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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
ständigen Landwehrplan für Süddeutschland ausarbeiten lassen, den ein-
zigen, der die Landwehr aus geschulten alten Liniensoldaten bilden wollte
und sich einigermaßen an das bewährte preußische Vorbild anschloß.*)
Nach wenigen Monaten war von Alledem keine Rede mehr, und Prinz
Emil von Hessen sagte nachher traurig zu dem preußischen Bundesge-
sandten: die beste Gelegenheit, das preußische Heerwesen im Süden einzu-
führen, ist versäumt.**) Metternich schrieb noch im Frühjahr triumphirend
an den König von Württemberg: Durch das erwachte Nationalgefühl "hat
sich die gediegenste der Mächte in innerer Kraft und Kopfzahl, der Deutsche
Bund seit seinem Entstehen zum ersten male auf dem Felde der euro-
päischen Politik gezeigt. Die Erfahrung hat bewiesen, was der Bund zu
sein vermag wenn er einig dasteht." Die Antwort des Schwabenkönigs
aber klang entschieden mißtrauisch: "Diese nämlichen Resultate werden
sich stets wieder erneuern, so lange die Grundregeln des Bundes -- gleiche
Rechte und gleiche Pflichten -- beobachtet, und ebenso nur im deutschen
Interesse solche Opfer verlangt werden, welche Regierungen und Völker
bringen können."***) Unter Freunden äußerte sich König Wilhelm noch
weit schärfer; dem sächsischen Gesandten Nostitz-Jänkendorf klagte er: so
weit ist selbst Napoleon nicht gegangen, daß er die Rheinbundstruppen ge-
mustert hätte!+)

Und wie sollten auch die kleinen Fürsten Vertrauen fassen, wenn
die Hofburg, die alte Feindin der nationalen Idee, jetzt plötzlich das deutsche
Nationalgefühl feierte! Der letzte Grund der deutschen Zerrissenheit lag
in Wien. "Die moralischen Kräfte Oesterreichs schlummern; Alles was
sich dieser Luft nähert, wird davon angesteckt," so schrieb Maltzan, der
Freund Metternich's um Neujahr 1841; und sein Nachfolger Canitz, der
dem k. k. Staatskanzler noch näher stand, sagte ein Jahr nachher: "Man
scheint hier zu glauben, daß die Maschine des Deutschen Bundes zer-
brechen würde sobald man versuchte sie in Bewegung zu setzen. Da
man immer fürchtet zu viel zu thun, so liebt man gar nichts oder so
wenig als möglich zu thun."++) So lange der König von Preußen diese
Wahrheit nicht einsah, mußten alle seine hochherzigen Reformpläne ein
Stückwerk bleiben. Er aber wollte sie nicht einsehen. Er ging darüber
hinweg, daß die Allgemeine Zeitung den preußischen Staat eben jetzt in
höchst gehässigen Artikeln befehdete, welche ersichtlich aus Metternich's
nächster Umgebung herrührten; er fand es nicht einmal anstößig, daß Hof-

*) Badische Denkschrift "über die Errichtung einer Landwehr in den verschiedenen
süddeutschen Staaten" 1841.
**) Dönhoff's Bericht, 9. März 1843.
***) Metternich an König Wilhelm von Württemberg, 26. April. Antwort 5. Mai
1841.
+) Dönhoff's Bericht, 20. April 1844.
++) Berichte von Maltzan, 5. Jan. 1841, von Canitz, 26. Jan. 1842.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
ſtändigen Landwehrplan für Süddeutſchland ausarbeiten laſſen, den ein-
zigen, der die Landwehr aus geſchulten alten Linienſoldaten bilden wollte
und ſich einigermaßen an das bewährte preußiſche Vorbild anſchloß.*)
Nach wenigen Monaten war von Alledem keine Rede mehr, und Prinz
Emil von Heſſen ſagte nachher traurig zu dem preußiſchen Bundesge-
ſandten: die beſte Gelegenheit, das preußiſche Heerweſen im Süden einzu-
führen, iſt verſäumt.**) Metternich ſchrieb noch im Frühjahr triumphirend
an den König von Württemberg: Durch das erwachte Nationalgefühl „hat
ſich die gediegenſte der Mächte in innerer Kraft und Kopfzahl, der Deutſche
Bund ſeit ſeinem Entſtehen zum erſten male auf dem Felde der euro-
päiſchen Politik gezeigt. Die Erfahrung hat bewieſen, was der Bund zu
ſein vermag wenn er einig daſteht.“ Die Antwort des Schwabenkönigs
aber klang entſchieden mißtrauiſch: „Dieſe nämlichen Reſultate werden
ſich ſtets wieder erneuern, ſo lange die Grundregeln des Bundes — gleiche
Rechte und gleiche Pflichten — beobachtet, und ebenſo nur im deutſchen
Intereſſe ſolche Opfer verlangt werden, welche Regierungen und Völker
bringen können.“***) Unter Freunden äußerte ſich König Wilhelm noch
weit ſchärfer; dem ſächſiſchen Geſandten Noſtitz-Jänkendorf klagte er: ſo
weit iſt ſelbſt Napoleon nicht gegangen, daß er die Rheinbundstruppen ge-
muſtert hätte!†)

Und wie ſollten auch die kleinen Fürſten Vertrauen faſſen, wenn
die Hofburg, die alte Feindin der nationalen Idee, jetzt plötzlich das deutſche
Nationalgefühl feierte! Der letzte Grund der deutſchen Zerriſſenheit lag
in Wien. „Die moraliſchen Kräfte Oeſterreichs ſchlummern; Alles was
ſich dieſer Luft nähert, wird davon angeſteckt,“ ſo ſchrieb Maltzan, der
Freund Metternich’s um Neujahr 1841; und ſein Nachfolger Canitz, der
dem k. k. Staatskanzler noch näher ſtand, ſagte ein Jahr nachher: „Man
ſcheint hier zu glauben, daß die Maſchine des Deutſchen Bundes zer-
brechen würde ſobald man verſuchte ſie in Bewegung zu ſetzen. Da
man immer fürchtet zu viel zu thun, ſo liebt man gar nichts oder ſo
wenig als möglich zu thun.“††) So lange der König von Preußen dieſe
Wahrheit nicht einſah, mußten alle ſeine hochherzigen Reformpläne ein
Stückwerk bleiben. Er aber wollte ſie nicht einſehen. Er ging darüber
hinweg, daß die Allgemeine Zeitung den preußiſchen Staat eben jetzt in
höchſt gehäſſigen Artikeln befehdete, welche erſichtlich aus Metternich’s
nächſter Umgebung herrührten; er fand es nicht einmal anſtößig, daß Hof-

*) Badiſche Denkſchrift „über die Errichtung einer Landwehr in den verſchiedenen
ſüddeutſchen Staaten“ 1841.
**) Dönhoff’s Bericht, 9. März 1843.
***) Metternich an König Wilhelm von Württemberg, 26. April. Antwort 5. Mai
1841.
†) Dönhoff’s Bericht, 20. April 1844.
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[104/0118] V. 2. Die Kriegsgefahr. ſtändigen Landwehrplan für Süddeutſchland ausarbeiten laſſen, den ein- zigen, der die Landwehr aus geſchulten alten Linienſoldaten bilden wollte und ſich einigermaßen an das bewährte preußiſche Vorbild anſchloß. *) Nach wenigen Monaten war von Alledem keine Rede mehr, und Prinz Emil von Heſſen ſagte nachher traurig zu dem preußiſchen Bundesge- ſandten: die beſte Gelegenheit, das preußiſche Heerweſen im Süden einzu- führen, iſt verſäumt. **) Metternich ſchrieb noch im Frühjahr triumphirend an den König von Württemberg: Durch das erwachte Nationalgefühl „hat ſich die gediegenſte der Mächte in innerer Kraft und Kopfzahl, der Deutſche Bund ſeit ſeinem Entſtehen zum erſten male auf dem Felde der euro- päiſchen Politik gezeigt. Die Erfahrung hat bewieſen, was der Bund zu ſein vermag wenn er einig daſteht.“ Die Antwort des Schwabenkönigs aber klang entſchieden mißtrauiſch: „Dieſe nämlichen Reſultate werden ſich ſtets wieder erneuern, ſo lange die Grundregeln des Bundes — gleiche Rechte und gleiche Pflichten — beobachtet, und ebenſo nur im deutſchen Intereſſe ſolche Opfer verlangt werden, welche Regierungen und Völker bringen können.“ ***) Unter Freunden äußerte ſich König Wilhelm noch weit ſchärfer; dem ſächſiſchen Geſandten Noſtitz-Jänkendorf klagte er: ſo weit iſt ſelbſt Napoleon nicht gegangen, daß er die Rheinbundstruppen ge- muſtert hätte! †) Und wie ſollten auch die kleinen Fürſten Vertrauen faſſen, wenn die Hofburg, die alte Feindin der nationalen Idee, jetzt plötzlich das deutſche Nationalgefühl feierte! Der letzte Grund der deutſchen Zerriſſenheit lag in Wien. „Die moraliſchen Kräfte Oeſterreichs ſchlummern; Alles was ſich dieſer Luft nähert, wird davon angeſteckt,“ ſo ſchrieb Maltzan, der Freund Metternich’s um Neujahr 1841; und ſein Nachfolger Canitz, der dem k. k. Staatskanzler noch näher ſtand, ſagte ein Jahr nachher: „Man ſcheint hier zu glauben, daß die Maſchine des Deutſchen Bundes zer- brechen würde ſobald man verſuchte ſie in Bewegung zu ſetzen. Da man immer fürchtet zu viel zu thun, ſo liebt man gar nichts oder ſo wenig als möglich zu thun.“ ††) So lange der König von Preußen dieſe Wahrheit nicht einſah, mußten alle ſeine hochherzigen Reformpläne ein Stückwerk bleiben. Er aber wollte ſie nicht einſehen. Er ging darüber hinweg, daß die Allgemeine Zeitung den preußiſchen Staat eben jetzt in höchſt gehäſſigen Artikeln befehdete, welche erſichtlich aus Metternich’s nächſter Umgebung herrührten; er fand es nicht einmal anſtößig, daß Hof- *) Badiſche Denkſchrift „über die Errichtung einer Landwehr in den verſchiedenen ſüddeutſchen Staaten“ 1841. **) Dönhoff’s Bericht, 9. März 1843. ***) Metternich an König Wilhelm von Württemberg, 26. April. Antwort 5. Mai 1841. †) Dönhoff’s Bericht, 20. April 1844. ††) Berichte von Maltzan, 5. Jan. 1841, von Canitz, 26. Jan. 1842.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/118>, abgerufen am 30.11.2024.