rechte, der Demokratischen Gesellschaft der Polen in Verkehr blieben.*) Machtlos für den Augenblick wurden die Geheimbündler doch für die Zu- kunft bedeutsam; ihre langjährige still wühlende Arbeit half die Aufstände des Jahres 1848 vorbereiten.
Mittlerweile zogen einzelne anschlägige Köpfe aus der Lehre der un- bedingten Gleichheit schon die letzten, den Begierden der Masse einleuchten- den Folgerungen. Bereits zur Zeit der Juli-Revolution hatte der erfin- dungsreiche Techniker Gall -- derselbe, der in späterer Zeit durch das Gallisiren des Weines bekannt wurde -- den Plan entwickelt, die Macht des großen Capitals durch die Association des kleinen zu bekämpfen. Seine Worte verhallten noch ungehört. Ganz anderen Anklang fand nachher der erste Apostel des reinen Communismus im neuen Deutschland, der Schneider Wilhelm Weitling. Der war zu Magdeburg in den gedrückten Verhältnissen des kleinen Handwerks aufgewachsen; dann fügte es der Humor des Schicksals, daß der hübsche, gescheidte Schneidergesell im Liebes- wettstreit um ein Mädchen einen Erzherzog ausstach. So lernte er die Schwächen und die Rachsucht der Mächtigen der Erde aus der Nähe kennen. In Paris ward er in die Lehren Cabet's und Fourier's eingeweiht und ging alsdann in die Schweiz, um die deutschen Arbeiter zu entflammen. Sein Büchlein "Die Menschheit wie sie ist und wie sie sein sollte" (1838) war auf Fassungskraft und Neigung der Massen wohl berechnet und nicht ohne Begeisterung geschrieben, obgleich das gute Essen und Trinken unter seinen Zukunftsidealen einen unbillig breiten Raum einnahm. Ausgehend von der apostolischen Einfachheit des ältesten Christenthums versicherte er kurzab: "reich und mächtig sein, heißt ungerecht sein," und forderte zum Besten der Arbeiter, "der nützlichsten Menschen des Erdbodens, den Zu- stand der gesellschaftlichen Gleichheit," dergestalt, daß selbst die beiden Geschlechter gleich erzogen würden. In fünf, späterhin in drei täglichen Arbeitsstunden sollte die Gesellschaft ihre gemeinsamen Aufgaben erledigen; indeß stand Jedem frei, sich durch außerordentliche Arbeiten, durch "Com- merzstunden" noch besondere Genüsse zu verschaffen. So werde "die Welt sich in einen Garten und die Menschheit in eine Familie verwandeln". So liebliche Bilder mußten wohl manchen beladenen kleinen Mann bethören; der Prophet redete scheinbar ganz harmlos und vermied die Frage, wie der große Umsturz möglich werden solle. --
Auch die Auswanderung nach Nordamerika wurde durch den Unfrieden der Revolutionsjahre mächtig gefördert. In dem Jahrzehnt bis 1840 nahmen die Vereinigten Staaten etwa 182,000 deutsch redende Auswan- derer auf, zwölfmal mehr als im vergangenen Jahrzehnt; die Jahresziffer sank seit 1832 nicht mehr unter 10,000, im Jahre 1840 stieg sie auf
*) Hans (d. h. Cand. Curtmann aus Hessen) an Rauschenplatt, London 29. Sep- tember 1836. Polizeibericht aus London an die Bundes-Centralbehörde, 18. Aug. 1837.
IV. 8. Stille Jahre.
rechte, der Demokratiſchen Geſellſchaft der Polen in Verkehr blieben.*) Machtlos für den Augenblick wurden die Geheimbündler doch für die Zu- kunft bedeutſam; ihre langjährige ſtill wühlende Arbeit half die Aufſtände des Jahres 1848 vorbereiten.
Mittlerweile zogen einzelne anſchlägige Köpfe aus der Lehre der un- bedingten Gleichheit ſchon die letzten, den Begierden der Maſſe einleuchten- den Folgerungen. Bereits zur Zeit der Juli-Revolution hatte der erfin- dungsreiche Techniker Gall — derſelbe, der in ſpäterer Zeit durch das Galliſiren des Weines bekannt wurde — den Plan entwickelt, die Macht des großen Capitals durch die Aſſociation des kleinen zu bekämpfen. Seine Worte verhallten noch ungehört. Ganz anderen Anklang fand nachher der erſte Apoſtel des reinen Communismus im neuen Deutſchland, der Schneider Wilhelm Weitling. Der war zu Magdeburg in den gedrückten Verhältniſſen des kleinen Handwerks aufgewachſen; dann fügte es der Humor des Schickſals, daß der hübſche, geſcheidte Schneidergeſell im Liebes- wettſtreit um ein Mädchen einen Erzherzog ausſtach. So lernte er die Schwächen und die Rachſucht der Mächtigen der Erde aus der Nähe kennen. In Paris ward er in die Lehren Cabet’s und Fourier’s eingeweiht und ging alsdann in die Schweiz, um die deutſchen Arbeiter zu entflammen. Sein Büchlein „Die Menſchheit wie ſie iſt und wie ſie ſein ſollte“ (1838) war auf Faſſungskraft und Neigung der Maſſen wohl berechnet und nicht ohne Begeiſterung geſchrieben, obgleich das gute Eſſen und Trinken unter ſeinen Zukunftsidealen einen unbillig breiten Raum einnahm. Ausgehend von der apoſtoliſchen Einfachheit des älteſten Chriſtenthums verſicherte er kurzab: „reich und mächtig ſein, heißt ungerecht ſein,“ und forderte zum Beſten der Arbeiter, „der nützlichſten Menſchen des Erdbodens, den Zu- ſtand der geſellſchaftlichen Gleichheit,“ dergeſtalt, daß ſelbſt die beiden Geſchlechter gleich erzogen würden. In fünf, ſpäterhin in drei täglichen Arbeitsſtunden ſollte die Geſellſchaft ihre gemeinſamen Aufgaben erledigen; indeß ſtand Jedem frei, ſich durch außerordentliche Arbeiten, durch „Com- merzſtunden“ noch beſondere Genüſſe zu verſchaffen. So werde „die Welt ſich in einen Garten und die Menſchheit in eine Familie verwandeln“. So liebliche Bilder mußten wohl manchen beladenen kleinen Mann bethören; der Prophet redete ſcheinbar ganz harmlos und vermied die Frage, wie der große Umſturz möglich werden ſolle. —
Auch die Auswanderung nach Nordamerika wurde durch den Unfrieden der Revolutionsjahre mächtig gefördert. In dem Jahrzehnt bis 1840 nahmen die Vereinigten Staaten etwa 182,000 deutſch redende Auswan- derer auf, zwölfmal mehr als im vergangenen Jahrzehnt; die Jahresziffer ſank ſeit 1832 nicht mehr unter 10,000, im Jahre 1840 ſtieg ſie auf
*) Hans (d. h. Cand. Curtmann aus Heſſen) an Rauſchenplatt, London 29. Sep- tember 1836. Polizeibericht aus London an die Bundes-Centralbehörde, 18. Aug. 1837.
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IV. 8. Stille Jahre.
rechte, der Demokratiſchen Geſellſchaft der Polen in Verkehr blieben. *)
Machtlos für den Augenblick wurden die Geheimbündler doch für die Zu-
kunft bedeutſam; ihre langjährige ſtill wühlende Arbeit half die Aufſtände
des Jahres 1848 vorbereiten.
Mittlerweile zogen einzelne anſchlägige Köpfe aus der Lehre der un-
bedingten Gleichheit ſchon die letzten, den Begierden der Maſſe einleuchten-
den Folgerungen. Bereits zur Zeit der Juli-Revolution hatte der erfin-
dungsreiche Techniker Gall — derſelbe, der in ſpäterer Zeit durch das
Galliſiren des Weines bekannt wurde — den Plan entwickelt, die Macht
des großen Capitals durch die Aſſociation des kleinen zu bekämpfen. Seine
Worte verhallten noch ungehört. Ganz anderen Anklang fand nachher
der erſte Apoſtel des reinen Communismus im neuen Deutſchland, der
Schneider Wilhelm Weitling. Der war zu Magdeburg in den gedrückten
Verhältniſſen des kleinen Handwerks aufgewachſen; dann fügte es der
Humor des Schickſals, daß der hübſche, geſcheidte Schneidergeſell im Liebes-
wettſtreit um ein Mädchen einen Erzherzog ausſtach. So lernte er die
Schwächen und die Rachſucht der Mächtigen der Erde aus der Nähe kennen.
In Paris ward er in die Lehren Cabet’s und Fourier’s eingeweiht und
ging alsdann in die Schweiz, um die deutſchen Arbeiter zu entflammen.
Sein Büchlein „Die Menſchheit wie ſie iſt und wie ſie ſein ſollte“ (1838)
war auf Faſſungskraft und Neigung der Maſſen wohl berechnet und nicht
ohne Begeiſterung geſchrieben, obgleich das gute Eſſen und Trinken unter
ſeinen Zukunftsidealen einen unbillig breiten Raum einnahm. Ausgehend
von der apoſtoliſchen Einfachheit des älteſten Chriſtenthums verſicherte er
kurzab: „reich und mächtig ſein, heißt ungerecht ſein,“ und forderte zum
Beſten der Arbeiter, „der nützlichſten Menſchen des Erdbodens, den Zu-
ſtand der geſellſchaftlichen Gleichheit,“ dergeſtalt, daß ſelbſt die beiden
Geſchlechter gleich erzogen würden. In fünf, ſpäterhin in drei täglichen
Arbeitsſtunden ſollte die Geſellſchaft ihre gemeinſamen Aufgaben erledigen;
indeß ſtand Jedem frei, ſich durch außerordentliche Arbeiten, durch „Com-
merzſtunden“ noch beſondere Genüſſe zu verſchaffen. So werde „die Welt
ſich in einen Garten und die Menſchheit in eine Familie verwandeln“. So
liebliche Bilder mußten wohl manchen beladenen kleinen Mann bethören;
der Prophet redete ſcheinbar ganz harmlos und vermied die Frage, wie
der große Umſturz möglich werden ſolle. —
Auch die Auswanderung nach Nordamerika wurde durch den Unfrieden
der Revolutionsjahre mächtig gefördert. In dem Jahrzehnt bis 1840
nahmen die Vereinigten Staaten etwa 182,000 deutſch redende Auswan-
derer auf, zwölfmal mehr als im vergangenen Jahrzehnt; die Jahresziffer
ſank ſeit 1832 nicht mehr unter 10,000, im Jahre 1840 ſtieg ſie auf
*) Hans (d. h. Cand. Curtmann aus Heſſen) an Rauſchenplatt, London 29. Sep-
tember 1836. Polizeibericht aus London an die Bundes-Centralbehörde, 18. Aug. 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/622>, abgerufen am 24.11.2024.
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