurch der Autorität der Regierung Abbruch geſchieht und gegen Ihre Abſicht Mißvergnügen in der Provinz verbreitet wird“. Schön dankte gerührt für die Gnade des Monarchen und betheuerte, die Unzufriedenheit ſei in Preußen geringer als in den anderen Provinzen. *) Nichtsdeſtoweniger fuhr er fort, auf Alles was in Berlin zu Stande kam, öffentlich zu ſchelten, insbeſondere auf den Zollverein, der allerdings dieſer abgelegenen Provinz wenig Vortheil brachte. Er wußte, daß der König ſeiner bewährten Treue ſehr viel nachſah, und ließ es ſich wohl gefallen, wenn die Liberalen Oſtpreußens ihn als ihr Parteihaupt verherrlichten. Der altpreußiſche Freiheitsſtolz, der Zorn über die Mucker und die Grenzſperre, die Unge- duld thatenloſer Tage und die allezeit rege Königsberger Kritik wirkten zuſammen; die alte Krönungsſtadt wurde der Heerd einer unmuthigen, geiſtreichen, unerſättlich tadelſüchtigen Oppoſition, die um ſo weiter um ſich griff, da ſie ſich noch nicht im Handeln bewähren konnte. Die Mark erlebte einige kirchliche Wirren, als das neue Berliner Geſangbuch eingeführt wurde, das Werk einer theologiſchen Commiſſion, der auch Schleiermacher und Biſchof Neander angehörten. Die Auswahl aus dem reichen Liederſchatze der evangeliſchen Kirche war wohl gelungen, der Wortlaut der alten Geſänge nur an wenigen Stellen, welche dem modernen Geſchmack Anſtoß zu geben ſchienen, mit ſchonender Hand ge- ändert, und der König hoffte, die Gemeinden würden das Buch freiwillig annehmen. Altenſtein aber verſuchte wieder durch Befehle einzugreifen. Da nahm ſich der Kronprinz des Rechtes der Gemeinden nachdrücklich an; er verlangte, daß den Gemeinden „ihr Schatz von Liedern, der recht eigent- lich ihr Eigenthum ſei“, erhalten bleibe: „es giebt meiner Ueberzeugung zu Folge Dinge, die ſich ganz von ſelbſt verſtehen und die gar keines Ge- *) Schön’s Eingaben an den König, 11. Febr., 11. März. Cabinetsordre an Schön, 25. Febr. 1834. Schön’s ſpätere Erzählung (Aus den Papieren III. 125) verdunkelt den wirklichen Hergang.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/578>, abgerufen am 24.11.2024.