daß er berufen sei "die historische Allianz" der beiden stammverwandten Nationen wieder fester zu schließen. Diese historische Allianz war seit dem Thronwechsel ein Lieblingswort der preußischen Diplomatie; Niemand fragte, was der preußische Staat durch die englische Freundschaft einst gewonnen habe und ob er jetzt nicht stark genug sei ihrer zu entrathen.
Hoffnungsselig wie einst in Rom betrachtete Bunsen auch in London jede persönliche Freundlichkeit die ihm widerfuhr als einen politischen Sieg und glaubte im Ernst, das ungemüthlichste aller Völker durch Gemüth- lichkeit gewinnen zu können; er hoffte harmlos, die Briten würden der Erweiterung des Zollvereins nichts in den Weg legen und falls Deutsch- land Kolonien erwürbe, diese liebevoll mit ihrer Flotte beschützen. Die Engländer betrachteten ihren glühenden Bewunderer mit stiller Ironie und versäumten nicht seine unerwiederte Liebe sich zu nutze zu machen. Ritter Bunsen -- so hieß er bei Hofe -- wurde bald eine gefeierte Größe der Londoner Gesellschaft, ein Liebling der Zeitungsreporter. Er machte es möglich, neben der Unmasse seiner immer geistreichen aber immer unpraktischen Depeschen und Denkschriften auch noch an seinem Buche über Aegyptens welthistorische Stellung zu schreiben und seine liturgischen Studien fortzuführen. So stand er den diplomatischen, den gelehrten, den kirchlichen Kreisen Londons gleich nahe und konnte immer wieder mit gerechtem Selbstgefühle berichten, wie er einem Feste beim Lord Mayor oder beim Erzbischof von Canterbury als einziger Foreigner beigewohnt, wie sein in tadellosem Englisch gehaltener speech irgend eine Versamm- lung begeistert, wie die Universität Oxford, dankbarer als die deutschen Hochschulen, ihn durch ihren Doktorhut geehrt habe. Er benutzte diese glänzende gesellschaftliche Stellung um für die Deutschen Londons man- nichfache gemeinnützige Anstalten zu gründen und zumal den jungen deutschen Gelehrten, die ihm bei seinen Arbeiten zur Hand gingen vor- wärts zu helfen. Nach der Meinung des großen Publicums gereichte es auch dem preußischen Staate zum Vortheil, daß von dem Prussian Minister in der Riesenstadt immer und überall die Rede war. In Wahr- heit brachte seine politische Wirksamkeit in London wie vormals in Rom dem Vaterlande nur Schaden. Auf die kalten englischen Geschäfts- männer konnte ein Enthusiast, der so leicht mit biederen Worten abzu- speisen war, unmöglich Einfluß gewinnen. Am preußischen Hofe aber wurden durch Bunsen's sanguinische Berichte grundfalsche Vorstellungen von Englands deutscher Politik hervorgerufen, verhängnißvolle Irrthümer, welche sich späterhin als Schleswig-Holsteins Schicksal auf dem Spiele stand schwer bestrafen sollten.
In Berlin war der Boden für solche gemüthliche Selbsttäuschungen nur zu wohl vorbereitet. Friedrich Wilhelm's alte, ursprünglich wohl durch Niebuhr's Vorträge geweckte Vorliebe für England hatte neuerdings noch an Wärme gewonnen, seit mit der jungen Königin an den vormals
V. 2. Die Kriegsgefahr.
daß er berufen ſei „die hiſtoriſche Allianz“ der beiden ſtammverwandten Nationen wieder feſter zu ſchließen. Dieſe hiſtoriſche Allianz war ſeit dem Thronwechſel ein Lieblingswort der preußiſchen Diplomatie; Niemand fragte, was der preußiſche Staat durch die engliſche Freundſchaft einſt gewonnen habe und ob er jetzt nicht ſtark genug ſei ihrer zu entrathen.
Hoffnungsſelig wie einſt in Rom betrachtete Bunſen auch in London jede perſönliche Freundlichkeit die ihm widerfuhr als einen politiſchen Sieg und glaubte im Ernſt, das ungemüthlichſte aller Völker durch Gemüth- lichkeit gewinnen zu können; er hoffte harmlos, die Briten würden der Erweiterung des Zollvereins nichts in den Weg legen und falls Deutſch- land Kolonien erwürbe, dieſe liebevoll mit ihrer Flotte beſchützen. Die Engländer betrachteten ihren glühenden Bewunderer mit ſtiller Ironie und verſäumten nicht ſeine unerwiederte Liebe ſich zu nutze zu machen. Ritter Bunſen — ſo hieß er bei Hofe — wurde bald eine gefeierte Größe der Londoner Geſellſchaft, ein Liebling der Zeitungsreporter. Er machte es möglich, neben der Unmaſſe ſeiner immer geiſtreichen aber immer unpraktiſchen Depeſchen und Denkſchriften auch noch an ſeinem Buche über Aegyptens welthiſtoriſche Stellung zu ſchreiben und ſeine liturgiſchen Studien fortzuführen. So ſtand er den diplomatiſchen, den gelehrten, den kirchlichen Kreiſen Londons gleich nahe und konnte immer wieder mit gerechtem Selbſtgefühle berichten, wie er einem Feſte beim Lord Mayor oder beim Erzbiſchof von Canterbury als einziger Foreigner beigewohnt, wie ſein in tadelloſem Engliſch gehaltener speech irgend eine Verſamm- lung begeiſtert, wie die Univerſität Oxford, dankbarer als die deutſchen Hochſchulen, ihn durch ihren Doktorhut geehrt habe. Er benutzte dieſe glänzende geſellſchaftliche Stellung um für die Deutſchen Londons man- nichfache gemeinnützige Anſtalten zu gründen und zumal den jungen deutſchen Gelehrten, die ihm bei ſeinen Arbeiten zur Hand gingen vor- wärts zu helfen. Nach der Meinung des großen Publicums gereichte es auch dem preußiſchen Staate zum Vortheil, daß von dem Prussian Minister in der Rieſenſtadt immer und überall die Rede war. In Wahr- heit brachte ſeine politiſche Wirkſamkeit in London wie vormals in Rom dem Vaterlande nur Schaden. Auf die kalten engliſchen Geſchäfts- männer konnte ein Enthuſiaſt, der ſo leicht mit biederen Worten abzu- ſpeiſen war, unmöglich Einfluß gewinnen. Am preußiſchen Hofe aber wurden durch Bunſen’s ſanguiniſche Berichte grundfalſche Vorſtellungen von Englands deutſcher Politik hervorgerufen, verhängnißvolle Irrthümer, welche ſich ſpäterhin als Schleswig-Holſteins Schickſal auf dem Spiele ſtand ſchwer beſtrafen ſollten.
In Berlin war der Boden für ſolche gemüthliche Selbſttäuſchungen nur zu wohl vorbereitet. Friedrich Wilhelm’s alte, urſprünglich wohl durch Niebuhr’s Vorträge geweckte Vorliebe für England hatte neuerdings noch an Wärme gewonnen, ſeit mit der jungen Königin an den vormals
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V. 2. Die Kriegsgefahr.
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Nationen wieder feſter zu ſchließen. Dieſe hiſtoriſche Allianz war ſeit
dem Thronwechſel ein Lieblingswort der preußiſchen Diplomatie; Niemand
fragte, was der preußiſche Staat durch die engliſche Freundſchaft einſt
gewonnen habe und ob er jetzt nicht ſtark genug ſei ihrer zu entrathen.
Hoffnungsſelig wie einſt in Rom betrachtete Bunſen auch in London
jede perſönliche Freundlichkeit die ihm widerfuhr als einen politiſchen Sieg
und glaubte im Ernſt, das ungemüthlichſte aller Völker durch Gemüth-
lichkeit gewinnen zu können; er hoffte harmlos, die Briten würden der
Erweiterung des Zollvereins nichts in den Weg legen und falls Deutſch-
land Kolonien erwürbe, dieſe liebevoll mit ihrer Flotte beſchützen. Die
Engländer betrachteten ihren glühenden Bewunderer mit ſtiller Ironie
und verſäumten nicht ſeine unerwiederte Liebe ſich zu nutze zu machen.
Ritter Bunſen — ſo hieß er bei Hofe — wurde bald eine gefeierte
Größe der Londoner Geſellſchaft, ein Liebling der Zeitungsreporter. Er
machte es möglich, neben der Unmaſſe ſeiner immer geiſtreichen aber immer
unpraktiſchen Depeſchen und Denkſchriften auch noch an ſeinem Buche
über Aegyptens welthiſtoriſche Stellung zu ſchreiben und ſeine liturgiſchen
Studien fortzuführen. So ſtand er den diplomatiſchen, den gelehrten,
den kirchlichen Kreiſen Londons gleich nahe und konnte immer wieder mit
gerechtem Selbſtgefühle berichten, wie er einem Feſte beim Lord Mayor
oder beim Erzbiſchof von Canterbury als einziger Foreigner beigewohnt,
wie ſein in tadelloſem Engliſch gehaltener speech irgend eine Verſamm-
lung begeiſtert, wie die Univerſität Oxford, dankbarer als die deutſchen
Hochſchulen, ihn durch ihren Doktorhut geehrt habe. Er benutzte dieſe
glänzende geſellſchaftliche Stellung um für die Deutſchen Londons man-
nichfache gemeinnützige Anſtalten zu gründen und zumal den jungen
deutſchen Gelehrten, die ihm bei ſeinen Arbeiten zur Hand gingen vor-
wärts zu helfen. Nach der Meinung des großen Publicums gereichte
es auch dem preußiſchen Staate zum Vortheil, daß von dem Prussian
Minister in der Rieſenſtadt immer und überall die Rede war. In Wahr-
heit brachte ſeine politiſche Wirkſamkeit in London wie vormals in Rom
dem Vaterlande nur Schaden. Auf die kalten engliſchen Geſchäfts-
männer konnte ein Enthuſiaſt, der ſo leicht mit biederen Worten abzu-
ſpeiſen war, unmöglich Einfluß gewinnen. Am preußiſchen Hofe aber
wurden durch Bunſen’s ſanguiniſche Berichte grundfalſche Vorſtellungen
von Englands deutſcher Politik hervorgerufen, verhängnißvolle Irrthümer,
welche ſich ſpäterhin als Schleswig-Holſteins Schickſal auf dem Spiele
ſtand ſchwer beſtrafen ſollten.
In Berlin war der Boden für ſolche gemüthliche Selbſttäuſchungen
nur zu wohl vorbereitet. Friedrich Wilhelm’s alte, urſprünglich wohl
durch Niebuhr’s Vorträge geweckte Vorliebe für England hatte neuerdings
noch an Wärme gewonnen, ſeit mit der jungen Königin an den vormals
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/140>, abgerufen am 28.11.2024.
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