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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Graf Arnim in Posen.
Mann stand nicht an, dem Könige seinen Irrthum zu bekennen. Bereits
nach zwei Monaten berichtete er (14. Aug.): die Scheidewand zwischen
Deutschen und Polen scheine doch weit schroffer als er gedacht; "das
Umlenken aus einer seit zehn Jahren verfolgten Bahn" biete große
Schwierigkeiten, da man die erprobten Werke jenes Jahrzehnts nicht um-
stoßen wolle, und "Gott gebe, daß es nicht zu spät dazu ist". Hierzulande
sei das Beamtenthum Alles, tüchtige Männer fehlten unter den Polen
fast ganz, "die Aufrichtung des gesunkenen Volkes" lasse sich noch gar nicht
absehen.*) Seitdem ward er wachsamer und begann nachzudenken über die
Warnung des großen Friedrich: man darf den Polen keine Complimente
machen, das verdirbt sie nur. Aber noch bevor er sich in seinem schwie-
rigen Amte ganz zurechtgefunden hatte, schon nach Jahresfrist, berief ihn
der König auf einen Ministerposten.

Durch so jähe Wechselfälle gewannen die polnischen Edelleute die
tröstliche Ueberzeugung, daß keine starke Hand mehr das Steuer führte.
An den Zwangsverkäufen ihrer Güter betheiligte sich der Staat nicht mehr,
und freiwillig veräußerten sie nur noch selten eine Scholle an einen
Deutschen; das Sprichwort kam auf: große Verräther verkaufen ihr Vater-
land im Ganzen, kleine morgenweise. Von den Volksschulen fürchteten
sie auch nicht mehr viel, weil der König, um die römische Kirche ganz zu-
frieden zu stellen, die Aemter der Schulinspectoren häufig an polnische
Priester übertragen ließ. Selbst das höhere Schulwesen hofften sie der-
einst noch dem Polenthum zu unterwerfen: war doch soeben ein polnischer
Geistlicher zum Rector des Posener Marien-Gymnasiums ernannt wor-
den; und die Regierung hatte bewilligt, daß dort künftighin blos polnisch,
nur in den zwei obersten Klassen auch deutsch unterrichtet würde. Der
König ahnte nicht, wie schwer er dadurch die gesellschaftliche Stellung
seiner polnischen Schützlinge selber schädigte; ohne gründliche Kenntniß
der deutschen Sprache konnte in Preußen ja längst niemand mehr zu irgend
einer höheren bürgerlichen Wirksamkeit gelangen. Selbst ein polnischer Ju-
gendbildungsverein, dessen eigentlicher Zweck keinem Deutschen in der Pro-
vinz zweifelhaft blieb, wurde von der Regierung freundlich begünstigt. Nach
alter Gewohnheit dankten die sarmatischen Edelleute der deutschen Schwäche
durch Untreue und Verschwörungen. Daß diese Regierung mit Hochver-
räthern streng umgehen würde, stand ja doch nicht zu befürchten: dem
Landtagsabschied zuwider erhielten die warschauischen Offiziere allesammt
bald nachher ihre verwirkten Pensionen wieder ausbezahlt.

Zwar bestand, namentlich unter den reichen und bejahrten Grund-
herren, eine kleine gemäßigte Partei, die auf das friedliche Erstarken des
polnischen Volksthums hoffte. "Werden wir besser, gebildeter, reicher als
die Deutschen", so sagte Graf Eduard Raczynski, "dann sind wir die Herren

*) Arnim, Bericht an den König, 14. Aug. 1841.

Graf Arnim in Poſen.
Mann ſtand nicht an, dem Könige ſeinen Irrthum zu bekennen. Bereits
nach zwei Monaten berichtete er (14. Aug.): die Scheidewand zwiſchen
Deutſchen und Polen ſcheine doch weit ſchroffer als er gedacht; „das
Umlenken aus einer ſeit zehn Jahren verfolgten Bahn“ biete große
Schwierigkeiten, da man die erprobten Werke jenes Jahrzehnts nicht um-
ſtoßen wolle, und „Gott gebe, daß es nicht zu ſpät dazu iſt“. Hierzulande
ſei das Beamtenthum Alles, tüchtige Männer fehlten unter den Polen
faſt ganz, „die Aufrichtung des geſunkenen Volkes“ laſſe ſich noch gar nicht
abſehen.*) Seitdem ward er wachſamer und begann nachzudenken über die
Warnung des großen Friedrich: man darf den Polen keine Complimente
machen, das verdirbt ſie nur. Aber noch bevor er ſich in ſeinem ſchwie-
rigen Amte ganz zurechtgefunden hatte, ſchon nach Jahresfriſt, berief ihn
der König auf einen Miniſterpoſten.

Durch ſo jähe Wechſelfälle gewannen die polniſchen Edelleute die
tröſtliche Ueberzeugung, daß keine ſtarke Hand mehr das Steuer führte.
An den Zwangsverkäufen ihrer Güter betheiligte ſich der Staat nicht mehr,
und freiwillig veräußerten ſie nur noch ſelten eine Scholle an einen
Deutſchen; das Sprichwort kam auf: große Verräther verkaufen ihr Vater-
land im Ganzen, kleine morgenweiſe. Von den Volksſchulen fürchteten
ſie auch nicht mehr viel, weil der König, um die römiſche Kirche ganz zu-
frieden zu ſtellen, die Aemter der Schulinſpectoren häufig an polniſche
Prieſter übertragen ließ. Selbſt das höhere Schulweſen hofften ſie der-
einſt noch dem Polenthum zu unterwerfen: war doch ſoeben ein polniſcher
Geiſtlicher zum Rector des Poſener Marien-Gymnaſiums ernannt wor-
den; und die Regierung hatte bewilligt, daß dort künftighin blos polniſch,
nur in den zwei oberſten Klaſſen auch deutſch unterrichtet würde. Der
König ahnte nicht, wie ſchwer er dadurch die geſellſchaftliche Stellung
ſeiner polniſchen Schützlinge ſelber ſchädigte; ohne gründliche Kenntniß
der deutſchen Sprache konnte in Preußen ja längſt niemand mehr zu irgend
einer höheren bürgerlichen Wirkſamkeit gelangen. Selbſt ein polniſcher Ju-
gendbildungsverein, deſſen eigentlicher Zweck keinem Deutſchen in der Pro-
vinz zweifelhaft blieb, wurde von der Regierung freundlich begünſtigt. Nach
alter Gewohnheit dankten die ſarmatiſchen Edelleute der deutſchen Schwäche
durch Untreue und Verſchwörungen. Daß dieſe Regierung mit Hochver-
räthern ſtreng umgehen würde, ſtand ja doch nicht zu befürchten: dem
Landtagsabſchied zuwider erhielten die warſchauiſchen Offiziere alleſammt
bald nachher ihre verwirkten Penſionen wieder ausbezahlt.

Zwar beſtand, namentlich unter den reichen und bejahrten Grund-
herren, eine kleine gemäßigte Partei, die auf das friedliche Erſtarken des
polniſchen Volksthums hoffte. „Werden wir beſſer, gebildeter, reicher als
die Deutſchen“, ſo ſagte Graf Eduard Raczynski, „dann ſind wir die Herren

*) Arnim, Bericht an den König, 14. Aug. 1841.
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[151/0165] Graf Arnim in Poſen. Mann ſtand nicht an, dem Könige ſeinen Irrthum zu bekennen. Bereits nach zwei Monaten berichtete er (14. Aug.): die Scheidewand zwiſchen Deutſchen und Polen ſcheine doch weit ſchroffer als er gedacht; „das Umlenken aus einer ſeit zehn Jahren verfolgten Bahn“ biete große Schwierigkeiten, da man die erprobten Werke jenes Jahrzehnts nicht um- ſtoßen wolle, und „Gott gebe, daß es nicht zu ſpät dazu iſt“. Hierzulande ſei das Beamtenthum Alles, tüchtige Männer fehlten unter den Polen faſt ganz, „die Aufrichtung des geſunkenen Volkes“ laſſe ſich noch gar nicht abſehen. *) Seitdem ward er wachſamer und begann nachzudenken über die Warnung des großen Friedrich: man darf den Polen keine Complimente machen, das verdirbt ſie nur. Aber noch bevor er ſich in ſeinem ſchwie- rigen Amte ganz zurechtgefunden hatte, ſchon nach Jahresfriſt, berief ihn der König auf einen Miniſterpoſten. Durch ſo jähe Wechſelfälle gewannen die polniſchen Edelleute die tröſtliche Ueberzeugung, daß keine ſtarke Hand mehr das Steuer führte. An den Zwangsverkäufen ihrer Güter betheiligte ſich der Staat nicht mehr, und freiwillig veräußerten ſie nur noch ſelten eine Scholle an einen Deutſchen; das Sprichwort kam auf: große Verräther verkaufen ihr Vater- land im Ganzen, kleine morgenweiſe. Von den Volksſchulen fürchteten ſie auch nicht mehr viel, weil der König, um die römiſche Kirche ganz zu- frieden zu ſtellen, die Aemter der Schulinſpectoren häufig an polniſche Prieſter übertragen ließ. Selbſt das höhere Schulweſen hofften ſie der- einſt noch dem Polenthum zu unterwerfen: war doch ſoeben ein polniſcher Geiſtlicher zum Rector des Poſener Marien-Gymnaſiums ernannt wor- den; und die Regierung hatte bewilligt, daß dort künftighin blos polniſch, nur in den zwei oberſten Klaſſen auch deutſch unterrichtet würde. Der König ahnte nicht, wie ſchwer er dadurch die geſellſchaftliche Stellung ſeiner polniſchen Schützlinge ſelber ſchädigte; ohne gründliche Kenntniß der deutſchen Sprache konnte in Preußen ja längſt niemand mehr zu irgend einer höheren bürgerlichen Wirkſamkeit gelangen. Selbſt ein polniſcher Ju- gendbildungsverein, deſſen eigentlicher Zweck keinem Deutſchen in der Pro- vinz zweifelhaft blieb, wurde von der Regierung freundlich begünſtigt. Nach alter Gewohnheit dankten die ſarmatiſchen Edelleute der deutſchen Schwäche durch Untreue und Verſchwörungen. Daß dieſe Regierung mit Hochver- räthern ſtreng umgehen würde, ſtand ja doch nicht zu befürchten: dem Landtagsabſchied zuwider erhielten die warſchauiſchen Offiziere alleſammt bald nachher ihre verwirkten Penſionen wieder ausbezahlt. Zwar beſtand, namentlich unter den reichen und bejahrten Grund- herren, eine kleine gemäßigte Partei, die auf das friedliche Erſtarken des polniſchen Volksthums hoffte. „Werden wir beſſer, gebildeter, reicher als die Deutſchen“, ſo ſagte Graf Eduard Raczynski, „dann ſind wir die Herren *) Arnim, Bericht an den König, 14. Aug. 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/165>, abgerufen am 23.11.2024.