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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Erhebung des Professorenthums.
Gelehrtenwelt wider einen Despoten, der seine Geringschätzung der Wissen-
schaften höhnisch zur Schau trug; keine deutsche Universität, die den Sieben
nicht irgendwie ein Zeichen der Zustimmung gegeben hätte. In diesem
Kampfe war alles Recht unzweifelhaft auf Seiten der Gelehrten; an ihrer
Spitze standen tapfere, makellose, schuldlos verfolgte Männer, während der
Welfe sich nur auf gemeine Knechte und auf die Aengstlichkeit der deut-
schen Höfe stützen konnte.

Wenn je im politischen Streite ein moralischer Sieg erfochten wurde,
so war es hier. Ein solcher Erfolg mußte das ohnehin starke Selbst-
gefühl der Gelehrten mächtig heben; von den Sieben blieben Fünf als
Menschen schlicht, edel, liebenswerth, in Gervinus aber und in Ewald
verkörperte sich der unausstehliche Professorendünkel. Die einmal erregte
politische Leidenschaft hielt an; die Gelehrten begannen durch Schriften
und Reden unmittelbar an der politischen Erziehung der Deutschen zu
arbeiten, und da sie gewohnt waren zur ganzen Nation zu reden, so
drangen ihre Stimmen weiter als die Reden der Landtagsabgeordneten.
Die Gelehrtenversammlungen der nächsten Jahre wurden zu Vorparla-
menten, in denen die Nation die großen Tagesfragen erörterte, und als
nachher das wirkliche Parlament zusammentrat, da drangen die Gelehrten
in Schaaren ein, weil sie fast die einzigen Männer waren, welche ganz
Deutschland kannte. Es war eine tragische, durch keines Menschen Willen
abzuwendende Nothwendigkeit, daß diese idealistische Nation, indem sie von
den Höhen des literarischen Schaffens langsam zur politischen Arbeit hin-
abstieg, auch noch die Durchgangsstufe der Professorenpolitik überschreiten
mußte. Durch dies Uebergewicht des Professorenthums wurde der doctri-
näre Zug, der die Politik der deutschen Liberalen von jeher auszeichnete,
ungebührlich verstärkt, und es entstand auch der falsche Schein, als ob
der Liberalismus die Sache der Bildung verträte, während in Wahrheit
die Helden der deutschen Kunst und Wissenschaft, Goethe, Cornelius und
Rauch, Niebuhr, Savigny und Ranke, großentheils dem conservativen
Lager angehörten.

Zu Thaten vermochte diese Gelehrtenpolitik sich nicht zu erheben, denn
in der Stille der wissenschaftlichen Arbeit bilden sich nicht leicht politische
Charaktere; unter den Sieben selbst war Dahlmann der einzige politische
Kopf, auch er mehr ein Denker als ein Mann der That, während Gervinus'
staatsmännisches Talent nur in seiner eigenen Einbildung beruhte, und die
übrigen allesammt gar keinen politischen Ehrgeiz hegten. Aber an Ideen,
an groß und tief gedachten Ideen war dies Menschenalter des politisiren-
den Professorenthums sehr fruchtbar. Bei der Lampe deutscher Gelehrten
sind die Pläne für die Einheit des Vaterlands zuerst erdacht worden, welche
nachher durch die schöpferischen Hände großer Praktiker ihre Gestaltung
empfangen sollten. Die deutsche Wissenschaft -- so stark und unverwüst-
lich war ihr Wachsthum -- erlitt durch die politische Leidenschaft der

Erhebung des Profeſſorenthums.
Gelehrtenwelt wider einen Despoten, der ſeine Geringſchätzung der Wiſſen-
ſchaften höhniſch zur Schau trug; keine deutſche Univerſität, die den Sieben
nicht irgendwie ein Zeichen der Zuſtimmung gegeben hätte. In dieſem
Kampfe war alles Recht unzweifelhaft auf Seiten der Gelehrten; an ihrer
Spitze ſtanden tapfere, makelloſe, ſchuldlos verfolgte Männer, während der
Welfe ſich nur auf gemeine Knechte und auf die Aengſtlichkeit der deut-
ſchen Höfe ſtützen konnte.

Wenn je im politiſchen Streite ein moraliſcher Sieg erfochten wurde,
ſo war es hier. Ein ſolcher Erfolg mußte das ohnehin ſtarke Selbſt-
gefühl der Gelehrten mächtig heben; von den Sieben blieben Fünf als
Menſchen ſchlicht, edel, liebenswerth, in Gervinus aber und in Ewald
verkörperte ſich der unausſtehliche Profeſſorendünkel. Die einmal erregte
politiſche Leidenſchaft hielt an; die Gelehrten begannen durch Schriften
und Reden unmittelbar an der politiſchen Erziehung der Deutſchen zu
arbeiten, und da ſie gewohnt waren zur ganzen Nation zu reden, ſo
drangen ihre Stimmen weiter als die Reden der Landtagsabgeordneten.
Die Gelehrtenverſammlungen der nächſten Jahre wurden zu Vorparla-
menten, in denen die Nation die großen Tagesfragen erörterte, und als
nachher das wirkliche Parlament zuſammentrat, da drangen die Gelehrten
in Schaaren ein, weil ſie faſt die einzigen Männer waren, welche ganz
Deutſchland kannte. Es war eine tragiſche, durch keines Menſchen Willen
abzuwendende Nothwendigkeit, daß dieſe idealiſtiſche Nation, indem ſie von
den Höhen des literariſchen Schaffens langſam zur politiſchen Arbeit hin-
abſtieg, auch noch die Durchgangsſtufe der Profeſſorenpolitik überſchreiten
mußte. Durch dies Uebergewicht des Profeſſorenthums wurde der doctri-
näre Zug, der die Politik der deutſchen Liberalen von jeher auszeichnete,
ungebührlich verſtärkt, und es entſtand auch der falſche Schein, als ob
der Liberalismus die Sache der Bildung verträte, während in Wahrheit
die Helden der deutſchen Kunſt und Wiſſenſchaft, Goethe, Cornelius und
Rauch, Niebuhr, Savigny und Ranke, großentheils dem conſervativen
Lager angehörten.

Zu Thaten vermochte dieſe Gelehrtenpolitik ſich nicht zu erheben, denn
in der Stille der wiſſenſchaftlichen Arbeit bilden ſich nicht leicht politiſche
Charaktere; unter den Sieben ſelbſt war Dahlmann der einzige politiſche
Kopf, auch er mehr ein Denker als ein Mann der That, während Gervinus’
ſtaatsmänniſches Talent nur in ſeiner eigenen Einbildung beruhte, und die
übrigen alleſammt gar keinen politiſchen Ehrgeiz hegten. Aber an Ideen,
an groß und tief gedachten Ideen war dies Menſchenalter des politiſiren-
den Profeſſorenthums ſehr fruchtbar. Bei der Lampe deutſcher Gelehrten
ſind die Pläne für die Einheit des Vaterlands zuerſt erdacht worden, welche
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lich war ihr Wachsthum — erlitt durch die politiſche Leidenſchaft der

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[667/0681] Erhebung des Profeſſorenthums. Gelehrtenwelt wider einen Despoten, der ſeine Geringſchätzung der Wiſſen- ſchaften höhniſch zur Schau trug; keine deutſche Univerſität, die den Sieben nicht irgendwie ein Zeichen der Zuſtimmung gegeben hätte. In dieſem Kampfe war alles Recht unzweifelhaft auf Seiten der Gelehrten; an ihrer Spitze ſtanden tapfere, makelloſe, ſchuldlos verfolgte Männer, während der Welfe ſich nur auf gemeine Knechte und auf die Aengſtlichkeit der deut- ſchen Höfe ſtützen konnte. Wenn je im politiſchen Streite ein moraliſcher Sieg erfochten wurde, ſo war es hier. Ein ſolcher Erfolg mußte das ohnehin ſtarke Selbſt- gefühl der Gelehrten mächtig heben; von den Sieben blieben Fünf als Menſchen ſchlicht, edel, liebenswerth, in Gervinus aber und in Ewald verkörperte ſich der unausſtehliche Profeſſorendünkel. Die einmal erregte politiſche Leidenſchaft hielt an; die Gelehrten begannen durch Schriften und Reden unmittelbar an der politiſchen Erziehung der Deutſchen zu arbeiten, und da ſie gewohnt waren zur ganzen Nation zu reden, ſo drangen ihre Stimmen weiter als die Reden der Landtagsabgeordneten. Die Gelehrtenverſammlungen der nächſten Jahre wurden zu Vorparla- menten, in denen die Nation die großen Tagesfragen erörterte, und als nachher das wirkliche Parlament zuſammentrat, da drangen die Gelehrten in Schaaren ein, weil ſie faſt die einzigen Männer waren, welche ganz Deutſchland kannte. Es war eine tragiſche, durch keines Menſchen Willen abzuwendende Nothwendigkeit, daß dieſe idealiſtiſche Nation, indem ſie von den Höhen des literariſchen Schaffens langſam zur politiſchen Arbeit hin- abſtieg, auch noch die Durchgangsſtufe der Profeſſorenpolitik überſchreiten mußte. Durch dies Uebergewicht des Profeſſorenthums wurde der doctri- näre Zug, der die Politik der deutſchen Liberalen von jeher auszeichnete, ungebührlich verſtärkt, und es entſtand auch der falſche Schein, als ob der Liberalismus die Sache der Bildung verträte, während in Wahrheit die Helden der deutſchen Kunſt und Wiſſenſchaft, Goethe, Cornelius und Rauch, Niebuhr, Savigny und Ranke, großentheils dem conſervativen Lager angehörten. Zu Thaten vermochte dieſe Gelehrtenpolitik ſich nicht zu erheben, denn in der Stille der wiſſenſchaftlichen Arbeit bilden ſich nicht leicht politiſche Charaktere; unter den Sieben ſelbſt war Dahlmann der einzige politiſche Kopf, auch er mehr ein Denker als ein Mann der That, während Gervinus’ ſtaatsmänniſches Talent nur in ſeiner eigenen Einbildung beruhte, und die übrigen alleſammt gar keinen politiſchen Ehrgeiz hegten. Aber an Ideen, an groß und tief gedachten Ideen war dies Menſchenalter des politiſiren- den Profeſſorenthums ſehr fruchtbar. Bei der Lampe deutſcher Gelehrten ſind die Pläne für die Einheit des Vaterlands zuerſt erdacht worden, welche nachher durch die ſchöpferiſchen Hände großer Praktiker ihre Geſtaltung empfangen ſollten. Die deutſche Wiſſenſchaft — ſo ſtark und unverwüſt- lich war ihr Wachsthum — erlitt durch die politiſche Leidenſchaft der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/681>, abgerufen am 24.11.2024.