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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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XX. Preußen und das Bundeskriegswesen 1831.
nur im Verein mit Oesterreich wollte und konnte der Berliner Hof den Krieg gegen
Frankreich führen, und da der alte Kaiserstaat trotz seiner augenblicklichen Schwäche doch
ein schwereres Gewicht in die Wagschale warf als die ganz ungerüsteten Kleinstaaten, so
mußte Kaiser Franz es wohl als eine Kränkung empfinden, daß Preußen über seinen
Kopf hinweg mit den Süddeutschen unterhandelte. Die preußischen Generale selbst waren
über diese Frage verschiedener Meinung. Der Chef des Generalstabs, General Krauseneck,
der den liberalen Ideen nahe stand, erhoffte irgend ein unbestimmtes politisches Glück
von dem Bunde des aufgeklärten Preußens mit den constitutionellen Südstaaten. General
Clausewitz dagegen, der immer zuerst die europäische Politik ins Auge faßte, meinte ent-
schieden: zunächst müsse man mit dem mächtigen Oesterreich ins Reine gelangen, dann
würden die Kleinen von selber kommen. Von einem tiefen grundsätzlichen Gegensatze
war bei allen diesen kleinen Mißhelligkeiten gar nicht die Rede. Daß Preußen sich unter
der Hand die militärische Hegemonie erringen wollte, argwöhnte in Wien Niemand --
aus dem einfachen Grunde, weil der Berliner Hof solche Absichten nicht hegte. Selbst
in den vertrauten Briefen der österreichischen Staatsmänner über diese militärischen Ver-
handlungen findet sich kein Wort des Aergers, das sich nur von fern vergleichen ließe
mit den leidenschaftlichen und wohlbegreiflichen Zornreden, welche Metternich über die
preußische Zollvereinspolitik auszuschütten pflegte. Auch Gentz klagt vor seinem getreuen
Rothschild nur über die Formfehler, die Rücksichtslosigkeit des preußischen Verfahrens.
Man war verstimmt, weil Preußen vorangeschritten war, und suchte jetzt den Vorsprung
wieder einzuholen.

Im April kehrte General Röder aus Wien heim, ohne einen Abschluß erreicht zu
haben. Kaiser Franz gab ihm einen von Zärtlichkeit überströmenden Brief an den König
mit auf den Weg (2. April). Darin dankte er dem Könige für das Vertrauen, das
ihm durch Röder's Sendung erwiesen sei, und fuhr fort: Il n'est pas une de mes
pensees qu'Elle ne connaisse, tout comme j'ai le sentiment de ne pas me tromper
sur aucune des Siennes. Plus les dangers du jour sont grands, et plus je suis
convaincu que le salut encore possible ne peut se trouver et ne se trouvera
que dans l'union la plus intime et l'union la plus franche et la plus complete
entre nous deux.
Der Zweck dieser Betheuerungen war natürlich, den König zu mahnen,
daß er sich zuerst mit dem alten Herzensfreunde verständigen möge. In ähnlichem Sinne
schrieb Metternich. Zugleich überbrachte Fürst Schönburg, der nunmehr endlich auf seinen
Posten zurückkehrte, den süddeutschen Höfen die Einladung zu vertraulichen militärischen
Berathungen in Wien. König Ludwig aber lehnte das Ansinnen rundweg ab.

In Preußen ließ man sich durch diese Anzeichen österreichischer Empfindlichkeit vorerst
nicht stören; war man doch ganz offen und ohne jede Feindseligkeit gegen die Hofburg
verfahren. Als General Witzleben am 1. Juli die Reiseberichte Röder's und Rühle's
dem Auswärtigen Amte übersendete, sagte er mit warmen Worten, Preußen müsse das
Vertrauen unserer süddeutschen Brüder largement erwidern, das wahre deutsche Interesse
werde allemal auch ein preußisches sein --, und schloß arglos: "Es leidet auch keinen
Zweifel, daß man sich darüber mit Oesterreich leicht wird verständigen können." Am
15. August faßte Bernstorff sodann, in zwei Ministerialschreiben an seine süddeutschen
Gesandtschaften, die Ergebnisse von Rühle's Sendung zusammen und schlug vor, zur
endgiltigen Vereinbarung möge in Wien, Berlin oder Würzburg, am besten wohl in
Baireuth, eine Conferenz von Offizieren zusammentreten; Oesterreich, Preußen, Baiern
und vielleicht auch noch einige Offiziere der kleineren Staaten sollten daran theilnehmen.
Am 21. August wurde auch Oesterreich (durch Weisung an Maltzahn) eingeladen. Der
Minister hoffte also offenbar, Oesterreich würde sich den Verabredungen, welche Rühle
mit den süddeutschen Höfen getroffen hatte, freundschaftlich fügen und die Aufstellung
von drei Heeren bewilligen.

Aber in diesen nämlichen Augusttagen hatte sich in der Stille schon eine neue
Wendung vorbereitet. Als der König im Teplitzer Bade weilte, besuchte ihn Hofrath

XX. Preußen und das Bundeskriegsweſen 1831.
nur im Verein mit Oeſterreich wollte und konnte der Berliner Hof den Krieg gegen
Frankreich führen, und da der alte Kaiſerſtaat trotz ſeiner augenblicklichen Schwäche doch
ein ſchwereres Gewicht in die Wagſchale warf als die ganz ungerüſteten Kleinſtaaten, ſo
mußte Kaiſer Franz es wohl als eine Kränkung empfinden, daß Preußen über ſeinen
Kopf hinweg mit den Süddeutſchen unterhandelte. Die preußiſchen Generale ſelbſt waren
über dieſe Frage verſchiedener Meinung. Der Chef des Generalſtabs, General Krauſeneck,
der den liberalen Ideen nahe ſtand, erhoffte irgend ein unbeſtimmtes politiſches Glück
von dem Bunde des aufgeklärten Preußens mit den conſtitutionellen Südſtaaten. General
Clauſewitz dagegen, der immer zuerſt die europäiſche Politik ins Auge faßte, meinte ent-
ſchieden: zunächſt müſſe man mit dem mächtigen Oeſterreich ins Reine gelangen, dann
würden die Kleinen von ſelber kommen. Von einem tiefen grundſätzlichen Gegenſatze
war bei allen dieſen kleinen Mißhelligkeiten gar nicht die Rede. Daß Preußen ſich unter
der Hand die militäriſche Hegemonie erringen wollte, argwöhnte in Wien Niemand —
aus dem einfachen Grunde, weil der Berliner Hof ſolche Abſichten nicht hegte. Selbſt
in den vertrauten Briefen der öſterreichiſchen Staatsmänner über dieſe militäriſchen Ver-
handlungen findet ſich kein Wort des Aergers, das ſich nur von fern vergleichen ließe
mit den leidenſchaftlichen und wohlbegreiflichen Zornreden, welche Metternich über die
preußiſche Zollvereinspolitik auszuſchütten pflegte. Auch Gentz klagt vor ſeinem getreuen
Rothſchild nur über die Formfehler, die Rückſichtsloſigkeit des preußiſchen Verfahrens.
Man war verſtimmt, weil Preußen vorangeſchritten war, und ſuchte jetzt den Vorſprung
wieder einzuholen.

Im April kehrte General Röder aus Wien heim, ohne einen Abſchluß erreicht zu
haben. Kaiſer Franz gab ihm einen von Zärtlichkeit überſtrömenden Brief an den König
mit auf den Weg (2. April). Darin dankte er dem Könige für das Vertrauen, das
ihm durch Röder’s Sendung erwieſen ſei, und fuhr fort: Il n’est pas une de mes
pensées qu’Elle ne connaisse, tout comme j’ai le sentiment de ne pas me tromper
sur aucune des Siennes. Plus les dangers du jour sont grands, et plus je suis
convaincu que le salut encore possible ne peut se trouver et ne se trouvera
que dans l’union la plus intime et l’union la plus franche et la plus complète
entre nous deux.
Der Zweck dieſer Betheuerungen war natürlich, den König zu mahnen,
daß er ſich zuerſt mit dem alten Herzensfreunde verſtändigen möge. In ähnlichem Sinne
ſchrieb Metternich. Zugleich überbrachte Fürſt Schönburg, der nunmehr endlich auf ſeinen
Poſten zurückkehrte, den ſüddeutſchen Höfen die Einladung zu vertraulichen militäriſchen
Berathungen in Wien. König Ludwig aber lehnte das Anſinnen rundweg ab.

In Preußen ließ man ſich durch dieſe Anzeichen öſterreichiſcher Empfindlichkeit vorerſt
nicht ſtören; war man doch ganz offen und ohne jede Feindſeligkeit gegen die Hofburg
verfahren. Als General Witzleben am 1. Juli die Reiſeberichte Röder’s und Rühle’s
dem Auswärtigen Amte überſendete, ſagte er mit warmen Worten, Preußen müſſe das
Vertrauen unſerer ſüddeutſchen Brüder largement erwidern, das wahre deutſche Intereſſe
werde allemal auch ein preußiſches ſein —, und ſchloß arglos: „Es leidet auch keinen
Zweifel, daß man ſich darüber mit Oeſterreich leicht wird verſtändigen können.“ Am
15. Auguſt faßte Bernſtorff ſodann, in zwei Miniſterialſchreiben an ſeine ſüddeutſchen
Geſandtſchaften, die Ergebniſſe von Rühle’s Sendung zuſammen und ſchlug vor, zur
endgiltigen Vereinbarung möge in Wien, Berlin oder Würzburg, am beſten wohl in
Baireuth, eine Conferenz von Offizieren zuſammentreten; Oeſterreich, Preußen, Baiern
und vielleicht auch noch einige Offiziere der kleineren Staaten ſollten daran theilnehmen.
Am 21. Auguſt wurde auch Oeſterreich (durch Weiſung an Maltzahn) eingeladen. Der
Miniſter hoffte alſo offenbar, Oeſterreich würde ſich den Verabredungen, welche Rühle
mit den ſüddeutſchen Höfen getroffen hatte, freundſchaftlich fügen und die Aufſtellung
von drei Heeren bewilligen.

Aber in dieſen nämlichen Auguſttagen hatte ſich in der Stille ſchon eine neue
Wendung vorbereitet. Als der König im Teplitzer Bade weilte, beſuchte ihn Hofrath

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[743/0757] XX. Preußen und das Bundeskriegsweſen 1831. nur im Verein mit Oeſterreich wollte und konnte der Berliner Hof den Krieg gegen Frankreich führen, und da der alte Kaiſerſtaat trotz ſeiner augenblicklichen Schwäche doch ein ſchwereres Gewicht in die Wagſchale warf als die ganz ungerüſteten Kleinſtaaten, ſo mußte Kaiſer Franz es wohl als eine Kränkung empfinden, daß Preußen über ſeinen Kopf hinweg mit den Süddeutſchen unterhandelte. Die preußiſchen Generale ſelbſt waren über dieſe Frage verſchiedener Meinung. Der Chef des Generalſtabs, General Krauſeneck, der den liberalen Ideen nahe ſtand, erhoffte irgend ein unbeſtimmtes politiſches Glück von dem Bunde des aufgeklärten Preußens mit den conſtitutionellen Südſtaaten. General Clauſewitz dagegen, der immer zuerſt die europäiſche Politik ins Auge faßte, meinte ent- ſchieden: zunächſt müſſe man mit dem mächtigen Oeſterreich ins Reine gelangen, dann würden die Kleinen von ſelber kommen. Von einem tiefen grundſätzlichen Gegenſatze war bei allen dieſen kleinen Mißhelligkeiten gar nicht die Rede. Daß Preußen ſich unter der Hand die militäriſche Hegemonie erringen wollte, argwöhnte in Wien Niemand — aus dem einfachen Grunde, weil der Berliner Hof ſolche Abſichten nicht hegte. Selbſt in den vertrauten Briefen der öſterreichiſchen Staatsmänner über dieſe militäriſchen Ver- handlungen findet ſich kein Wort des Aergers, das ſich nur von fern vergleichen ließe mit den leidenſchaftlichen und wohlbegreiflichen Zornreden, welche Metternich über die preußiſche Zollvereinspolitik auszuſchütten pflegte. Auch Gentz klagt vor ſeinem getreuen Rothſchild nur über die Formfehler, die Rückſichtsloſigkeit des preußiſchen Verfahrens. Man war verſtimmt, weil Preußen vorangeſchritten war, und ſuchte jetzt den Vorſprung wieder einzuholen. Im April kehrte General Röder aus Wien heim, ohne einen Abſchluß erreicht zu haben. Kaiſer Franz gab ihm einen von Zärtlichkeit überſtrömenden Brief an den König mit auf den Weg (2. April). Darin dankte er dem Könige für das Vertrauen, das ihm durch Röder’s Sendung erwieſen ſei, und fuhr fort: Il n’est pas une de mes pensées qu’Elle ne connaisse, tout comme j’ai le sentiment de ne pas me tromper sur aucune des Siennes. Plus les dangers du jour sont grands, et plus je suis convaincu que le salut encore possible ne peut se trouver et ne se trouvera que dans l’union la plus intime et l’union la plus franche et la plus complète entre nous deux. Der Zweck dieſer Betheuerungen war natürlich, den König zu mahnen, daß er ſich zuerſt mit dem alten Herzensfreunde verſtändigen möge. In ähnlichem Sinne ſchrieb Metternich. Zugleich überbrachte Fürſt Schönburg, der nunmehr endlich auf ſeinen Poſten zurückkehrte, den ſüddeutſchen Höfen die Einladung zu vertraulichen militäriſchen Berathungen in Wien. König Ludwig aber lehnte das Anſinnen rundweg ab. In Preußen ließ man ſich durch dieſe Anzeichen öſterreichiſcher Empfindlichkeit vorerſt nicht ſtören; war man doch ganz offen und ohne jede Feindſeligkeit gegen die Hofburg verfahren. Als General Witzleben am 1. Juli die Reiſeberichte Röder’s und Rühle’s dem Auswärtigen Amte überſendete, ſagte er mit warmen Worten, Preußen müſſe das Vertrauen unſerer ſüddeutſchen Brüder largement erwidern, das wahre deutſche Intereſſe werde allemal auch ein preußiſches ſein —, und ſchloß arglos: „Es leidet auch keinen Zweifel, daß man ſich darüber mit Oeſterreich leicht wird verſtändigen können.“ Am 15. Auguſt faßte Bernſtorff ſodann, in zwei Miniſterialſchreiben an ſeine ſüddeutſchen Geſandtſchaften, die Ergebniſſe von Rühle’s Sendung zuſammen und ſchlug vor, zur endgiltigen Vereinbarung möge in Wien, Berlin oder Würzburg, am beſten wohl in Baireuth, eine Conferenz von Offizieren zuſammentreten; Oeſterreich, Preußen, Baiern und vielleicht auch noch einige Offiziere der kleineren Staaten ſollten daran theilnehmen. Am 21. Auguſt wurde auch Oeſterreich (durch Weiſung an Maltzahn) eingeladen. Der Miniſter hoffte alſo offenbar, Oeſterreich würde ſich den Verabredungen, welche Rühle mit den ſüddeutſchen Höfen getroffen hatte, freundſchaftlich fügen und die Aufſtellung von drei Heeren bewilligen. Aber in dieſen nämlichen Auguſttagen hatte ſich in der Stille ſchon eine neue Wendung vorbereitet. Als der König im Teplitzer Bade weilte, beſuchte ihn Hofrath

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 743. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/757>, abgerufen am 23.11.2024.