ein wichtiges Brennmittel, die Brennerei ward dem Großgrundbesitzer schon wegen der Schlempe und des Düngers unentbehrlich. Der Rübenbau nahm zu, und Amtsrath Koppe zu Wollup im Oderbruch, seit Thaer's Tode wohl der erste Landwirth Norddeutschlands, erwies den Theoretikern der Freihandelsschule mit schlagenden Gründen, daß die Erzeugung eines unentbehrlichen Genußmittels im eigenen Lande doch keine Künstelei sei, sondern eine wirkliche Vermehrung des Volksvermögens. Gleichwohl konnte die durchgebildete Arbeitstheilung des Großbetriebs in die Landwirthschaft noch nicht recht eindringen. Jedes große Landgut bildete gleichsam einen isolirten Staat, der durch wohlberechneten Fruchtwechsel, durch die Ver- bindung von Ackerbau und Viehzucht die verlorenen Bodenkräfte stets selber neu zu erzeugen suchte. In dieser Kunst, ein Landgut durch sich selber zu unterhalten, war Koppe der anerkannte Meister. Für den großen Markt zu arbeiten, einzelne Zweige der Landwirthschaft mit virtuoser Ein- seitigkeit zu pflegen und die Dungstoffe von auswärts herbeizuschaffen, schien selbst dem unternehmenden Grundherrn unmöglich wegen der hohen Frachtkosten.
Und wie dürftig, eng, kleinstädtisch blieb noch immer die Industrie, trotz der besseren Zeiten. An Stahl erzeugte ganz Preußen im Jahre 1826 nur 62,000 Ctr., an Gußstahl 1832 gar nur 94 Ctr. Schienen und andere Eisenwaaren, die nur mit Cokes hergestellt werden konnten, kamen aus England, weil die deutschen Werke meist mit den Holzkohlen aus den nahen Waldungen heizten und die Fracht für die Steinkohlen nicht zu zahlen vermochten. Von Westphalens mächtigen Steinkohlenlagern wurde, wieder wegen der Frachtkosten, nur ein kleiner Theil ausgebeutet. Im Bochumer Revier waren 130 Gruben im Betrieb, 400 ruhten; so rechnete 1833 Friedrich Harkort, der beliebte Volksmann Westphalens. Harkort selbst leitete in Wetter an der Ruhr, Aston in Magdeburg eine große Maschinenfabrik. Jedoch im Jahre 1837 besaß Berlin erst 29 Dampf- maschinen mit 392 Pferdekräften, ganz Preußen ihrer 419 mit 7355 Pferde- kräften; das Wagniß der kostspieligen Anschaffung erschien auch muthigen Gewerbtreibenden oft zu groß. Da und dort versuchte man schon eine Gewerbeausstellung zu veranstalten, aber wie schwach war die Theilnahme; viele Fabrikanten trauten dem neuen Wesen nicht recht, die meisten scheuten sich ihre Werke dem rücksichtslosen öffentlichen Urtheil auszusetzen. Die Breslauer Ausstellung von 1832 fand in einem Stockwerk eines mittel- großen Hauses genügend Raum, und der Ausschuß bestimmte 100 Thlr. für den Ankauf der auserlesenen Prachtstücke. Bis gegen das Ende des Jahrzehnts merkte die Masse des Volks noch sehr wenig von dem Nahen einer neuen Zeit. Der Bauer ging dreimal jährlich in die Stadt auf den Jahrmarkt um neue Stiefeln oder was an Werkzeug fehlte einzu- kaufen; in der Tabaksbude fand er den Bedarf für seine lange Pfeife, und nebenan hielt, mit der Schwammmütze auf dem Kopfe, der vom Volks-
IV. 8. Stille Jahre.
ein wichtiges Brennmittel, die Brennerei ward dem Großgrundbeſitzer ſchon wegen der Schlempe und des Düngers unentbehrlich. Der Rübenbau nahm zu, und Amtsrath Koppe zu Wollup im Oderbruch, ſeit Thaer’s Tode wohl der erſte Landwirth Norddeutſchlands, erwies den Theoretikern der Freihandelsſchule mit ſchlagenden Gründen, daß die Erzeugung eines unentbehrlichen Genußmittels im eigenen Lande doch keine Künſtelei ſei, ſondern eine wirkliche Vermehrung des Volksvermögens. Gleichwohl konnte die durchgebildete Arbeitstheilung des Großbetriebs in die Landwirthſchaft noch nicht recht eindringen. Jedes große Landgut bildete gleichſam einen iſolirten Staat, der durch wohlberechneten Fruchtwechſel, durch die Ver- bindung von Ackerbau und Viehzucht die verlorenen Bodenkräfte ſtets ſelber neu zu erzeugen ſuchte. In dieſer Kunſt, ein Landgut durch ſich ſelber zu unterhalten, war Koppe der anerkannte Meiſter. Für den großen Markt zu arbeiten, einzelne Zweige der Landwirthſchaft mit virtuoſer Ein- ſeitigkeit zu pflegen und die Dungſtoffe von auswärts herbeizuſchaffen, ſchien ſelbſt dem unternehmenden Grundherrn unmöglich wegen der hohen Frachtkoſten.
Und wie dürftig, eng, kleinſtädtiſch blieb noch immer die Induſtrie, trotz der beſſeren Zeiten. An Stahl erzeugte ganz Preußen im Jahre 1826 nur 62,000 Ctr., an Gußſtahl 1832 gar nur 94 Ctr. Schienen und andere Eiſenwaaren, die nur mit Cokes hergeſtellt werden konnten, kamen aus England, weil die deutſchen Werke meiſt mit den Holzkohlen aus den nahen Waldungen heizten und die Fracht für die Steinkohlen nicht zu zahlen vermochten. Von Weſtphalens mächtigen Steinkohlenlagern wurde, wieder wegen der Frachtkoſten, nur ein kleiner Theil ausgebeutet. Im Bochumer Revier waren 130 Gruben im Betrieb, 400 ruhten; ſo rechnete 1833 Friedrich Harkort, der beliebte Volksmann Weſtphalens. Harkort ſelbſt leitete in Wetter an der Ruhr, Aſton in Magdeburg eine große Maſchinenfabrik. Jedoch im Jahre 1837 beſaß Berlin erſt 29 Dampf- maſchinen mit 392 Pferdekräften, ganz Preußen ihrer 419 mit 7355 Pferde- kräften; das Wagniß der koſtſpieligen Anſchaffung erſchien auch muthigen Gewerbtreibenden oft zu groß. Da und dort verſuchte man ſchon eine Gewerbeausſtellung zu veranſtalten, aber wie ſchwach war die Theilnahme; viele Fabrikanten trauten dem neuen Weſen nicht recht, die meiſten ſcheuten ſich ihre Werke dem rückſichtsloſen öffentlichen Urtheil auszuſetzen. Die Breslauer Ausſtellung von 1832 fand in einem Stockwerk eines mittel- großen Hauſes genügend Raum, und der Ausſchuß beſtimmte 100 Thlr. für den Ankauf der auserleſenen Prachtſtücke. Bis gegen das Ende des Jahrzehnts merkte die Maſſe des Volks noch ſehr wenig von dem Nahen einer neuen Zeit. Der Bauer ging dreimal jährlich in die Stadt auf den Jahrmarkt um neue Stiefeln oder was an Werkzeug fehlte einzu- kaufen; in der Tabaksbude fand er den Bedarf für ſeine lange Pfeife, und nebenan hielt, mit der Schwammmütze auf dem Kopfe, der vom Volks-
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nahm zu, und Amtsrath Koppe zu Wollup im Oderbruch, ſeit Thaer’s
Tode wohl der erſte Landwirth Norddeutſchlands, erwies den Theoretikern
der Freihandelsſchule mit ſchlagenden Gründen, daß die Erzeugung eines
unentbehrlichen Genußmittels im eigenen Lande doch keine Künſtelei ſei,
ſondern eine wirkliche Vermehrung des Volksvermögens. Gleichwohl konnte
die durchgebildete Arbeitstheilung des Großbetriebs in die Landwirthſchaft
noch nicht recht eindringen. Jedes große Landgut bildete gleichſam einen
iſolirten Staat, der durch wohlberechneten Fruchtwechſel, durch die Ver-
bindung von Ackerbau und Viehzucht die verlorenen Bodenkräfte ſtets ſelber
neu zu erzeugen ſuchte. In dieſer Kunſt, ein Landgut durch ſich ſelber
zu unterhalten, war Koppe der anerkannte Meiſter. Für den großen
Markt zu arbeiten, einzelne Zweige der Landwirthſchaft mit virtuoſer Ein-
ſeitigkeit zu pflegen und die Dungſtoffe von auswärts herbeizuſchaffen,
ſchien ſelbſt dem unternehmenden Grundherrn unmöglich wegen der hohen
Frachtkoſten.
Und wie dürftig, eng, kleinſtädtiſch blieb noch immer die Induſtrie,
trotz der beſſeren Zeiten. An Stahl erzeugte ganz Preußen im Jahre
1826 nur 62,000 Ctr., an Gußſtahl 1832 gar nur 94 Ctr. Schienen
und andere Eiſenwaaren, die nur mit Cokes hergeſtellt werden konnten,
kamen aus England, weil die deutſchen Werke meiſt mit den Holzkohlen
aus den nahen Waldungen heizten und die Fracht für die Steinkohlen
nicht zu zahlen vermochten. Von Weſtphalens mächtigen Steinkohlenlagern
wurde, wieder wegen der Frachtkoſten, nur ein kleiner Theil ausgebeutet.
Im Bochumer Revier waren 130 Gruben im Betrieb, 400 ruhten; ſo
rechnete 1833 Friedrich Harkort, der beliebte Volksmann Weſtphalens.
Harkort ſelbſt leitete in Wetter an der Ruhr, Aſton in Magdeburg eine
große Maſchinenfabrik. Jedoch im Jahre 1837 beſaß Berlin erſt 29 Dampf-
maſchinen mit 392 Pferdekräften, ganz Preußen ihrer 419 mit 7355 Pferde-
kräften; das Wagniß der koſtſpieligen Anſchaffung erſchien auch muthigen
Gewerbtreibenden oft zu groß. Da und dort verſuchte man ſchon eine
Gewerbeausſtellung zu veranſtalten, aber wie ſchwach war die Theilnahme;
viele Fabrikanten trauten dem neuen Weſen nicht recht, die meiſten ſcheuten
ſich ihre Werke dem rückſichtsloſen öffentlichen Urtheil auszuſetzen. Die
Breslauer Ausſtellung von 1832 fand in einem Stockwerk eines mittel-
großen Hauſes genügend Raum, und der Ausſchuß beſtimmte 100 Thlr.
für den Ankauf der auserleſenen Prachtſtücke. Bis gegen das Ende des
Jahrzehnts merkte die Maſſe des Volks noch ſehr wenig von dem Nahen
einer neuen Zeit. Der Bauer ging dreimal jährlich in die Stadt auf
den Jahrmarkt um neue Stiefeln oder was an Werkzeug fehlte einzu-
kaufen; in der Tabaksbude fand er den Bedarf für ſeine lange Pfeife,
und nebenan hielt, mit der Schwammmütze auf dem Kopfe, der vom Volks-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/594>, abgerufen am 24.11.2024.
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