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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 8. Stille Jahre.
geprägt werden und blieb fortan durch viele Jahre die einzige deutsche
Vereinsmünze. Damit war nichts gebessert. Da die süddeutschen Staaten
ihren rheinischen Gulden noch niemals gemünzt hatten und auch jetzt noch
stets zu wenig Guldenstücke prägen ließen, so überschwemmten unzählige
fremde Münzen ihr Gebiet, nicht blos die unaufhaltsamen preußischen
Thaler, sondern auch alte Brabanter Kronenthaler, österreichische und fran-
zösische Münzen; wunderbar geduldig löste das Volk täglich schwierige
Rechenaufgaben mit Stücken von 2 fl. 42 Xr., 1 fl. 45 Xr., 1 fl. 10 Xr.
Das Papiergeld vollends und die Banknoten galten nur in ihren Heimath-
staaten als gesetzliche Zahlungsmittel, und doch liefen sie in allen Ver-
einslanden um, weil der Verkehr ihrer nicht entbehren konnte. Wer eine
Zahlung in Papier annahm, mußte wohl aufmerken, daß ihm nicht einige
jener bedenklichen "wilden" Scheine mit untergeschoben wurden, welche
die kleinen Thüringer Landesväter im Vertrauen auf die Gutmüthigkeit der
Nachbarn massenhaft anzufertigen liebten.

Aber wie viel auch noch an der Einheit des deutschen Marktes fehlte,
ein ungeheuerer Erfolg war doch erreicht. Was Stein einst vergeblich
erstrebt hatte, als er während des Befreiungskrieges den Kriegsimpost in
allen deutschen Häfen einzuführen suchte, das gemeinsame Grenzzollwesen
bestand jetzt wirklich. Eine Masse widrigen Gezänks, das unsere Macht
geschwächt und den Charakter des Volkes geschädigt hatte, war mit einem
Schlage aus der Welt geschafft. Die Nation zeigte sich zufrieden; sie
fühlte, daß die Natur der Dinge zu ihrem Rechte gelangt sei. Von dem
Zollkriege der alten Sonderzollvereine wollte Niemand mehr hören; man
lächelte nur, als Dr. Emminghaus zu Weimar jetzt noch, nach der Ent-
scheidung, in einer gelehrten Schrift bewies, nach römischem Rechte seien
Sachsen und Thüringen allerdings befugt gewesen, den mitteldeutschen
Handelsverein zu verlassen. Die Geschäftswelt lebte sich in die neuen
Formen der Zollverwaltung bald ein und zeigte den Behörden ein ehrlich
erwidertes Zutrauen. Im Jahre 1826 gewährte die Magdeburger Pro-
vinzialsteuerdirektion den großen Firmen nur für 13,000 Thlr. Zoll- und
Steuercredit; nach wenigen Jahren wuchs diese Summe schon auf mehr
als eine Million, und sie blieb im Steigen, da die gestundeten Beträge
stets pünktlich am Verfallstage eingingen. Unterdessen hatten die Kauf-
mannschaften der großen Plätze des Ostens schon während der zwanziger
Jahre Corporationsrechte erhalten, und neuerdings wurden auch in den
Städten der westlichen Provinzen Handelskammern gebildet, in Elberfeld und
Barmen 1831. So erlangte der Handelsstand die Mittel, seine Wünsche
und Beschwerden nachdrücklich geltend zu machen. Wie lange hatten die
Deutschen über ihr unfindbares Bundesrecht und die Nichtigkeiten ihrer
kleinen Landtage ziellos hin und her gestritten. Nunmehr entstand endlich
eine wirkliche und wirksame öffentliche Meinung, die in den Interessen-
fragen der nationalen Handelspolitik gebieterisch ihr Recht forderte.

IV. 8. Stille Jahre.
geprägt werden und blieb fortan durch viele Jahre die einzige deutſche
Vereinsmünze. Damit war nichts gebeſſert. Da die ſüddeutſchen Staaten
ihren rheiniſchen Gulden noch niemals gemünzt hatten und auch jetzt noch
ſtets zu wenig Guldenſtücke prägen ließen, ſo überſchwemmten unzählige
fremde Münzen ihr Gebiet, nicht blos die unaufhaltſamen preußiſchen
Thaler, ſondern auch alte Brabanter Kronenthaler, öſterreichiſche und fran-
zöſiſche Münzen; wunderbar geduldig löſte das Volk täglich ſchwierige
Rechenaufgaben mit Stücken von 2 fl. 42 Xr., 1 fl. 45 Xr., 1 fl. 10 Xr.
Das Papiergeld vollends und die Banknoten galten nur in ihren Heimath-
ſtaaten als geſetzliche Zahlungsmittel, und doch liefen ſie in allen Ver-
einslanden um, weil der Verkehr ihrer nicht entbehren konnte. Wer eine
Zahlung in Papier annahm, mußte wohl aufmerken, daß ihm nicht einige
jener bedenklichen „wilden“ Scheine mit untergeſchoben wurden, welche
die kleinen Thüringer Landesväter im Vertrauen auf die Gutmüthigkeit der
Nachbarn maſſenhaft anzufertigen liebten.

Aber wie viel auch noch an der Einheit des deutſchen Marktes fehlte,
ein ungeheuerer Erfolg war doch erreicht. Was Stein einſt vergeblich
erſtrebt hatte, als er während des Befreiungskrieges den Kriegsimpoſt in
allen deutſchen Häfen einzuführen ſuchte, das gemeinſame Grenzzollweſen
beſtand jetzt wirklich. Eine Maſſe widrigen Gezänks, das unſere Macht
geſchwächt und den Charakter des Volkes geſchädigt hatte, war mit einem
Schlage aus der Welt geſchafft. Die Nation zeigte ſich zufrieden; ſie
fühlte, daß die Natur der Dinge zu ihrem Rechte gelangt ſei. Von dem
Zollkriege der alten Sonderzollvereine wollte Niemand mehr hören; man
lächelte nur, als Dr. Emminghaus zu Weimar jetzt noch, nach der Ent-
ſcheidung, in einer gelehrten Schrift bewies, nach römiſchem Rechte ſeien
Sachſen und Thüringen allerdings befugt geweſen, den mitteldeutſchen
Handelsverein zu verlaſſen. Die Geſchäftswelt lebte ſich in die neuen
Formen der Zollverwaltung bald ein und zeigte den Behörden ein ehrlich
erwidertes Zutrauen. Im Jahre 1826 gewährte die Magdeburger Pro-
vinzialſteuerdirektion den großen Firmen nur für 13,000 Thlr. Zoll- und
Steuercredit; nach wenigen Jahren wuchs dieſe Summe ſchon auf mehr
als eine Million, und ſie blieb im Steigen, da die geſtundeten Beträge
ſtets pünktlich am Verfallstage eingingen. Unterdeſſen hatten die Kauf-
mannſchaften der großen Plätze des Oſtens ſchon während der zwanziger
Jahre Corporationsrechte erhalten, und neuerdings wurden auch in den
Städten der weſtlichen Provinzen Handelskammern gebildet, in Elberfeld und
Barmen 1831. So erlangte der Handelsſtand die Mittel, ſeine Wünſche
und Beſchwerden nachdrücklich geltend zu machen. Wie lange hatten die
Deutſchen über ihr unfindbares Bundesrecht und die Nichtigkeiten ihrer
kleinen Landtage ziellos hin und her geſtritten. Nunmehr entſtand endlich
eine wirkliche und wirkſame öffentliche Meinung, die in den Intereſſen-
fragen der nationalen Handelspolitik gebieteriſch ihr Recht forderte.

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[572/0586] IV. 8. Stille Jahre. geprägt werden und blieb fortan durch viele Jahre die einzige deutſche Vereinsmünze. Damit war nichts gebeſſert. Da die ſüddeutſchen Staaten ihren rheiniſchen Gulden noch niemals gemünzt hatten und auch jetzt noch ſtets zu wenig Guldenſtücke prägen ließen, ſo überſchwemmten unzählige fremde Münzen ihr Gebiet, nicht blos die unaufhaltſamen preußiſchen Thaler, ſondern auch alte Brabanter Kronenthaler, öſterreichiſche und fran- zöſiſche Münzen; wunderbar geduldig löſte das Volk täglich ſchwierige Rechenaufgaben mit Stücken von 2 fl. 42 Xr., 1 fl. 45 Xr., 1 fl. 10 Xr. Das Papiergeld vollends und die Banknoten galten nur in ihren Heimath- ſtaaten als geſetzliche Zahlungsmittel, und doch liefen ſie in allen Ver- einslanden um, weil der Verkehr ihrer nicht entbehren konnte. Wer eine Zahlung in Papier annahm, mußte wohl aufmerken, daß ihm nicht einige jener bedenklichen „wilden“ Scheine mit untergeſchoben wurden, welche die kleinen Thüringer Landesväter im Vertrauen auf die Gutmüthigkeit der Nachbarn maſſenhaft anzufertigen liebten. Aber wie viel auch noch an der Einheit des deutſchen Marktes fehlte, ein ungeheuerer Erfolg war doch erreicht. Was Stein einſt vergeblich erſtrebt hatte, als er während des Befreiungskrieges den Kriegsimpoſt in allen deutſchen Häfen einzuführen ſuchte, das gemeinſame Grenzzollweſen beſtand jetzt wirklich. Eine Maſſe widrigen Gezänks, das unſere Macht geſchwächt und den Charakter des Volkes geſchädigt hatte, war mit einem Schlage aus der Welt geſchafft. Die Nation zeigte ſich zufrieden; ſie fühlte, daß die Natur der Dinge zu ihrem Rechte gelangt ſei. Von dem Zollkriege der alten Sonderzollvereine wollte Niemand mehr hören; man lächelte nur, als Dr. Emminghaus zu Weimar jetzt noch, nach der Ent- ſcheidung, in einer gelehrten Schrift bewies, nach römiſchem Rechte ſeien Sachſen und Thüringen allerdings befugt geweſen, den mitteldeutſchen Handelsverein zu verlaſſen. Die Geſchäftswelt lebte ſich in die neuen Formen der Zollverwaltung bald ein und zeigte den Behörden ein ehrlich erwidertes Zutrauen. Im Jahre 1826 gewährte die Magdeburger Pro- vinzialſteuerdirektion den großen Firmen nur für 13,000 Thlr. Zoll- und Steuercredit; nach wenigen Jahren wuchs dieſe Summe ſchon auf mehr als eine Million, und ſie blieb im Steigen, da die geſtundeten Beträge ſtets pünktlich am Verfallstage eingingen. Unterdeſſen hatten die Kauf- mannſchaften der großen Plätze des Oſtens ſchon während der zwanziger Jahre Corporationsrechte erhalten, und neuerdings wurden auch in den Städten der weſtlichen Provinzen Handelskammern gebildet, in Elberfeld und Barmen 1831. So erlangte der Handelsſtand die Mittel, ſeine Wünſche und Beſchwerden nachdrücklich geltend zu machen. Wie lange hatten die Deutſchen über ihr unfindbares Bundesrecht und die Nichtigkeiten ihrer kleinen Landtage ziellos hin und her geſtritten. Nunmehr entſtand endlich eine wirkliche und wirkſame öffentliche Meinung, die in den Intereſſen- fragen der nationalen Handelspolitik gebieteriſch ihr Recht forderte.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/586>, abgerufen am 24.11.2024.