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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Ausführliche Mittheilungen an die Landtage schienen ihnen gefährlich, weil
man im In- und Auslande den Zustand der Finanzen, auf denen die
Kraft Preußens doch vornehmlich beruhe, für günstiger halte als er sei;
und wie leicht könnten genaue Angaben über die Mobilmachungen oder
die Chausseebauten den Argwohn des Auslandes, die Eifersucht der Provinzen
erregen.*) Offenbar erschreckt durch diese Warnungen des alten Beamten-
thums ließ der König noch im letzten Augenblicke reichlich 2 Mill. von
der Rechnung absetzen, so daß die Propositionsdekrete vom 23. Febr. nur
61,208,590 Thlr. als außerordentlichen Aufwand angaben.

Also erfuhren die getreuen Stände zum ersten male von Amtswegen
was die Einsichtigeren freilich längst geahnt hatten: daß in Preußen schon
seit langen Jahren neben dem veröffentlichten ordentlichen noch ein geheimes
außerordentliches Budget bestand, und dies wurde ihnen auch jetzt nicht ein-
mal in seiner Gesammtsumme vollständig mitgetheilt. Diesem Unwesen der
doppelten Budgets hatte das Finanzministerium, zu Kühne's Verzweiflung,
schon längst seine ganze Rechnungsweise angepaßt. Man berechnete die wahr-
scheinlichen Einnahmen nicht nach dreijährigem Durchschnitte, sondern be-
trachtete die Mehreinnahmen größtentheils als Ergebnisse vorübergehender
günstiger Umstände, so daß, Dank dem beständigen Wachsthum des Volks-
wohlstandes, regelmäßig bedeutende Ueberschüsse, im Jahre 1840 wieder
6,8 Mill. Thlr., für außerordentliche Ausgaben verwendet werden konnten.**)
Der soeben veröffentlichte Etat für 1841 schloß in Einnahme und Aus-
gabe wieder säuberlich mit 55,867,000 Thlr. ab, und unmöglich konnte
man noch an die Richtigkeit dieser Zahlen glauben. Gleichwohl ergingen
sich die Landtage allesammt nur in Danksagungen für den verheißenen
Steuererlaß; Niemand schien mehr zu wissen, daß der alte König die Be-
kanntmachung der Etats einst ausdrücklich deßhalb angeordnet hatte, da-
mit Jedermann sich von der Nothwendigkeit der Abgabenlast selbst über-
zeugen könnte.***)

Durch Freimuth und Selbstgefühl übertrafen die Preußen und die Rhein-
länder alle anderen Provinzialstände; jene dachten mit Stolz an ihren
Kant, diese an die Ideen von 89, die Einen wie die Anderen ließen sich's
wohlgefallen, daß ihre beiden Provinzen von der süddeutschen Presse als
die Bannerträger der Civilisation im preußischen Staate gefeiert wurden.
Aber selbst diese beiden Landtage wagten die Aufhebung der Censur nicht
förmlich zu verlangen, weil die Krone selbst schon einige Erleichterungen
in Aussicht gestellt hatte. Die Preußen kleideten ihre Beschwerde über
die harte Behandlung der Presse in so ehrfurchtsvolle Formen, daß der
König sie durch Schön's Schwager Brünneck ausdrücklich beloben ließ.

*) Uebersicht über die außerordentlichen Ausgaben der Jahre 1830 -- 40. Von
Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841. S. o. IV. 189. 544.
**) Geh. Rath v. Patow, Denkschrift über den Steuererlaß, 4. April 1842.
***) S. o. III. 84.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Ausführliche Mittheilungen an die Landtage ſchienen ihnen gefährlich, weil
man im In- und Auslande den Zuſtand der Finanzen, auf denen die
Kraft Preußens doch vornehmlich beruhe, für günſtiger halte als er ſei;
und wie leicht könnten genaue Angaben über die Mobilmachungen oder
die Chauſſeebauten den Argwohn des Auslandes, die Eiferſucht der Provinzen
erregen.*) Offenbar erſchreckt durch dieſe Warnungen des alten Beamten-
thums ließ der König noch im letzten Augenblicke reichlich 2 Mill. von
der Rechnung abſetzen, ſo daß die Propoſitionsdekrete vom 23. Febr. nur
61,208,590 Thlr. als außerordentlichen Aufwand angaben.

Alſo erfuhren die getreuen Stände zum erſten male von Amtswegen
was die Einſichtigeren freilich längſt geahnt hatten: daß in Preußen ſchon
ſeit langen Jahren neben dem veröffentlichten ordentlichen noch ein geheimes
außerordentliches Budget beſtand, und dies wurde ihnen auch jetzt nicht ein-
mal in ſeiner Geſammtſumme vollſtändig mitgetheilt. Dieſem Unweſen der
doppelten Budgets hatte das Finanzminiſterium, zu Kühne’s Verzweiflung,
ſchon längſt ſeine ganze Rechnungsweiſe angepaßt. Man berechnete die wahr-
ſcheinlichen Einnahmen nicht nach dreijährigem Durchſchnitte, ſondern be-
trachtete die Mehreinnahmen größtentheils als Ergebniſſe vorübergehender
günſtiger Umſtände, ſo daß, Dank dem beſtändigen Wachsthum des Volks-
wohlſtandes, regelmäßig bedeutende Ueberſchüſſe, im Jahre 1840 wieder
6,8 Mill. Thlr., für außerordentliche Ausgaben verwendet werden konnten.**)
Der ſoeben veröffentlichte Etat für 1841 ſchloß in Einnahme und Aus-
gabe wieder ſäuberlich mit 55,867,000 Thlr. ab, und unmöglich konnte
man noch an die Richtigkeit dieſer Zahlen glauben. Gleichwohl ergingen
ſich die Landtage alleſammt nur in Dankſagungen für den verheißenen
Steuererlaß; Niemand ſchien mehr zu wiſſen, daß der alte König die Be-
kanntmachung der Etats einſt ausdrücklich deßhalb angeordnet hatte, da-
mit Jedermann ſich von der Nothwendigkeit der Abgabenlaſt ſelbſt über-
zeugen könnte.***)

Durch Freimuth und Selbſtgefühl übertrafen die Preußen und die Rhein-
länder alle anderen Provinzialſtände; jene dachten mit Stolz an ihren
Kant, dieſe an die Ideen von 89, die Einen wie die Anderen ließen ſich’s
wohlgefallen, daß ihre beiden Provinzen von der ſüddeutſchen Preſſe als
die Bannerträger der Civiliſation im preußiſchen Staate gefeiert wurden.
Aber ſelbſt dieſe beiden Landtage wagten die Aufhebung der Cenſur nicht
förmlich zu verlangen, weil die Krone ſelbſt ſchon einige Erleichterungen
in Ausſicht geſtellt hatte. Die Preußen kleideten ihre Beſchwerde über
die harte Behandlung der Preſſe in ſo ehrfurchtsvolle Formen, daß der
König ſie durch Schön’s Schwager Brünneck ausdrücklich beloben ließ.

*) Ueberſicht über die außerordentlichen Ausgaben der Jahre 1830 — 40. Von
Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841. S. o. IV. 189. 544.
**) Geh. Rath v. Patow, Denkſchrift über den Steuererlaß, 4. April 1842.
***) S. o. III. 84.
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[144/0158] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. Ausführliche Mittheilungen an die Landtage ſchienen ihnen gefährlich, weil man im In- und Auslande den Zuſtand der Finanzen, auf denen die Kraft Preußens doch vornehmlich beruhe, für günſtiger halte als er ſei; und wie leicht könnten genaue Angaben über die Mobilmachungen oder die Chauſſeebauten den Argwohn des Auslandes, die Eiferſucht der Provinzen erregen. *) Offenbar erſchreckt durch dieſe Warnungen des alten Beamten- thums ließ der König noch im letzten Augenblicke reichlich 2 Mill. von der Rechnung abſetzen, ſo daß die Propoſitionsdekrete vom 23. Febr. nur 61,208,590 Thlr. als außerordentlichen Aufwand angaben. Alſo erfuhren die getreuen Stände zum erſten male von Amtswegen was die Einſichtigeren freilich längſt geahnt hatten: daß in Preußen ſchon ſeit langen Jahren neben dem veröffentlichten ordentlichen noch ein geheimes außerordentliches Budget beſtand, und dies wurde ihnen auch jetzt nicht ein- mal in ſeiner Geſammtſumme vollſtändig mitgetheilt. Dieſem Unweſen der doppelten Budgets hatte das Finanzminiſterium, zu Kühne’s Verzweiflung, ſchon längſt ſeine ganze Rechnungsweiſe angepaßt. Man berechnete die wahr- ſcheinlichen Einnahmen nicht nach dreijährigem Durchſchnitte, ſondern be- trachtete die Mehreinnahmen größtentheils als Ergebniſſe vorübergehender günſtiger Umſtände, ſo daß, Dank dem beſtändigen Wachsthum des Volks- wohlſtandes, regelmäßig bedeutende Ueberſchüſſe, im Jahre 1840 wieder 6,8 Mill. Thlr., für außerordentliche Ausgaben verwendet werden konnten. **) Der ſoeben veröffentlichte Etat für 1841 ſchloß in Einnahme und Aus- gabe wieder ſäuberlich mit 55,867,000 Thlr. ab, und unmöglich konnte man noch an die Richtigkeit dieſer Zahlen glauben. Gleichwohl ergingen ſich die Landtage alleſammt nur in Dankſagungen für den verheißenen Steuererlaß; Niemand ſchien mehr zu wiſſen, daß der alte König die Be- kanntmachung der Etats einſt ausdrücklich deßhalb angeordnet hatte, da- mit Jedermann ſich von der Nothwendigkeit der Abgabenlaſt ſelbſt über- zeugen könnte. ***) Durch Freimuth und Selbſtgefühl übertrafen die Preußen und die Rhein- länder alle anderen Provinzialſtände; jene dachten mit Stolz an ihren Kant, dieſe an die Ideen von 89, die Einen wie die Anderen ließen ſich’s wohlgefallen, daß ihre beiden Provinzen von der ſüddeutſchen Preſſe als die Bannerträger der Civiliſation im preußiſchen Staate gefeiert wurden. Aber ſelbſt dieſe beiden Landtage wagten die Aufhebung der Cenſur nicht förmlich zu verlangen, weil die Krone ſelbſt ſchon einige Erleichterungen in Ausſicht geſtellt hatte. Die Preußen kleideten ihre Beſchwerde über die harte Behandlung der Preſſe in ſo ehrfurchtsvolle Formen, daß der König ſie durch Schön’s Schwager Brünneck ausdrücklich beloben ließ. *) Ueberſicht über die außerordentlichen Ausgaben der Jahre 1830 — 40. Von Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841. S. o. IV. 189. 544. **) Geh. Rath v. Patow, Denkſchrift über den Steuererlaß, 4. April 1842. ***) S. o. III. 84.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/158>, abgerufen am 23.11.2024.