verkauft, da sie den König die Politik Flottwell's beloben und doch selbst den genau entgegengesetzten Weg einschlagen sahen. --
Inzwischen wurde das Ministerium nach und nach völlig neu ge- staltet. Im März 1841 erhielt Boyen, trotz seiner siebzig Jahre, die Leitung der Kriegsverwaltung, zum Schrecken der alten mecklenburgisch- welfischen Partei, die er noch vor wenigen Jahren durch eine freimüthige Schrift über Scharnhorst abermals gekränkt hatte. Der König ward nicht müde, den alten Herrn für die Unbill vergangener Jahre durch eine fast kindliche Verehrung und durch sinnig gewählte Auszeichnungen zu ent- schädigen. Er gab ihm sofort, nach dem Dienstalter, die erste Stelle im Ministerium, schmückte ihn am Grabe Gneisenau's zu Sommerschenburg, als dort das Denkmal des Helden enthüllt wurde, mit dem schwarzen Adlerorden, ernannte ihn zum Chef des ersten Infanterie-Regiments, in dem der General einst seine Soldatenlaufbahn begonnen hatte, ließ zum Jubelfeste seiner sechzigjährigen Dienstzeit eine schöne Denkmünze schlagen. Boyen aber täuschte sich nicht über die Bedeutung dieser Gnaden- beweise. Aufgewachsen in den Ideen Kant's, klar, bestimmt, verständig in Allem, auch in seiner innigen Frömmigkeit, fühlte er klug heraus, wie wenig er Friedrich Wilhelm's romantischen Träumen zu folgen vermochte, und hielt sich der großen Politik in der Regel fern; nur zuweilen, wenn er einen verhängnißvollen Mißgriff befürchtete, warnte er den König mit seiner kräftigen ostpreußischen Treuherzigkeit. Auch in seinem eigenen Ministe- rium machte er bald die Erfahrung, daß er vor fünfundzwanzig Jahren, trotz der vielbeklagten Unentschlossenheit des alten Königs und trotz der Feindseligkeit der Maulwürfe, wie er seine Gegner nannte, doch weit rascher vorwärts gekommen war als jetzt. Gleich zu Anfang hatte er, wie der König sagte, "ein Stückchen Schwerenoth" mit dem Chef des Militärcabinets General Lindheim, und es gelang ihm den rechthaberischen Gegner zu verdrängen, indem er offen aussprach: ich habe das Amt nur angenommen "um dem König einen Beweis meiner treuen Anhänglichkeit zu geben; so- bald ich aber sehe, daß meine Wirksamkeit gelähmt wird, so hat die Stelle keinen Werth für mich."*)
Freie Hand jedoch gewann er dadurch noch nicht, denn der König er- schwerte ihm, wie allen übrigen Ministern das planvolle Arbeiten durch plötzliche Vorschläge und Entwürfe, die er dann oft ebenso plötzlich wieder aufgab. "Es liegen", sagte Thile, "im Geiste Sr. Maj. noch so viele Keime für die raschere Entwicklung unserer Staatsverhältnisse in mannichfacher Richtung." Selbst die Formen des Geschäftsganges standen nicht mehr
*) Boyen an Thile, 28. März; König Friedrich Wilhelm an Thile, 25. 29. März 1841.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
verkauft, da ſie den König die Politik Flottwell’s beloben und doch ſelbſt den genau entgegengeſetzten Weg einſchlagen ſahen. —
Inzwiſchen wurde das Miniſterium nach und nach völlig neu ge- ſtaltet. Im März 1841 erhielt Boyen, trotz ſeiner ſiebzig Jahre, die Leitung der Kriegsverwaltung, zum Schrecken der alten mecklenburgiſch- welfiſchen Partei, die er noch vor wenigen Jahren durch eine freimüthige Schrift über Scharnhorſt abermals gekränkt hatte. Der König ward nicht müde, den alten Herrn für die Unbill vergangener Jahre durch eine faſt kindliche Verehrung und durch ſinnig gewählte Auszeichnungen zu ent- ſchädigen. Er gab ihm ſofort, nach dem Dienſtalter, die erſte Stelle im Miniſterium, ſchmückte ihn am Grabe Gneiſenau’s zu Sommerſchenburg, als dort das Denkmal des Helden enthüllt wurde, mit dem ſchwarzen Adlerorden, ernannte ihn zum Chef des erſten Infanterie-Regiments, in dem der General einſt ſeine Soldatenlaufbahn begonnen hatte, ließ zum Jubelfeſte ſeiner ſechzigjährigen Dienſtzeit eine ſchöne Denkmünze ſchlagen. Boyen aber täuſchte ſich nicht über die Bedeutung dieſer Gnaden- beweiſe. Aufgewachſen in den Ideen Kant’s, klar, beſtimmt, verſtändig in Allem, auch in ſeiner innigen Frömmigkeit, fühlte er klug heraus, wie wenig er Friedrich Wilhelm’s romantiſchen Träumen zu folgen vermochte, und hielt ſich der großen Politik in der Regel fern; nur zuweilen, wenn er einen verhängnißvollen Mißgriff befürchtete, warnte er den König mit ſeiner kräftigen oſtpreußiſchen Treuherzigkeit. Auch in ſeinem eigenen Miniſte- rium machte er bald die Erfahrung, daß er vor fünfundzwanzig Jahren, trotz der vielbeklagten Unentſchloſſenheit des alten Königs und trotz der Feindſeligkeit der Maulwürfe, wie er ſeine Gegner nannte, doch weit raſcher vorwärts gekommen war als jetzt. Gleich zu Anfang hatte er, wie der König ſagte, „ein Stückchen Schwerenoth“ mit dem Chef des Militärcabinets General Lindheim, und es gelang ihm den rechthaberiſchen Gegner zu verdrängen, indem er offen ausſprach: ich habe das Amt nur angenommen „um dem König einen Beweis meiner treuen Anhänglichkeit zu geben; ſo- bald ich aber ſehe, daß meine Wirkſamkeit gelähmt wird, ſo hat die Stelle keinen Werth für mich.“*)
Freie Hand jedoch gewann er dadurch noch nicht, denn der König er- ſchwerte ihm, wie allen übrigen Miniſtern das planvolle Arbeiten durch plötzliche Vorſchläge und Entwürfe, die er dann oft ebenſo plötzlich wieder aufgab. „Es liegen“, ſagte Thile, „im Geiſte Sr. Maj. noch ſo viele Keime für die raſchere Entwicklung unſerer Staatsverhältniſſe in mannichfacher Richtung.“ Selbſt die Formen des Geſchäftsganges ſtanden nicht mehr
*) Boyen an Thile, 28. März; König Friedrich Wilhelm an Thile, 25. 29. März 1841.
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verkauft, da ſie den König die Politik Flottwell’s beloben und doch ſelbſt
den genau entgegengeſetzten Weg einſchlagen ſahen. —
Inzwiſchen wurde das Miniſterium nach und nach völlig neu ge-
ſtaltet. Im März 1841 erhielt Boyen, trotz ſeiner ſiebzig Jahre, die
Leitung der Kriegsverwaltung, zum Schrecken der alten mecklenburgiſch-
welfiſchen Partei, die er noch vor wenigen Jahren durch eine freimüthige
Schrift über Scharnhorſt abermals gekränkt hatte. Der König ward nicht
müde, den alten Herrn für die Unbill vergangener Jahre durch eine faſt
kindliche Verehrung und durch ſinnig gewählte Auszeichnungen zu ent-
ſchädigen. Er gab ihm ſofort, nach dem Dienſtalter, die erſte Stelle im
Miniſterium, ſchmückte ihn am Grabe Gneiſenau’s zu Sommerſchenburg,
als dort das Denkmal des Helden enthüllt wurde, mit dem ſchwarzen
Adlerorden, ernannte ihn zum Chef des erſten Infanterie-Regiments, in
dem der General einſt ſeine Soldatenlaufbahn begonnen hatte, ließ
zum Jubelfeſte ſeiner ſechzigjährigen Dienſtzeit eine ſchöne Denkmünze
ſchlagen. Boyen aber täuſchte ſich nicht über die Bedeutung dieſer Gnaden-
beweiſe. Aufgewachſen in den Ideen Kant’s, klar, beſtimmt, verſtändig
in Allem, auch in ſeiner innigen Frömmigkeit, fühlte er klug heraus, wie
wenig er Friedrich Wilhelm’s romantiſchen Träumen zu folgen vermochte, und
hielt ſich der großen Politik in der Regel fern; nur zuweilen, wenn er einen
verhängnißvollen Mißgriff befürchtete, warnte er den König mit ſeiner
kräftigen oſtpreußiſchen Treuherzigkeit. Auch in ſeinem eigenen Miniſte-
rium machte er bald die Erfahrung, daß er vor fünfundzwanzig Jahren,
trotz der vielbeklagten Unentſchloſſenheit des alten Königs und trotz der
Feindſeligkeit der Maulwürfe, wie er ſeine Gegner nannte, doch weit raſcher
vorwärts gekommen war als jetzt. Gleich zu Anfang hatte er, wie der König
ſagte, „ein Stückchen Schwerenoth“ mit dem Chef des Militärcabinets
General Lindheim, und es gelang ihm den rechthaberiſchen Gegner zu
verdrängen, indem er offen ausſprach: ich habe das Amt nur angenommen
„um dem König einen Beweis meiner treuen Anhänglichkeit zu geben; ſo-
bald ich aber ſehe, daß meine Wirkſamkeit gelähmt wird, ſo hat die Stelle
keinen Werth für mich.“ *)
Freie Hand jedoch gewann er dadurch noch nicht, denn der König er-
ſchwerte ihm, wie allen übrigen Miniſtern das planvolle Arbeiten durch
plötzliche Vorſchläge und Entwürfe, die er dann oft ebenſo plötzlich wieder
aufgab. „Es liegen“, ſagte Thile, „im Geiſte Sr. Maj. noch ſo viele Keime
für die raſchere Entwicklung unſerer Staatsverhältniſſe in mannichfacher
Richtung.“ Selbſt die Formen des Geſchäftsganges ſtanden nicht mehr
*) Boyen an Thile, 28. März; König Friedrich Wilhelm an Thile, 25. 29. März 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/168>, abgerufen am 23.11.2024.
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