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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
befestigt und es ward abermals schwer erschüttert, als die Franzosen alle-
sammt die verhüllte oder unverhüllte Einverleibung Belgiens verlangten;
überall hörte man die Frage, ob der König nicht durch übermäßige Geduld
den gallischen Hochmuth gradezu herausfordere. Unter den Eindrücken
dieser rheinischen Befürchtungen verfaßte Arndt zu Anfang des Jahres
seine Flugschrift: Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande --
ein Büchlein, das allein schon hätte genügen sollen den treuen Mann von
dem Verdachte des Demagogenthums zu reinigen. "Wir hatten das
Füchslein vor sechzehn Jahren in den Eisen, und es war mit Schwanz
und Klauen fest" -- so begann er seine grelle Schilderung der insge-
heim bohrenden und wühlenden französischen Politik; freimüthig hielt er
den deutschen Liberalen ihre wälsche Verbildung vor. Königlicher als
sein König wollte er in der belgischen Erhebung nichts weiter sehen als
ein von Frankreich angezetteltes höllisches Gaukelspiel und verlangte durch-
aus, daß die Narren und Narrengenossen in Brüssel zu dem Hause
Oranien zurückkehren müßten, sonst verfalle Belgien rettungslos der
Herrschaft Frankreichs. --

Da erfolgte in Paris eine friedliche Wendung, welche deutlich zeigte,
daß die Dinge so verzweifelt doch nicht standen. Das Juli-Königthum
begann sich im Innern zu befestigen. Bereits war Lafayette von seiner ge-
fährlichen Stellung an der Spitze der Nationalgarde verdrängt. Im März
wurde das Ministerium der Bewegungspartei gestürzt, und der Führer
des Juste milieu, Casimir Perier, trat ans Ruder, ein reicher Kaufherr,
der aus Erfahrung wußte, daß große Geschäfte durch kleine Schliche
nicht gefördert werden, ein Mann der strengen gesetzlichen Ordnung, stolz
und unbiegsam, herrisch genug um zugleich die Ränke des Monarchen
und die Leidenschaften der Radicalen niederzuzwingen, friedliebend von
Grund aus, aber auch fest entschlossen der Würde seines Landes nichts
zu vergeben -- Alles in Allem der größte politische Charakter unter den
Staatsmännern des Juli-Königthums. Die wüsten Träume der revolu-
tionären Propaganda wies er weit von sich: die Freiheit soll stets national
sein, Frankreichs Blut gehört nur Frankreich an. Den großen Mächten
gegenüber sprach er sich bestimmt und offen aus -- so weit ein Minister
dieses zwitterhaften Königthums aufrichtig sein konnte. Bald gewann er
Werther's Freundschaft, und der Berliner Hof bekannte, daß "Frankreich
durch seine Haltung und seine Grundsätze jetzt Vertrauen zu verdienen
beginne." Selbst in Wien und Petersburg wurde die Friedenspolitik des
ehrlichen Bourgeois anerkannt, obgleich bei Metternich immer wieder der
stille Groll gegen das System des Juste milieu durchbrach -- gegen
"diese rechte Mitte, die stets dem Guten feindlich ist und, wenn sie das
Böse nicht offen begünstigt, ihm doch zu schmeicheln sucht."*) Eine von

*) Ancillon, Weisungen an Schöler 5. Mai, an Maltzahn 30. Mai; Metternich
an Trauttmansdorff 9. August 1831.

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
befeſtigt und es ward abermals ſchwer erſchüttert, als die Franzoſen alle-
ſammt die verhüllte oder unverhüllte Einverleibung Belgiens verlangten;
überall hörte man die Frage, ob der König nicht durch übermäßige Geduld
den galliſchen Hochmuth gradezu herausfordere. Unter den Eindrücken
dieſer rheiniſchen Befürchtungen verfaßte Arndt zu Anfang des Jahres
ſeine Flugſchrift: Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande —
ein Büchlein, das allein ſchon hätte genügen ſollen den treuen Mann von
dem Verdachte des Demagogenthums zu reinigen. „Wir hatten das
Füchslein vor ſechzehn Jahren in den Eiſen, und es war mit Schwanz
und Klauen feſt“ — ſo begann er ſeine grelle Schilderung der insge-
heim bohrenden und wühlenden franzöſiſchen Politik; freimüthig hielt er
den deutſchen Liberalen ihre wälſche Verbildung vor. Königlicher als
ſein König wollte er in der belgiſchen Erhebung nichts weiter ſehen als
ein von Frankreich angezetteltes hölliſches Gaukelſpiel und verlangte durch-
aus, daß die Narren und Narrengenoſſen in Brüſſel zu dem Hauſe
Oranien zurückkehren müßten, ſonſt verfalle Belgien rettungslos der
Herrſchaft Frankreichs. —

Da erfolgte in Paris eine friedliche Wendung, welche deutlich zeigte,
daß die Dinge ſo verzweifelt doch nicht ſtanden. Das Juli-Königthum
begann ſich im Innern zu befeſtigen. Bereits war Lafayette von ſeiner ge-
fährlichen Stellung an der Spitze der Nationalgarde verdrängt. Im März
wurde das Miniſterium der Bewegungspartei geſtürzt, und der Führer
des Juste milieu, Caſimir Perier, trat ans Ruder, ein reicher Kaufherr,
der aus Erfahrung wußte, daß große Geſchäfte durch kleine Schliche
nicht gefördert werden, ein Mann der ſtrengen geſetzlichen Ordnung, ſtolz
und unbiegſam, herriſch genug um zugleich die Ränke des Monarchen
und die Leidenſchaften der Radicalen niederzuzwingen, friedliebend von
Grund aus, aber auch feſt entſchloſſen der Würde ſeines Landes nichts
zu vergeben — Alles in Allem der größte politiſche Charakter unter den
Staatsmännern des Juli-Königthums. Die wüſten Träume der revolu-
tionären Propaganda wies er weit von ſich: die Freiheit ſoll ſtets national
ſein, Frankreichs Blut gehört nur Frankreich an. Den großen Mächten
gegenüber ſprach er ſich beſtimmt und offen aus — ſo weit ein Miniſter
dieſes zwitterhaften Königthums aufrichtig ſein konnte. Bald gewann er
Werther’s Freundſchaft, und der Berliner Hof bekannte, daß „Frankreich
durch ſeine Haltung und ſeine Grundſätze jetzt Vertrauen zu verdienen
beginne.“ Selbſt in Wien und Petersburg wurde die Friedenspolitik des
ehrlichen Bourgeois anerkannt, obgleich bei Metternich immer wieder der
ſtille Groll gegen das Syſtem des Juste milieu durchbrach — gegen
„dieſe rechte Mitte, die ſtets dem Guten feindlich iſt und, wenn ſie das
Böſe nicht offen begünſtigt, ihm doch zu ſchmeicheln ſucht.“*) Eine von

*) Ancillon, Weiſungen an Schöler 5. Mai, an Maltzahn 30. Mai; Metternich
an Trauttmansdorff 9. Auguſt 1831.
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[74/0088] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. befeſtigt und es ward abermals ſchwer erſchüttert, als die Franzoſen alle- ſammt die verhüllte oder unverhüllte Einverleibung Belgiens verlangten; überall hörte man die Frage, ob der König nicht durch übermäßige Geduld den galliſchen Hochmuth gradezu herausfordere. Unter den Eindrücken dieſer rheiniſchen Befürchtungen verfaßte Arndt zu Anfang des Jahres ſeine Flugſchrift: Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande — ein Büchlein, das allein ſchon hätte genügen ſollen den treuen Mann von dem Verdachte des Demagogenthums zu reinigen. „Wir hatten das Füchslein vor ſechzehn Jahren in den Eiſen, und es war mit Schwanz und Klauen feſt“ — ſo begann er ſeine grelle Schilderung der insge- heim bohrenden und wühlenden franzöſiſchen Politik; freimüthig hielt er den deutſchen Liberalen ihre wälſche Verbildung vor. Königlicher als ſein König wollte er in der belgiſchen Erhebung nichts weiter ſehen als ein von Frankreich angezetteltes hölliſches Gaukelſpiel und verlangte durch- aus, daß die Narren und Narrengenoſſen in Brüſſel zu dem Hauſe Oranien zurückkehren müßten, ſonſt verfalle Belgien rettungslos der Herrſchaft Frankreichs. — Da erfolgte in Paris eine friedliche Wendung, welche deutlich zeigte, daß die Dinge ſo verzweifelt doch nicht ſtanden. Das Juli-Königthum begann ſich im Innern zu befeſtigen. Bereits war Lafayette von ſeiner ge- fährlichen Stellung an der Spitze der Nationalgarde verdrängt. Im März wurde das Miniſterium der Bewegungspartei geſtürzt, und der Führer des Juste milieu, Caſimir Perier, trat ans Ruder, ein reicher Kaufherr, der aus Erfahrung wußte, daß große Geſchäfte durch kleine Schliche nicht gefördert werden, ein Mann der ſtrengen geſetzlichen Ordnung, ſtolz und unbiegſam, herriſch genug um zugleich die Ränke des Monarchen und die Leidenſchaften der Radicalen niederzuzwingen, friedliebend von Grund aus, aber auch feſt entſchloſſen der Würde ſeines Landes nichts zu vergeben — Alles in Allem der größte politiſche Charakter unter den Staatsmännern des Juli-Königthums. Die wüſten Träume der revolu- tionären Propaganda wies er weit von ſich: die Freiheit ſoll ſtets national ſein, Frankreichs Blut gehört nur Frankreich an. Den großen Mächten gegenüber ſprach er ſich beſtimmt und offen aus — ſo weit ein Miniſter dieſes zwitterhaften Königthums aufrichtig ſein konnte. Bald gewann er Werther’s Freundſchaft, und der Berliner Hof bekannte, daß „Frankreich durch ſeine Haltung und ſeine Grundſätze jetzt Vertrauen zu verdienen beginne.“ Selbſt in Wien und Petersburg wurde die Friedenspolitik des ehrlichen Bourgeois anerkannt, obgleich bei Metternich immer wieder der ſtille Groll gegen das Syſtem des Juste milieu durchbrach — gegen „dieſe rechte Mitte, die ſtets dem Guten feindlich iſt und, wenn ſie das Böſe nicht offen begünſtigt, ihm doch zu ſchmeicheln ſucht.“ *) Eine von *) Ancillon, Weiſungen an Schöler 5. Mai, an Maltzahn 30. Mai; Metternich an Trauttmansdorff 9. Auguſt 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/88>, abgerufen am 27.11.2024.