schiedener Feind, nicht blos Opponent der Regierung auftreten, verlangen Sie noch schonlich behandelt zu werden? Nein, Herr Hofrath! So sanft- müthig können und dürfen wir uns nicht benehmen, nicht aus Persönlich- keit oder Rachsucht, nein, sondern im Interesse der Regierung gegen Innen und Außen." So grob, so ungerecht sogar durfte er reden -- denn Rot- teck's Preußenhaß entsprang wirklich nicht persönlicher Empfindlichkeit, sondern dem doctrinären Starrsinn -- und doch verargte es ihm Niemand.
Einem solchen Manne konnte es nicht schwer fallen, die liberale Partei zu zerspalten, ihre gemäßigten Mitglieder an sich zu ziehen; ohnehin be- gann die Erregung der Revolutionsjahre schon zu schwinden. Seinem Schwager, dem liberalen Fürsten von Fürstenberg redete der Großherzog persönlich zu, auf Otterstedt's Bitten, und der Fürst blieb schließlich eine Weile den Kammerverhandlungen fern.*) So verliefen denn die Land- tage von 1833 und 35 in leidlichem Frieden. Wohl versuchte Rotteck in einer feierlichen Motion ein videant consules auszusprechen; er verlangte eine Commission "um den Zustand des Vaterlandes in Erwägung zu ziehen", eine Rechtsverwahrung wider die Bundesbeschlüsse, obgleich der Großherzog in gemüthlicher Ansprache den Abgeordneten versichert hatte, daß schlechterdings keine Verletzung der Verfassung beabsichtigt sei. Die Kammer aber verwies den Antrag in die Abtheilungen zur stillen Bestat- tung, und Winter verbot die Veröffentlichung; nur in den Protokollen, wo Niemand sie las, durfte die Motion gedruckt werden. Dann kam Welcker mit einer ähnlichen Motion und redete gewaltig über "den fünf- zigjährigen blutigen organischen Principienkampf zwischen Volksfreiheit und schrankenloser Herrschergewalt". Sogar die Schatten aus dem Teuto- burger Walde beschwor er herauf und weissagte: wenn Fürst und Volk einig seien, dann müsse "der neue Gegner deutscher Freiheit" ebenso un- fehlbar unterliegen wie einst Varus mit seinen Legionen; so weit sich der Rede dunkler Sinn errathen ließ, schien der König von Preußen dieser andere Varus zu sein. Auch dies blieb vergeblich. Als Rotteck 1835 noch einmal eine Motion auf Sicherstellung der Verfassung einbrachte, blieben die Hörer kalt, und der Antrag wurde nicht einmal in das Pro- tokoll aufgenommen; der tapfere Mann hielt unerschütterlich bei der Stange aus und bemerkte nicht den Wandel der Zeiten. Starken Anforderungen war der Bürgermuth dieses badischen Liberalismus keineswegs gewachsen. Sobald die liberalen Städte Freiburg und Mannheim das Mißwollen der Regierung bemerkten, suchten sie alsbald durch glänzende Geburtstagsfeiern ihre badische Vaterlandsliebe zu erweisen. Als der Kronprinz von Preußen nach Heidelberg kam, wurde er zu seiner großen Verwunderung schon draußen in Handschuhsheim von berittenen Fackelträgern empfangen. Vor seinem Gasthofe paradirte dann die Bürgergarde. Abgesandte der Stadt
*) Otterstedt's Berichte, 16. Mai 1833, 22. April 1835.
Rotteck über den Zuſtand des Vaterlandes.
ſchiedener Feind, nicht blos Opponent der Regierung auftreten, verlangen Sie noch ſchonlich behandelt zu werden? Nein, Herr Hofrath! So ſanft- müthig können und dürfen wir uns nicht benehmen, nicht aus Perſönlich- keit oder Rachſucht, nein, ſondern im Intereſſe der Regierung gegen Innen und Außen.“ So grob, ſo ungerecht ſogar durfte er reden — denn Rot- teck’s Preußenhaß entſprang wirklich nicht perſönlicher Empfindlichkeit, ſondern dem doctrinären Starrſinn — und doch verargte es ihm Niemand.
Einem ſolchen Manne konnte es nicht ſchwer fallen, die liberale Partei zu zerſpalten, ihre gemäßigten Mitglieder an ſich zu ziehen; ohnehin be- gann die Erregung der Revolutionsjahre ſchon zu ſchwinden. Seinem Schwager, dem liberalen Fürſten von Fürſtenberg redete der Großherzog perſönlich zu, auf Otterſtedt’s Bitten, und der Fürſt blieb ſchließlich eine Weile den Kammerverhandlungen fern.*) So verliefen denn die Land- tage von 1833 und 35 in leidlichem Frieden. Wohl verſuchte Rotteck in einer feierlichen Motion ein videant consules auszuſprechen; er verlangte eine Commiſſion „um den Zuſtand des Vaterlandes in Erwägung zu ziehen“, eine Rechtsverwahrung wider die Bundesbeſchlüſſe, obgleich der Großherzog in gemüthlicher Anſprache den Abgeordneten verſichert hatte, daß ſchlechterdings keine Verletzung der Verfaſſung beabſichtigt ſei. Die Kammer aber verwies den Antrag in die Abtheilungen zur ſtillen Beſtat- tung, und Winter verbot die Veröffentlichung; nur in den Protokollen, wo Niemand ſie las, durfte die Motion gedruckt werden. Dann kam Welcker mit einer ähnlichen Motion und redete gewaltig über „den fünf- zigjährigen blutigen organiſchen Principienkampf zwiſchen Volksfreiheit und ſchrankenloſer Herrſchergewalt“. Sogar die Schatten aus dem Teuto- burger Walde beſchwor er herauf und weiſſagte: wenn Fürſt und Volk einig ſeien, dann müſſe „der neue Gegner deutſcher Freiheit“ ebenſo un- fehlbar unterliegen wie einſt Varus mit ſeinen Legionen; ſo weit ſich der Rede dunkler Sinn errathen ließ, ſchien der König von Preußen dieſer andere Varus zu ſein. Auch dies blieb vergeblich. Als Rotteck 1835 noch einmal eine Motion auf Sicherſtellung der Verfaſſung einbrachte, blieben die Hörer kalt, und der Antrag wurde nicht einmal in das Pro- tokoll aufgenommen; der tapfere Mann hielt unerſchütterlich bei der Stange aus und bemerkte nicht den Wandel der Zeiten. Starken Anforderungen war der Bürgermuth dieſes badiſchen Liberalismus keineswegs gewachſen. Sobald die liberalen Städte Freiburg und Mannheim das Mißwollen der Regierung bemerkten, ſuchten ſie alsbald durch glänzende Geburtstagsfeiern ihre badiſche Vaterlandsliebe zu erweiſen. Als der Kronprinz von Preußen nach Heidelberg kam, wurde er zu ſeiner großen Verwunderung ſchon draußen in Handſchuhsheim von berittenen Fackelträgern empfangen. Vor ſeinem Gaſthofe paradirte dann die Bürgergarde. Abgeſandte der Stadt
*) Otterſtedt’s Berichte, 16. Mai 1833, 22. April 1835.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0643"n="629"/><fwplace="top"type="header">Rotteck über den Zuſtand des Vaterlandes.</fw><lb/>ſchiedener Feind, nicht blos Opponent der Regierung auftreten, verlangen<lb/>
Sie noch ſchonlich behandelt zu werden? Nein, Herr Hofrath! So ſanft-<lb/>
müthig können und dürfen wir uns nicht benehmen, nicht aus Perſönlich-<lb/>
keit oder Rachſucht, nein, ſondern im Intereſſe der Regierung gegen Innen<lb/>
und Außen.“ So grob, ſo ungerecht ſogar durfte er reden — denn Rot-<lb/>
teck’s Preußenhaß entſprang wirklich nicht perſönlicher Empfindlichkeit,<lb/>ſondern dem doctrinären Starrſinn — und doch verargte es ihm Niemand.</p><lb/><p>Einem ſolchen Manne konnte es nicht ſchwer fallen, die liberale Partei<lb/>
zu zerſpalten, ihre gemäßigten Mitglieder an ſich zu ziehen; ohnehin be-<lb/>
gann die Erregung der Revolutionsjahre ſchon zu ſchwinden. Seinem<lb/>
Schwager, dem liberalen Fürſten von Fürſtenberg redete der Großherzog<lb/>
perſönlich zu, auf Otterſtedt’s Bitten, und der Fürſt blieb ſchließlich eine<lb/>
Weile den Kammerverhandlungen fern.<noteplace="foot"n="*)">Otterſtedt’s Berichte, 16. Mai 1833, 22. April 1835.</note> So verliefen denn die Land-<lb/>
tage von 1833 und 35 in leidlichem Frieden. Wohl verſuchte Rotteck in<lb/>
einer feierlichen Motion ein <hirendition="#aq">videant consules</hi> auszuſprechen; er verlangte<lb/>
eine Commiſſion „um den Zuſtand des Vaterlandes in Erwägung zu<lb/>
ziehen“, eine Rechtsverwahrung wider die Bundesbeſchlüſſe, obgleich der<lb/>
Großherzog in gemüthlicher Anſprache den Abgeordneten verſichert hatte,<lb/>
daß ſchlechterdings keine Verletzung der Verfaſſung beabſichtigt ſei. Die<lb/>
Kammer aber verwies den Antrag in die Abtheilungen zur ſtillen Beſtat-<lb/>
tung, und Winter verbot die Veröffentlichung; nur in den Protokollen,<lb/>
wo Niemand ſie las, durfte die Motion gedruckt werden. Dann kam<lb/>
Welcker mit einer ähnlichen Motion und redete gewaltig über „den fünf-<lb/>
zigjährigen blutigen organiſchen Principienkampf zwiſchen Volksfreiheit und<lb/>ſchrankenloſer Herrſchergewalt“. Sogar die Schatten aus dem Teuto-<lb/>
burger Walde beſchwor er herauf und weiſſagte: wenn Fürſt und Volk<lb/>
einig ſeien, dann müſſe „der neue Gegner deutſcher Freiheit“ ebenſo un-<lb/>
fehlbar unterliegen wie einſt Varus mit ſeinen Legionen; ſo weit ſich der<lb/>
Rede dunkler Sinn errathen ließ, ſchien der König von Preußen dieſer<lb/>
andere Varus zu ſein. Auch dies blieb vergeblich. Als Rotteck 1835<lb/>
noch einmal eine Motion auf Sicherſtellung der Verfaſſung einbrachte,<lb/>
blieben die Hörer kalt, und der Antrag wurde nicht einmal in das Pro-<lb/>
tokoll aufgenommen; der tapfere Mann hielt unerſchütterlich bei der Stange<lb/>
aus und bemerkte nicht den Wandel der Zeiten. Starken Anforderungen<lb/>
war der Bürgermuth dieſes badiſchen Liberalismus keineswegs gewachſen.<lb/>
Sobald die liberalen Städte Freiburg und Mannheim das Mißwollen der<lb/>
Regierung bemerkten, ſuchten ſie alsbald durch glänzende Geburtstagsfeiern<lb/>
ihre badiſche Vaterlandsliebe zu erweiſen. Als der Kronprinz von Preußen<lb/>
nach Heidelberg kam, wurde er zu ſeiner großen Verwunderung ſchon<lb/>
draußen in Handſchuhsheim von berittenen Fackelträgern empfangen. Vor<lb/>ſeinem Gaſthofe paradirte dann die Bürgergarde. Abgeſandte der Stadt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[629/0643]
Rotteck über den Zuſtand des Vaterlandes.
ſchiedener Feind, nicht blos Opponent der Regierung auftreten, verlangen
Sie noch ſchonlich behandelt zu werden? Nein, Herr Hofrath! So ſanft-
müthig können und dürfen wir uns nicht benehmen, nicht aus Perſönlich-
keit oder Rachſucht, nein, ſondern im Intereſſe der Regierung gegen Innen
und Außen.“ So grob, ſo ungerecht ſogar durfte er reden — denn Rot-
teck’s Preußenhaß entſprang wirklich nicht perſönlicher Empfindlichkeit,
ſondern dem doctrinären Starrſinn — und doch verargte es ihm Niemand.
Einem ſolchen Manne konnte es nicht ſchwer fallen, die liberale Partei
zu zerſpalten, ihre gemäßigten Mitglieder an ſich zu ziehen; ohnehin be-
gann die Erregung der Revolutionsjahre ſchon zu ſchwinden. Seinem
Schwager, dem liberalen Fürſten von Fürſtenberg redete der Großherzog
perſönlich zu, auf Otterſtedt’s Bitten, und der Fürſt blieb ſchließlich eine
Weile den Kammerverhandlungen fern. *) So verliefen denn die Land-
tage von 1833 und 35 in leidlichem Frieden. Wohl verſuchte Rotteck in
einer feierlichen Motion ein videant consules auszuſprechen; er verlangte
eine Commiſſion „um den Zuſtand des Vaterlandes in Erwägung zu
ziehen“, eine Rechtsverwahrung wider die Bundesbeſchlüſſe, obgleich der
Großherzog in gemüthlicher Anſprache den Abgeordneten verſichert hatte,
daß ſchlechterdings keine Verletzung der Verfaſſung beabſichtigt ſei. Die
Kammer aber verwies den Antrag in die Abtheilungen zur ſtillen Beſtat-
tung, und Winter verbot die Veröffentlichung; nur in den Protokollen,
wo Niemand ſie las, durfte die Motion gedruckt werden. Dann kam
Welcker mit einer ähnlichen Motion und redete gewaltig über „den fünf-
zigjährigen blutigen organiſchen Principienkampf zwiſchen Volksfreiheit und
ſchrankenloſer Herrſchergewalt“. Sogar die Schatten aus dem Teuto-
burger Walde beſchwor er herauf und weiſſagte: wenn Fürſt und Volk
einig ſeien, dann müſſe „der neue Gegner deutſcher Freiheit“ ebenſo un-
fehlbar unterliegen wie einſt Varus mit ſeinen Legionen; ſo weit ſich der
Rede dunkler Sinn errathen ließ, ſchien der König von Preußen dieſer
andere Varus zu ſein. Auch dies blieb vergeblich. Als Rotteck 1835
noch einmal eine Motion auf Sicherſtellung der Verfaſſung einbrachte,
blieben die Hörer kalt, und der Antrag wurde nicht einmal in das Pro-
tokoll aufgenommen; der tapfere Mann hielt unerſchütterlich bei der Stange
aus und bemerkte nicht den Wandel der Zeiten. Starken Anforderungen
war der Bürgermuth dieſes badiſchen Liberalismus keineswegs gewachſen.
Sobald die liberalen Städte Freiburg und Mannheim das Mißwollen der
Regierung bemerkten, ſuchten ſie alsbald durch glänzende Geburtstagsfeiern
ihre badiſche Vaterlandsliebe zu erweiſen. Als der Kronprinz von Preußen
nach Heidelberg kam, wurde er zu ſeiner großen Verwunderung ſchon
draußen in Handſchuhsheim von berittenen Fackelträgern empfangen. Vor
ſeinem Gaſthofe paradirte dann die Bürgergarde. Abgeſandte der Stadt
*) Otterſtedt’s Berichte, 16. Mai 1833, 22. April 1835.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/643>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.