Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Erzbischof Dunin. brauchten nach dem rheinischen Muster einen kirchlichen Märtyrer umdas Landvolk gegen den protestantischen König aufzuwiegeln und bereiteten mit gewohnter schauspielerischer Gewandtheit ein erschütterndes Rührstück vor. Am 3. October verschwand der Erzbischof aus Berlin und eilte mit untergelegten Pferden, die ihm seine adlichen Freunde stellten, schnurstracks nach Posen; dort ward er vom Grafen Kwilecki und anderen Edelleuten empfangen und sofort in den Dom geleitet, wo er zur tiefen Erbauung der Damen vom Sacre Coeur inbrünstig betete. In einem schwülstigen Briefe an den König berief er sich auf das "Beispiel des heiligen Apostel- fürsten Petrus, des großen Weltapostels Paulus und vieler heiligen Bischöfe der ersten christlichen Jahrhunderte". Auch die übrigen Akte der Komödie ver- liefen genau nach dem Plane der sarmatischen Dramaturgen. Am Früh- morgen des 6. Oct. erschienen die Beamten um die unvermeidliche Ver- haftung vorzunehmen. Der erzbischöfliche Palast auf der stillen Dom-Insel war fest verriegelt und mußte mit großem Lärm geöffnet werden. Die Eintretenden empfing Dunin's Schwester Scholastica mit jenem schrillen Jammergeschrei, dessen nur polnische Lungen fähig sind; der Erzbischof aber rief: "Holen Sie Gensdarmen! Die Welt muß wissen, daß ich mit Gewalt von hier weggeführt werde." Dann wendete er sich zu dem Haupt- mann Hacke, der ihm leise die Hand auf die Schulter legte: "Sie sind zu zart!" Als ihm der Polizeidirector den Arm bot um ihn die Treppe hinabzugeleiten, sagte er nochmals: "Das ist eine Gefälligkeit, das ist keine Gewalt. Fassen Sie mich nur an!"*) Nun wurde er nach Colberg abgeführt und schrieb von dort sogleich *) Protokoll über die Verhaftung des Erzbischofs, vom Polizeirath Bauer u. A., 6. Oct. 1839. **) Dunin's Eingaben an den König, 8. 25. October. Cabinetsordre an Dunin,
19. Oct. 1839. Erzbiſchof Dunin. brauchten nach dem rheiniſchen Muſter einen kirchlichen Märtyrer umdas Landvolk gegen den proteſtantiſchen König aufzuwiegeln und bereiteten mit gewohnter ſchauſpieleriſcher Gewandtheit ein erſchütterndes Rührſtück vor. Am 3. October verſchwand der Erzbiſchof aus Berlin und eilte mit untergelegten Pferden, die ihm ſeine adlichen Freunde ſtellten, ſchnurſtracks nach Poſen; dort ward er vom Grafen Kwilecki und anderen Edelleuten empfangen und ſofort in den Dom geleitet, wo er zur tiefen Erbauung der Damen vom Sacré Coeur inbrünſtig betete. In einem ſchwülſtigen Briefe an den König berief er ſich auf das „Beiſpiel des heiligen Apoſtel- fürſten Petrus, des großen Weltapoſtels Paulus und vieler heiligen Biſchöfe der erſten chriſtlichen Jahrhunderte“. Auch die übrigen Akte der Komödie ver- liefen genau nach dem Plane der ſarmatiſchen Dramaturgen. Am Früh- morgen des 6. Oct. erſchienen die Beamten um die unvermeidliche Ver- haftung vorzunehmen. Der erzbiſchöfliche Palaſt auf der ſtillen Dom-Inſel war feſt verriegelt und mußte mit großem Lärm geöffnet werden. Die Eintretenden empfing Dunin’s Schweſter Scholaſtica mit jenem ſchrillen Jammergeſchrei, deſſen nur polniſche Lungen fähig ſind; der Erzbiſchof aber rief: „Holen Sie Gensdarmen! Die Welt muß wiſſen, daß ich mit Gewalt von hier weggeführt werde.“ Dann wendete er ſich zu dem Haupt- mann Hacke, der ihm leiſe die Hand auf die Schulter legte: „Sie ſind zu zart!“ Als ihm der Polizeidirector den Arm bot um ihn die Treppe hinabzugeleiten, ſagte er nochmals: „Das iſt eine Gefälligkeit, das iſt keine Gewalt. Faſſen Sie mich nur an!“*) Nun wurde er nach Colberg abgeführt und ſchrieb von dort ſogleich *) Protokoll über die Verhaftung des Erzbiſchofs, vom Polizeirath Bauer u. A., 6. Oct. 1839. **) Dunin’s Eingaben an den König, 8. 25. October. Cabinetsordre an Dunin,
19. Oct. 1839. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0723" n="709"/><fw place="top" type="header">Erzbiſchof Dunin.</fw><lb/> brauchten nach dem rheiniſchen Muſter einen kirchlichen Märtyrer um<lb/> das Landvolk gegen den proteſtantiſchen König aufzuwiegeln und bereiteten<lb/> mit gewohnter ſchauſpieleriſcher Gewandtheit ein erſchütterndes Rührſtück<lb/> vor. Am 3. October verſchwand der Erzbiſchof aus Berlin und eilte mit<lb/> untergelegten Pferden, die ihm ſeine adlichen Freunde ſtellten, ſchnurſtracks<lb/> nach Poſen; dort ward er vom Grafen Kwilecki und anderen Edelleuten<lb/> empfangen und ſofort in den Dom geleitet, wo er zur tiefen Erbauung<lb/> der Damen vom <hi rendition="#aq">Sacré Coeur</hi> inbrünſtig betete. In einem ſchwülſtigen<lb/> Briefe an den König berief er ſich auf das „Beiſpiel des heiligen Apoſtel-<lb/> fürſten Petrus, des großen Weltapoſtels Paulus und vieler heiligen Biſchöfe<lb/> der erſten chriſtlichen Jahrhunderte“. Auch die übrigen Akte der Komödie ver-<lb/> liefen genau nach dem Plane der ſarmatiſchen Dramaturgen. Am Früh-<lb/> morgen des 6. Oct. erſchienen die Beamten um die unvermeidliche Ver-<lb/> haftung vorzunehmen. Der erzbiſchöfliche Palaſt auf der ſtillen Dom-Inſel<lb/> war feſt verriegelt und mußte mit großem Lärm geöffnet werden. Die<lb/> Eintretenden empfing Dunin’s Schweſter Scholaſtica mit jenem ſchrillen<lb/> Jammergeſchrei, deſſen nur polniſche Lungen fähig ſind; der Erzbiſchof<lb/> aber rief: „Holen Sie Gensdarmen! Die Welt muß wiſſen, daß ich mit<lb/> Gewalt von hier weggeführt werde.“ Dann wendete er ſich zu dem Haupt-<lb/> mann Hacke, der ihm leiſe die Hand auf die Schulter legte: „Sie ſind<lb/> zu zart!“ Als ihm der Polizeidirector den Arm bot um ihn die Treppe<lb/> hinabzugeleiten, ſagte er nochmals: „Das iſt eine Gefälligkeit, das iſt keine<lb/> Gewalt. Faſſen Sie mich nur an!“<note place="foot" n="*)">Protokoll über die Verhaftung des Erzbiſchofs, vom Polizeirath Bauer u. A.,<lb/> 6. Oct. 1839.</note></p><lb/> <p>Nun wurde er nach Colberg abgeführt und ſchrieb von dort ſogleich<lb/> an den König im allerunterthänigſten Stile: er ſehe ſeine Haft als eine<lb/> gerechte Fügung Gottes an und bitte nur, ihm eine andere Feſtung an-<lb/> zuweiſen, wo ſich eine katholiſche Kirche befinde, „damit ich wenigſtens den<lb/> Troſt haben könnte, in einem, nach dem katholiſchen Ritus Gott geweihten<lb/> Hauſe für das Wohl Ew. K. Majeſtät und für meine verwaiſte Heerde<lb/> tagtäglich und inbrünſtiglich zu beten.“ Als ihn aber der König nunmehr<lb/> aufforderte, wegen der vorläufigen Verwaltung des Erzbisthums Vorſchläge<lb/> zu machen, die man gern berückſichtigen wolle, da ward er wieder ſtörriſch<lb/> und antwortete: meine Vorſchläge gehen dahin, daß ich nach Poſen und<lb/> mein ebenfalls entfernter Official Brodziszewski nach Gneſen zurückkehren<lb/> muß.<note place="foot" n="**)">Dunin’s Eingaben an den König, 8. 25. October. Cabinetsordre an Dunin,<lb/> 19. Oct. 1839.</note> Wie häßlich erſchien dies bald kriechende, bald trotzige Benehmen<lb/> des Polen neben der ehrenhaften Mannhaftigkeit des weſtphäliſchen Starr-<lb/> kopfs. Die Poſener Katholiken veranſtalteten Kirchentrauer und andere<lb/> Kundgebungen der Wehmuth; die Dekanate der Erzdiöceſe erklärten dem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [709/0723]
Erzbiſchof Dunin.
brauchten nach dem rheiniſchen Muſter einen kirchlichen Märtyrer um
das Landvolk gegen den proteſtantiſchen König aufzuwiegeln und bereiteten
mit gewohnter ſchauſpieleriſcher Gewandtheit ein erſchütterndes Rührſtück
vor. Am 3. October verſchwand der Erzbiſchof aus Berlin und eilte mit
untergelegten Pferden, die ihm ſeine adlichen Freunde ſtellten, ſchnurſtracks
nach Poſen; dort ward er vom Grafen Kwilecki und anderen Edelleuten
empfangen und ſofort in den Dom geleitet, wo er zur tiefen Erbauung
der Damen vom Sacré Coeur inbrünſtig betete. In einem ſchwülſtigen
Briefe an den König berief er ſich auf das „Beiſpiel des heiligen Apoſtel-
fürſten Petrus, des großen Weltapoſtels Paulus und vieler heiligen Biſchöfe
der erſten chriſtlichen Jahrhunderte“. Auch die übrigen Akte der Komödie ver-
liefen genau nach dem Plane der ſarmatiſchen Dramaturgen. Am Früh-
morgen des 6. Oct. erſchienen die Beamten um die unvermeidliche Ver-
haftung vorzunehmen. Der erzbiſchöfliche Palaſt auf der ſtillen Dom-Inſel
war feſt verriegelt und mußte mit großem Lärm geöffnet werden. Die
Eintretenden empfing Dunin’s Schweſter Scholaſtica mit jenem ſchrillen
Jammergeſchrei, deſſen nur polniſche Lungen fähig ſind; der Erzbiſchof
aber rief: „Holen Sie Gensdarmen! Die Welt muß wiſſen, daß ich mit
Gewalt von hier weggeführt werde.“ Dann wendete er ſich zu dem Haupt-
mann Hacke, der ihm leiſe die Hand auf die Schulter legte: „Sie ſind
zu zart!“ Als ihm der Polizeidirector den Arm bot um ihn die Treppe
hinabzugeleiten, ſagte er nochmals: „Das iſt eine Gefälligkeit, das iſt keine
Gewalt. Faſſen Sie mich nur an!“ *)
Nun wurde er nach Colberg abgeführt und ſchrieb von dort ſogleich
an den König im allerunterthänigſten Stile: er ſehe ſeine Haft als eine
gerechte Fügung Gottes an und bitte nur, ihm eine andere Feſtung an-
zuweiſen, wo ſich eine katholiſche Kirche befinde, „damit ich wenigſtens den
Troſt haben könnte, in einem, nach dem katholiſchen Ritus Gott geweihten
Hauſe für das Wohl Ew. K. Majeſtät und für meine verwaiſte Heerde
tagtäglich und inbrünſtiglich zu beten.“ Als ihn aber der König nunmehr
aufforderte, wegen der vorläufigen Verwaltung des Erzbisthums Vorſchläge
zu machen, die man gern berückſichtigen wolle, da ward er wieder ſtörriſch
und antwortete: meine Vorſchläge gehen dahin, daß ich nach Poſen und
mein ebenfalls entfernter Official Brodziszewski nach Gneſen zurückkehren
muß. **) Wie häßlich erſchien dies bald kriechende, bald trotzige Benehmen
des Polen neben der ehrenhaften Mannhaftigkeit des weſtphäliſchen Starr-
kopfs. Die Poſener Katholiken veranſtalteten Kirchentrauer und andere
Kundgebungen der Wehmuth; die Dekanate der Erzdiöceſe erklärten dem
*) Protokoll über die Verhaftung des Erzbiſchofs, vom Polizeirath Bauer u. A.,
6. Oct. 1839.
**) Dunin’s Eingaben an den König, 8. 25. October. Cabinetsordre an Dunin,
19. Oct. 1839.
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