mit Bescheidenheit sprach, machte nicht den Eindruck eines ungewöhnlichen Geistes; doch an Eifer ließ er es nicht fehlen. Er war gekommen um die Anerkennung des Bürgerkönigs zu verhindern; nun er sich in dieser Hoffnung getäuscht sah, suchte er die belgische Frage für seine kriegerischen Pläne auszubeuten.
Zwei Monate blieb er in Berlin, um immer wieder in Vorträgen und Denkschriften zu erweisen, wie leicht der Krieg gegen die Revolution sei, selbst ohne Englands Mitwirkung. Dem Könige begann die leiden- schaftliche Haltung seines Schwiegersohnes sehr lästig zu werden. In den Formen zeigte sich der Czar stets überaus verbindlich. Seine Briefe an den Schwiegervater waren mit Versicherungen dankbarer Ergebenheit dermaßen überladen, daß Witzleben einst bei Bernstorff ganz verlegen anfragte: wie denn der König antworten solle ohne die gebotene Gegen- seitigkeit zu verletzen oder seine Würde bloßzustellen;*) bei seinem letzten Besuche in Schlesien führte er sein Kürassierregiment zweimal mit ge- senktem Degen vor General Zieten vorüber, so daß selbst die preußischen Offiziere meinten: das sei zu viel. Diese gottorpischen Schauspielerkünste verhinderten ihn aber keineswegs, in seinen politischen Zumuthungen an Preußen die plumpe Anmaßung des Moskowiters zu zeigen. Wohlgeborgen in seinem fernen Osten, versuchte er, wie vormals seine Großmutter im Jahre 1792, den preußischen Nachbarn in einen ziellosen Krieg gegen den Westen hineinzudrängen. Wenngleich er in seinem wilden Hasse gegen die Revolution durchaus ehrlich war und nicht wie Katharina arglistige Hintergedanken hegte, so forderte er doch ganz so dreist wie jene, daß Preußen sich für den Petersburger Hof opfern müsse. In einer seiner Denkschriften berechnete Diebitsch die Streitkräfte für den rheinischen Feldzug also: 210000 Mann Preußen, 120000 Mann deutscher Bundes- truppen, 30000 Holländer, dazu 60000 Oesterreicher, endlich an letzter Stelle 180000 Russen.**) So ward in aller Freundschaft fast die ganze Last des Krieges auf Preußen abgewälzt; über die stolze Zahl der kleinen deutschen Contingente konnte man in Berlin nur lächeln, und seit den Erfahrungen des Jahres 1813 wußte man auch, wie kühn die Phantasie der Russen bei der Abschätzung ihrer eigenen Heeresmacht zu verfahren pflegte. Selbst General Schöler, der Gesandte in Petersburg, der früherhin die russische Macht stark überschätzt hatte, war jetzt durch lang- jährige Beobachtung eines Besseren belehrt; er warnte, der Czar täusche sich über das Maß seiner Kräfte, mehr als 150000 Mann könne Ruß- land nicht gegen Frankreich aufbieten, und diese brauchten drei Monate um, vielleicht erst nach gefallener Entscheidung, die Maas zu erreichen.***)
*) Briefwechsel zwischen Bernstorff und Witzleben a. d. J. 1829.
**) Diebitsch's Denkschrift v. 1./13. Okt. 1830.
***) Schöler's Bericht, 21. Nov. 1830.
Diebitſch in Berlin.
mit Beſcheidenheit ſprach, machte nicht den Eindruck eines ungewöhnlichen Geiſtes; doch an Eifer ließ er es nicht fehlen. Er war gekommen um die Anerkennung des Bürgerkönigs zu verhindern; nun er ſich in dieſer Hoffnung getäuſcht ſah, ſuchte er die belgiſche Frage für ſeine kriegeriſchen Pläne auszubeuten.
Zwei Monate blieb er in Berlin, um immer wieder in Vorträgen und Denkſchriften zu erweiſen, wie leicht der Krieg gegen die Revolution ſei, ſelbſt ohne Englands Mitwirkung. Dem Könige begann die leiden- ſchaftliche Haltung ſeines Schwiegerſohnes ſehr läſtig zu werden. In den Formen zeigte ſich der Czar ſtets überaus verbindlich. Seine Briefe an den Schwiegervater waren mit Verſicherungen dankbarer Ergebenheit dermaßen überladen, daß Witzleben einſt bei Bernſtorff ganz verlegen anfragte: wie denn der König antworten ſolle ohne die gebotene Gegen- ſeitigkeit zu verletzen oder ſeine Würde bloßzuſtellen;*) bei ſeinem letzten Beſuche in Schleſien führte er ſein Küraſſierregiment zweimal mit ge- ſenktem Degen vor General Zieten vorüber, ſo daß ſelbſt die preußiſchen Offiziere meinten: das ſei zu viel. Dieſe gottorpiſchen Schauſpielerkünſte verhinderten ihn aber keineswegs, in ſeinen politiſchen Zumuthungen an Preußen die plumpe Anmaßung des Moskowiters zu zeigen. Wohlgeborgen in ſeinem fernen Oſten, verſuchte er, wie vormals ſeine Großmutter im Jahre 1792, den preußiſchen Nachbarn in einen zielloſen Krieg gegen den Weſten hineinzudrängen. Wenngleich er in ſeinem wilden Haſſe gegen die Revolution durchaus ehrlich war und nicht wie Katharina argliſtige Hintergedanken hegte, ſo forderte er doch ganz ſo dreiſt wie jene, daß Preußen ſich für den Petersburger Hof opfern müſſe. In einer ſeiner Denkſchriften berechnete Diebitſch die Streitkräfte für den rheiniſchen Feldzug alſo: 210000 Mann Preußen, 120000 Mann deutſcher Bundes- truppen, 30000 Holländer, dazu 60000 Oeſterreicher, endlich an letzter Stelle 180000 Ruſſen.**) So ward in aller Freundſchaft faſt die ganze Laſt des Krieges auf Preußen abgewälzt; über die ſtolze Zahl der kleinen deutſchen Contingente konnte man in Berlin nur lächeln, und ſeit den Erfahrungen des Jahres 1813 wußte man auch, wie kühn die Phantaſie der Ruſſen bei der Abſchätzung ihrer eigenen Heeresmacht zu verfahren pflegte. Selbſt General Schöler, der Geſandte in Petersburg, der früherhin die ruſſiſche Macht ſtark überſchätzt hatte, war jetzt durch lang- jährige Beobachtung eines Beſſeren belehrt; er warnte, der Czar täuſche ſich über das Maß ſeiner Kräfte, mehr als 150000 Mann könne Ruß- land nicht gegen Frankreich aufbieten, und dieſe brauchten drei Monate um, vielleicht erſt nach gefallener Entſcheidung, die Maas zu erreichen.***)
*) Briefwechſel zwiſchen Bernſtorff und Witzleben a. d. J. 1829.
**) Diebitſch’s Denkſchrift v. 1./13. Okt. 1830.
***) Schöler’s Bericht, 21. Nov. 1830.
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mit Beſcheidenheit ſprach, machte nicht den Eindruck eines ungewöhnlichen
Geiſtes; doch an Eifer ließ er es nicht fehlen. Er war gekommen um
die Anerkennung des Bürgerkönigs zu verhindern; nun er ſich in dieſer
Hoffnung getäuſcht ſah, ſuchte er die belgiſche Frage für ſeine kriegeriſchen
Pläne auszubeuten.
Zwei Monate blieb er in Berlin, um immer wieder in Vorträgen
und Denkſchriften zu erweiſen, wie leicht der Krieg gegen die Revolution
ſei, ſelbſt ohne Englands Mitwirkung. Dem Könige begann die leiden-
ſchaftliche Haltung ſeines Schwiegerſohnes ſehr läſtig zu werden. In
den Formen zeigte ſich der Czar ſtets überaus verbindlich. Seine Briefe
an den Schwiegervater waren mit Verſicherungen dankbarer Ergebenheit
dermaßen überladen, daß Witzleben einſt bei Bernſtorff ganz verlegen
anfragte: wie denn der König antworten ſolle ohne die gebotene Gegen-
ſeitigkeit zu verletzen oder ſeine Würde bloßzuſtellen; *) bei ſeinem letzten
Beſuche in Schleſien führte er ſein Küraſſierregiment zweimal mit ge-
ſenktem Degen vor General Zieten vorüber, ſo daß ſelbſt die preußiſchen
Offiziere meinten: das ſei zu viel. Dieſe gottorpiſchen Schauſpielerkünſte
verhinderten ihn aber keineswegs, in ſeinen politiſchen Zumuthungen an
Preußen die plumpe Anmaßung des Moskowiters zu zeigen. Wohlgeborgen
in ſeinem fernen Oſten, verſuchte er, wie vormals ſeine Großmutter im
Jahre 1792, den preußiſchen Nachbarn in einen zielloſen Krieg gegen den
Weſten hineinzudrängen. Wenngleich er in ſeinem wilden Haſſe gegen
die Revolution durchaus ehrlich war und nicht wie Katharina argliſtige
Hintergedanken hegte, ſo forderte er doch ganz ſo dreiſt wie jene, daß
Preußen ſich für den Petersburger Hof opfern müſſe. In einer ſeiner
Denkſchriften berechnete Diebitſch die Streitkräfte für den rheiniſchen
Feldzug alſo: 210000 Mann Preußen, 120000 Mann deutſcher Bundes-
truppen, 30000 Holländer, dazu 60000 Oeſterreicher, endlich an letzter
Stelle 180000 Ruſſen. **) So ward in aller Freundſchaft faſt die ganze
Laſt des Krieges auf Preußen abgewälzt; über die ſtolze Zahl der kleinen
deutſchen Contingente konnte man in Berlin nur lächeln, und ſeit den
Erfahrungen des Jahres 1813 wußte man auch, wie kühn die Phantaſie
der Ruſſen bei der Abſchätzung ihrer eigenen Heeresmacht zu verfahren
pflegte. Selbſt General Schöler, der Geſandte in Petersburg, der
früherhin die ruſſiſche Macht ſtark überſchätzt hatte, war jetzt durch lang-
jährige Beobachtung eines Beſſeren belehrt; er warnte, der Czar täuſche
ſich über das Maß ſeiner Kräfte, mehr als 150000 Mann könne Ruß-
land nicht gegen Frankreich aufbieten, und dieſe brauchten drei Monate
um, vielleicht erſt nach gefallener Entſcheidung, die Maas zu erreichen. ***)
*) Briefwechſel zwiſchen Bernſtorff und Witzleben a. d. J. 1829.
**) Diebitſch’s Denkſchrift v. 1./13. Okt. 1830.
***) Schöler’s Bericht, 21. Nov. 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/61>, abgerufen am 25.11.2024.
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