Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 9. Der welfische Staatsstreich. Münch, Hofrath Werner, Maltzan, der jüngere Schele und der hannö-versche Gesandte in Wien, Bodenhausen. Der einzige Weg, der aus dem Labyrinthe herausführte, schien jetzt ungangbar. Nachdem das Patent er- schienen, konnte Ernst August nicht mehr das Staatsgrundgesetz annehmen und dann versuchen, ob bei dem rechtmäßigen Landtage einige Aenderungen durchzusetzen seien. In eine solche Demüthigung hätte der stolze Welfe nie gewilligt. Da war es denn fast lächerlich, wie Metternich sich drehte und wendete um den welfischen Bevollmächtigten zu erweisen, daß aus dem Staatsstreiche doch noch ein Staatsrecht entstehen könne. Er zeigte ihnen: wolle man zurück zu der alten Verfassung, so müsse man auch die Stände von 1819 einberufen; versammle man aber angekündigtermaßen die gegen- wärtigen Stände, so dürfe man ihnen auch nur das Staatsgrundgesetz zur Abänderung vorlegen, denn unmöglich könnten in einem Staate zwei Ver- fassungen zugleich bestehen. Die beiden Hannoveraner, die sich allerdings keineswegs durch diplomatischen Scharfsinn auszeichneten, wurden aus den gewundenen Sätzen nicht klug und mißverstanden den Sinn so gänzlich, daß Metternich sich nachher genöthigt sah, wider ihre Berichte eine Entgegnung zu schreiben.*) Die Berathung brachte kein Ergebniß. Nur so viel war deutlich, daß der Oesterreicher den ganzen Streit sehr ungern sah und ihn wo möglich dem Bundestage fern halten wollte. Darum brauchte Ernst August doch nicht an der Hilfe der Hofburg zu verzweifeln; denn Metter- nich sprach durchweg im Tone des besorgten treuen Freundes, und sagte noch nach der Königswarther Unterredung zu Maltzan: der König hat ganz Recht, er geht nicht einmal so weit als er gehen dürfte; wenn ich selbst, der ich von Geburt an versöhnliche Neigungen hege, dies bezeuge, so ist damit Alles gesagt. Ueberdies hatte der Wiener Hofpublicist Jarcke bereits Befehl erhalten, den Welfen mit seiner Feder zu unterstützen.**) An die süddeutschen Höfe wurde der Bundesgesandte Stralenheim *) Schele d. J., Notatum, Königswarth 11. Aug., Bodenhausen's Bericht, 14. Aug., Metternich an Trauttmansdorff, 7. Sept., nebst einer Aufzeichnung für Bodenhausen vom 11. Sept. 1837. **) Berichte von Maltzan, 16. Aug., von Bodenhausen, 1. Sept. 1837. ***) Stralenheim's Berichte, 27. 31. Oct. 1837 ff.
IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. Münch, Hofrath Werner, Maltzan, der jüngere Schele und der hannö-verſche Geſandte in Wien, Bodenhauſen. Der einzige Weg, der aus dem Labyrinthe herausführte, ſchien jetzt ungangbar. Nachdem das Patent er- ſchienen, konnte Ernſt Auguſt nicht mehr das Staatsgrundgeſetz annehmen und dann verſuchen, ob bei dem rechtmäßigen Landtage einige Aenderungen durchzuſetzen ſeien. In eine ſolche Demüthigung hätte der ſtolze Welfe nie gewilligt. Da war es denn faſt lächerlich, wie Metternich ſich drehte und wendete um den welfiſchen Bevollmächtigten zu erweiſen, daß aus dem Staatsſtreiche doch noch ein Staatsrecht entſtehen könne. Er zeigte ihnen: wolle man zurück zu der alten Verfaſſung, ſo müſſe man auch die Stände von 1819 einberufen; verſammle man aber angekündigtermaßen die gegen- wärtigen Stände, ſo dürfe man ihnen auch nur das Staatsgrundgeſetz zur Abänderung vorlegen, denn unmöglich könnten in einem Staate zwei Ver- faſſungen zugleich beſtehen. Die beiden Hannoveraner, die ſich allerdings keineswegs durch diplomatiſchen Scharfſinn auszeichneten, wurden aus den gewundenen Sätzen nicht klug und mißverſtanden den Sinn ſo gänzlich, daß Metternich ſich nachher genöthigt ſah, wider ihre Berichte eine Entgegnung zu ſchreiben.*) Die Berathung brachte kein Ergebniß. Nur ſo viel war deutlich, daß der Oeſterreicher den ganzen Streit ſehr ungern ſah und ihn wo möglich dem Bundestage fern halten wollte. Darum brauchte Ernſt Auguſt doch nicht an der Hilfe der Hofburg zu verzweifeln; denn Metter- nich ſprach durchweg im Tone des beſorgten treuen Freundes, und ſagte noch nach der Königswarther Unterredung zu Maltzan: der König hat ganz Recht, er geht nicht einmal ſo weit als er gehen dürfte; wenn ich ſelbſt, der ich von Geburt an verſöhnliche Neigungen hege, dies bezeuge, ſo iſt damit Alles geſagt. Ueberdies hatte der Wiener Hofpubliciſt Jarcke bereits Befehl erhalten, den Welfen mit ſeiner Feder zu unterſtützen.**) An die ſüddeutſchen Höfe wurde der Bundesgeſandte Stralenheim *) Schele d. J., Notatum, Königswarth 11. Aug., Bodenhauſen’s Bericht, 14. Aug., Metternich an Trauttmansdorff, 7. Sept., nebſt einer Aufzeichnung für Bodenhauſen vom 11. Sept. 1837. **) Berichte von Maltzan, 16. Aug., von Bodenhauſen, 1. Sept. 1837. ***) Stralenheim’s Berichte, 27. 31. Oct. 1837 ff.
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IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
Münch, Hofrath Werner, Maltzan, der jüngere Schele und der hannö-
verſche Geſandte in Wien, Bodenhauſen. Der einzige Weg, der aus dem
Labyrinthe herausführte, ſchien jetzt ungangbar. Nachdem das Patent er-
ſchienen, konnte Ernſt Auguſt nicht mehr das Staatsgrundgeſetz annehmen
und dann verſuchen, ob bei dem rechtmäßigen Landtage einige Aenderungen
durchzuſetzen ſeien. In eine ſolche Demüthigung hätte der ſtolze Welfe
nie gewilligt. Da war es denn faſt lächerlich, wie Metternich ſich drehte
und wendete um den welfiſchen Bevollmächtigten zu erweiſen, daß aus dem
Staatsſtreiche doch noch ein Staatsrecht entſtehen könne. Er zeigte ihnen:
wolle man zurück zu der alten Verfaſſung, ſo müſſe man auch die Stände
von 1819 einberufen; verſammle man aber angekündigtermaßen die gegen-
wärtigen Stände, ſo dürfe man ihnen auch nur das Staatsgrundgeſetz zur
Abänderung vorlegen, denn unmöglich könnten in einem Staate zwei Ver-
faſſungen zugleich beſtehen. Die beiden Hannoveraner, die ſich allerdings
keineswegs durch diplomatiſchen Scharfſinn auszeichneten, wurden aus den
gewundenen Sätzen nicht klug und mißverſtanden den Sinn ſo gänzlich, daß
Metternich ſich nachher genöthigt ſah, wider ihre Berichte eine Entgegnung
zu ſchreiben. *) Die Berathung brachte kein Ergebniß. Nur ſo viel war
deutlich, daß der Oeſterreicher den ganzen Streit ſehr ungern ſah und ihn
wo möglich dem Bundestage fern halten wollte. Darum brauchte Ernſt
Auguſt doch nicht an der Hilfe der Hofburg zu verzweifeln; denn Metter-
nich ſprach durchweg im Tone des beſorgten treuen Freundes, und ſagte
noch nach der Königswarther Unterredung zu Maltzan: der König hat
ganz Recht, er geht nicht einmal ſo weit als er gehen dürfte; wenn ich
ſelbſt, der ich von Geburt an verſöhnliche Neigungen hege, dies bezeuge,
ſo iſt damit Alles geſagt. Ueberdies hatte der Wiener Hofpubliciſt Jarcke
bereits Befehl erhalten, den Welfen mit ſeiner Feder zu unterſtützen. **)
An die ſüddeutſchen Höfe wurde der Bundesgeſandte Stralenheim
geſendet, um ſie für Hannover günſtig zu ſtimmen. Er beſtach unterwegs
die ultramontane Neue Würzburger Zeitung mit hundert Dukaten; Robert
Peel aber, den er in Stuttgart ſprach, verſagte ihm rundweg jeden Bei-
ſtand im Parlamente, und die Cabinette ſpeiſten ihn mit unverfänglichen
Worten ab. Nur von dem Könige von Württemberg, der wieder einmal
mit ſeinem Landtage unzufrieden war, glaubte Stralenheim ein freund-
liches Verſprechen erhalten zu haben — eine wunderliche Täuſchung, die
ſich nur aus der Unfähigkeit des welfiſchen Diplomaten erklärte. ***) Der
nachtragende König Wilhelm hegte gegen Ernſt Auguſt eine alte Abneigung,
er führte mit der Krone Hannover ſeit Jahren einen ärgerlichen Rang-
*) Schele d. J., Notatum, Königswarth 11. Aug., Bodenhauſen’s Bericht, 14. Aug.,
Metternich an Trauttmansdorff, 7. Sept., nebſt einer Aufzeichnung für Bodenhauſen
vom 11. Sept. 1837.
**) Berichte von Maltzan, 16. Aug., von Bodenhauſen, 1. Sept. 1837.
***) Stralenheim’s Berichte, 27. 31. Oct. 1837 ff.
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