Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit. ein eigenes Organ, das den bezeichnenden Titel erhielt: Historisch-politischeBlätter für das katholische Deutschland. Naiver ließen sich die friedens- störerischen Absichten der Partei nicht aussprechen. Evangelische Kirchen- zeitungen gab es längst, so gut wie katholische; aber ein historisch-politisches Blatt für das evangelische Deutschland zu schreiben war unter den weit- herzigen Protestanten noch Keinem in den Sinn gekommen, denn da die evangelische Kirche sich als die allgemeine christliche Kirche ansieht und auch darnach handelt, so wendet sich jeder gute Protestant, der über deutsche Politik redet, an alle seine Volksgenossen. Die ersten Herausgeber der gelben Blätter, Phillipps und Görres' Sohn Guido verfuhren nicht ohne Geschick und suchten den äußeren Anstand zu wahren, sie vermieden in den ersten Heften absichtlich die Kölnischen Wirren zu berühren. Doch hinter den gebildeten Formen verbargen sie einen Fanatismus, der nicht nur den kirchlichen, sondern selbst den bürgerlichen Frieden unmöglich machen mußte. Ihre evangelischen Landsleute erschienen ihnen nur als "die von der Kirche Getrennten", die wofern sie "eines guten Willens sind" zur Kirche zurückkehren müßten, und den tapfersten aller deutschen Männer, Martin Luther betrachteten sie als "ein psychologisches Problem", das sich nur aus einer Mischung von Hochmuth und "hypochondrischer Muthlosig- keit" erklären lasse. Das akademische Studium der Theologen war ihnen ein Greuel, so gut wie die Milde des Fürstbischofs von Breslau, und als leuchtendes Gegenbild ward der preußischen Krone der klosterfreundliche Ludwig von Baiern vorgehalten. Dieser geschlossenen ultramontanen Masse gegenüber fochten die Pro- IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. ein eigenes Organ, das den bezeichnenden Titel erhielt: Hiſtoriſch-politiſcheBlätter für das katholiſche Deutſchland. Naiver ließen ſich die friedens- ſtöreriſchen Abſichten der Partei nicht ausſprechen. Evangeliſche Kirchen- zeitungen gab es längſt, ſo gut wie katholiſche; aber ein hiſtoriſch-politiſches Blatt für das evangeliſche Deutſchland zu ſchreiben war unter den weit- herzigen Proteſtanten noch Keinem in den Sinn gekommen, denn da die evangeliſche Kirche ſich als die allgemeine chriſtliche Kirche anſieht und auch darnach handelt, ſo wendet ſich jeder gute Proteſtant, der über deutſche Politik redet, an alle ſeine Volksgenoſſen. Die erſten Herausgeber der gelben Blätter, Phillipps und Görres’ Sohn Guido verfuhren nicht ohne Geſchick und ſuchten den äußeren Anſtand zu wahren, ſie vermieden in den erſten Heften abſichtlich die Kölniſchen Wirren zu berühren. Doch hinter den gebildeten Formen verbargen ſie einen Fanatismus, der nicht nur den kirchlichen, ſondern ſelbſt den bürgerlichen Frieden unmöglich machen mußte. Ihre evangeliſchen Landsleute erſchienen ihnen nur als „die von der Kirche Getrennten“, die wofern ſie „eines guten Willens ſind“ zur Kirche zurückkehren müßten, und den tapferſten aller deutſchen Männer, Martin Luther betrachteten ſie als „ein pſychologiſches Problem“, das ſich nur aus einer Miſchung von Hochmuth und „hypochondriſcher Muthloſig- keit“ erklären laſſe. Das akademiſche Studium der Theologen war ihnen ein Greuel, ſo gut wie die Milde des Fürſtbiſchofs von Breslau, und als leuchtendes Gegenbild ward der preußiſchen Krone der kloſterfreundliche Ludwig von Baiern vorgehalten. Dieſer geſchloſſenen ultramontanen Maſſe gegenüber fochten die Pro- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0732" n="718"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 10. 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IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
ein eigenes Organ, das den bezeichnenden Titel erhielt: Hiſtoriſch-politiſche
Blätter für das katholiſche Deutſchland. Naiver ließen ſich die friedens-
ſtöreriſchen Abſichten der Partei nicht ausſprechen. Evangeliſche Kirchen-
zeitungen gab es längſt, ſo gut wie katholiſche; aber ein hiſtoriſch-politiſches
Blatt für das evangeliſche Deutſchland zu ſchreiben war unter den weit-
herzigen Proteſtanten noch Keinem in den Sinn gekommen, denn da die
evangeliſche Kirche ſich als die allgemeine chriſtliche Kirche anſieht und auch
darnach handelt, ſo wendet ſich jeder gute Proteſtant, der über deutſche
Politik redet, an alle ſeine Volksgenoſſen. Die erſten Herausgeber der
gelben Blätter, Phillipps und Görres’ Sohn Guido verfuhren nicht ohne
Geſchick und ſuchten den äußeren Anſtand zu wahren, ſie vermieden in
den erſten Heften abſichtlich die Kölniſchen Wirren zu berühren. Doch
hinter den gebildeten Formen verbargen ſie einen Fanatismus, der nicht
nur den kirchlichen, ſondern ſelbſt den bürgerlichen Frieden unmöglich
machen mußte. Ihre evangeliſchen Landsleute erſchienen ihnen nur als
„die von der Kirche Getrennten“, die wofern ſie „eines guten Willens ſind“
zur Kirche zurückkehren müßten, und den tapferſten aller deutſchen Männer,
Martin Luther betrachteten ſie als „ein pſychologiſches Problem“, das ſich
nur aus einer Miſchung von Hochmuth und „hypochondriſcher Muthloſig-
keit“ erklären laſſe. Das akademiſche Studium der Theologen war ihnen
ein Greuel, ſo gut wie die Milde des Fürſtbiſchofs von Breslau, und als
leuchtendes Gegenbild ward der preußiſchen Krone der kloſterfreundliche
Ludwig von Baiern vorgehalten.
Dieſer geſchloſſenen ultramontanen Maſſe gegenüber fochten die Pro-
teſtanten als Einzelne, Jeder mit ſeinen eigenen Waffen, wie es die evan-
geliſche Freiheit bedingt. In leidenſchaftlichen literariſchen Kämpfen läßt
ſich die Bedeutung der einzelnen Schriften ſtets an der Zahl ihrer Gegner
abmeſſen. Diesmal verdiente Heinrich Leo den Preis; ſein Sendſchreiben
an Görres erregte ein unbeſchreibliches Wuthgeſchrei im clericalen Lager;
denn er fand das treffende Wort, er ſagte den Gegnern rund heraus, ſie
ſeien nicht Katholiken, ſondern „Welfen“, in ihrem Treiben offenbare ſich
nur der uralte Haß der deutſchen Zuchtloſigkeit gegen jede feſte und ge-
rechte Staatsbildung. Der Vorwurf traf um ſo ſchwerer, weil er aus
dem Munde eines Mannes kam, der ſeine Achtung für die römiſche Kirche
ſo oft, zuweilen über das billige Maß hinaus, bewieſen hatte. Viel milder,
aber auch im Geiſte des poſitiven Chriſtenthums gehalten waren zwei geiſt-
reiche Schriften des preußiſchen Geſandten Frhrn. v. Canitz in Hannover.
Der Jenenſer Theolog Karl Haſe ſchrieb über „die beiden Erzbiſchöfe“
eine hiſtoriſche Abhandlung, deren überlegene Ruhe den erhitzten Gegnern
ganz unverſtändlich war. Der Bonner Curator Rehfues ſchilderte unter
dem Namen eines Sammlers hiſtoriſcher Urkunden „die katholiſche Kirche
in der preußiſchen Rheinprovinz“; er wies nach, wie der König auf das
Recht der Biſchofsernennung, das ihm als dem Nachfolger Napoleon’s
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