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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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XVIII. Der Herzog von Cumberland und das Staatsgrundgesetz.
wurde sie von dem hannöverschen Cabinetsministerium am 16. October 1833 dem Herzog
von Cumberland zugesendet, nebst der Anfrage, ob er geneigt sei seinen Sitz in der ersten
Kammer einzunehmen, während gleichzeitig Minister Ompteda in London an den Herzog
von Sussex die nämliche Frage stellte. Sussex erhob keine grundsätzlichen Bedenken;
Cumberland aber antwortete wie folgt:

Berlin, 29. October 1833. Meine Herren! Ich habe durch den Gesandten
von Münchhausen Ihr Schreiben vom 16. d. Mts. erhalten und verfehle nicht
Ihnen für diese Mittheilung meinen Dank zu erstatten. Jedoch kann ich nicht
umhin Ihnen zu sagen, daß ich im Jahre 1819 bei meinem seligen Bruder
König Georg IV. gegen die Einführung der allgemeinen Stände protestirt habe,
da diese nach meiner Ansicht nie hätten sollen eingerichtet werden ohne vorherige
Einwilligung und Zustimmung aller männlichen Agnaten, weil dadurch eine
totale Veränderung der Verfassung des Landes bewirkt worden. Von allem,
was weiter vorgekommen, bin ich nicht genügend unterrichtet und kann mich
deshalb auch durch das neue Gesetz noch nicht gebunden halten.

Ihr ergebener
Ernst.

Die Minister, Stralenheim, Alten, Schulte, von der Wisch, waren durchweg Edel-
leute von der achtungswerthen, aber geistlosen althannöverschen Schule. Begreiflich daher,
daß sie durch diese unerwartete Erklärung des Thronfolgers ganz außer Fassung geriethen.
Alle früheren Aeußerungen des Herzogs waren nur vertraulich geschehen. Jetzt, in dem
einzigen förmlichen Aktenstücke, das er jemals über das Staatsgrundgesetz geschrieben hat,
verweigerte er nicht nur, die früheren Verhandlungen einfach ableugnend, vorläufig seine
Zustimmung zu dem neuen Staatsgrundgesetze; er schien sogar -- soweit seine Worte
sich deuten ließen -- zu den alten Provinzialständen, zu dem Zustande vom Jahre 1803
zurückkehren zu wollen; denn die allgemeine Ständeversammlung, die er als unrecht-
mäßig verwarf, war im Jahre 1819 nur verändert, aber schon im Jahre 1814, zur
selben Zeit da die Königskrone Hannovers entstand, begründet worden. In ihrer
Angst wagten die Minister nicht, dem Herzog kurzweg die Frage zu stellen, ob er das
Staatsgrundgesetz anerkenne oder eine förmliche Rechtsverwahrung einlegen wolle. Sie
schrieben vielmehr an Ompteda, den hannöverschen Minister in London (14. November
1833), erzählten ihm das Geschehene und bemerkten dazu: von einem früheren Proteste
des Herzogs wüßten sie gar nichts; auch hielten sie für zweifelhaft, ob ein solcher Protest
im Jahre 1819 überhaupt noch möglich gewesen, da die allgemeine Ständeversammlung
des Königreichs schon fünf Jahre früher einberufen worden sei. Nicht minder zweifelhaft
scheine es, ob diese Verfassungsänderungen der Zustimmung der Agnaten bedürften; bei
der Union der Landschaften Calenberg und Grubenhagen im Jahre 1801 habe man die
Agnaten auch nicht befragt. Zudem lasse sich nicht leugnen, daß die alten Provinzial-
stände größere, für die Krone gefährlichere Rechte besessen hätten, als heute der allgemeine
Landtag. Zum Schluß meinten sie harmlos, die Bemerkungen des Herzogs schienen sich
doch wohl nur auf die Form, nicht auf den Inhalt des Staatsgrundgesetzes zu beziehen;
denn aus seinen Gesprächen mit Ompteda und Falcke, aus seinen Briefen an den König
und den Herzog von Cambridge gehe klar hervor, daß er vor zwei Jahren den Ver-
fassungsentwurf gebilligt habe, mit einziger Ausnahme der Bestimmungen über die Oeffent-
lichkeit und die Diäten.

Der König zeigte sich über die Sinnesänderung seines Bruders keineswegs über-
rascht; er wußte längst, daß der Herzog mit dem Führer der hannöverschen Adelspartei,
Freiherrn von Schele, in Verbindung stand und sich gegen den Gesandten Münchhausen
sehr feindselig über das Staatsgrundgesetz geäußert hatte. Als ihm Geh. Legationsrath
Lichtenberg am 28. November in Brighton Vortrag hielt, versicherte er bestimmt, daß
er weder einen Protest des Herzogs aus dem Jahre 1819 kenne, noch von mündlichen

XVIII. Der Herzog von Cumberland und das Staatsgrundgeſetz.
wurde ſie von dem hannöverſchen Cabinetsminiſterium am 16. October 1833 dem Herzog
von Cumberland zugeſendet, nebſt der Anfrage, ob er geneigt ſei ſeinen Sitz in der erſten
Kammer einzunehmen, während gleichzeitig Miniſter Ompteda in London an den Herzog
von Suſſex die nämliche Frage ſtellte. Suſſex erhob keine grundſätzlichen Bedenken;
Cumberland aber antwortete wie folgt:

Berlin, 29. October 1833. Meine Herren! Ich habe durch den Geſandten
von Münchhauſen Ihr Schreiben vom 16. d. Mts. erhalten und verfehle nicht
Ihnen für dieſe Mittheilung meinen Dank zu erſtatten. Jedoch kann ich nicht
umhin Ihnen zu ſagen, daß ich im Jahre 1819 bei meinem ſeligen Bruder
König Georg IV. gegen die Einführung der allgemeinen Stände proteſtirt habe,
da dieſe nach meiner Anſicht nie hätten ſollen eingerichtet werden ohne vorherige
Einwilligung und Zuſtimmung aller männlichen Agnaten, weil dadurch eine
totale Veränderung der Verfaſſung des Landes bewirkt worden. Von allem,
was weiter vorgekommen, bin ich nicht genügend unterrichtet und kann mich
deshalb auch durch das neue Geſetz noch nicht gebunden halten.

Ihr ergebener
Ernſt.

Die Miniſter, Stralenheim, Alten, Schulte, von der Wiſch, waren durchweg Edel-
leute von der achtungswerthen, aber geiſtloſen althannöverſchen Schule. Begreiflich daher,
daß ſie durch dieſe unerwartete Erklärung des Thronfolgers ganz außer Faſſung geriethen.
Alle früheren Aeußerungen des Herzogs waren nur vertraulich geſchehen. Jetzt, in dem
einzigen förmlichen Aktenſtücke, das er jemals über das Staatsgrundgeſetz geſchrieben hat,
verweigerte er nicht nur, die früheren Verhandlungen einfach ableugnend, vorläufig ſeine
Zuſtimmung zu dem neuen Staatsgrundgeſetze; er ſchien ſogar — ſoweit ſeine Worte
ſich deuten ließen — zu den alten Provinzialſtänden, zu dem Zuſtande vom Jahre 1803
zurückkehren zu wollen; denn die allgemeine Ständeverſammlung, die er als unrecht-
mäßig verwarf, war im Jahre 1819 nur verändert, aber ſchon im Jahre 1814, zur
ſelben Zeit da die Königskrone Hannovers entſtand, begründet worden. In ihrer
Angſt wagten die Miniſter nicht, dem Herzog kurzweg die Frage zu ſtellen, ob er das
Staatsgrundgeſetz anerkenne oder eine förmliche Rechtsverwahrung einlegen wolle. Sie
ſchrieben vielmehr an Ompteda, den hannöverſchen Miniſter in London (14. November
1833), erzählten ihm das Geſchehene und bemerkten dazu: von einem früheren Proteſte
des Herzogs wüßten ſie gar nichts; auch hielten ſie für zweifelhaft, ob ein ſolcher Proteſt
im Jahre 1819 überhaupt noch möglich geweſen, da die allgemeine Ständeverſammlung
des Königreichs ſchon fünf Jahre früher einberufen worden ſei. Nicht minder zweifelhaft
ſcheine es, ob dieſe Verfaſſungsänderungen der Zuſtimmung der Agnaten bedürften; bei
der Union der Landſchaften Calenberg und Grubenhagen im Jahre 1801 habe man die
Agnaten auch nicht befragt. Zudem laſſe ſich nicht leugnen, daß die alten Provinzial-
ſtände größere, für die Krone gefährlichere Rechte beſeſſen hätten, als heute der allgemeine
Landtag. Zum Schluß meinten ſie harmlos, die Bemerkungen des Herzogs ſchienen ſich
doch wohl nur auf die Form, nicht auf den Inhalt des Staatsgrundgeſetzes zu beziehen;
denn aus ſeinen Geſprächen mit Ompteda und Falcke, aus ſeinen Briefen an den König
und den Herzog von Cambridge gehe klar hervor, daß er vor zwei Jahren den Ver-
faſſungsentwurf gebilligt habe, mit einziger Ausnahme der Beſtimmungen über die Oeffent-
lichkeit und die Diäten.

Der König zeigte ſich über die Sinnesänderung ſeines Bruders keineswegs über-
raſcht; er wußte längſt, daß der Herzog mit dem Führer der hannöverſchen Adelspartei,
Freiherrn von Schele, in Verbindung ſtand und ſich gegen den Geſandten Münchhauſen
ſehr feindſelig über das Staatsgrundgeſetz geäußert hatte. Als ihm Geh. Legationsrath
Lichtenberg am 28. November in Brighton Vortrag hielt, verſicherte er beſtimmt, daß
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[736/0750] XVIII. Der Herzog von Cumberland und das Staatsgrundgeſetz. wurde ſie von dem hannöverſchen Cabinetsminiſterium am 16. October 1833 dem Herzog von Cumberland zugeſendet, nebſt der Anfrage, ob er geneigt ſei ſeinen Sitz in der erſten Kammer einzunehmen, während gleichzeitig Miniſter Ompteda in London an den Herzog von Suſſex die nämliche Frage ſtellte. Suſſex erhob keine grundſätzlichen Bedenken; Cumberland aber antwortete wie folgt: Berlin, 29. October 1833. Meine Herren! Ich habe durch den Geſandten von Münchhauſen Ihr Schreiben vom 16. d. Mts. erhalten und verfehle nicht Ihnen für dieſe Mittheilung meinen Dank zu erſtatten. Jedoch kann ich nicht umhin Ihnen zu ſagen, daß ich im Jahre 1819 bei meinem ſeligen Bruder König Georg IV. gegen die Einführung der allgemeinen Stände proteſtirt habe, da dieſe nach meiner Anſicht nie hätten ſollen eingerichtet werden ohne vorherige Einwilligung und Zuſtimmung aller männlichen Agnaten, weil dadurch eine totale Veränderung der Verfaſſung des Landes bewirkt worden. Von allem, was weiter vorgekommen, bin ich nicht genügend unterrichtet und kann mich deshalb auch durch das neue Geſetz noch nicht gebunden halten. Ihr ergebener Ernſt. Die Miniſter, Stralenheim, Alten, Schulte, von der Wiſch, waren durchweg Edel- leute von der achtungswerthen, aber geiſtloſen althannöverſchen Schule. Begreiflich daher, daß ſie durch dieſe unerwartete Erklärung des Thronfolgers ganz außer Faſſung geriethen. Alle früheren Aeußerungen des Herzogs waren nur vertraulich geſchehen. Jetzt, in dem einzigen förmlichen Aktenſtücke, das er jemals über das Staatsgrundgeſetz geſchrieben hat, verweigerte er nicht nur, die früheren Verhandlungen einfach ableugnend, vorläufig ſeine Zuſtimmung zu dem neuen Staatsgrundgeſetze; er ſchien ſogar — ſoweit ſeine Worte ſich deuten ließen — zu den alten Provinzialſtänden, zu dem Zuſtande vom Jahre 1803 zurückkehren zu wollen; denn die allgemeine Ständeverſammlung, die er als unrecht- mäßig verwarf, war im Jahre 1819 nur verändert, aber ſchon im Jahre 1814, zur ſelben Zeit da die Königskrone Hannovers entſtand, begründet worden. In ihrer Angſt wagten die Miniſter nicht, dem Herzog kurzweg die Frage zu ſtellen, ob er das Staatsgrundgeſetz anerkenne oder eine förmliche Rechtsverwahrung einlegen wolle. Sie ſchrieben vielmehr an Ompteda, den hannöverſchen Miniſter in London (14. November 1833), erzählten ihm das Geſchehene und bemerkten dazu: von einem früheren Proteſte des Herzogs wüßten ſie gar nichts; auch hielten ſie für zweifelhaft, ob ein ſolcher Proteſt im Jahre 1819 überhaupt noch möglich geweſen, da die allgemeine Ständeverſammlung des Königreichs ſchon fünf Jahre früher einberufen worden ſei. Nicht minder zweifelhaft ſcheine es, ob dieſe Verfaſſungsänderungen der Zuſtimmung der Agnaten bedürften; bei der Union der Landſchaften Calenberg und Grubenhagen im Jahre 1801 habe man die Agnaten auch nicht befragt. Zudem laſſe ſich nicht leugnen, daß die alten Provinzial- ſtände größere, für die Krone gefährlichere Rechte beſeſſen hätten, als heute der allgemeine Landtag. Zum Schluß meinten ſie harmlos, die Bemerkungen des Herzogs ſchienen ſich doch wohl nur auf die Form, nicht auf den Inhalt des Staatsgrundgeſetzes zu beziehen; denn aus ſeinen Geſprächen mit Ompteda und Falcke, aus ſeinen Briefen an den König und den Herzog von Cambridge gehe klar hervor, daß er vor zwei Jahren den Ver- faſſungsentwurf gebilligt habe, mit einziger Ausnahme der Beſtimmungen über die Oeffent- lichkeit und die Diäten. Der König zeigte ſich über die Sinnesänderung ſeines Bruders keineswegs über- raſcht; er wußte längſt, daß der Herzog mit dem Führer der hannöverſchen Adelspartei, Freiherrn von Schele, in Verbindung ſtand und ſich gegen den Geſandten Münchhauſen ſehr feindſelig über das Staatsgrundgeſetz geäußert hatte. Als ihm Geh. Legationsrath Lichtenberg am 28. November in Brighton Vortrag hielt, verſicherte er beſtimmt, daß er weder einen Proteſt des Herzogs aus dem Jahre 1819 kenne, noch von mündlichen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 736. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/750>, abgerufen am 24.11.2024.