Als der Kurprinz einmal seinem königlichen Oheim einen Plan einsendete, der die Landstände zur Zurücknahme der Anklagen bewegen sollte, da ließ der König antworten: er wünsche nicht, daß sein Neffe mit ihm oder dem Kaiser von Oesterreich über solche Dinge unmittelbar Briefe wechsle, beide Höfe könnten als Bundesmächte doch nur gemeinsam handeln; so würde auch am sichersten "jeder Anschein einer Verkennung der Grundsätze der Verfassung vermieden".*)
Die Processe gegen Hassenpflug währten in das vierte Jahr hinein, bis zum Januar 1836, ohne das Land sonderlich aufzuregen. Mittler- weile war aber schon ein neuer, dem Volke verständlicherer Kampf aus- gebrochen. Wieder einmal gerieth die Habsucht dieses Fürstenhauses in Streit mit dem eigenen Lande. Um Neujahr 1835 erlosch die Neben- linie Hessen-Rotenburg, die ein Viertel der alten Landgrafschaft, die Roten- burger Quart mit 225,000 Thlr. jährlicher Einkünfte besaß und dort die Patrimonialgerichtsbarkeit nebst anderen niederen Regierungsrechten aus- übte. Eine Weile blieb es noch zweifelhaft, ob dieser reiche Besitz wirk- lich heimgefallen sei; denn die Wittwe des letzten Rotenburgers, Landgräfin Eleonore meldete aus ihrem einsamen Schlosse Zembowitz in Schlesien, daß sie sich Mutter fühle. Alsbald argwöhnte der mißtrauische Kurprinz, daß man einen Erben unterschieben wolle, obgleich die Landgräfin sich von freien Stücken bereit erklärte, ihr Wochenbett zu Rotenburg in Hessen ab- zuwarten. Er erbat sich durch seinen Gesandten vom Berliner Hofe die Anordnung der üblichen Sicherheitsmaßregeln. Nach deutschem Fürsten- rechte ließ sich dies unanständige Verlangen nicht abweisen. Das Pu- pillen-Collegium in Ratibor ernannte nunmehr einen Landrath zum Cura- tor ventris für die Wittwe; der mußte die Landgräfin nach dem Schlosse Rotenburg geleiten. Dort hatte der Kurprinz alle Zugänge vermauern lassen; der eine, der offen blieb, wurde streng bewacht. Die arme Land- gräfin, die unzweifelhaft in gutem Glauben war, bat den König von Preußen für alle Fälle um Schutz, weil dem Kurprinzen kein Fürstenwort heilig sei; da stellte sich endlich heraus, daß sie sich über ihren Zustand getäuscht hatte.**)
Nachdem der Prinzregent also seinen Verwandten seine ritterliche Ge- sinnung gezeigt hatte, ließ er die Rotenburger Quart für sein Hausfidei- commiß einziehen; die Kosten der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit über- wies er kurzerhand dem Staate und erbot sich großmüthig 1500 Thlr. jährlich zuzuschießen. Zugleich versuchte er auch die großen preußischen Besitzungen des Hauses Rotenburg, die Fürstenthümer Ratibor und Corvey, welche der verstorbene Landgraf seinen Neffen, den Prinzen von Hohenlohe
*) Entwurf für ein Rescript des Kurprinzen an den Landtag, 1. Juli; Ancillon, Weisungen an Canitz, 16. 17. Juli 1833.
**) Landgräfin Eleonore von Hessen-Rotenburg an Ancillon, 12. Aug., an Canitz, Aug. 1835. Cabinetsordre an Ancillon, 28. Aug. 1835.
Die Rotenburger Quart.
Als der Kurprinz einmal ſeinem königlichen Oheim einen Plan einſendete, der die Landſtände zur Zurücknahme der Anklagen bewegen ſollte, da ließ der König antworten: er wünſche nicht, daß ſein Neffe mit ihm oder dem Kaiſer von Oeſterreich über ſolche Dinge unmittelbar Briefe wechsle, beide Höfe könnten als Bundesmächte doch nur gemeinſam handeln; ſo würde auch am ſicherſten „jeder Anſchein einer Verkennung der Grundſätze der Verfaſſung vermieden“.*)
Die Proceſſe gegen Haſſenpflug währten in das vierte Jahr hinein, bis zum Januar 1836, ohne das Land ſonderlich aufzuregen. Mittler- weile war aber ſchon ein neuer, dem Volke verſtändlicherer Kampf aus- gebrochen. Wieder einmal gerieth die Habſucht dieſes Fürſtenhauſes in Streit mit dem eigenen Lande. Um Neujahr 1835 erloſch die Neben- linie Heſſen-Rotenburg, die ein Viertel der alten Landgrafſchaft, die Roten- burger Quart mit 225,000 Thlr. jährlicher Einkünfte beſaß und dort die Patrimonialgerichtsbarkeit nebſt anderen niederen Regierungsrechten aus- übte. Eine Weile blieb es noch zweifelhaft, ob dieſer reiche Beſitz wirk- lich heimgefallen ſei; denn die Wittwe des letzten Rotenburgers, Landgräfin Eleonore meldete aus ihrem einſamen Schloſſe Zembowitz in Schleſien, daß ſie ſich Mutter fühle. Alsbald argwöhnte der mißtrauiſche Kurprinz, daß man einen Erben unterſchieben wolle, obgleich die Landgräfin ſich von freien Stücken bereit erklärte, ihr Wochenbett zu Rotenburg in Heſſen ab- zuwarten. Er erbat ſich durch ſeinen Geſandten vom Berliner Hofe die Anordnung der üblichen Sicherheitsmaßregeln. Nach deutſchem Fürſten- rechte ließ ſich dies unanſtändige Verlangen nicht abweiſen. Das Pu- pillen-Collegium in Ratibor ernannte nunmehr einen Landrath zum Cura- tor ventris für die Wittwe; der mußte die Landgräfin nach dem Schloſſe Rotenburg geleiten. Dort hatte der Kurprinz alle Zugänge vermauern laſſen; der eine, der offen blieb, wurde ſtreng bewacht. Die arme Land- gräfin, die unzweifelhaft in gutem Glauben war, bat den König von Preußen für alle Fälle um Schutz, weil dem Kurprinzen kein Fürſtenwort heilig ſei; da ſtellte ſich endlich heraus, daß ſie ſich über ihren Zuſtand getäuſcht hatte.**)
Nachdem der Prinzregent alſo ſeinen Verwandten ſeine ritterliche Ge- ſinnung gezeigt hatte, ließ er die Rotenburger Quart für ſein Hausfidei- commiß einziehen; die Koſten der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit über- wies er kurzerhand dem Staate und erbot ſich großmüthig 1500 Thlr. jährlich zuzuſchießen. Zugleich verſuchte er auch die großen preußiſchen Beſitzungen des Hauſes Rotenburg, die Fürſtenthümer Ratibor und Corvey, welche der verſtorbene Landgraf ſeinen Neffen, den Prinzen von Hohenlohe
*) Entwurf für ein Reſcript des Kurprinzen an den Landtag, 1. Juli; Ancillon, Weiſungen an Canitz, 16. 17. Juli 1833.
**) Landgräfin Eleonore von Heſſen-Rotenburg an Ancillon, 12. Aug., an Canitz, Aug. 1835. Cabinetsordre an Ancillon, 28. Aug. 1835.
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Die Rotenburger Quart.
Als der Kurprinz einmal ſeinem königlichen Oheim einen Plan einſendete,
der die Landſtände zur Zurücknahme der Anklagen bewegen ſollte, da ließ
der König antworten: er wünſche nicht, daß ſein Neffe mit ihm oder dem
Kaiſer von Oeſterreich über ſolche Dinge unmittelbar Briefe wechsle, beide
Höfe könnten als Bundesmächte doch nur gemeinſam handeln; ſo würde
auch am ſicherſten „jeder Anſchein einer Verkennung der Grundſätze der
Verfaſſung vermieden“. *)
Die Proceſſe gegen Haſſenpflug währten in das vierte Jahr hinein,
bis zum Januar 1836, ohne das Land ſonderlich aufzuregen. Mittler-
weile war aber ſchon ein neuer, dem Volke verſtändlicherer Kampf aus-
gebrochen. Wieder einmal gerieth die Habſucht dieſes Fürſtenhauſes in
Streit mit dem eigenen Lande. Um Neujahr 1835 erloſch die Neben-
linie Heſſen-Rotenburg, die ein Viertel der alten Landgrafſchaft, die Roten-
burger Quart mit 225,000 Thlr. jährlicher Einkünfte beſaß und dort die
Patrimonialgerichtsbarkeit nebſt anderen niederen Regierungsrechten aus-
übte. Eine Weile blieb es noch zweifelhaft, ob dieſer reiche Beſitz wirk-
lich heimgefallen ſei; denn die Wittwe des letzten Rotenburgers, Landgräfin
Eleonore meldete aus ihrem einſamen Schloſſe Zembowitz in Schleſien,
daß ſie ſich Mutter fühle. Alsbald argwöhnte der mißtrauiſche Kurprinz,
daß man einen Erben unterſchieben wolle, obgleich die Landgräfin ſich von
freien Stücken bereit erklärte, ihr Wochenbett zu Rotenburg in Heſſen ab-
zuwarten. Er erbat ſich durch ſeinen Geſandten vom Berliner Hofe die
Anordnung der üblichen Sicherheitsmaßregeln. Nach deutſchem Fürſten-
rechte ließ ſich dies unanſtändige Verlangen nicht abweiſen. Das Pu-
pillen-Collegium in Ratibor ernannte nunmehr einen Landrath zum Cura-
tor ventris für die Wittwe; der mußte die Landgräfin nach dem Schloſſe
Rotenburg geleiten. Dort hatte der Kurprinz alle Zugänge vermauern
laſſen; der eine, der offen blieb, wurde ſtreng bewacht. Die arme Land-
gräfin, die unzweifelhaft in gutem Glauben war, bat den König von
Preußen für alle Fälle um Schutz, weil dem Kurprinzen kein Fürſtenwort
heilig ſei; da ſtellte ſich endlich heraus, daß ſie ſich über ihren Zuſtand
getäuſcht hatte. **)
Nachdem der Prinzregent alſo ſeinen Verwandten ſeine ritterliche Ge-
ſinnung gezeigt hatte, ließ er die Rotenburger Quart für ſein Hausfidei-
commiß einziehen; die Koſten der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit über-
wies er kurzerhand dem Staate und erbot ſich großmüthig 1500 Thlr.
jährlich zuzuſchießen. Zugleich verſuchte er auch die großen preußiſchen
Beſitzungen des Hauſes Rotenburg, die Fürſtenthümer Ratibor und Corvey,
welche der verſtorbene Landgraf ſeinen Neffen, den Prinzen von Hohenlohe
*) Entwurf für ein Reſcript des Kurprinzen an den Landtag, 1. Juli; Ancillon,
Weiſungen an Canitz, 16. 17. Juli 1833.
**) Landgräfin Eleonore von Heſſen-Rotenburg an Ancillon, 12. Aug., an Canitz,
Aug. 1835. Cabinetsordre an Ancillon, 28. Aug. 1835.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/637>, abgerufen am 27.11.2024.
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