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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Niedergang des fremdbrüderlichen Liberalismus.
der Männer, welche bisher die Regierungen bekämpft hätten.*) Der
Ruſſe ſah ſchärfer als der Oeſterreicher. Es war in der That der Geiſt
von 1813, der aus allen dieſen Gedichten, Reden und Zeitungsartikeln
ſprach; es war der Stolz einer endlich erwachenden ſtarken Nation, der
zum vollen Selbſtbewußtſein gereift der Fremdherrſchaft Oeſterreichs ebenſo
verderblich werden mußte wie den hohlen Formen der Bundesverfaſſung.
Die Kugel ſtand auf ſcharfer Kante; ein leichter Stoß genügte ſie ins
Rollen zu bringen. Der Krieg war erklärt, ſobald Preußen eine ernſte
Anfrage wegen der franzöſiſchen Rüſtungen nach Paris ergehen ließ und
ſie veröffentlichte.

Ein König von fridericianiſcher Kühnheit hätte dieſer Verſuchung
ſchwerlich widerſtanden. Alle die tapferen Männer des preußiſchen Heeres,
welche ſeit Jahren ſchon den dritten puniſchen Krieg für unvermeidlich
hielten, vereinigten ſich in der Meinung, jetzt ſei die rechte Zeit zum
Schlagen. Der Prinz von Preußen lebte und webte in dem Gedanken
des rheiniſchen Feldzugs. In ernſter Rede mahnte er die Offiziere der
Garde, den vaterländiſchen Sinn wach zu halten in dem Heere, „der
Schöpfung des ſeligen Königs,“ die ſich mehr denn je das Vertrauen
des befreundeten Auslands erworben habe.**) Er ſchrieb ſich das Rhein-
lied eigenhändig ab, und unter die Schlußworte:

Sie ſollen ihn nicht haben, den freien deutſchen Rhein
Bis — ſeine Fluth begraben des letzten Manns Gebein

ſetzte er jenen kühnen Federzug, der ſpäterhin aus der Namesunterſchrift
des Sedanſiegers der weiten Welt bekannt werden ſollte. Auch Radowitz
rieth ſeinem geliebten Könige, ſich jetzt durch einen verwegenen Entſchluß
eine Stellung ohne gleichen zu gewinnen. Die Lage ſchien für Preußen
wunderbar günſtig. Thiers hoffte zwar den Krieg in Italien zu beginnen,
um dadurch Deutſchland neutral zu halten; er war aber ganz außer
Stande, die galliſche Kriegsbegier, ſobald ſie einmal entfeſſelt wurde, von
ihrem eigentlichen Ziele, dem Rheinlande abzulenken, und mit vollem Rechte
ließ daher die preußiſche Regierung in Paris erklären, ſie müſſe jeden
Angriff auf Italien als einen Kriegsfall betrachten. Wenn Frankreich
alſo gezwungen wurde ſeine Streitkräfte zu theilen, ſo konnte nach menſch-
lichem Ermeſſen den preußiſchen Waffen der Sieg nicht entgehen, trotz
der vorausſichtlich elenden Beihilfe der kleinen deutſchen Bundesgenoſſen.
Aber ſo wahrſcheinlich der kriegeriſche Erfolg, ebenſo gewiß war ſchließlich
die diplomatiſche Niederlage; denn auch dieſer Krieg hätte wie der Feld-
zug von Belle Alliance unter dem Neide und der Halbheit aller Coali-
tionskriege verkümmern müſſen; er konnte nach aller Wahrſcheinlichkeit
nur damit enden, daß Preußen mit ungeheueren Opfern die perſönliche

*) Liebermann’s Bericht, 23. Febr. 1841.
**) Berger’s Bericht, 6. Jan. 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/103>, abgerufen am 11.02.2025.