wagte wie ihre Handelspolitik, so konnte ihm ein glänzender Erfolg nicht fehlen. Der König aber hatte schon anders entschieden: der Welfe sollte geschont werden.
Sobald die Osnabrücker Beschwerde dem Bundestage vorlag, versuchte der hannöversche Hof die Mitglieder der Reclamationscommission für die sofortige Abweisung der Petition zu gewinnen und bat die Wiener Hof- burg, ihn bei seinen geheimen Bemühungen zu unterstützen. Diese Zu- muthung fand selbst Metternich allzu schamlos; er lehnte sie rundweg ab, schon weil er für die Verhandlungen des engeren Raths freie Hand behalten wollte.*) Nunmehr entfaltete Stralenheim in verschiedenen Denk- schriften und Erklärungen eine sophistische Kunst, deren schlechterdings nur die Feder des alten Leist fähig war. Er sollte nachweisen, daß sein König den Art. 56 der Schlußakte nicht verletzt habe, und drehte einfach den Spieß um, indem er zeigte, daß dieser Artikel gerade durch den hannöver- schen Staatsstreich verwirklicht worden sei! Er bewies erstens: zur Zeit der Wiener Schlußakte hätte in Hannover die alte Verfassung von 1819 bestanden, und heute sei sie wieder ins Leben gerufen; er bewies zweitens: da sich ein Landtag zusammengefunden habe, so bestehe die alte Verfassung in anerkannter Wirksamkeit; er bewies drittens: durch das Staatsgrund- gesetz sei die alte Verfassung auf unrechtmäßige Weise aufgehoben und folglich jetzt von Rechtswegen wiederhergestellt worden. Solche Advokaten- künste waren selbst im Bundestage, der doch schon manche juristische Kühn- heit erlebt hatte, ganz unerhört. Sie erbitterten allgemein, und die Gönner Hannovers versuchten nur noch die Entscheidung hinauszuschieben, immer in der stillen Hoffnung, daß sich Ernst August mittlerweile mit seinem Landtage einigen und den Streit aus der Welt schaffen würde.
Als endlich im Juli 1838 zur Abstimmung geschritten wurde, brach der verhaltene Groll heftig aus; Vorwürfe und Verwahrungen, selbst per- sönliche Grobheiten wurden ausgetauscht. Die Brutalität des Welfen schien ansteckend zu wirken. Bei ruhigerem Blute beschloß man nachher diese anzüglichen Bemerkungen wechselseitig zurückzuziehen, so daß die Proto- kolle von den stürmischen Auftritten nichts verriethen.**) Am 6. Septbr. entschieden neun Stimmen gegen sieben, daß die Petition des Osnabrücker Magistrats wegen mangelnder Legitimation der Beschwerdeführer zurück- zuweisen sei. Kurhessen allein enthielt sich der Abstimmung, weil der Prinzregent mit seinem wackeren Minister Lepel nicht einig war; Hannover aber stimmte dreist in eigener Sache mit. Durch diesen Beschluß war noch nichts verdorben; Stüve selbst erwartete als gewiegter Jurist kaum eine andere Entscheidung, denn mit guten Gründen ließ sich bezweifeln, ob eine einzelne Stadt befugt sei, vor dem Bundestage im Namen eines ganzen
*) Metternich's Weisungen an Kuefstein in Hannover, 23. April, an Trauttmans- dorff, 5. Mai 1838.
**) Schöler's Bericht, 31. Aug. 1838.
Abweiſung der Osnabrücker.
wagte wie ihre Handelspolitik, ſo konnte ihm ein glänzender Erfolg nicht fehlen. Der König aber hatte ſchon anders entſchieden: der Welfe ſollte geſchont werden.
Sobald die Osnabrücker Beſchwerde dem Bundestage vorlag, verſuchte der hannöverſche Hof die Mitglieder der Reclamationscommiſſion für die ſofortige Abweiſung der Petition zu gewinnen und bat die Wiener Hof- burg, ihn bei ſeinen geheimen Bemühungen zu unterſtützen. Dieſe Zu- muthung fand ſelbſt Metternich allzu ſchamlos; er lehnte ſie rundweg ab, ſchon weil er für die Verhandlungen des engeren Raths freie Hand behalten wollte.*) Nunmehr entfaltete Stralenheim in verſchiedenen Denk- ſchriften und Erklärungen eine ſophiſtiſche Kunſt, deren ſchlechterdings nur die Feder des alten Leiſt fähig war. Er ſollte nachweiſen, daß ſein König den Art. 56 der Schlußakte nicht verletzt habe, und drehte einfach den Spieß um, indem er zeigte, daß dieſer Artikel gerade durch den hannöver- ſchen Staatsſtreich verwirklicht worden ſei! Er bewies erſtens: zur Zeit der Wiener Schlußakte hätte in Hannover die alte Verfaſſung von 1819 beſtanden, und heute ſei ſie wieder ins Leben gerufen; er bewies zweitens: da ſich ein Landtag zuſammengefunden habe, ſo beſtehe die alte Verfaſſung in anerkannter Wirkſamkeit; er bewies drittens: durch das Staatsgrund- geſetz ſei die alte Verfaſſung auf unrechtmäßige Weiſe aufgehoben und folglich jetzt von Rechtswegen wiederhergeſtellt worden. Solche Advokaten- künſte waren ſelbſt im Bundestage, der doch ſchon manche juriſtiſche Kühn- heit erlebt hatte, ganz unerhört. Sie erbitterten allgemein, und die Gönner Hannovers verſuchten nur noch die Entſcheidung hinauszuſchieben, immer in der ſtillen Hoffnung, daß ſich Ernſt Auguſt mittlerweile mit ſeinem Landtage einigen und den Streit aus der Welt ſchaffen würde.
Als endlich im Juli 1838 zur Abſtimmung geſchritten wurde, brach der verhaltene Groll heftig aus; Vorwürfe und Verwahrungen, ſelbſt per- ſönliche Grobheiten wurden ausgetauſcht. Die Brutalität des Welfen ſchien anſteckend zu wirken. Bei ruhigerem Blute beſchloß man nachher dieſe anzüglichen Bemerkungen wechſelſeitig zurückzuziehen, ſo daß die Proto- kolle von den ſtürmiſchen Auftritten nichts verriethen.**) Am 6. Septbr. entſchieden neun Stimmen gegen ſieben, daß die Petition des Osnabrücker Magiſtrats wegen mangelnder Legitimation der Beſchwerdeführer zurück- zuweiſen ſei. Kurheſſen allein enthielt ſich der Abſtimmung, weil der Prinzregent mit ſeinem wackeren Miniſter Lepel nicht einig war; Hannover aber ſtimmte dreiſt in eigener Sache mit. Durch dieſen Beſchluß war noch nichts verdorben; Stüve ſelbſt erwartete als gewiegter Juriſt kaum eine andere Entſcheidung, denn mit guten Gründen ließ ſich bezweifeln, ob eine einzelne Stadt befugt ſei, vor dem Bundestage im Namen eines ganzen
*) Metternich’s Weiſungen an Kuefſtein in Hannover, 23. April, an Trauttmans- dorff, 5. Mai 1838.
**) Schöler’s Bericht, 31. Aug. 1838.
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[677/0691]
Abweiſung der Osnabrücker.
wagte wie ihre Handelspolitik, ſo konnte ihm ein glänzender Erfolg nicht
fehlen. Der König aber hatte ſchon anders entſchieden: der Welfe ſollte
geſchont werden.
Sobald die Osnabrücker Beſchwerde dem Bundestage vorlag, verſuchte
der hannöverſche Hof die Mitglieder der Reclamationscommiſſion für die
ſofortige Abweiſung der Petition zu gewinnen und bat die Wiener Hof-
burg, ihn bei ſeinen geheimen Bemühungen zu unterſtützen. Dieſe Zu-
muthung fand ſelbſt Metternich allzu ſchamlos; er lehnte ſie rundweg
ab, ſchon weil er für die Verhandlungen des engeren Raths freie Hand
behalten wollte. *) Nunmehr entfaltete Stralenheim in verſchiedenen Denk-
ſchriften und Erklärungen eine ſophiſtiſche Kunſt, deren ſchlechterdings nur
die Feder des alten Leiſt fähig war. Er ſollte nachweiſen, daß ſein König
den Art. 56 der Schlußakte nicht verletzt habe, und drehte einfach den
Spieß um, indem er zeigte, daß dieſer Artikel gerade durch den hannöver-
ſchen Staatsſtreich verwirklicht worden ſei! Er bewies erſtens: zur Zeit
der Wiener Schlußakte hätte in Hannover die alte Verfaſſung von 1819
beſtanden, und heute ſei ſie wieder ins Leben gerufen; er bewies zweitens:
da ſich ein Landtag zuſammengefunden habe, ſo beſtehe die alte Verfaſſung
in anerkannter Wirkſamkeit; er bewies drittens: durch das Staatsgrund-
geſetz ſei die alte Verfaſſung auf unrechtmäßige Weiſe aufgehoben und
folglich jetzt von Rechtswegen wiederhergeſtellt worden. Solche Advokaten-
künſte waren ſelbſt im Bundestage, der doch ſchon manche juriſtiſche Kühn-
heit erlebt hatte, ganz unerhört. Sie erbitterten allgemein, und die Gönner
Hannovers verſuchten nur noch die Entſcheidung hinauszuſchieben, immer
in der ſtillen Hoffnung, daß ſich Ernſt Auguſt mittlerweile mit ſeinem
Landtage einigen und den Streit aus der Welt ſchaffen würde.
Als endlich im Juli 1838 zur Abſtimmung geſchritten wurde, brach
der verhaltene Groll heftig aus; Vorwürfe und Verwahrungen, ſelbſt per-
ſönliche Grobheiten wurden ausgetauſcht. Die Brutalität des Welfen ſchien
anſteckend zu wirken. Bei ruhigerem Blute beſchloß man nachher dieſe
anzüglichen Bemerkungen wechſelſeitig zurückzuziehen, ſo daß die Proto-
kolle von den ſtürmiſchen Auftritten nichts verriethen. **) Am 6. Septbr.
entſchieden neun Stimmen gegen ſieben, daß die Petition des Osnabrücker
Magiſtrats wegen mangelnder Legitimation der Beſchwerdeführer zurück-
zuweiſen ſei. Kurheſſen allein enthielt ſich der Abſtimmung, weil der
Prinzregent mit ſeinem wackeren Miniſter Lepel nicht einig war; Hannover
aber ſtimmte dreiſt in eigener Sache mit. Durch dieſen Beſchluß war noch
nichts verdorben; Stüve ſelbſt erwartete als gewiegter Juriſt kaum eine
andere Entſcheidung, denn mit guten Gründen ließ ſich bezweifeln, ob eine
einzelne Stadt befugt ſei, vor dem Bundestage im Namen eines ganzen
*) Metternich’s Weiſungen an Kuefſtein in Hannover, 23. April, an Trauttmans-
dorff, 5. Mai 1838.
**) Schöler’s Bericht, 31. Aug. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/691>, abgerufen am 24.11.2024.
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