der Nuntius Graf Mercy d'Argenteau im Frühjahr 1837 abberufen wurde; er hatte sich zehn Jahre hindurch redlich bemüht, so weit er durfte, den confessionellen Frieden zu wahren.*) Lange vorher schon hatte Hormayr, der boshafteste und händelsüchtigste unter allen Gegnern der Ultramon- tanen, die Gunst des Königs verloren und mit dem unschädlichen Han- növerschen Gesandtschaftsposten vorlieb nehmen müssen. Auch die wieder- holten römischen Reisen des Königs und die häufigen Besuche seiner Schwester, der Kaiserin Wittwe Karoline Auguste mußten den Argwohn der Protestanten erregen.
Unter den clericalen Gelehrten that sich Nepomuk Ringseis durch tapferen Freimuth hervor; gram konnte man ihm nicht werden, da er trotz seiner hartconfessionellen Gesinnung doch Jedem mit menschlichem Wohlwollen begegnete und trotz seiner phantastischen Theorien als prak- tischer Arzt Ausgezeichnetes leistete. Er hatte beim Könige die Zulassung der barmherzigen Schwestern durchgesetzt; dann hielt er als Rector der "christlichen und legitimen" Münchener Hochschule (1833) eine Rede "über den revolutionären Geist der Universitäten", die jede Beschränkung der Lehrfreiheit entschieden zurückwies und den Höfen ehrlich heraussagte, sie selbst seien mitschuldig an den Sünden der Revolution. Das Idealbild des ständisch gegliederten christlich-germanischen Staates, das der Redner entwarf, hatte freilich gar nichts gemein mit der demokratischen Gesellschaft des neuen Jahrhunderts, und mit gerechter Besorgniß fragten die Libe- ralen, was von einer Partei zu erwarten sei, deren freiester Kopf also sprach? Der Münchener ultramontane Kreis, dem das Volk aller Verwahrungen ungeachtet hartnäckig den Namen der Congregation beilegte, gewann mittler- weile einen mächtigen Zuwachs an dem gelehrten Rechtshistoriker Phillips, einem Königsberger von englischer Abstammung, der gleich seinem Freunde Jarcke zur römischen Kirche übergetreten war und seinen Fanatismus hinter feinen gesellschaftlichen Formen zu verbergen wußte. Clemens Bren- tano schlug ebenfalls sein Wanderzelt an der Isar auf, und während der Landtage erschien auch der Abgeordnete der Würzburger Hochschule Frhr. v. Moy, ein sanfter liebenswürdiger Gelehrter von hart clericaler Ge- sinnung.
Ein Theil der Bischöfe bekannte sich noch zu den duldsamen An- schauungen des frommen Sailer; doch seit dem Jahre 1836 gewann die ultramontane Partei auch unter den Prälaten die Oberhand. Ihr Haupt wurde der neue Bischof von Eichstädt, Graf Reisach, ein wohl unterrich- teter, der Herrschaft gewohnter Jesuit, erfahren in der mönchischen Askese wie in allen höfischen Künsten. Reisach hatte seine geistliche Erziehung im Germanicum empfangen und dann als Studien-Rector der römischen Propaganda die besondere Gunst des neuen Papstes Gregor's XVI. er-
*) Dönhoff's Berichte, 30. Oct. 1834, 16. April 1837.
Die bairiſchen Clericalen.
der Nuntius Graf Mercy d’Argenteau im Frühjahr 1837 abberufen wurde; er hatte ſich zehn Jahre hindurch redlich bemüht, ſo weit er durfte, den confeſſionellen Frieden zu wahren.*) Lange vorher ſchon hatte Hormayr, der boshafteſte und händelſüchtigſte unter allen Gegnern der Ultramon- tanen, die Gunſt des Königs verloren und mit dem unſchädlichen Han- növerſchen Geſandtſchaftspoſten vorlieb nehmen müſſen. Auch die wieder- holten römiſchen Reiſen des Königs und die häufigen Beſuche ſeiner Schweſter, der Kaiſerin Wittwe Karoline Auguſte mußten den Argwohn der Proteſtanten erregen.
Unter den clericalen Gelehrten that ſich Nepomuk Ringseis durch tapferen Freimuth hervor; gram konnte man ihm nicht werden, da er trotz ſeiner hartconfeſſionellen Geſinnung doch Jedem mit menſchlichem Wohlwollen begegnete und trotz ſeiner phantaſtiſchen Theorien als prak- tiſcher Arzt Ausgezeichnetes leiſtete. Er hatte beim Könige die Zulaſſung der barmherzigen Schweſtern durchgeſetzt; dann hielt er als Rector der „chriſtlichen und legitimen“ Münchener Hochſchule (1833) eine Rede „über den revolutionären Geiſt der Univerſitäten“, die jede Beſchränkung der Lehrfreiheit entſchieden zurückwies und den Höfen ehrlich herausſagte, ſie ſelbſt ſeien mitſchuldig an den Sünden der Revolution. Das Idealbild des ſtändiſch gegliederten chriſtlich-germaniſchen Staates, das der Redner entwarf, hatte freilich gar nichts gemein mit der demokratiſchen Geſellſchaft des neuen Jahrhunderts, und mit gerechter Beſorgniß fragten die Libe- ralen, was von einer Partei zu erwarten ſei, deren freieſter Kopf alſo ſprach? Der Münchener ultramontane Kreis, dem das Volk aller Verwahrungen ungeachtet hartnäckig den Namen der Congregation beilegte, gewann mittler- weile einen mächtigen Zuwachs an dem gelehrten Rechtshiſtoriker Phillips, einem Königsberger von engliſcher Abſtammung, der gleich ſeinem Freunde Jarcke zur römiſchen Kirche übergetreten war und ſeinen Fanatismus hinter feinen geſellſchaftlichen Formen zu verbergen wußte. Clemens Bren- tano ſchlug ebenfalls ſein Wanderzelt an der Iſar auf, und während der Landtage erſchien auch der Abgeordnete der Würzburger Hochſchule Frhr. v. Moy, ein ſanfter liebenswürdiger Gelehrter von hart clericaler Ge- ſinnung.
Ein Theil der Biſchöfe bekannte ſich noch zu den duldſamen An- ſchauungen des frommen Sailer; doch ſeit dem Jahre 1836 gewann die ultramontane Partei auch unter den Prälaten die Oberhand. Ihr Haupt wurde der neue Biſchof von Eichſtädt, Graf Reiſach, ein wohl unterrich- teter, der Herrſchaft gewohnter Jeſuit, erfahren in der mönchiſchen Askeſe wie in allen höfiſchen Künſten. Reiſach hatte ſeine geiſtliche Erziehung im Germanicum empfangen und dann als Studien-Rector der römiſchen Propaganda die beſondere Gunſt des neuen Papſtes Gregor’s XVI. er-
*) Dönhoff’s Berichte, 30. Oct. 1834, 16. April 1837.
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Die bairiſchen Clericalen.
der Nuntius Graf Mercy d’Argenteau im Frühjahr 1837 abberufen wurde;
er hatte ſich zehn Jahre hindurch redlich bemüht, ſo weit er durfte, den
confeſſionellen Frieden zu wahren. *) Lange vorher ſchon hatte Hormayr,
der boshafteſte und händelſüchtigſte unter allen Gegnern der Ultramon-
tanen, die Gunſt des Königs verloren und mit dem unſchädlichen Han-
növerſchen Geſandtſchaftspoſten vorlieb nehmen müſſen. Auch die wieder-
holten römiſchen Reiſen des Königs und die häufigen Beſuche ſeiner
Schweſter, der Kaiſerin Wittwe Karoline Auguſte mußten den Argwohn
der Proteſtanten erregen.
Unter den clericalen Gelehrten that ſich Nepomuk Ringseis durch
tapferen Freimuth hervor; gram konnte man ihm nicht werden, da er
trotz ſeiner hartconfeſſionellen Geſinnung doch Jedem mit menſchlichem
Wohlwollen begegnete und trotz ſeiner phantaſtiſchen Theorien als prak-
tiſcher Arzt Ausgezeichnetes leiſtete. Er hatte beim Könige die Zulaſſung
der barmherzigen Schweſtern durchgeſetzt; dann hielt er als Rector der
„chriſtlichen und legitimen“ Münchener Hochſchule (1833) eine Rede „über
den revolutionären Geiſt der Univerſitäten“, die jede Beſchränkung der
Lehrfreiheit entſchieden zurückwies und den Höfen ehrlich herausſagte, ſie
ſelbſt ſeien mitſchuldig an den Sünden der Revolution. Das Idealbild
des ſtändiſch gegliederten chriſtlich-germaniſchen Staates, das der Redner
entwarf, hatte freilich gar nichts gemein mit der demokratiſchen Geſellſchaft
des neuen Jahrhunderts, und mit gerechter Beſorgniß fragten die Libe-
ralen, was von einer Partei zu erwarten ſei, deren freieſter Kopf alſo ſprach?
Der Münchener ultramontane Kreis, dem das Volk aller Verwahrungen
ungeachtet hartnäckig den Namen der Congregation beilegte, gewann mittler-
weile einen mächtigen Zuwachs an dem gelehrten Rechtshiſtoriker Phillips,
einem Königsberger von engliſcher Abſtammung, der gleich ſeinem Freunde
Jarcke zur römiſchen Kirche übergetreten war und ſeinen Fanatismus
hinter feinen geſellſchaftlichen Formen zu verbergen wußte. Clemens Bren-
tano ſchlug ebenfalls ſein Wanderzelt an der Iſar auf, und während der
Landtage erſchien auch der Abgeordnete der Würzburger Hochſchule Frhr.
v. Moy, ein ſanfter liebenswürdiger Gelehrter von hart clericaler Ge-
ſinnung.
Ein Theil der Biſchöfe bekannte ſich noch zu den duldſamen An-
ſchauungen des frommen Sailer; doch ſeit dem Jahre 1836 gewann die
ultramontane Partei auch unter den Prälaten die Oberhand. Ihr Haupt
wurde der neue Biſchof von Eichſtädt, Graf Reiſach, ein wohl unterrich-
teter, der Herrſchaft gewohnter Jeſuit, erfahren in der mönchiſchen Askeſe
wie in allen höfiſchen Künſten. Reiſach hatte ſeine geiſtliche Erziehung
im Germanicum empfangen und dann als Studien-Rector der römiſchen
Propaganda die beſondere Gunſt des neuen Papſtes Gregor’s XVI. er-
*) Dönhoff’s Berichte, 30. Oct. 1834, 16. April 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/649>, abgerufen am 24.11.2024.
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