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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.

Ein Heer meist anonymer clericaler Schriftsteller blies in dasselbe
Horn; der Nassauer Lieber, der unter dem Namen "eines praktischen
Juristen" schrieb, zeichnete sich unter ihnen durch Scharfsinn und Schroff-
heit besonders aus. Görres selbst führte noch in mehreren Flugschriften
seine Nachhiebe. In der Kunst des Verleumdens aber war der Heraus-
geber der Neuen Würzburger Zeitung, Zander, Allen überlegen, ein evan-
gelischer Renegat aus dem Norden, derselbe Mensch, der sich durch König
Ernst August bestechen ließ.*) Sein Blatt triefte von Schmähungen gegen
die Hohenzollern; in diesen Spalten wurde das Capital der antipreußischen
Schimpfreden angesammelt, mit dem die ultramontane Partei durch ein
halbes Jahrhundert hausgehalten hat. Den vorläufigen Abschluß dieser
Literatur bildete ein umfängliches Buch De la Prusse et sa domina-
tion
(Paris 1842), von Cazales, einem französischen Legitimisten, der zu
München lange in dem Görres'schen Kreise gelebt hatte. Hier wurde das
preußische Regierungssystem "ein abgeschmacktes Schaugerüste von Miß-
bräuchen, Decreten, tyrannischen oder unmöglichen Befehlen" genannt und
der Kölnische Bischofsstreit eine Erhebung der reinen germanischen Rasse
gegen das Slaventhum des Nordostens. Der Franzose scheute sich auch
nicht, den Bund der Kirche mit der Demokratie zu fordern und in der
Weise Montalembert's, aber ohne dessen Geist, den Katholicismus als die
Sache der Freiheit zu verherrlichen. Die Buchhandlungen von Hurter in
Schaffhausen und Manz in Regensburg, sowie einige kleinere Firmen in
Würzburg und Freiburg verbreiteten fast allwöchentlich neue Brandschriften
in den Rheinlanden. Ein in Würzburg verlegtes neues Rothes Buch
"Rheinpreußisches" gab eine haarsträubende Schilderung von dem Wüthen
der Preußen am Rheine und als Zugabe die Erklärungen des Posener
Erzbischofs Dunin.

Offenbar ging die Absicht der Partei auf die Losreißung der alten
Krummstabslande von dem evangelischen Herrscherhause. Der Historiker
Böhmer in Frankfurt, der allerdings die Gründung des Zollvereins als
eine persönliche Beschimpfung empfand, konnte gar nicht rührsam genug
schildern, wie "diese Fremden in der eroberten Provinz" sich häuslich ein-
gerichtet hätten; er nannte die Grenzfestung Deutschlands, den Ehren-
breitstein, das Zwing-Uri des Rheinlands und sang ingrimmig: "Die
Tochter fremden Freiers Lohn, in die Kaserne muß der Sohn!" Die
belgische Presse unterstützte fast einmüthig diese Bestrebungen, sie empfahl
die Bildung einer rheinisch-belgischen Conföderation, während die bairischen
Ultramontanen ihrem Herrscherhause die rheinische Königskrone wünschten.
Ein am Rheine massenhaft verbreitetes belgisches Flugblatt sagte: "Stehet
auf im Namen Euerer geschändeten Religion, im Namen Euerer Freiheit,
von Eueren Henkern mit Füßen getreten. Fürchtet den Deutschen Bund

*) S. o. IV. 656.
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.

Ein Heer meiſt anonymer clericaler Schriftſteller blies in daſſelbe
Horn; der Naſſauer Lieber, der unter dem Namen „eines praktiſchen
Juriſten“ ſchrieb, zeichnete ſich unter ihnen durch Scharfſinn und Schroff-
heit beſonders aus. Görres ſelbſt führte noch in mehreren Flugſchriften
ſeine Nachhiebe. In der Kunſt des Verleumdens aber war der Heraus-
geber der Neuen Würzburger Zeitung, Zander, Allen überlegen, ein evan-
geliſcher Renegat aus dem Norden, derſelbe Menſch, der ſich durch König
Ernſt Auguſt beſtechen ließ.*) Sein Blatt triefte von Schmähungen gegen
die Hohenzollern; in dieſen Spalten wurde das Capital der antipreußiſchen
Schimpfreden angeſammelt, mit dem die ultramontane Partei durch ein
halbes Jahrhundert hausgehalten hat. Den vorläufigen Abſchluß dieſer
Literatur bildete ein umfängliches Buch De la Prusse et sa domina-
tion
(Paris 1842), von Cazalès, einem franzöſiſchen Legitimiſten, der zu
München lange in dem Görres’ſchen Kreiſe gelebt hatte. Hier wurde das
preußiſche Regierungsſyſtem „ein abgeſchmacktes Schaugerüſte von Miß-
bräuchen, Decreten, tyranniſchen oder unmöglichen Befehlen“ genannt und
der Kölniſche Biſchofsſtreit eine Erhebung der reinen germaniſchen Raſſe
gegen das Slaventhum des Nordoſtens. Der Franzoſe ſcheute ſich auch
nicht, den Bund der Kirche mit der Demokratie zu fordern und in der
Weiſe Montalembert’s, aber ohne deſſen Geiſt, den Katholicismus als die
Sache der Freiheit zu verherrlichen. Die Buchhandlungen von Hurter in
Schaffhauſen und Manz in Regensburg, ſowie einige kleinere Firmen in
Würzburg und Freiburg verbreiteten faſt allwöchentlich neue Brandſchriften
in den Rheinlanden. Ein in Würzburg verlegtes neues Rothes Buch
„Rheinpreußiſches“ gab eine haarſträubende Schilderung von dem Wüthen
der Preußen am Rheine und als Zugabe die Erklärungen des Poſener
Erzbiſchofs Dunin.

Offenbar ging die Abſicht der Partei auf die Losreißung der alten
Krummſtabslande von dem evangeliſchen Herrſcherhauſe. Der Hiſtoriker
Böhmer in Frankfurt, der allerdings die Gründung des Zollvereins als
eine perſönliche Beſchimpfung empfand, konnte gar nicht rührſam genug
ſchildern, wie „dieſe Fremden in der eroberten Provinz“ ſich häuslich ein-
gerichtet hätten; er nannte die Grenzfeſtung Deutſchlands, den Ehren-
breitſtein, das Zwing-Uri des Rheinlands und ſang ingrimmig: „Die
Tochter fremden Freiers Lohn, in die Kaſerne muß der Sohn!“ Die
belgiſche Preſſe unterſtützte faſt einmüthig dieſe Beſtrebungen, ſie empfahl
die Bildung einer rheiniſch-belgiſchen Conföderation, während die bairiſchen
Ultramontanen ihrem Herrſcherhauſe die rheiniſche Königskrone wünſchten.
Ein am Rheine maſſenhaft verbreitetes belgiſches Flugblatt ſagte: „Stehet
auf im Namen Euerer geſchändeten Religion, im Namen Euerer Freiheit,
von Eueren Henkern mit Füßen getreten. Fürchtet den Deutſchen Bund

*) S. o. IV. 656.
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[716/0730] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. Ein Heer meiſt anonymer clericaler Schriftſteller blies in daſſelbe Horn; der Naſſauer Lieber, der unter dem Namen „eines praktiſchen Juriſten“ ſchrieb, zeichnete ſich unter ihnen durch Scharfſinn und Schroff- heit beſonders aus. Görres ſelbſt führte noch in mehreren Flugſchriften ſeine Nachhiebe. In der Kunſt des Verleumdens aber war der Heraus- geber der Neuen Würzburger Zeitung, Zander, Allen überlegen, ein evan- geliſcher Renegat aus dem Norden, derſelbe Menſch, der ſich durch König Ernſt Auguſt beſtechen ließ. *) Sein Blatt triefte von Schmähungen gegen die Hohenzollern; in dieſen Spalten wurde das Capital der antipreußiſchen Schimpfreden angeſammelt, mit dem die ultramontane Partei durch ein halbes Jahrhundert hausgehalten hat. Den vorläufigen Abſchluß dieſer Literatur bildete ein umfängliches Buch De la Prusse et sa domina- tion (Paris 1842), von Cazalès, einem franzöſiſchen Legitimiſten, der zu München lange in dem Görres’ſchen Kreiſe gelebt hatte. Hier wurde das preußiſche Regierungsſyſtem „ein abgeſchmacktes Schaugerüſte von Miß- bräuchen, Decreten, tyranniſchen oder unmöglichen Befehlen“ genannt und der Kölniſche Biſchofsſtreit eine Erhebung der reinen germaniſchen Raſſe gegen das Slaventhum des Nordoſtens. Der Franzoſe ſcheute ſich auch nicht, den Bund der Kirche mit der Demokratie zu fordern und in der Weiſe Montalembert’s, aber ohne deſſen Geiſt, den Katholicismus als die Sache der Freiheit zu verherrlichen. Die Buchhandlungen von Hurter in Schaffhauſen und Manz in Regensburg, ſowie einige kleinere Firmen in Würzburg und Freiburg verbreiteten faſt allwöchentlich neue Brandſchriften in den Rheinlanden. Ein in Würzburg verlegtes neues Rothes Buch „Rheinpreußiſches“ gab eine haarſträubende Schilderung von dem Wüthen der Preußen am Rheine und als Zugabe die Erklärungen des Poſener Erzbiſchofs Dunin. Offenbar ging die Abſicht der Partei auf die Losreißung der alten Krummſtabslande von dem evangeliſchen Herrſcherhauſe. Der Hiſtoriker Böhmer in Frankfurt, der allerdings die Gründung des Zollvereins als eine perſönliche Beſchimpfung empfand, konnte gar nicht rührſam genug ſchildern, wie „dieſe Fremden in der eroberten Provinz“ ſich häuslich ein- gerichtet hätten; er nannte die Grenzfeſtung Deutſchlands, den Ehren- breitſtein, das Zwing-Uri des Rheinlands und ſang ingrimmig: „Die Tochter fremden Freiers Lohn, in die Kaſerne muß der Sohn!“ Die belgiſche Preſſe unterſtützte faſt einmüthig dieſe Beſtrebungen, ſie empfahl die Bildung einer rheiniſch-belgiſchen Conföderation, während die bairiſchen Ultramontanen ihrem Herrſcherhauſe die rheiniſche Königskrone wünſchten. Ein am Rheine maſſenhaft verbreitetes belgiſches Flugblatt ſagte: „Stehet auf im Namen Euerer geſchändeten Religion, im Namen Euerer Freiheit, von Eueren Henkern mit Füßen getreten. Fürchtet den Deutſchen Bund *) S. o. IV. 656.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/730>, abgerufen am 24.11.2024.