Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Der Posener Provinziallandtag. heit und Faulheit der Polen ein Rechtstitel, kraft dessen ihrer Sprache dieHerrschaft gebührte, denn unter den Deutschen verstehe der dritte oder vierte Mann, unter den Juden fast jeder auch polnisch, während von je sechs Polen nur einer deutsch rede. Daß diese zweisprachige Provinz einem Staate von elf Millionen Deutschen angehörte, kam gar nicht in Betracht. Vor acht Jahren schon hatte der alte König eine Summe von 16000 Thalern für die Errichtung eines Posenschen Convicts an der Landesuniversität Breslau bewilligt, Erzbischof Dunin aber dies bereits angenommene Ge- schenk wieder zurückgewiesen und trotzig verlangt, seine Theologen, die mit seltenen Ausnahmen aller gesellschaftlichen und gelehrten Bildung ent- behrten, müßten in Rom, München, Wien oder Prag studiren. Der Be- such deutscher Hochschulen ward grundsätzlich verworfen. Die von dem neuen Könige berufenen Professoren der slawischen Sprachen in Berlin und Breslau fanden kaum Zuhörer, selbst um die soeben vermehrten Stipen- dien für polnische Studenten bewarben sich nur Wenige. Angesichts solcher Thatsachen forderten die Landstände eine theologisch-philosophische Facultät für die Stadt Posen, ferner für die Provinz mehrere Gymnasien mit vorherrschend polnischem Unterrichte, endlich polnische Schulsprache in den Elementarschulen aller der Ortschaften, wo die polnische Bevölkerung überwöge; zugleich rügten sie, daß die deutsche Regierung zufrieden sei, wenn die deutschen Schüler ein leichtes polnisches Buch geläufig über- setzen könnten. Der Landtag scheute sich nicht, das so frech mißbrauchte Recht der 10*
Der Poſener Provinziallandtag. heit und Faulheit der Polen ein Rechtstitel, kraft deſſen ihrer Sprache dieHerrſchaft gebührte, denn unter den Deutſchen verſtehe der dritte oder vierte Mann, unter den Juden faſt jeder auch polniſch, während von je ſechs Polen nur einer deutſch rede. Daß dieſe zweiſprachige Provinz einem Staate von elf Millionen Deutſchen angehörte, kam gar nicht in Betracht. Vor acht Jahren ſchon hatte der alte König eine Summe von 16000 Thalern für die Errichtung eines Poſenſchen Convicts an der Landesuniverſität Breslau bewilligt, Erzbiſchof Dunin aber dies bereits angenommene Ge- ſchenk wieder zurückgewieſen und trotzig verlangt, ſeine Theologen, die mit ſeltenen Ausnahmen aller geſellſchaftlichen und gelehrten Bildung ent- behrten, müßten in Rom, München, Wien oder Prag ſtudiren. Der Be- ſuch deutſcher Hochſchulen ward grundſätzlich verworfen. Die von dem neuen Könige berufenen Profeſſoren der ſlawiſchen Sprachen in Berlin und Breslau fanden kaum Zuhörer, ſelbſt um die ſoeben vermehrten Stipen- dien für polniſche Studenten bewarben ſich nur Wenige. Angeſichts ſolcher Thatſachen forderten die Landſtände eine theologiſch-philoſophiſche Facultät für die Stadt Poſen, ferner für die Provinz mehrere Gymnaſien mit vorherrſchend polniſchem Unterrichte, endlich polniſche Schulſprache in den Elementarſchulen aller der Ortſchaften, wo die polniſche Bevölkerung überwöge; zugleich rügten ſie, daß die deutſche Regierung zufrieden ſei, wenn die deutſchen Schüler ein leichtes polniſches Buch geläufig über- ſetzen könnten. Der Landtag ſcheute ſich nicht, das ſo frech mißbrauchte Recht der 10*
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Der Poſener Provinziallandtag.
heit und Faulheit der Polen ein Rechtstitel, kraft deſſen ihrer Sprache die
Herrſchaft gebührte, denn unter den Deutſchen verſtehe der dritte oder vierte
Mann, unter den Juden faſt jeder auch polniſch, während von je ſechs
Polen nur einer deutſch rede. Daß dieſe zweiſprachige Provinz einem Staate
von elf Millionen Deutſchen angehörte, kam gar nicht in Betracht. Vor
acht Jahren ſchon hatte der alte König eine Summe von 16000 Thalern
für die Errichtung eines Poſenſchen Convicts an der Landesuniverſität
Breslau bewilligt, Erzbiſchof Dunin aber dies bereits angenommene Ge-
ſchenk wieder zurückgewieſen und trotzig verlangt, ſeine Theologen, die mit
ſeltenen Ausnahmen aller geſellſchaftlichen und gelehrten Bildung ent-
behrten, müßten in Rom, München, Wien oder Prag ſtudiren. Der Be-
ſuch deutſcher Hochſchulen ward grundſätzlich verworfen. Die von dem
neuen Könige berufenen Profeſſoren der ſlawiſchen Sprachen in Berlin und
Breslau fanden kaum Zuhörer, ſelbſt um die ſoeben vermehrten Stipen-
dien für polniſche Studenten bewarben ſich nur Wenige. Angeſichts ſolcher
Thatſachen forderten die Landſtände eine theologiſch-philoſophiſche Facultät
für die Stadt Poſen, ferner für die Provinz mehrere Gymnaſien mit
vorherrſchend polniſchem Unterrichte, endlich polniſche Schulſprache in den
Elementarſchulen aller der Ortſchaften, wo die polniſche Bevölkerung
überwöge; zugleich rügten ſie, daß die deutſche Regierung zufrieden ſei,
wenn die deutſchen Schüler ein leichtes polniſches Buch geläufig über-
ſetzen könnten.
Der Landtag ſcheute ſich nicht, das ſo frech mißbrauchte Recht der
Erwählung der Landräthe als einen Schutz für das Großherzogthum zu-
rückzufordern, damit die Provinz ſich durch ihre eigenen Beamten gegen
die deutſche Krone vertheidigen könnte. Er verlangte Aufhebung der Di-
ſtrikts-Commiſſare, deren Verdienſte um die bürgerliche Ordnung er doch
ſelbſt anerkennen mußte; er erklärte, das Aufkaufen überſchuldeter polniſcher
Güter durch die Regierung hätte die Herzen der Polen mit Wehmuth er-
füllt, und bat die Krone, ſie möchte den Warſchauiſchen Offizieren, welche
an dem letzten Aufſtande theilgenommen, ihre Penſionen wieder auszahlen.
Allen dieſen Anträgen der Ritterſchaft ſchloſſen ſich die Vertreter der
deutſchen Städte und Dörfer „aus Rückſichten der Billigkeit“ an; ſo kräftig
verſtand der polniſche Adel alle Künſte der Einſchüchterung anzuwenden,
und ſo wirkſam unterſtützten ihn die deutſchen liberalen Zeitungen, die
noch immer ohne Sinn für die nationalen Machtkämpfe der Oſtmark, jede
Oppoſition, auch die der Feinde Deutſchlands grundſätzlich verherrlichten.
Worauf die Polen ausgingen, das verrieth ſich deutlich als der Ober-
Bürgermeiſter Naumann von Poſen, auf Andringen ſeiner Bürgerſchaft,
die Berufung der preußiſchen Reichsſtände befürwortete; da klang es lär-
mend von allen Seiten: als Polen ſtimmen wir dagegen. Die Frage
wegen des Steuererlaſſes beantworteten die Polen mit der Bitte: der
König möge lieber jeder Provinz eine Summe jährlich zu freier Ver-
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