Wiederbefestigung des Staates zur Seite gestanden, waren vor ihm dahin- gegangen. In diesen letzten Jahren folgte ein Mißgriff dem andern. Der Bundestag entwürdigte sich durch die hannöverschen Beschlüsse dermaßen, daß Niemand mehr an eine friedliche Zukunft des Deutschen Bundes glauben konnte; die preußische Kirchenpolitik suchte vergeblich einen Ausweg aus unleidlicher Verwirrung; und im Volke stieß das gestrenge alte Be- amtenregiment auf einen stillen, beständig wachsenden Widerwillen, den allein die Ehrfurcht vor dem greisen Monarchen noch darnieder hielt. Als Friedrich v. Gagern im Jahre 1839 den Berliner Hof besuchte, da gewann er den Eindruck, diese Regierung halte sich nur weil das Schicksal sie neuerdings vor allzu heftigen Stößen bewahrt habe.
Der alte König selbst verstand die Zeit nicht mehr. Wie er den treuen Arndt, der doch neuerdings bei den Liberalen als reactionärer Franzosen- freund verrufen war, noch immer unversöhnlich dem Lehrstuhle fern hielt, so wollte er auch von den constitutionellen Ideen jetzt sogar noch weniger hören als in früheren Jahren.
In einem um das Jahr 1838 niedergeschriebenen Testaments-Ent- wurfe verpflichtete er den Thronfolger zur Aufrechterhaltung der Union, der Agende, der Consistorialverfassung und erklärte sodann nachdrücklich, daß er die von den Vorfahren ererbte unbeschränkte königliche Gewalt un- beschränkt seinen Nachfolgern hinterlassen wollte. Die Erfahrung lehre, daß die Fürsten, welche auf einen Theil ihrer Rechte verzichteten, oft auch den anderen Theil einbüßten und selbst die Möglichkeit Gutes zu thun ver- lören. Seine Unterthanen besäßen in den Institutionen, die er ihnen aus freiem Willen ertheilt, in der geregelten Staatsverwaltung, in dem Staatsrathe, in den Provinzialständen, in der Städteordnung, in den Communalverfassungen die Bürgschaft für ungestörte Ordnung und Ge- setzlichkeit. Auf dieser Unbeschränktheit der königlichen Gewalt beruhe vor- zugsweise die Stellung Preußens im Staatensystem; und da eine Aenderung dieses Grundpfeilers der Monarchie letztere selbst wankend machen würde, so bestimme er hierdurch, "daß kein königlicher Regent befugt sein soll, ohne Zuziehung sämmtlicher Agnaten in dem königlichen Hause irgend eine Aenderung oder Einleitung zu treffen, wodurch eine Veränderung in der Verfassung des Staates, namentlich in Beziehung auf die ständischen Verhältnisse und die Beschränkung der königlichen Gewalt bewirkt oder begründet werden könnte." Im Falle der Aufnahme einer neuen Anleihe -- so fuhr der König fort -- werde er nach der Vorschrift des Staats- schuldengesetzes von 1820 handeln, in jedem der acht Provinziallandtage je vier Abgeordnete wählen lassen, diese Gewählten durch eine gleiche Anzahl von Mitgliedern des Staatsraths verstärken und der also gebil- deten reichsständischen Versammlung das Anleihegesetz -- aber schlechter- dings keine andere Frage -- zur Berathung vorlegen.*) Durch einen
*) Aufzeichnungen K. Friedrich Wilhelm's für sein Testament. S. Beilage 25.
Friedrich Wilhelm’s letzte Jahre.
Wiederbefeſtigung des Staates zur Seite geſtanden, waren vor ihm dahin- gegangen. In dieſen letzten Jahren folgte ein Mißgriff dem andern. Der Bundestag entwürdigte ſich durch die hannöverſchen Beſchlüſſe dermaßen, daß Niemand mehr an eine friedliche Zukunft des Deutſchen Bundes glauben konnte; die preußiſche Kirchenpolitik ſuchte vergeblich einen Ausweg aus unleidlicher Verwirrung; und im Volke ſtieß das geſtrenge alte Be- amtenregiment auf einen ſtillen, beſtändig wachſenden Widerwillen, den allein die Ehrfurcht vor dem greiſen Monarchen noch darnieder hielt. Als Friedrich v. Gagern im Jahre 1839 den Berliner Hof beſuchte, da gewann er den Eindruck, dieſe Regierung halte ſich nur weil das Schickſal ſie neuerdings vor allzu heftigen Stößen bewahrt habe.
Der alte König ſelbſt verſtand die Zeit nicht mehr. Wie er den treuen Arndt, der doch neuerdings bei den Liberalen als reactionärer Franzoſen- freund verrufen war, noch immer unverſöhnlich dem Lehrſtuhle fern hielt, ſo wollte er auch von den conſtitutionellen Ideen jetzt ſogar noch weniger hören als in früheren Jahren.
In einem um das Jahr 1838 niedergeſchriebenen Teſtaments-Ent- wurfe verpflichtete er den Thronfolger zur Aufrechterhaltung der Union, der Agende, der Conſiſtorialverfaſſung und erklärte ſodann nachdrücklich, daß er die von den Vorfahren ererbte unbeſchränkte königliche Gewalt un- beſchränkt ſeinen Nachfolgern hinterlaſſen wollte. Die Erfahrung lehre, daß die Fürſten, welche auf einen Theil ihrer Rechte verzichteten, oft auch den anderen Theil einbüßten und ſelbſt die Möglichkeit Gutes zu thun ver- lören. Seine Unterthanen beſäßen in den Inſtitutionen, die er ihnen aus freiem Willen ertheilt, in der geregelten Staatsverwaltung, in dem Staatsrathe, in den Provinzialſtänden, in der Städteordnung, in den Communalverfaſſungen die Bürgſchaft für ungeſtörte Ordnung und Ge- ſetzlichkeit. Auf dieſer Unbeſchränktheit der königlichen Gewalt beruhe vor- zugsweiſe die Stellung Preußens im Staatenſyſtem; und da eine Aenderung dieſes Grundpfeilers der Monarchie letztere ſelbſt wankend machen würde, ſo beſtimme er hierdurch, „daß kein königlicher Regent befugt ſein ſoll, ohne Zuziehung ſämmtlicher Agnaten in dem königlichen Hauſe irgend eine Aenderung oder Einleitung zu treffen, wodurch eine Veränderung in der Verfaſſung des Staates, namentlich in Beziehung auf die ſtändiſchen Verhältniſſe und die Beſchränkung der königlichen Gewalt bewirkt oder begründet werden könnte.“ Im Falle der Aufnahme einer neuen Anleihe — ſo fuhr der König fort — werde er nach der Vorſchrift des Staats- ſchuldengeſetzes von 1820 handeln, in jedem der acht Provinziallandtage je vier Abgeordnete wählen laſſen, dieſe Gewählten durch eine gleiche Anzahl von Mitgliedern des Staatsraths verſtärken und der alſo gebil- deten reichsſtändiſchen Verſammlung das Anleihegeſetz — aber ſchlechter- dings keine andere Frage — zur Berathung vorlegen.*) Durch einen
*) Aufzeichnungen K. Friedrich Wilhelm’s für ſein Teſtament. S. Beilage 25.
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Friedrich Wilhelm’s letzte Jahre.
Wiederbefeſtigung des Staates zur Seite geſtanden, waren vor ihm dahin-
gegangen. In dieſen letzten Jahren folgte ein Mißgriff dem andern. Der
Bundestag entwürdigte ſich durch die hannöverſchen Beſchlüſſe dermaßen,
daß Niemand mehr an eine friedliche Zukunft des Deutſchen Bundes
glauben konnte; die preußiſche Kirchenpolitik ſuchte vergeblich einen Ausweg
aus unleidlicher Verwirrung; und im Volke ſtieß das geſtrenge alte Be-
amtenregiment auf einen ſtillen, beſtändig wachſenden Widerwillen, den
allein die Ehrfurcht vor dem greiſen Monarchen noch darnieder hielt. Als
Friedrich v. Gagern im Jahre 1839 den Berliner Hof beſuchte, da gewann
er den Eindruck, dieſe Regierung halte ſich nur weil das Schickſal ſie
neuerdings vor allzu heftigen Stößen bewahrt habe.
Der alte König ſelbſt verſtand die Zeit nicht mehr. Wie er den treuen
Arndt, der doch neuerdings bei den Liberalen als reactionärer Franzoſen-
freund verrufen war, noch immer unverſöhnlich dem Lehrſtuhle fern hielt,
ſo wollte er auch von den conſtitutionellen Ideen jetzt ſogar noch weniger
hören als in früheren Jahren.
In einem um das Jahr 1838 niedergeſchriebenen Teſtaments-Ent-
wurfe verpflichtete er den Thronfolger zur Aufrechterhaltung der Union,
der Agende, der Conſiſtorialverfaſſung und erklärte ſodann nachdrücklich,
daß er die von den Vorfahren ererbte unbeſchränkte königliche Gewalt un-
beſchränkt ſeinen Nachfolgern hinterlaſſen wollte. Die Erfahrung lehre, daß
die Fürſten, welche auf einen Theil ihrer Rechte verzichteten, oft auch den
anderen Theil einbüßten und ſelbſt die Möglichkeit Gutes zu thun ver-
lören. Seine Unterthanen beſäßen in den Inſtitutionen, die er ihnen
aus freiem Willen ertheilt, in der geregelten Staatsverwaltung, in dem
Staatsrathe, in den Provinzialſtänden, in der Städteordnung, in den
Communalverfaſſungen die Bürgſchaft für ungeſtörte Ordnung und Ge-
ſetzlichkeit. Auf dieſer Unbeſchränktheit der königlichen Gewalt beruhe vor-
zugsweiſe die Stellung Preußens im Staatenſyſtem; und da eine Aenderung
dieſes Grundpfeilers der Monarchie letztere ſelbſt wankend machen würde,
ſo beſtimme er hierdurch, „daß kein königlicher Regent befugt ſein ſoll,
ohne Zuziehung ſämmtlicher Agnaten in dem königlichen Hauſe irgend
eine Aenderung oder Einleitung zu treffen, wodurch eine Veränderung in
der Verfaſſung des Staates, namentlich in Beziehung auf die ſtändiſchen
Verhältniſſe und die Beſchränkung der königlichen Gewalt bewirkt oder
begründet werden könnte.“ Im Falle der Aufnahme einer neuen Anleihe —
ſo fuhr der König fort — werde er nach der Vorſchrift des Staats-
ſchuldengeſetzes von 1820 handeln, in jedem der acht Provinziallandtage
je vier Abgeordnete wählen laſſen, dieſe Gewählten durch eine gleiche
Anzahl von Mitgliedern des Staatsraths verſtärken und der alſo gebil-
deten reichsſtändiſchen Verſammlung das Anleihegeſetz — aber ſchlechter-
dings keine andere Frage — zur Berathung vorlegen. *) Durch einen
*) Aufzeichnungen K. Friedrich Wilhelm’s für ſein Teſtament. S. Beilage 25.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/739>, abgerufen am 24.11.2024.
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