dem volksbeliebten Minister des Innern kam Blittersdorff vorerst noch nicht auf.
Da starb Winter plötzlich in der Kraft der Jahre (März 1837). Von allen Diplomaten folgte allein der preußische Gesandte seinem Sarge; bei den anderen Höfen hatte der Minister immer im Geruche des Demagogen gestanden. Das Land beweinte ihn aufrichtig und ehrte ihn späterhin durch ein Denkmal; an seinem Namen haftete fortan die Erinnerung der glück- lichsten Zeiten des badischen Landtagslebens, obgleich er den Häuptlingen des Liberalismus so scharf entgegengetreten war. Staatsrath Nebenius, der jetzt das erledigte Amt übernahm, hatte bei allen Reformen der jüng- sten Jahre thätig und sachkundig mitgewirkt. Aber zu regieren verstand er nicht. Dem Volke blieb der stille geistvolle Gelehrte fremd, und gegen Blittersdorff's brennenden Ehrgeiz konnte der Schüchterne mit seiner nach- giebigen Milde wenig ausrichten. Er war der Verfasser der neuen Dienst- pragmatik, die den Beamten eine sehr wenig, unleugbar allzu wenig be- schränkte Selbständigkeit einräumte. Der hochfahrende Diplomat aber sah, wie Metternich, in dieser Unabhängigkeit der Staatsdiener das schlimmste aller Uebel; er nannte das Beamtenthum ein todtes Werkzeug, das man nach Belieben müsse zerbrechen oder wegwerfen können. Wie sollten diese beiden Männer sich vertragen? Man erzählte bald, der Jüngere habe schon ungeduldig ausgerufen: er oder ich! Blittersdorff fürchtete, die Libe- ralen würden sich Nebenius "zu einem zweiten Winter nachziehen". Bei der gutmüthigen Schwäche des Großherzogs durfte Blittersdorff's That- kraft wohl auf den Sieg rechnen; und dann wurde der evangelische Hof in das Fahrwasser der Clericalen getrieben, dann mußten die kaum be- schwichtigten parlamentarischen Kämpfe heftiger denn zuvor sich erneuern. --
In dieselben unheilvollen Bahnen begann jetzt auch Baierns Politik einzulenken. Nirgends erschien der Umschwung der Stimmungen so auf- fällig. Der Landtag, der vor drei Jahren dem Könige Ludwig so viel Herzeleid bereitet hatte, benahm sich überaus gefügig und bescheiden, als er im Jahre 1834 wieder zusammentrat, er erwählte sich einen Minister zum Präsidenten, und kein Journalist wagte wieder, wie einst Wirth, die Abgeordneten aufzuwiegeln. So kränkenden Verhandlungen, wie sie der letzte Landtag über das königliche Einkommen geführt hatte, wollte sich der Monarch nimmer wieder aussetzen. Er verlangte vielmehr, daß ihm aus den Domänen ein selbständiges Krongut ausgeschieden würde, und erst als seine eigenen Minister dies für unmöglich erklärten, wollte er sich mit einer ständigen Civilliste begnügen. Dieser Herzenswunsch ward ihm auch erfüllt. Unter brausenden Hochrufen bewilligten die Stände dem könig- lichen Hause für alle Zeiten ein Jahreseinkommen, das sich mit Einschluß der Apanagen auf etwa 3 Mill. fl., ein Zehntel der gesammten Staats- ausgaben belief. Keine andere deutsche Dynastie ward verhältnißmäßig so reich ausgestattet, das preußische Königshaus begnügte sich mit einem
Winter’s Tod. Blittersdorff.
dem volksbeliebten Miniſter des Innern kam Blittersdorff vorerſt noch nicht auf.
Da ſtarb Winter plötzlich in der Kraft der Jahre (März 1837). Von allen Diplomaten folgte allein der preußiſche Geſandte ſeinem Sarge; bei den anderen Höfen hatte der Miniſter immer im Geruche des Demagogen geſtanden. Das Land beweinte ihn aufrichtig und ehrte ihn ſpäterhin durch ein Denkmal; an ſeinem Namen haftete fortan die Erinnerung der glück- lichſten Zeiten des badiſchen Landtagslebens, obgleich er den Häuptlingen des Liberalismus ſo ſcharf entgegengetreten war. Staatsrath Nebenius, der jetzt das erledigte Amt übernahm, hatte bei allen Reformen der jüng- ſten Jahre thätig und ſachkundig mitgewirkt. Aber zu regieren verſtand er nicht. Dem Volke blieb der ſtille geiſtvolle Gelehrte fremd, und gegen Blittersdorff’s brennenden Ehrgeiz konnte der Schüchterne mit ſeiner nach- giebigen Milde wenig ausrichten. Er war der Verfaſſer der neuen Dienſt- pragmatik, die den Beamten eine ſehr wenig, unleugbar allzu wenig be- ſchränkte Selbſtändigkeit einräumte. Der hochfahrende Diplomat aber ſah, wie Metternich, in dieſer Unabhängigkeit der Staatsdiener das ſchlimmſte aller Uebel; er nannte das Beamtenthum ein todtes Werkzeug, das man nach Belieben müſſe zerbrechen oder wegwerfen können. Wie ſollten dieſe beiden Männer ſich vertragen? Man erzählte bald, der Jüngere habe ſchon ungeduldig ausgerufen: er oder ich! Blittersdorff fürchtete, die Libe- ralen würden ſich Nebenius „zu einem zweiten Winter nachziehen“. Bei der gutmüthigen Schwäche des Großherzogs durfte Blittersdorff’s That- kraft wohl auf den Sieg rechnen; und dann wurde der evangeliſche Hof in das Fahrwaſſer der Clericalen getrieben, dann mußten die kaum be- ſchwichtigten parlamentariſchen Kämpfe heftiger denn zuvor ſich erneuern. —
In dieſelben unheilvollen Bahnen begann jetzt auch Baierns Politik einzulenken. Nirgends erſchien der Umſchwung der Stimmungen ſo auf- fällig. Der Landtag, der vor drei Jahren dem Könige Ludwig ſo viel Herzeleid bereitet hatte, benahm ſich überaus gefügig und beſcheiden, als er im Jahre 1834 wieder zuſammentrat, er erwählte ſich einen Miniſter zum Präſidenten, und kein Journaliſt wagte wieder, wie einſt Wirth, die Abgeordneten aufzuwiegeln. So kränkenden Verhandlungen, wie ſie der letzte Landtag über das königliche Einkommen geführt hatte, wollte ſich der Monarch nimmer wieder ausſetzen. Er verlangte vielmehr, daß ihm aus den Domänen ein ſelbſtändiges Krongut ausgeſchieden würde, und erſt als ſeine eigenen Miniſter dies für unmöglich erklärten, wollte er ſich mit einer ſtändigen Civilliſte begnügen. Dieſer Herzenswunſch ward ihm auch erfüllt. Unter brauſenden Hochrufen bewilligten die Stände dem könig- lichen Hauſe für alle Zeiten ein Jahreseinkommen, das ſich mit Einſchluß der Apanagen auf etwa 3 Mill. fl., ein Zehntel der geſammten Staats- ausgaben belief. Keine andere deutſche Dynaſtie ward verhältnißmäßig ſo reich ausgeſtattet, das preußiſche Königshaus begnügte ſich mit einem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0645"n="631"/><fwplace="top"type="header">Winter’s Tod. Blittersdorff.</fw><lb/>
dem volksbeliebten Miniſter des Innern kam Blittersdorff vorerſt noch<lb/>
nicht auf.</p><lb/><p>Da ſtarb Winter plötzlich in der Kraft der Jahre (März 1837). Von<lb/>
allen Diplomaten folgte allein der preußiſche Geſandte ſeinem Sarge; bei<lb/>
den anderen Höfen hatte der Miniſter immer im Geruche des Demagogen<lb/>
geſtanden. Das Land beweinte ihn aufrichtig und ehrte ihn ſpäterhin durch<lb/>
ein Denkmal; an ſeinem Namen haftete fortan die Erinnerung der glück-<lb/>
lichſten Zeiten des badiſchen Landtagslebens, obgleich er den Häuptlingen<lb/>
des Liberalismus ſo ſcharf entgegengetreten war. Staatsrath Nebenius,<lb/>
der jetzt das erledigte Amt übernahm, hatte bei allen Reformen der jüng-<lb/>ſten Jahre thätig und ſachkundig mitgewirkt. Aber zu regieren verſtand<lb/>
er nicht. Dem Volke blieb der ſtille geiſtvolle Gelehrte fremd, und gegen<lb/>
Blittersdorff’s brennenden Ehrgeiz konnte der Schüchterne mit ſeiner nach-<lb/>
giebigen Milde wenig ausrichten. Er war der Verfaſſer der neuen Dienſt-<lb/>
pragmatik, die den Beamten eine ſehr wenig, unleugbar allzu wenig be-<lb/>ſchränkte Selbſtändigkeit einräumte. Der hochfahrende Diplomat aber<lb/>ſah, wie Metternich, in dieſer Unabhängigkeit der Staatsdiener das ſchlimmſte<lb/>
aller Uebel; er nannte das Beamtenthum ein todtes Werkzeug, das man<lb/>
nach Belieben müſſe zerbrechen oder wegwerfen können. Wie ſollten dieſe<lb/>
beiden Männer ſich vertragen? Man erzählte bald, der Jüngere habe<lb/>ſchon ungeduldig ausgerufen: er oder ich! Blittersdorff fürchtete, die Libe-<lb/>
ralen würden ſich Nebenius „zu einem zweiten Winter nachziehen“. Bei<lb/>
der gutmüthigen Schwäche des Großherzogs durfte Blittersdorff’s That-<lb/>
kraft wohl auf den Sieg rechnen; und dann wurde der evangeliſche Hof<lb/>
in das Fahrwaſſer der Clericalen getrieben, dann mußten die kaum be-<lb/>ſchwichtigten parlamentariſchen Kämpfe heftiger denn zuvor ſich erneuern. —</p><lb/><p>In dieſelben unheilvollen Bahnen begann jetzt auch Baierns Politik<lb/>
einzulenken. Nirgends erſchien der Umſchwung der Stimmungen ſo auf-<lb/>
fällig. Der Landtag, der vor drei Jahren dem Könige Ludwig ſo viel<lb/>
Herzeleid bereitet hatte, benahm ſich überaus gefügig und beſcheiden, als<lb/>
er im Jahre 1834 wieder zuſammentrat, er erwählte ſich einen Miniſter<lb/>
zum Präſidenten, und kein Journaliſt wagte wieder, wie einſt Wirth, die<lb/>
Abgeordneten aufzuwiegeln. So kränkenden Verhandlungen, wie ſie der<lb/>
letzte Landtag über das königliche Einkommen geführt hatte, wollte ſich der<lb/>
Monarch nimmer wieder ausſetzen. Er verlangte vielmehr, daß ihm aus<lb/>
den Domänen ein ſelbſtändiges Krongut ausgeſchieden würde, und erſt als<lb/>ſeine eigenen Miniſter dies für unmöglich erklärten, wollte er ſich mit<lb/>
einer ſtändigen Civilliſte begnügen. Dieſer Herzenswunſch ward ihm auch<lb/>
erfüllt. Unter brauſenden Hochrufen bewilligten die Stände dem könig-<lb/>
lichen Hauſe für alle Zeiten ein Jahreseinkommen, das ſich mit Einſchluß<lb/>
der Apanagen auf etwa 3 Mill. fl., ein Zehntel der geſammten Staats-<lb/>
ausgaben belief. Keine andere deutſche Dynaſtie ward verhältnißmäßig<lb/>ſo reich ausgeſtattet, das preußiſche Königshaus begnügte ſich mit einem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[631/0645]
Winter’s Tod. Blittersdorff.
dem volksbeliebten Miniſter des Innern kam Blittersdorff vorerſt noch
nicht auf.
Da ſtarb Winter plötzlich in der Kraft der Jahre (März 1837). Von
allen Diplomaten folgte allein der preußiſche Geſandte ſeinem Sarge; bei
den anderen Höfen hatte der Miniſter immer im Geruche des Demagogen
geſtanden. Das Land beweinte ihn aufrichtig und ehrte ihn ſpäterhin durch
ein Denkmal; an ſeinem Namen haftete fortan die Erinnerung der glück-
lichſten Zeiten des badiſchen Landtagslebens, obgleich er den Häuptlingen
des Liberalismus ſo ſcharf entgegengetreten war. Staatsrath Nebenius,
der jetzt das erledigte Amt übernahm, hatte bei allen Reformen der jüng-
ſten Jahre thätig und ſachkundig mitgewirkt. Aber zu regieren verſtand
er nicht. Dem Volke blieb der ſtille geiſtvolle Gelehrte fremd, und gegen
Blittersdorff’s brennenden Ehrgeiz konnte der Schüchterne mit ſeiner nach-
giebigen Milde wenig ausrichten. Er war der Verfaſſer der neuen Dienſt-
pragmatik, die den Beamten eine ſehr wenig, unleugbar allzu wenig be-
ſchränkte Selbſtändigkeit einräumte. Der hochfahrende Diplomat aber
ſah, wie Metternich, in dieſer Unabhängigkeit der Staatsdiener das ſchlimmſte
aller Uebel; er nannte das Beamtenthum ein todtes Werkzeug, das man
nach Belieben müſſe zerbrechen oder wegwerfen können. Wie ſollten dieſe
beiden Männer ſich vertragen? Man erzählte bald, der Jüngere habe
ſchon ungeduldig ausgerufen: er oder ich! Blittersdorff fürchtete, die Libe-
ralen würden ſich Nebenius „zu einem zweiten Winter nachziehen“. Bei
der gutmüthigen Schwäche des Großherzogs durfte Blittersdorff’s That-
kraft wohl auf den Sieg rechnen; und dann wurde der evangeliſche Hof
in das Fahrwaſſer der Clericalen getrieben, dann mußten die kaum be-
ſchwichtigten parlamentariſchen Kämpfe heftiger denn zuvor ſich erneuern. —
In dieſelben unheilvollen Bahnen begann jetzt auch Baierns Politik
einzulenken. Nirgends erſchien der Umſchwung der Stimmungen ſo auf-
fällig. Der Landtag, der vor drei Jahren dem Könige Ludwig ſo viel
Herzeleid bereitet hatte, benahm ſich überaus gefügig und beſcheiden, als
er im Jahre 1834 wieder zuſammentrat, er erwählte ſich einen Miniſter
zum Präſidenten, und kein Journaliſt wagte wieder, wie einſt Wirth, die
Abgeordneten aufzuwiegeln. So kränkenden Verhandlungen, wie ſie der
letzte Landtag über das königliche Einkommen geführt hatte, wollte ſich der
Monarch nimmer wieder ausſetzen. Er verlangte vielmehr, daß ihm aus
den Domänen ein ſelbſtändiges Krongut ausgeſchieden würde, und erſt als
ſeine eigenen Miniſter dies für unmöglich erklärten, wollte er ſich mit
einer ſtändigen Civilliſte begnügen. Dieſer Herzenswunſch ward ihm auch
erfüllt. Unter brauſenden Hochrufen bewilligten die Stände dem könig-
lichen Hauſe für alle Zeiten ein Jahreseinkommen, das ſich mit Einſchluß
der Apanagen auf etwa 3 Mill. fl., ein Zehntel der geſammten Staats-
ausgaben belief. Keine andere deutſche Dynaſtie ward verhältnißmäßig
ſo reich ausgeſtattet, das preußiſche Königshaus begnügte ſich mit einem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/645>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.