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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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XXIII. Stimmungen der württembergischen Opposition. 1838.

Wäre es aber auch anders, hätte ich mich nicht nach ihrem Sinne benommen, --
so würde ich gleichwohl keine meiner Abstimmungen zurücknehmen, eben weil sie aus
meiner Ueberzeugung hervorgegangen sind.

Gerade diese Starrheit aber, womit ich auf demjenigen beharre, was ich für Recht
halte, macht mich zum württembergischen Volksvertreter gänzlich unfähig.

Mögen auch die politischen Ansichten der Wahlmänner des Oberamtsbezirks Geiß-
lingen seyn, welche sie wollen, -- soviel ist jedenfalls gewiß, daß die Mehrzahl des Volks
meine Ansichten nicht theilt.

Mein Glaubensbekenntniß stützt sich nämlich auf die Ueberzeugung, daß die Wieder-
herstellung oder vielmehr die Herstellung des schon seit 1819 gestörten Rechtszustandes
die erste und heiligste Pflicht des Volks-Abgeordneten sey und daß es nicht nur in seiner
Befugniß, sondern selbst in der von ihm übernommenen eidlichen Verpflichtung liege,
einer verfassungswidrigen Regierung die Mittel zu entziehen, womit sie ihr gesetzwidriges
System durchführt.

Zwar stehen dieser Ansicht die Beschlüsse des deutschen Bundes entgegen, allein
eben deßhalb bekämpften wir sie als verfassungswidrig.

Es ist hier nicht der Ort, diese hochwichtige Frage einer weiteren Beleuchtung zu
unterwerfen: aber es ist Thatsache, daß sich selbst solche Abgeordnete, welche sonst für
freysinnig gelten, der parlamentarischen Erörterung jener Beschlüsse widersetzten, obgleich
sie auf unsere verfassungsmäßigen Verhältnisse fortwährend den entschiedensten Einfluß
ausüben.

Diese Abgeordneten handelten sicherlich im Sinne ihrer Comittenten, allein nicht
die Ansicht der Committenten, sondern die eigene Ueberzeugung soll den Abgeordneten
bey seinen Abstimmungen leiten.... Ich bin ferner weit entfernt, äußerste Mittel, wie
Steuer-Verweigerung, empfehlen zu wollen, so lange man die Hoffnung haben kann, daß
gelindere Mittel zum Ziele führen werden.

Wenn aber zugegeben werden muß, daß sich die Regierung in allen die öffentlichen
Verhältnisse betreffenden Haupt-Punkten zu irgend einer Nachgiebigkeit nicht nur nicht
geneigt zeigte, sondern daß sie vielmehr die Angriffe der Opposition als ebensoviele bös-
willige Eingriffe in ihre Rechte bezeichnete, so wird hierdurch zugleich ausgesprochen, daß
die Anwendung jenes äußersten Mittels vollkommen begründet war.

Oder, kann man es mit dem bestehenden Rechte der Steuer-Verweigerung in Ein-
klang bringen, einer Regierung, welche dem Volke gerade diejenigen Mittel vorenthält,
die allein geeignet sind, den Sinn für einen verfassungsmäßigen Rechtszustand zu wecken
und zu erhalten, kann man es, sage ich, mit jenem Rechte in Einklang bringen, einer
solchen Regierung das Geld zu verwilligen, womit der Censor belohnt wird, weil er die-
jenigen Stellen streicht, welche sich auf die Rechte der Staatsbürger beziehen; -- das Geld
zu verwilligen, womit der Polizeibeamte bezahlt wird, weil er gegen politische Versamm-
lungen einschreitet; -- das Geld zu verwilligen, womit der Richter besoldet wird, weil
er den Widerstand gegen solche Verfügungen bestraft?

Dem ungeachtet erwarb sich die Staatsverwaltung den Beyfall ihrer Stände in
so hohem Grade, daß die Ansicht der Opposition nicht mehr als 19 Stimmen gewinnen
konnte! ... Leider mußte ich während meiner landständischen Laufbahn gar häufig die
Erfahrung machen, wie der deutsche Bund bey fast allen Fragen von höherem Interesse
gleich einem Popanz vorgeschoben wurde. Wollte die Opposition -- unter Berufung
auf den tiefen Frieden -- das Militär-Budget herabsetzen, so rief man ihr entgegen: "der
Bund!" Suchte sie -- unter Berufung auf die diplomatische Bedeutungslosigkeit des
Königreichs -- die Kosten für auswärtige Angelegenheiten zu verringern, so tönte es
wieder: "der Bund!" Eiferte sie unter Berufung auf die Verfassung gegen die Censur:
"der Bund!"

Und machte sie gar Angriffe auf den Bund selbst, dreimal: "der Bund!"

XXIII. Stimmungen der württembergiſchen Oppoſition. 1838.

Wäre es aber auch anders, hätte ich mich nicht nach ihrem Sinne benommen, —
ſo würde ich gleichwohl keine meiner Abſtimmungen zurücknehmen, eben weil ſie aus
meiner Ueberzeugung hervorgegangen ſind.

Gerade dieſe Starrheit aber, womit ich auf demjenigen beharre, was ich für Recht
halte, macht mich zum württembergiſchen Volksvertreter gänzlich unfähig.

Mögen auch die politiſchen Anſichten der Wahlmänner des Oberamtsbezirks Geiß-
lingen ſeyn, welche ſie wollen, — ſoviel iſt jedenfalls gewiß, daß die Mehrzahl des Volks
meine Anſichten nicht theilt.

Mein Glaubensbekenntniß ſtützt ſich nämlich auf die Ueberzeugung, daß die Wieder-
herſtellung oder vielmehr die Herſtellung des ſchon ſeit 1819 geſtörten Rechtszuſtandes
die erſte und heiligſte Pflicht des Volks-Abgeordneten ſey und daß es nicht nur in ſeiner
Befugniß, ſondern ſelbſt in der von ihm übernommenen eidlichen Verpflichtung liege,
einer verfaſſungswidrigen Regierung die Mittel zu entziehen, womit ſie ihr geſetzwidriges
Syſtem durchführt.

Zwar ſtehen dieſer Anſicht die Beſchlüſſe des deutſchen Bundes entgegen, allein
eben deßhalb bekämpften wir ſie als verfaſſungswidrig.

Es iſt hier nicht der Ort, dieſe hochwichtige Frage einer weiteren Beleuchtung zu
unterwerfen: aber es iſt Thatſache, daß ſich ſelbſt ſolche Abgeordnete, welche ſonſt für
freyſinnig gelten, der parlamentariſchen Erörterung jener Beſchlüſſe widerſetzten, obgleich
ſie auf unſere verfaſſungsmäßigen Verhältniſſe fortwährend den entſchiedenſten Einfluß
ausüben.

Dieſe Abgeordneten handelten ſicherlich im Sinne ihrer Comittenten, allein nicht
die Anſicht der Committenten, ſondern die eigene Ueberzeugung ſoll den Abgeordneten
bey ſeinen Abſtimmungen leiten.… Ich bin ferner weit entfernt, äußerſte Mittel, wie
Steuer-Verweigerung, empfehlen zu wollen, ſo lange man die Hoffnung haben kann, daß
gelindere Mittel zum Ziele führen werden.

Wenn aber zugegeben werden muß, daß ſich die Regierung in allen die öffentlichen
Verhältniſſe betreffenden Haupt-Punkten zu irgend einer Nachgiebigkeit nicht nur nicht
geneigt zeigte, ſondern daß ſie vielmehr die Angriffe der Oppoſition als ebenſoviele bös-
willige Eingriffe in ihre Rechte bezeichnete, ſo wird hierdurch zugleich ausgeſprochen, daß
die Anwendung jenes äußerſten Mittels vollkommen begründet war.

Oder, kann man es mit dem beſtehenden Rechte der Steuer-Verweigerung in Ein-
klang bringen, einer Regierung, welche dem Volke gerade diejenigen Mittel vorenthält,
die allein geeignet ſind, den Sinn für einen verfaſſungsmäßigen Rechtszuſtand zu wecken
und zu erhalten, kann man es, ſage ich, mit jenem Rechte in Einklang bringen, einer
ſolchen Regierung das Geld zu verwilligen, womit der Cenſor belohnt wird, weil er die-
jenigen Stellen ſtreicht, welche ſich auf die Rechte der Staatsbürger beziehen; — das Geld
zu verwilligen, womit der Polizeibeamte bezahlt wird, weil er gegen politiſche Verſamm-
lungen einſchreitet; — das Geld zu verwilligen, womit der Richter beſoldet wird, weil
er den Widerſtand gegen ſolche Verfügungen beſtraft?

Dem ungeachtet erwarb ſich die Staatsverwaltung den Beyfall ihrer Stände in
ſo hohem Grade, daß die Anſicht der Oppoſition nicht mehr als 19 Stimmen gewinnen
konnte! … Leider mußte ich während meiner landſtändiſchen Laufbahn gar häufig die
Erfahrung machen, wie der deutſche Bund bey faſt allen Fragen von höherem Intereſſe
gleich einem Popanz vorgeſchoben wurde. Wollte die Oppoſition — unter Berufung
auf den tiefen Frieden — das Militär-Budget herabſetzen, ſo rief man ihr entgegen: „der
Bund!“ Suchte ſie — unter Berufung auf die diplomatiſche Bedeutungsloſigkeit des
Königreichs — die Koſten für auswärtige Angelegenheiten zu verringern, ſo tönte es
wieder: „der Bund!“ Eiferte ſie unter Berufung auf die Verfaſſung gegen die Cenſur:
„der Bund!“

Und machte ſie gar Angriffe auf den Bund ſelbſt, dreimal: „der Bund!“

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[750/0764] XXIII. Stimmungen der württembergiſchen Oppoſition. 1838. Wäre es aber auch anders, hätte ich mich nicht nach ihrem Sinne benommen, — ſo würde ich gleichwohl keine meiner Abſtimmungen zurücknehmen, eben weil ſie aus meiner Ueberzeugung hervorgegangen ſind. Gerade dieſe Starrheit aber, womit ich auf demjenigen beharre, was ich für Recht halte, macht mich zum württembergiſchen Volksvertreter gänzlich unfähig. Mögen auch die politiſchen Anſichten der Wahlmänner des Oberamtsbezirks Geiß- lingen ſeyn, welche ſie wollen, — ſoviel iſt jedenfalls gewiß, daß die Mehrzahl des Volks meine Anſichten nicht theilt. Mein Glaubensbekenntniß ſtützt ſich nämlich auf die Ueberzeugung, daß die Wieder- herſtellung oder vielmehr die Herſtellung des ſchon ſeit 1819 geſtörten Rechtszuſtandes die erſte und heiligſte Pflicht des Volks-Abgeordneten ſey und daß es nicht nur in ſeiner Befugniß, ſondern ſelbſt in der von ihm übernommenen eidlichen Verpflichtung liege, einer verfaſſungswidrigen Regierung die Mittel zu entziehen, womit ſie ihr geſetzwidriges Syſtem durchführt. Zwar ſtehen dieſer Anſicht die Beſchlüſſe des deutſchen Bundes entgegen, allein eben deßhalb bekämpften wir ſie als verfaſſungswidrig. Es iſt hier nicht der Ort, dieſe hochwichtige Frage einer weiteren Beleuchtung zu unterwerfen: aber es iſt Thatſache, daß ſich ſelbſt ſolche Abgeordnete, welche ſonſt für freyſinnig gelten, der parlamentariſchen Erörterung jener Beſchlüſſe widerſetzten, obgleich ſie auf unſere verfaſſungsmäßigen Verhältniſſe fortwährend den entſchiedenſten Einfluß ausüben. Dieſe Abgeordneten handelten ſicherlich im Sinne ihrer Comittenten, allein nicht die Anſicht der Committenten, ſondern die eigene Ueberzeugung ſoll den Abgeordneten bey ſeinen Abſtimmungen leiten.… Ich bin ferner weit entfernt, äußerſte Mittel, wie Steuer-Verweigerung, empfehlen zu wollen, ſo lange man die Hoffnung haben kann, daß gelindere Mittel zum Ziele führen werden. Wenn aber zugegeben werden muß, daß ſich die Regierung in allen die öffentlichen Verhältniſſe betreffenden Haupt-Punkten zu irgend einer Nachgiebigkeit nicht nur nicht geneigt zeigte, ſondern daß ſie vielmehr die Angriffe der Oppoſition als ebenſoviele bös- willige Eingriffe in ihre Rechte bezeichnete, ſo wird hierdurch zugleich ausgeſprochen, daß die Anwendung jenes äußerſten Mittels vollkommen begründet war. Oder, kann man es mit dem beſtehenden Rechte der Steuer-Verweigerung in Ein- klang bringen, einer Regierung, welche dem Volke gerade diejenigen Mittel vorenthält, die allein geeignet ſind, den Sinn für einen verfaſſungsmäßigen Rechtszuſtand zu wecken und zu erhalten, kann man es, ſage ich, mit jenem Rechte in Einklang bringen, einer ſolchen Regierung das Geld zu verwilligen, womit der Cenſor belohnt wird, weil er die- jenigen Stellen ſtreicht, welche ſich auf die Rechte der Staatsbürger beziehen; — das Geld zu verwilligen, womit der Polizeibeamte bezahlt wird, weil er gegen politiſche Verſamm- lungen einſchreitet; — das Geld zu verwilligen, womit der Richter beſoldet wird, weil er den Widerſtand gegen ſolche Verfügungen beſtraft? Dem ungeachtet erwarb ſich die Staatsverwaltung den Beyfall ihrer Stände in ſo hohem Grade, daß die Anſicht der Oppoſition nicht mehr als 19 Stimmen gewinnen konnte! … Leider mußte ich während meiner landſtändiſchen Laufbahn gar häufig die Erfahrung machen, wie der deutſche Bund bey faſt allen Fragen von höherem Intereſſe gleich einem Popanz vorgeſchoben wurde. Wollte die Oppoſition — unter Berufung auf den tiefen Frieden — das Militär-Budget herabſetzen, ſo rief man ihr entgegen: „der Bund!“ Suchte ſie — unter Berufung auf die diplomatiſche Bedeutungsloſigkeit des Königreichs — die Koſten für auswärtige Angelegenheiten zu verringern, ſo tönte es wieder: „der Bund!“ Eiferte ſie unter Berufung auf die Verfaſſung gegen die Cenſur: „der Bund!“ Und machte ſie gar Angriffe auf den Bund ſelbſt, dreimal: „der Bund!“

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 750. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/764>, abgerufen am 23.11.2024.