Unmöglich konnten die Nachbarstaaten ruhig zuwarten, bis diese wüsten Gesellen einen neuen Ausfall wagten. Da der Wiener Hof für die Sicher- heit der Lombardei fürchtete, so erhob zunächst der österreichische Gesandte Graf Bombelles Beschwerde und erwarb sich dadurch bei den Flüchtlingen den Beinamen des neuen Geßlers. Dann verlangte der Deutsche Bundes- tag durch eine auf den Wiener Ministerconferenzen sorgfältig vorberathene Note*) die Ausweisung aller der Deutschen, welche mittelbar oder un- mittelbar die Ruhe der Bundesstaaten zu stören suchten (6. März). Die Tagsatzung gab eine ausweichende Antwort; die Schweizer Radicalen tobten wider die Tyrannen, am lautesten der Berner Professor L. Snell, der vor Jahren dem Kreise der Unbedingten nahe gestanden und mittlerweile das Schweizer Bürgerrecht erworben hatte. Ihm, wie so vielen anderen verlorenen Söhnen Deutschlands, gereichte es immer zur Freude, wenn er sein altes Nest beschmutzen konnte. In einer hochpathetischen Schrift "das verletzte Völkerrecht an der Eidgenossenschaft" schilderte er den Kampf der freien Schweiz wider die Heilige Allianz; denn daß die Eidgenossen selber der Heiligen Allianz angehörten, war diesem Völkerrechtslehrer ganz unbekannt. Ich könnte, so rief er aus, in einem großen Königreiche ein reicher und angesehener Sklave sein, aber ich habe meine Menschenwürde in die Republik gerettet; in der Monarchie ist die erste Pflicht des Men- schen zu schweigen, in einem freien Lande soll er seine Stimme erheben -- und was der Großsprecherei mehr war. Auch Lord Palmerston versuchte durch ein Rundschreiben an die deutschen Höfe sich in diese Händel ein- zumischen. Das Verhalten der Schweiz wagte er selbst nicht zu verthei- digen, da sie so offenbar Unrecht hatte, er warnte die Deutschen nur vor Zwangsmaßregeln; dann ließ sich hoffen, daß der angenehme Unfrieden an der Schweizer Grenze noch recht lange währte.**)
Der Bundestag ließ sich nicht beirren. Er erneuerte seine Forde- rungen in einer schärferen Note (1. Mai); auch Oesterreich und die süd- deutschen Grenznachbarn wiederholten ihre Beschwerden. Der badische Geschäftsträger Dusch, der diese Schriftstücke überbrachte, mußte, obwohl den Schweizern wohl gesinnt, eine sehr scharfe Sprache führen. Zugleich wurde an der Grenze eine strenge Bewachung angeordnet, und im Noth- fall wollte man sogar die Handelssperre verkündigen.***) Da entfiel der Tagsatzung der Muth. Sie schickte eine Gesandtschaft nach Chambery um sich vor dem tief beleidigten Könige Karl Albert zu entschuldigen, und er- widerte dem Deutschen Bunde (24. Juni), daß sie alle Flüchtlinge, welche die Ruhe anderer Staaten störten, hinwegweisen werde. Dem Wiener
*) Brockhausen's Berichte, 25. 28. Febr.; Ancillon an Brockhausen, 7. März 1834.
**) Dönhoff's Bericht, 27. April 1834.
***) Brockhausen's Berichte, 29. März, 17. Mai; Brockhausen an Olfers in Bern, 5. Juni 1834.
IV. 8. Stille Jahre.
Unmöglich konnten die Nachbarſtaaten ruhig zuwarten, bis dieſe wüſten Geſellen einen neuen Ausfall wagten. Da der Wiener Hof für die Sicher- heit der Lombardei fürchtete, ſo erhob zunächſt der öſterreichiſche Geſandte Graf Bombelles Beſchwerde und erwarb ſich dadurch bei den Flüchtlingen den Beinamen des neuen Geßlers. Dann verlangte der Deutſche Bundes- tag durch eine auf den Wiener Miniſterconferenzen ſorgfältig vorberathene Note*) die Ausweiſung aller der Deutſchen, welche mittelbar oder un- mittelbar die Ruhe der Bundesſtaaten zu ſtören ſuchten (6. März). Die Tagſatzung gab eine ausweichende Antwort; die Schweizer Radicalen tobten wider die Tyrannen, am lauteſten der Berner Profeſſor L. Snell, der vor Jahren dem Kreiſe der Unbedingten nahe geſtanden und mittlerweile das Schweizer Bürgerrecht erworben hatte. Ihm, wie ſo vielen anderen verlorenen Söhnen Deutſchlands, gereichte es immer zur Freude, wenn er ſein altes Neſt beſchmutzen konnte. In einer hochpathetiſchen Schrift „das verletzte Völkerrecht an der Eidgenoſſenſchaft“ ſchilderte er den Kampf der freien Schweiz wider die Heilige Allianz; denn daß die Eidgenoſſen ſelber der Heiligen Allianz angehörten, war dieſem Völkerrechtslehrer ganz unbekannt. Ich könnte, ſo rief er aus, in einem großen Königreiche ein reicher und angeſehener Sklave ſein, aber ich habe meine Menſchenwürde in die Republik gerettet; in der Monarchie iſt die erſte Pflicht des Men- ſchen zu ſchweigen, in einem freien Lande ſoll er ſeine Stimme erheben — und was der Großſprecherei mehr war. Auch Lord Palmerſton verſuchte durch ein Rundſchreiben an die deutſchen Höfe ſich in dieſe Händel ein- zumiſchen. Das Verhalten der Schweiz wagte er ſelbſt nicht zu verthei- digen, da ſie ſo offenbar Unrecht hatte, er warnte die Deutſchen nur vor Zwangsmaßregeln; dann ließ ſich hoffen, daß der angenehme Unfrieden an der Schweizer Grenze noch recht lange währte.**)
Der Bundestag ließ ſich nicht beirren. Er erneuerte ſeine Forde- rungen in einer ſchärferen Note (1. Mai); auch Oeſterreich und die ſüd- deutſchen Grenznachbarn wiederholten ihre Beſchwerden. Der badiſche Geſchäftsträger Duſch, der dieſe Schriftſtücke überbrachte, mußte, obwohl den Schweizern wohl geſinnt, eine ſehr ſcharfe Sprache führen. Zugleich wurde an der Grenze eine ſtrenge Bewachung angeordnet, und im Noth- fall wollte man ſogar die Handelsſperre verkündigen.***) Da entfiel der Tagſatzung der Muth. Sie ſchickte eine Geſandtſchaft nach Chambery um ſich vor dem tief beleidigten Könige Karl Albert zu entſchuldigen, und er- widerte dem Deutſchen Bunde (24. Juni), daß ſie alle Flüchtlinge, welche die Ruhe anderer Staaten ſtörten, hinwegweiſen werde. Dem Wiener
*) Brockhauſen’s Berichte, 25. 28. Febr.; Ancillon an Brockhauſen, 7. März 1834.
**) Dönhoff’s Bericht, 27. April 1834.
***) Brockhauſen’s Berichte, 29. März, 17. Mai; Brockhauſen an Olfers in Bern, 5. Juni 1834.
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Geſellen einen neuen Ausfall wagten. Da der Wiener Hof für die Sicher-
heit der Lombardei fürchtete, ſo erhob zunächſt der öſterreichiſche Geſandte
Graf Bombelles Beſchwerde und erwarb ſich dadurch bei den Flüchtlingen
den Beinamen des neuen Geßlers. Dann verlangte der Deutſche Bundes-
tag durch eine auf den Wiener Miniſterconferenzen ſorgfältig vorberathene
Note *) die Ausweiſung aller der Deutſchen, welche mittelbar oder un-
mittelbar die Ruhe der Bundesſtaaten zu ſtören ſuchten (6. März). Die
Tagſatzung gab eine ausweichende Antwort; die Schweizer Radicalen tobten
wider die Tyrannen, am lauteſten der Berner Profeſſor L. Snell, der
vor Jahren dem Kreiſe der Unbedingten nahe geſtanden und mittlerweile
das Schweizer Bürgerrecht erworben hatte. Ihm, wie ſo vielen anderen
verlorenen Söhnen Deutſchlands, gereichte es immer zur Freude, wenn
er ſein altes Neſt beſchmutzen konnte. In einer hochpathetiſchen Schrift
„das verletzte Völkerrecht an der Eidgenoſſenſchaft“ ſchilderte er den Kampf
der freien Schweiz wider die Heilige Allianz; denn daß die Eidgenoſſen
ſelber der Heiligen Allianz angehörten, war dieſem Völkerrechtslehrer ganz
unbekannt. Ich könnte, ſo rief er aus, in einem großen Königreiche ein
reicher und angeſehener Sklave ſein, aber ich habe meine Menſchenwürde
in die Republik gerettet; in der Monarchie iſt die erſte Pflicht des Men-
ſchen zu ſchweigen, in einem freien Lande ſoll er ſeine Stimme erheben
— und was der Großſprecherei mehr war. Auch Lord Palmerſton verſuchte
durch ein Rundſchreiben an die deutſchen Höfe ſich in dieſe Händel ein-
zumiſchen. Das Verhalten der Schweiz wagte er ſelbſt nicht zu verthei-
digen, da ſie ſo offenbar Unrecht hatte, er warnte die Deutſchen nur vor
Zwangsmaßregeln; dann ließ ſich hoffen, daß der angenehme Unfrieden
an der Schweizer Grenze noch recht lange währte. **)
Der Bundestag ließ ſich nicht beirren. Er erneuerte ſeine Forde-
rungen in einer ſchärferen Note (1. Mai); auch Oeſterreich und die ſüd-
deutſchen Grenznachbarn wiederholten ihre Beſchwerden. Der badiſche
Geſchäftsträger Duſch, der dieſe Schriftſtücke überbrachte, mußte, obwohl
den Schweizern wohl geſinnt, eine ſehr ſcharfe Sprache führen. Zugleich
wurde an der Grenze eine ſtrenge Bewachung angeordnet, und im Noth-
fall wollte man ſogar die Handelsſperre verkündigen. ***) Da entfiel der
Tagſatzung der Muth. Sie ſchickte eine Geſandtſchaft nach Chambery um
ſich vor dem tief beleidigten Könige Karl Albert zu entſchuldigen, und er-
widerte dem Deutſchen Bunde (24. Juni), daß ſie alle Flüchtlinge, welche
die Ruhe anderer Staaten ſtörten, hinwegweiſen werde. Dem Wiener
*) Brockhauſen’s Berichte, 25. 28. Febr.; Ancillon an Brockhauſen, 7. März 1834.
**) Dönhoff’s Bericht, 27. April 1834.
***) Brockhauſen’s Berichte, 29. März, 17. Mai; Brockhauſen an Olfers in Bern,
5. Juni 1834.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/618>, abgerufen am 24.11.2024.
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