An der Seite der Herrscherin eines solchen Weltreichs mußte ein kleiner deutscher Prinz in die nämliche Lage gerathen wie eine ins Aus- land verheirathete Prinzessin: er konnte sein Volksthum nicht behaupten. Prinz Albert wurde bald ganz zum Engländer, obwohl er im Familien- kreise meistens deutsch sprach und die liebreiche Gemahlin, zum Entsetzen aller frommen Britenherzen, ihm sogar erlaubte beim Fischessen ein silber- nes Messer zu benutzen. Als er wenige Jahre nach seiner Heirath Deutsch- land wieder besuchte, trug er die britischen Sitten geflissentlich zur Schau und hielt im grauen Sommer-Ueberrock die Heerschau über die Mainzer Garnison, so daß die preußischen Generale erzürnt fragten, ob dieser junge Wettiner denn gar nicht mehr wüßte, daß deutsche Fürsten die vaterlän- dischen Fahnen im Waffenschmucke ehrten. In dem kalten, freudlosen englischen Leben verlor er jene menschenfreundliche Heiterkeit, welche den gebildeten Deutschen auszeichnet, und wurde steif, pedantisch, in seinen Urtheilen schroff und lieblos, so daß ihm auch die Arbeit der Kinder- erziehung, die er mit großem Pflichteifer betrieb, nur bei einigen seiner Töchter, bei dem Thronfolger gar nicht gelang. Sein Selbstgefühl ward durch die berechneten Schmeicheleien der britischen Parteiführer und die harmlosen Lobeserhebungen der festländischen Constitutionellen sehr hoch gesteigert. Auf seine durchlauchtigen Genossen daheim sah er mit Hoch- muth herab; er glaubte die deutsche Politik besser als sie zu verstehen, obgleich er durch die lange Abwesenheit die Fühlung mit den vaterlän- dischen Dingen längst verloren hatte, und meinte nichts Arges zu thun, wenn er die deutschen Fürsten in hofmeisterndem Tone aufforderte allezeit den Wegen Englands zu folgen. Derselben Ansicht huldigte auch die Königin. Sie liebte ihren Gemahl so innig, daß sie auch sein Vaterland mit ins Herz schloß und nach Frauenart sich berechtigt glaubte über dessen Wohl zu wachen. Wie ihre Vorfahren als Könige von Hannover, so wähnte sie als Herzogin zu Sachsen dem Deutschen Bunde mit anzu- gehören, und die deutschen Höfe boten für die zarten Künste der Damen- politik einen ungleich dankbareren Boden als das englische Parlament.
Zwischen London, Brüssel, Wiesbaden und Coburg wurde, mit Ab- zweigungen nach Paris und Lissabon, eine Kurierkette eingerichtet, welche die Vertrauten des Hauses Coburg in regelmäßigem Verkehr erhielt. Während die englische Presse in ihrem blinden Fremdenhasse den angeb- lichen "deutschen Einfluß" am Londoner Hofe bekämpfte, konnte Deutschland mit besserem Rechte über englisch-coburgischen Einfluß klagen. Des Prinz- gemahls älterer Bruder, der gut deutsch gesinnte Herzog Ernst von Coburg empfand dies selbst sehr lebhaft; bald nachdem er seinen kleinen Thron bestiegen hatte, schrieb er dem Oheim Leopold: "wir müssen wieder ehrlich deutsch werden," denn bisher haben wir uns meist nur als Verwandte der großen Höfe des Westens gezeigt, darum gilt Coburg für ein Nest undeutscher Ränke und ultraliberaler Ideen. Doch leider blieb es bei
V. 2. Die Kriegsgefahr.
An der Seite der Herrſcherin eines ſolchen Weltreichs mußte ein kleiner deutſcher Prinz in die nämliche Lage gerathen wie eine ins Aus- land verheirathete Prinzeſſin: er konnte ſein Volksthum nicht behaupten. Prinz Albert wurde bald ganz zum Engländer, obwohl er im Familien- kreiſe meiſtens deutſch ſprach und die liebreiche Gemahlin, zum Entſetzen aller frommen Britenherzen, ihm ſogar erlaubte beim Fiſcheſſen ein ſilber- nes Meſſer zu benutzen. Als er wenige Jahre nach ſeiner Heirath Deutſch- land wieder beſuchte, trug er die britiſchen Sitten gefliſſentlich zur Schau und hielt im grauen Sommer-Ueberrock die Heerſchau über die Mainzer Garniſon, ſo daß die preußiſchen Generale erzürnt fragten, ob dieſer junge Wettiner denn gar nicht mehr wüßte, daß deutſche Fürſten die vaterlän- diſchen Fahnen im Waffenſchmucke ehrten. In dem kalten, freudloſen engliſchen Leben verlor er jene menſchenfreundliche Heiterkeit, welche den gebildeten Deutſchen auszeichnet, und wurde ſteif, pedantiſch, in ſeinen Urtheilen ſchroff und lieblos, ſo daß ihm auch die Arbeit der Kinder- erziehung, die er mit großem Pflichteifer betrieb, nur bei einigen ſeiner Töchter, bei dem Thronfolger gar nicht gelang. Sein Selbſtgefühl ward durch die berechneten Schmeicheleien der britiſchen Parteiführer und die harmloſen Lobeserhebungen der feſtländiſchen Conſtitutionellen ſehr hoch geſteigert. Auf ſeine durchlauchtigen Genoſſen daheim ſah er mit Hoch- muth herab; er glaubte die deutſche Politik beſſer als ſie zu verſtehen, obgleich er durch die lange Abweſenheit die Fühlung mit den vaterlän- diſchen Dingen längſt verloren hatte, und meinte nichts Arges zu thun, wenn er die deutſchen Fürſten in hofmeiſterndem Tone aufforderte allezeit den Wegen Englands zu folgen. Derſelben Anſicht huldigte auch die Königin. Sie liebte ihren Gemahl ſo innig, daß ſie auch ſein Vaterland mit ins Herz ſchloß und nach Frauenart ſich berechtigt glaubte über deſſen Wohl zu wachen. Wie ihre Vorfahren als Könige von Hannover, ſo wähnte ſie als Herzogin zu Sachſen dem Deutſchen Bunde mit anzu- gehören, und die deutſchen Höfe boten für die zarten Künſte der Damen- politik einen ungleich dankbareren Boden als das engliſche Parlament.
Zwiſchen London, Brüſſel, Wiesbaden und Coburg wurde, mit Ab- zweigungen nach Paris und Liſſabon, eine Kurierkette eingerichtet, welche die Vertrauten des Hauſes Coburg in regelmäßigem Verkehr erhielt. Während die engliſche Preſſe in ihrem blinden Fremdenhaſſe den angeb- lichen „deutſchen Einfluß“ am Londoner Hofe bekämpfte, konnte Deutſchland mit beſſerem Rechte über engliſch-coburgiſchen Einfluß klagen. Des Prinz- gemahls älterer Bruder, der gut deutſch geſinnte Herzog Ernſt von Coburg empfand dies ſelbſt ſehr lebhaft; bald nachdem er ſeinen kleinen Thron beſtiegen hatte, ſchrieb er dem Oheim Leopold: „wir müſſen wieder ehrlich deutſch werden,“ denn bisher haben wir uns meiſt nur als Verwandte der großen Höfe des Weſtens gezeigt, darum gilt Coburg für ein Neſt undeutſcher Ränke und ultraliberaler Ideen. Doch leider blieb es bei
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An der Seite der Herrſcherin eines ſolchen Weltreichs mußte ein
kleiner deutſcher Prinz in die nämliche Lage gerathen wie eine ins Aus-
land verheirathete Prinzeſſin: er konnte ſein Volksthum nicht behaupten.
Prinz Albert wurde bald ganz zum Engländer, obwohl er im Familien-
kreiſe meiſtens deutſch ſprach und die liebreiche Gemahlin, zum Entſetzen
aller frommen Britenherzen, ihm ſogar erlaubte beim Fiſcheſſen ein ſilber-
nes Meſſer zu benutzen. Als er wenige Jahre nach ſeiner Heirath Deutſch-
land wieder beſuchte, trug er die britiſchen Sitten gefliſſentlich zur Schau
und hielt im grauen Sommer-Ueberrock die Heerſchau über die Mainzer
Garniſon, ſo daß die preußiſchen Generale erzürnt fragten, ob dieſer junge
Wettiner denn gar nicht mehr wüßte, daß deutſche Fürſten die vaterlän-
diſchen Fahnen im Waffenſchmucke ehrten. In dem kalten, freudloſen
engliſchen Leben verlor er jene menſchenfreundliche Heiterkeit, welche den
gebildeten Deutſchen auszeichnet, und wurde ſteif, pedantiſch, in ſeinen
Urtheilen ſchroff und lieblos, ſo daß ihm auch die Arbeit der Kinder-
erziehung, die er mit großem Pflichteifer betrieb, nur bei einigen ſeiner
Töchter, bei dem Thronfolger gar nicht gelang. Sein Selbſtgefühl ward
durch die berechneten Schmeicheleien der britiſchen Parteiführer und die
harmloſen Lobeserhebungen der feſtländiſchen Conſtitutionellen ſehr hoch
geſteigert. Auf ſeine durchlauchtigen Genoſſen daheim ſah er mit Hoch-
muth herab; er glaubte die deutſche Politik beſſer als ſie zu verſtehen,
obgleich er durch die lange Abweſenheit die Fühlung mit den vaterlän-
diſchen Dingen längſt verloren hatte, und meinte nichts Arges zu thun,
wenn er die deutſchen Fürſten in hofmeiſterndem Tone aufforderte allezeit
den Wegen Englands zu folgen. Derſelben Anſicht huldigte auch die
Königin. Sie liebte ihren Gemahl ſo innig, daß ſie auch ſein Vaterland
mit ins Herz ſchloß und nach Frauenart ſich berechtigt glaubte über deſſen
Wohl zu wachen. Wie ihre Vorfahren als Könige von Hannover, ſo
wähnte ſie als Herzogin zu Sachſen dem Deutſchen Bunde mit anzu-
gehören, und die deutſchen Höfe boten für die zarten Künſte der Damen-
politik einen ungleich dankbareren Boden als das engliſche Parlament.
Zwiſchen London, Brüſſel, Wiesbaden und Coburg wurde, mit Ab-
zweigungen nach Paris und Liſſabon, eine Kurierkette eingerichtet, welche
die Vertrauten des Hauſes Coburg in regelmäßigem Verkehr erhielt.
Während die engliſche Preſſe in ihrem blinden Fremdenhaſſe den angeb-
lichen „deutſchen Einfluß“ am Londoner Hofe bekämpfte, konnte Deutſchland
mit beſſerem Rechte über engliſch-coburgiſchen Einfluß klagen. Des Prinz-
gemahls älterer Bruder, der gut deutſch geſinnte Herzog Ernſt von Coburg
empfand dies ſelbſt ſehr lebhaft; bald nachdem er ſeinen kleinen Thron
beſtiegen hatte, ſchrieb er dem Oheim Leopold: „wir müſſen wieder ehrlich
deutſch werden,“ denn bisher haben wir uns meiſt nur als Verwandte
der großen Höfe des Weſtens gezeigt, darum gilt Coburg für ein Neſt
undeutſcher Ränke und ultraliberaler Ideen. Doch leider blieb es bei
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/144>, abgerufen am 27.11.2024.
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