sich vor ihm demüthigen und, indem sie ihm den Einzug in Köln gestat- tete, ihr Unrecht förmlich eingestehen.
Auf solche Zumuthungen einzugehen fiel keinem der Minister bei; vielmehr erwogen sie, ob der Prälat nicht durch Urtheil und Recht ab- gesetzt werden müsse. Ohne Zweifel hatte er "den Vorschriften seines Amtes vorsätzlich zuwider gehandelt" und mußte also nach dem Allgemeinen Land- rechte (Thl. II. Tit. 20 § 333) "sofort cassirt werden". Aber war der Erzbischof wirklich nur ein Staatsbeamter? Hatte er nicht geglaubt, die Vorschriften seines Amtes zu erfüllen, als er dem päpstlichen Breve nach- kam? Und durfte man ihn bestrafen, weil er, allerdings eigenmächtig und wortbrüchig, denselben Rechtszustand hatte erzwingen wollen, der soeben durch die Cabinetsordre vom 28. Jan. 1838 im Wesentlichen anerkannt war? Jetzt zeigte sich, daß die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts nicht mehr im Rechtsbewußtsein des Volkes, auch nicht des Richterstandes lebten. Kamptz hielt für sicher, daß jedes preußische Gericht den Erzbischof als einen pflichtvergessenen Staatsdiener verurtheilen würde; Mühler aber zweifelte daran. Auf Grund dieser Gutachten ihrer Amtsgenossen ge- langten die drei Minister zu dem Ergebniß, eine gerichtliche Untersuchung scheine zulässig, aber nicht rathsam, es sei denn, daß Droste selbst sie ver- lange.*) Nach langwierigen Berathungen wurde Droste endlich in seine Heimath Darfeld bei Münster verwiesen, wo er still seinen mönchischen Gewohnheiten lebte. Nach Alledem mußte das katholische Volk wohl zu dem Verdachte gelangen, die Krone selbst glaube nicht an ihr Recht. Der westphälische, nachher auch der rheinische Adel schickten bald nach Droste's Wegführung Abgesandte in die Hauptstadt. Ueberall, auch beim Kronprinzen fanden sie verschlossene Thüren; der König ließ ihnen sehr ernstlich die Er- wartung aussprechen, daß sie nunmehr, nachdem sie die Thatsachen kennen gelernt, sich beruhigen würden.**) Der Gesandte in Brüssel Graf Galen legte sein Amt nieder weil er die Ansichten der Regierung nicht mehr ver- treten könne; der junge Referendar Wilhelm v. Ketteler, der sich von seinem geistlichen Berufe noch nichts träumen ließ, trat aus dem Staatsdienste; der allgemein verehrte Freiherr Werner v. Haxthausen verließ das Land und schloß sich den grimmigsten Gegnern Preußens an. Bedenklicher war, daß die Bischöfe von Paderborn und Münster im Januar 1838 erklärten, nach der Allocution des Papstes könnten sie sich an den geheimen Ver- trag über die gemischten Ehen nicht mehr binden. Als sie nachher noch eine Fürbitte für Droste wagten, wurden sie vom Könige scharf abgewiesen.***)
*) Bericht der drei Minister, 8. Mai, nebst Rechtsgutachten von Kamptz, 26. Febr., von Mühler, 18. März 1839.
**) Cabinetsordres vom 9. Jan. 1838, zur Erwiderung auf die Eingaben des Gf. Spee, des Frhrn. v. Mirbach u. A. vom 26. December 1837.
***) Eingabe der Bischöfe von Münster und Paderborn an den König, 15. Dec. 1838. Bescheid, 8. Jan. 1839.
45*
Droſte-Viſchering in Weſtphalen.
ſich vor ihm demüthigen und, indem ſie ihm den Einzug in Köln geſtat- tete, ihr Unrecht förmlich eingeſtehen.
Auf ſolche Zumuthungen einzugehen fiel keinem der Miniſter bei; vielmehr erwogen ſie, ob der Prälat nicht durch Urtheil und Recht ab- geſetzt werden müſſe. Ohne Zweifel hatte er „den Vorſchriften ſeines Amtes vorſätzlich zuwider gehandelt“ und mußte alſo nach dem Allgemeinen Land- rechte (Thl. II. Tit. 20 § 333) „ſofort caſſirt werden“. Aber war der Erzbiſchof wirklich nur ein Staatsbeamter? Hatte er nicht geglaubt, die Vorſchriften ſeines Amtes zu erfüllen, als er dem päpſtlichen Breve nach- kam? Und durfte man ihn beſtrafen, weil er, allerdings eigenmächtig und wortbrüchig, denſelben Rechtszuſtand hatte erzwingen wollen, der ſoeben durch die Cabinetsordre vom 28. Jan. 1838 im Weſentlichen anerkannt war? Jetzt zeigte ſich, daß die Vorſchriften des Allgemeinen Landrechts nicht mehr im Rechtsbewußtſein des Volkes, auch nicht des Richterſtandes lebten. Kamptz hielt für ſicher, daß jedes preußiſche Gericht den Erzbiſchof als einen pflichtvergeſſenen Staatsdiener verurtheilen würde; Mühler aber zweifelte daran. Auf Grund dieſer Gutachten ihrer Amtsgenoſſen ge- langten die drei Miniſter zu dem Ergebniß, eine gerichtliche Unterſuchung ſcheine zuläſſig, aber nicht rathſam, es ſei denn, daß Droſte ſelbſt ſie ver- lange.*) Nach langwierigen Berathungen wurde Droſte endlich in ſeine Heimath Darfeld bei Münſter verwieſen, wo er ſtill ſeinen mönchiſchen Gewohnheiten lebte. Nach Alledem mußte das katholiſche Volk wohl zu dem Verdachte gelangen, die Krone ſelbſt glaube nicht an ihr Recht. Der weſtphäliſche, nachher auch der rheiniſche Adel ſchickten bald nach Droſte’s Wegführung Abgeſandte in die Hauptſtadt. Ueberall, auch beim Kronprinzen fanden ſie verſchloſſene Thüren; der König ließ ihnen ſehr ernſtlich die Er- wartung ausſprechen, daß ſie nunmehr, nachdem ſie die Thatſachen kennen gelernt, ſich beruhigen würden.**) Der Geſandte in Brüſſel Graf Galen legte ſein Amt nieder weil er die Anſichten der Regierung nicht mehr ver- treten könne; der junge Referendar Wilhelm v. Ketteler, der ſich von ſeinem geiſtlichen Berufe noch nichts träumen ließ, trat aus dem Staatsdienſte; der allgemein verehrte Freiherr Werner v. Haxthauſen verließ das Land und ſchloß ſich den grimmigſten Gegnern Preußens an. Bedenklicher war, daß die Biſchöfe von Paderborn und Münſter im Januar 1838 erklärten, nach der Allocution des Papſtes könnten ſie ſich an den geheimen Ver- trag über die gemiſchten Ehen nicht mehr binden. Als ſie nachher noch eine Fürbitte für Droſte wagten, wurden ſie vom Könige ſcharf abgewieſen.***)
*) Bericht der drei Miniſter, 8. Mai, nebſt Rechtsgutachten von Kamptz, 26. Febr., von Mühler, 18. März 1839.
**) Cabinetsordres vom 9. Jan. 1838, zur Erwiderung auf die Eingaben des Gf. Spee, des Frhrn. v. Mirbach u. A. vom 26. December 1837.
***) Eingabe der Biſchöfe von Münſter und Paderborn an den König, 15. Dec. 1838. Beſcheid, 8. Jan. 1839.
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Droſte-Viſchering in Weſtphalen.
ſich vor ihm demüthigen und, indem ſie ihm den Einzug in Köln geſtat-
tete, ihr Unrecht förmlich eingeſtehen.
Auf ſolche Zumuthungen einzugehen fiel keinem der Miniſter bei;
vielmehr erwogen ſie, ob der Prälat nicht durch Urtheil und Recht ab-
geſetzt werden müſſe. Ohne Zweifel hatte er „den Vorſchriften ſeines Amtes
vorſätzlich zuwider gehandelt“ und mußte alſo nach dem Allgemeinen Land-
rechte (Thl. II. Tit. 20 § 333) „ſofort caſſirt werden“. Aber war der
Erzbiſchof wirklich nur ein Staatsbeamter? Hatte er nicht geglaubt, die
Vorſchriften ſeines Amtes zu erfüllen, als er dem päpſtlichen Breve nach-
kam? Und durfte man ihn beſtrafen, weil er, allerdings eigenmächtig und
wortbrüchig, denſelben Rechtszuſtand hatte erzwingen wollen, der ſoeben
durch die Cabinetsordre vom 28. Jan. 1838 im Weſentlichen anerkannt
war? Jetzt zeigte ſich, daß die Vorſchriften des Allgemeinen Landrechts
nicht mehr im Rechtsbewußtſein des Volkes, auch nicht des Richterſtandes
lebten. Kamptz hielt für ſicher, daß jedes preußiſche Gericht den Erzbiſchof
als einen pflichtvergeſſenen Staatsdiener verurtheilen würde; Mühler aber
zweifelte daran. Auf Grund dieſer Gutachten ihrer Amtsgenoſſen ge-
langten die drei Miniſter zu dem Ergebniß, eine gerichtliche Unterſuchung
ſcheine zuläſſig, aber nicht rathſam, es ſei denn, daß Droſte ſelbſt ſie ver-
lange. *) Nach langwierigen Berathungen wurde Droſte endlich in ſeine
Heimath Darfeld bei Münſter verwieſen, wo er ſtill ſeinen mönchiſchen
Gewohnheiten lebte. Nach Alledem mußte das katholiſche Volk wohl zu
dem Verdachte gelangen, die Krone ſelbſt glaube nicht an ihr Recht. Der
weſtphäliſche, nachher auch der rheiniſche Adel ſchickten bald nach Droſte’s
Wegführung Abgeſandte in die Hauptſtadt. Ueberall, auch beim Kronprinzen
fanden ſie verſchloſſene Thüren; der König ließ ihnen ſehr ernſtlich die Er-
wartung ausſprechen, daß ſie nunmehr, nachdem ſie die Thatſachen kennen
gelernt, ſich beruhigen würden. **) Der Geſandte in Brüſſel Graf Galen
legte ſein Amt nieder weil er die Anſichten der Regierung nicht mehr ver-
treten könne; der junge Referendar Wilhelm v. Ketteler, der ſich von ſeinem
geiſtlichen Berufe noch nichts träumen ließ, trat aus dem Staatsdienſte;
der allgemein verehrte Freiherr Werner v. Haxthauſen verließ das Land
und ſchloß ſich den grimmigſten Gegnern Preußens an. Bedenklicher war,
daß die Biſchöfe von Paderborn und Münſter im Januar 1838 erklärten,
nach der Allocution des Papſtes könnten ſie ſich an den geheimen Ver-
trag über die gemiſchten Ehen nicht mehr binden. Als ſie nachher noch
eine Fürbitte für Droſte wagten, wurden ſie vom Könige ſcharf abgewieſen. ***)
*) Bericht der drei Miniſter, 8. Mai, nebſt Rechtsgutachten von Kamptz, 26. Febr.,
von Mühler, 18. März 1839.
**) Cabinetsordres vom 9. Jan. 1838, zur Erwiderung auf die Eingaben des Gf.
Spee, des Frhrn. v. Mirbach u. A. vom 26. December 1837.
***) Eingabe der Biſchöfe von Münſter und Paderborn an den König, 15. Dec. 1838.
Beſcheid, 8. Jan. 1839.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/721>, abgerufen am 24.11.2024.
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